Parlamentskorrespondenz Nr. 888 vom 17.11.2010

SOS-Familie - Opposition kritisiert Sparpläne

Mitterlehner: Budgetsanierung notwendig, Regierung gesprächsbereit

Wien (PK) – Das Thema "Familie" vor dem Hintergrund der geplanten Budgetkürzungen stand heute am Beginn der Sitzung des Nationalrats. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde diskutierten die Abgeordneten die aktuelle Familienpolitik unter dem vom BZÖ gewählten Titel "SOS Famile! Jugend und Familien als Opfer einer reformunfähigen Bundesregierung".

BZÖ-Klubobmann Josef BUCHER begründete die Themenwahl seiner Fraktion mit der Kritik des BZÖ an einem "Budgetentwurf der Grauslichkeiten". Bucher listete die Kürzungen auf, die die Bundesregierung im Bereich der Familienförderung plant und forderte Strukturreformen statt Leistungskürzungen und Belastung der SteuerzahlerInnen ein. Die Budgetlöcher, die es nun zu stopfen gelte, können die Bundesregierung nicht überrascht haben, verantwortlich dafür sei die Schuldenpolitik der vergangenen Jahrzehnte und die Löcher, die die Absicherung der Banken in das Budget gerissen habe, kritisierte Bucher. Es sei "grotesk", was die Bundesregierung nun BürgerInnen zumuten wolle, die dafür nichts können, sagte er und sah insbesondere die ÖVP vor einem "Test" im Nationalrat stehen, denn auch Wirtschaftskammerpräsident Leitl bekämpfe das Maßnahmenpaket der Regierung.

Bucher wandte sich gegen Finanzminister Pröll, der sich in Brüssel einmal mehr dafür einsetze, maroden EU-Mitgliedstaaten unter die Arme zu greifen, gleichzeitig aber eine Strafaktion gegen Familien und pflegebedürftige Menschen starten wolle. Bucher bekannte sich demgegenüber zu den Familien als "Keimzellen der Gesellschaft" und erinnerte die ÖVP an ihren Anspruch, eine Familienpartei zu sein. "Junge Familien sind auf staatliche Leistungen angewiesen, das sind keine Almosen, sondern Entgelt für Leistungen im Dienste der Gesellschaft". Statt eines Belastungspakets verlangte der BZÖ-Klubobmann Privatisierungen, Strukturreformen, die Lösung der Probleme im Pflegebereich und Maßnahmen gegen die Verschwendung von Staatsgeldern bei den ÖBB.

Bundesminister Reinhold MITTERLEHNER bedauerte, dass der Staat gezwungen ist, auch Familienleistungen zu kürzen, um die Verschuldungsproblematik zu lösen, die durch die Wirtschaftskrise entstanden ist. Gleichzeitig machte er darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung bereit sei, sich die Maßnahmen im Bereich der Familien "noch einmal anzuschauen". Der Minister erinnerte daran, dass der Nationalrat knapp vor Ausbruch der Krise im Jahr 2008 umfangreiche Maßnahmen zur Entlastung der Familien gesetzt hat, die nun teilweise zurückgenommen werden müssen, weil der Familienlastenausgleichfonds mit 5 Mrd. € überschuldet ist und saniert werden muss, um zukunftsfähig zu bleiben. Auch andere europäische Länder seien gezwungen, Familienleistungen - teilweise in weit größerem Ausmaß - zu reduzieren. In diesem Zusammenhang zog der Minister internationale Vergleiche, die zeigen, dass Österreich zu jenen Ländern gehört, die die Krise am besten bewältigt haben. Buchers Behauptung, bei den Budgetplänen handle es sich um einen "Anschlag" auf die Familien, wies der Minister zurück. 900.000 der 1,8 Mio. Familien seien von den Maßnahmen nicht betroffen und werden auch künftig Leistungen über dem Niveau von 2008 erhalten. Der Staat müsse aber auf krisenbedingte Einnahmeausfälle reagieren, sagte Mitterlehner und wies unter anderem darauf hin, dass StudentInnen in den meisten anderen Ländern Familienbeihilfe nur bis 19 Jahre bekommen.

Auf den in Zwischenrufen geäußerten Vorwurf, Familienbeihilfen würden in die Türkei überwiesen, reagierte der Minister mit dem Hinweis, Familienbeihilfen würden nur innerhalb der EU ausbezahlt. Es gehe um eine verfassungsmäßige Vorgangsweise, nicht möglich werde es sein, den Familienlastenausgleichsfonds mit Geldern aus anderen Bereichen zu sanieren.

