Parlamentskorrespondenz Nr. 898 vom 18.11.2010

Schwerpunktthema Außenpolitik im Nationalratsplenum (I)

Globale Grundrechtsprobleme, Thema Türkei, Finanzkrise in Europa

Wien (PK) – An der Spitze der Tagesordnung und ganz im Mittelpunkt der heutigen 85. Sitzung des Nationalrats stand die Außenpolitik. Grundlage für eine umfassende Debatte über Österreichs Stellung in Europa und in der Welt bot zunächst der Außenpolitische Bericht 2009, den die Abgeordneten nach lebhafter Diskussion mehrheitlich zur Kenntnis nahmen. Für e ine Entschließung zur weltweiten Durchsetzung der Religionsfreiheit als elementares Grund- und Menschenrecht stimmten alle Abgeordneten auf Antrag von SPÖ und ÖVP. Abgelehnt wurden die Forderung des BZÖ auf Abberufung des türkischen Botschafters sowie ein FPÖ-Antrag auf sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - beide  Anträge standen im Zusammenhang mit umstrittenen Äußerungen des türkischen Botschafters zum Thema Integration von Zuwanderern in Österreich.   

Vor Eingang in die Debatte kündigte Präsidentin Barbara PRAMMER für 15 Uhr eine Dringliche Anfrage der Grünen an Finanzminister Josef Pröll an. Thema: "Stopp dem rot-schwarzen Bildungsklau" (6898/J).

Die Debatte über den Außenpolitischen Bericht 2009 eröffnete Abgeordneter Wolfgang SCHÜSSEL (V), der dem Außenminister zu dessen erfolgreicher Arbeit im Rahmen des UN-Sicherheitsrats gratulierte. Sodann setzte sich der Redner mit dem Thema Religionsfreiheit auseinander. Diese sei derzeit in rund 60 Staaten, die zwei Drittel der Weltbevölkerung in ihren Grenzen wüssten, nicht garantiert, weshalb hier dringender Handlungsbedarf bestehe. Konkret wies Schüssel auf die massive Christenverfolgung in der islamischen Welt hin. Das dürfe von uns nicht hingenommen werden, unterstrich der Redner. Religionsfreiheit sei ein Grundrecht und müsse von der Weltöffentlichkeit garantiert werden, forderte Schüssel.

Sodann ging der Redner auf die Finanzkrise in Europa ein und trat dafür ein, innert der Europäischen Union eine Vorwärtsstrategie zu entwickeln, damit die Union eine wirkliche Wirtschaftsregion von entsprechender Bedeutung werde. Es gehe darum, die Wettbewerbsfähigkeit Europas deutlich zu verbessern. Konkret illustrierte er seine Vorstellungen anhand der jüngsten Entwicklungen in Irland. Die einzige probate Lösung sei es, schloss Schüssel, innerhalb Europas mit einer Stimme zu sprechen und gemeinsam vorwärts zu schreiten.

Abgeordneter Josef CAP (S) setzte sich ebenfalls mit der Krise in Irland auseinander. Diese sei durch eine verfehlte Fiskalpolitik hausgemacht gewesen. Irland sei ein Musterbeispiel für das endgültige Scheitern des Neoliberalismus. Daraus müsse Europa die richtigen Schlüsse ziehen. So könne es nicht sein, dass Großbritannien hier weiter sein eigenes Süppchen koche. Die britische Regierung und die britischen Banken müssten gleichfalls in die Ziehung genommen werden, denn sie trügen ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung an der irischen Krise.

Generell votierte Cap dafür, auf dem Bankensektor neue Wege zu beschreiten, denn es könne nicht sein, dass der Steuerzahler für die Verfehlungen einzelner Banken die Rechnung präsentiert bekomme. So müsse auch die Union ihren Sparwillen unter Beweis stellen, denn gerade jetzt komme es darauf an, mit gutem Beispiel voranzugehen. Skeptisch zeigte sich Cap hinsichtlich der Lage in der Türkei. Der Fortschrittsbericht der EU spreche hier eine eindeutige Sprache, sodass ein allfälliger Beitritt der Türkei zur EU nach wie vor unrealistisch ist. Die Regierung trete deswegen auch weiterhin für das Konzept einer privilegierten Partnerschaft ein, hielt der Redner fest, der für eine offene Debatte zum Thema Integration eintrat.