Abgeordnete Gabriele BINDER-MAIER (S) sprach ebenfalls ihr Bedauern über die beabsichtigte Kürzung von Familienleistungen aus. Zugleich unterstützte die Abgeordnete die Bundesregierung nachdrücklich in ihrer Absicht, Banken und Spekulanten zur Budgetsanierung heranzuziehen und Familienleistungen künftig stärker auf Sachleistungen hin auszurichten: mehr Kindergärten, Kleinkinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsbetreuung von Kindern. Dies sei wichtig, um die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf zu verbessern und die Chancengleichheit zu wahren. Positiv bewertete die Rednerin die Kampagne der Frauenministerin "Echte Männer gehen in Karenz". Der öffentliche Dienst soll laut Binder-Maier bei der Väterkarenz mit gutem Beispiel vorangehen. Binder-Maier setzte ihre Erwartungen auf Verbesserungen und Korrekturen am Budgetentwurf und drängte namens ihrer Fraktion darauf, den Menschen Einkommen zu verschaffen, die den Familien ein lebenswertes Leben ermöglichen. 

Abgeordnete Silvia FUHRMANN (V) bezeichnete die Kritik von FamilienvertreterInnen an den geplanten Kürzungen von Familienleistungen als legitim, mahnte aber zugleich, die finanzielle Situation des Staates im Auge zu behalten. Die Zinsen für die Staatsschuld betragen bereits 8 Mrd. € jährlich, rechnete sie vor, ebenso viel wie der Staat für Bildung ausgebe. Die Kürzung von Familienleistungen sei schmerzlich, man müsse aber durch eine Budgetsanierung gewährleisten, dass junge Menschen von heute eine ausreichende Zukunftsperspektive haben. Das österreichische Familienbudget zähle nach wie vor zu den bestdotierten der Welt, sagte die Abgeordnete. Fuhrmann begrüßte die Absicht der Regierung, Studierende zu entlasten, insbesondere in Studienrichtungen, die nicht in der Mindeststudiendauer bewältigt werden können.

Abgeordneter Christian HÖBART (F) kritisierte die Absicht der Bundesregierung, Familienleistungen zu kürzen, scharf und sprach von einem Budgetentwurf "voll von Unregelmäßigkeiten, Unrichtigkeiten und Ungerechtigkeiten". Statt Maßnahmen gegen den "Irrsinn der Verwaltung" zu setzen und das Reformpotential im Schul- und Gesundheitswesen zu nützen, planten Pröll und Faymann eine Sanierung des Budgets auf Kosten der Familien sowie der PendlerInnen. Für eine sechsköpfige Familie summierten sich die beabsichtigten Belastungen auf fast 2000 € pro Jahr, gab der Redner zu bedenken. Demgegenüber habe die Bundesregierung offenbar kein Problem damit, Haftungen für marode EU-Länder zu übernehmen oder an verkrusteten Strukturen in der Verwaltung festzuhalten. Die FPÖ wendet sich entschieden gegen das Schröpfen von Familien und Leistungsträgern, schloss Höbart.

Abgeordnete Daniela MUSIOL (G)  kritisierte die Budgetabsichten der Bundesregierung für das Jahr 2011 als kurzsichtig und ungerecht. Betroffen seien tatsächlich nicht alle Familien, wohl aber die bedürftigsten, sagte die Abgeordnete: kinderreiche Familien, AlleinerzieherInnen und die Familien von StudentInnen. Auch die Entlastungsmaßnahmen des Jahres 2008 seien nicht gleich verteilt gewesen, klagte die Rednerin und bemängelte die Bevorzugung gut verdienender Familien. Positiv sah Musiol die Absicht, den Alleinverdienerabsetzbetrag für kinderlose Paare zu streichen, sowie die geplante Umleitung von Familienförderungsmitteln zu Gunsten von Sachleistungen. Erfolgreich werde dies aber nur sein können, wenn die Bundesländer und Gemeinden mitziehen, sagte die Abgeordnete und verwies auf das Vorbild Wiens, wo nun Maßnahmen gegen die Kinderarmut und zur Förderung der Nachmittagsbetreuung vorgesehen seien.

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) kritisierte, in einer beispiellosen Belastungsaktion würden durch dieses Budget 1,8 Mio. Familien 400 Mio. € weggenommen. Das Paket der Regierung sei unsozial und zukunftsfeindlich, die ÖVP habe als Familienpartei abgedankt. Die Sanierung des FLAF durch Leistungskürzungen sei der falsche Weg, stand für Haubner fest. Besser wäre es, familienfremde Leistungen aus dem Fonds herauszunehmen. Eingespart werden sollte grundsätzlich bei Verwaltung und Politik, nicht aber auf dem Rücken der Kinder, forderte sie.

Abgeordnete Andrea KUNTZL (S) wies auf die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hin und hielt es für entscheidend, die wirtschaftliche Situation und insbesondere die Arbeitsplätze als existenzielle Grundlage für alle Menschen abzusichern. Sie stellte klar, dass von den Kürzungen weder die Mitversicherung für Studierende noch die Geschwisterstaffelung oder das Pflegegeld für heutige BezieherInnen betroffen seien, sah aber noch Handlungsbedarf bei Nachbesserungen, um Druck aus dem Bildungssektor zu nehmen.

Abgeordnete Ridi Maria STEIBL (V) versicherte, die Familienpolitik sei ein Kernthema der ÖVP und werde dies auch in Zukunft bleiben. Sie erinnerte an die enge Verknüpfung mit der Wirtschaftslage und gab überdies zu bedenken, Familienpolitik gehe auch die Länder und Gemeinden an. Zentrale Aufgabe sei jedenfalls die Schaffung von Betreuungsplätzen und Bildungseinrichtungen für Kinder. Österreich gebe mit 2,8 % des BIP überdurchschnittlich viel für Familienleistungen aus, mehr Geldleistungen würden aber nicht automatisch eine höhere Geburtenrate bringen. Bei sämtlichen politischen Überlegungen sollte nach Ansicht Steibls beachtet werden, dass es nicht um ein einziges Modell, sondern um Wahlfreiheit für die Familien in allen Bereichen zu gehen habe.

Abgeordnete Anneliese KITZMÜLLER (F) erklärte die Familienpolitik der Regierung für gescheitert und kritisierte vor allem die Umschichtung von Geldleistungen auf Sachleistungen, die ihrer Meinung nach darauf hinausläuft, dass Frauen so schnell wie möglich wieder in die Arbeit zurückkehren. Das Sparpaket mit der Streichung der 13. Familienbeihilfe und des Mehrkindzuschlags sowie dem Wegfall der Familienbeihilfe für Studierende gehe ausschließlich auf Kosten der Familien. Die Rednerin forderte demgegenüber massive Unterstützung der Familien und eine gerechte Besteuerung, insbesondere eine steuerliche Entlastung der Familien durch ein Familiensteuer-Splitting.

Abgeordnete Tanja WINDBÜCHLER-SOUSCHILL (G) sprach von einem "Jugendbelastungsbudget" und meinte, die geplanten Einsparungen bei Familie und Bildung würden Jugendliche und junge Erwachsene am stärksten treffen. Eine klare Absage erteilte sie dabei Kürzungen bei der Familienbeihilfe für Studierende sowie der Streichung der Familienbeihilfe bei arbeitsuchenden Jugendlichen zwischen einem Alter von 18 und 21.

Abgeordneter Stefan MARKOWITZ (B) knüpfte an die Kritik seiner Vorrednerin an und stellte fest, die Jugend werde durch dieses Budget kaputtgespart. Er forderte eine Universitäts-Milliarde sowie die Einführung von leistungsgerechten und sozial ausgewogenen Studiengebühren und schlug zudem 5.000 € für alle österreichischen MaturantInnen als sogenannten Universitätsbonus vor. Die Beibehaltung der 13. Familienbeihilfe und eine Bezugsdauer bis zum 26. Lebensjahr waren weitere Anliegen des Redners.

Abgeordneter Martin STRUTZ (oF) teilte die Einschätzung der Opposition, wonach die Belastungen vor allem die sozial Schwachen treffen, und bezeichnete die Familienpolitik der ÖVP als Anschlag auf die Familien. Die Volkspartei habe kein Herz mehr für die Familien, schloss er.

Bundesminister Reinhold MITTERLEHNER stellte abschließend klar, dass Kinder, die in der Türkei wohnen, seit 1996 keine Familienbeihilfe mehr beziehen. (Schluss Aktuelle Stunde)