Abgeordneter Heinz-Christian STRACHE (F) ging eingangs kritisch auf den Euroschutzschirm, insbesondere auf die Griechenlandhilfe, ein. Nun drohten weitere Pleiten von Euroländern, sagte Strache und wandte sich entschieden dagegen, Budgetmittel für die Rettung anderer Staaten einzusetzen. Die Gelder seien für notwendige Maßnahmen im eigenen Land zu verwenden, forderte er. Strache zufolge müsse man den Mut haben, über eine Eurokernzone zu sprechen und die Möglichkeit zu eröffnen, aktuell Irland, Portugal oder auch Spanien aus der Eurozone zu entlassen.

Allgemein vermisste der F-Klubobmann ein mutiges Auftreten Österreichs im Ausland. Er thematisierte insbesondere die Missachtung der Religionsfreiheit, von der vor allem christliche Religionsgemeinschaften betroffen sind. Diese Diskriminierung der ChristInnen finde auch in der Türkei statt. In diesem Zusammenhang wies Strache scharf die Aussagen des türkischen Botschafters zurück. Derartige Äußerungen stünden einem Botschafter nicht zu, er habe sich arrogant wie ein Gouverneur einer Kolonialmacht verhalten, bemerkte Strache und erwartete sich nicht nur eine Entschuldigung durch den Botschafter selbst, sondern auch durch die türkische Regierung. Der türkische Botschafter habe sich als Gegner jeglicher Integration gezeigt und mit seinem Interview vor allem türkische Nationalisten erreicht und ermutigt. Der Redner konnte daher auch nicht verstehen, warum etwa Abgeordneter Van der Bellen die Äußerungen des Botschafters als "erfrischend" bezeichnet hatte. Strache forderte abschließend den Abbruch der Vollbeitrittsverhandlungen mit der Türkei, denn das wäre seiner Meinung nach ehrlicher gegenüber der Bevölkerung in Österreich und der Türkei.

Abgeordneter Alexander VAN DER BELLEN (G) konzentrierte sich in seiner Wortmeldung auf die geplanten Budgetkürzungen und stellte die Frage in den Raum, wohin die österreichische Außenpolitik wohl in die nächsten Jahre steuere, wenn dafür bis 2014 nominell 20 % weniger Mittel zur Verfügung stehen. Das Budget für das Außenministerium sei in einem Ausmaß gekürzt worden, wie bei keinem anderen Ressort, obwohl die gegenseitige Abhängigkeit der Staaten sowie die Europäisierung und Internationalisierung ständig zunimmt. Es werde immer schwieriger, die Positionen Österreichs wahrnehmbar zu vertreten, bedauerte Van der Bellen. Die Kürzungen würden zu einer Verdünnung der Botschaften und Konsulate führen, was der Redner als äußerst problematisch darstellte.

Van der Bellen ging auch auf die aktuelle Europapolitik und im Speziellen auf die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise ein. Er wiederholte seine Auffassung, wonach es auch für Staaten möglich sein müsste, in Konkurs zu gehen, wobei auch private Gläubiger heranzuziehen sind. Trotz dieser Übereinstimmung mit der deutschen Bundeskanzlerin meinte Van der Bellen, es sei ein Unterschied, ob er als einfacher Abgeordneter das sage oder die Bundeskanzlerin von Deutschland. Wenn Merkel diese Meinungen in der Öffentlichkeit vertrete, dann müsste sie auch ein ausgearbeitetes Konzept dafür parat haben. Das sei aber nicht der Fall gewesen, weshalb ein Mechanismus ausgelöst werde, wie wir ihn nun bei Irland erleben. Der Redner sah darin ein Beispiel dafür, dass in der EU mehr Chaos als Ordnung herrscht. Abschließend übte er Kritik an der Kürzung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit und merkte an, dies sei für ein relativ wohlhabendes Land wie Österreich unwürdig.

Abgeordneter Josef BUCHER (B) bekräftigte die strikte Ablehnung des Eurorettungsschirms durch seine Fraktion. Für ihn werden die Interessen Österreichs im Ausland kaum vertreten, der Außenminister trete auf internationalem Parkett in erster Linie "unter dem Teppich" auf, formulierte er.

Wie einige seiner Vorredner auch ging Bucher auf das Interview des türkischen Botschafters ein. Das sei kein Ausrutscher gewesen, mutmaßte er, aus den Worten des Diplomaten spreche blanker Hass gegenüber den österreichischen BürgerInnen. Ihm fehle der nötige Respekt und er habe das Gastrecht missbraucht, anstatt eine Vorbildfunktion einzunehmen, konstatierte Bucher. Der Botschafter habe damit seinem Land einen schlechten Dienst erwiesen, seine Grundeinstellungen förderten nicht das Zusammenleben, sondern führten zu einer konfliktgeladenen Situation. Österreich sei ein gastfreundliches Land mit toleranten BürgerInnen, und das lasse man sich nicht zerstören, sagte Bucher. Für ihn ist es auch Zeit, im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU Klartext zu reden und keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen. Es wäre ehrlicher festzustellen, dass die Türkei in der EU nichts verloren hat, denn es handle sich um völlig unterschiedliche Kulturen, die miteinander nicht in Einklang zu bringen seien. Die EU könne sich keine weiteren Aufnahmen mehr leisten, noch dazu in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise, stellte Bucher fest.

Bundesminister Michael SPINDELEGGER wies die Kritik mit aller Schärfe zurück, wonach er die österreichischen Interessen nicht vertrete. Er blickte dann auf die Arbeit Österreichs im Sicherheitsrat der UNO zurück. Österreich habe während seiner Vorsitzführung Maßstäbe gesetzt und wesentliche Initiativen auf den Weg gebracht. Dazu zähle zunächst der Schutz von ZivilistInnen in bewaffneten Konflikten, der in Zukunft eine besondere Aufgabe im Rahmen der UNO-Missionen sein werde. Als vorsitzführendes Land im Komitee für Terrorismusbekämpfung habe man sich vor allem um Rechtsstaatlichkeit gekümmert und zu diesem Zweck eine Ombudsfrau bestellt. Österreich habe mit seiner Arbeit einen Dienst an der Weltgemeinschaft erbracht und dafür Anerkennung erworben, betonte der Außenminister.

Spindelegger thematisierte auch die mangelnde Akzeptanz der EU unter den BürgerInnen. Er habe daher im Jahr 2009 eine "Zuhörtour" gestartet, und daraus habe man gelernt und neue Konzepte entwickelt. So sei das Projekt "EuropagemeinderätInnen" entstanden, denn diese seien die ersten AnsprechpartnerInnen für die BürgerInnen, sie seien auch am besten geeignet, Stimmungen zu kommunizieren. Derzeit hätten sich 200 Freiwillige GemeinderätInnen in diesem Projekt engagiert, erläuterte Spindelegger. Der Minister ging auch auf die Donauraumstrategie ein, die Ländern entlang der Donau in einer makroregionalen Strategie eine enge Zusammenarbeit ermöglichen soll. Der Minister hofft auf einen Beschluss über diese Strategie im nächsten Jahr.

In Reaktion auf die bisherigen Wortmeldungen stellte der Minister klar, Religionsfreiheit sei ein Menschenrecht, das nicht eindimensional sei, sondern überall eingefordert werden müsse. Spindelegger verurteilte auch die Äußerungen des türkischen Botschafters, da dieser damit alle ÖsterreicherInnen beleidigt habe. Er habe daher auch den Botschafter zu sich zitiert und zwei Mal Kontakt mit dem türkischen Außenminister aufgenommen, der ihm bestätigt habe, dass es sich um eine Privatmeinung des Botschafters gehandelt habe, nicht aber um die Meinung des türkischen Staates.

Bundesminister Spindelegger räumte schließlich ein, dass die Umsetzung der Budgetpläne eine besonderes Herausforderung darstellen und eine Verdünnung der Strukturen bedeuten werden. Es sei jedoch falsch gewesen, in Loipersdorf die Gelder nochmals zu kürzen. Seine Aufgabe skizzierte Spindelegger damit, dass er nun einen neuen diplomatischen Dienst mit neuer Struktur aufbauen müsse. Auch die Kürzung für die Entwicklungszusammenarbeit bezeichnete er als schmerzlich, er schlug jedoch vor, Mittel aus der Besteuerung von Stiftungen für die EZA vorzusehen.

Abgeordnete Ursula PLASSNIK (V) brachte zunächst einen Entschließungsantrag der Koalitionsparteien ein, in der eine weltweite Durchsetzung der Religionsfreiheit gefordert wird.

Was die Türkei betrifft, so plädierte sie für mehr Nüchternheit. Man müsse selbstverständlich Klartext reden, sagte sie, aber differenziert. Die Türkei werde immer selbstsicherer, aber es seien nur wenige Fortschritte zu verzeichnen, weshalb seit Jahren keine neuen Kapitel in den Verhandlungen mit der EU abgeschlossen wurden. Vor allem bleibe die Gleichberechtigung der Frau ein großes Problem in der Türkei. Österreich habe in der Frage der Beitrittsverhandlungen so viel erreicht wie kein anderes Land, merkte sie an und wies auf das Verhandlungsmandat und die Aufnahmefähigkeit der EU als Kriterium hin. Österreich habe sich stark dafür positioniert, dass die Verhandlungen mit offenem Ausgang geführt werden und am Ende eine Volksabstimmung durchgeführt wird. Zur Diskussion über die Äußerungen des türkischen Botschafters und die Forderungen nach Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei, merkte die ehemalige Außenministerin an, politische Panikattacken seien dabei nicht hilfreich. Integrationsdefizite und andere Probleme würden dadurch nicht gelöst. Wichtig sei vielmehr Festigkeit im Auftreten und mehr Mut, Lösungen zu finden. Sie würdigte in diesem Zusammenhang die Bemühungen des vorherigen türkischen Botschafters um die Bildung der türkischen Kinder. Plassnik schlug auch vor, ein Kompetenzzentrum für interreligiöse Mediation zu errichten.

Abgeordnete Christine MUTTONEN (S) wies darauf hin, dass der Fortschrittsbericht für die Türkei eine klare Sprache spreche. Es gehe nur wenig voran, Rechtsstaatlichkeit, vor allem in Bezug auf Gefangene, sei nicht gegeben, das Militär habe noch immer zu viel Einfluss. Die Aufnahme der Türkei würde die EU in wirtschaftlicher, politischer und institutioneller Hinsicht überfordern, stellte sie fest und zeigte deutliche Präferenzen für andere Kooperationsformen mit der Türkei.

Muttonen würdigte auch die Arbeit Österreichs im Sicherheitsrat. Durch seinen Einsatz für den Frieden, für die Menschenrechte und die Armutsbekämpfung habe sich Österreich einen Namen gemacht. Die S-Mandatarin freute sich auch über die Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen mit Serbien.

Abgeordneter Johannes HÜBNER (F) bezeichnete die Position Plassniks, wonach man mit der Türkei weiterhin verhandeln und reden müsse, als Zeichen der "Schwammigkeit" und "Rückgratlosigkeit". Damit werde man bei türkischen StaatsbürgerInnen keine Achtung gewinnen, meinte er. Man könne sich vor einer politischen Entscheidung nicht drücken und müsse deutlich sagen, dass man die Türkei in der EU nicht wolle. Damit wäre der Weg für eine vernünftige Partnerschaft ohne Mitgliedschaft frei.

Laut Hübner befinde man sich auch in der EU-Politik auf dem Holzweg. Das zeige sich in der aktuellen Situation, denn es seien gerade jene Staaten in Schwierigkeiten, die Transferzahlungen erhalten haben. Dadurch seien Inhomogenitäten und wirtschaftliche Blasen geschaffen worden, was die betreffenden Staaten ermutigt habe, ihre Haushaltsdisziplin zu vernachlässigen. Man müsse daher das Transfersystem genauso wie die gemeinsame Agrarpolitik in Frage stellen, folgerte Hübner. Er kritisierte auch scharf die Erhöhung der Vorbeitrittshilfe für die Türkei auf 900 Mio. Euro. Der größte Strom an illegalen Einwanderern sei an der türkisch-griechischen Grenze zu verzeichnen. Von den 70.000 illegalen Einwanderern nehme die Türkei aber nur 2.000 zurück.

Abgeordneter Werner KOGLER (G) kritisierte die dramatischen Budgeteinschnitte im Bereich Entwicklungszusammenarbeit. Er befürchtete, dass die Möglichkeit, in diesem Bereich private Stiftungen einzurichten, unter anderem wirtschaftlicher Einflussnahme auf die EZA Vorschub leiste. Eine solche "Semiprivatisierung" der Politik sei aber abzulehnen, schloss Kogler.

B-Mandatar Herbert SCHEIBNER forderte, die Ziele der österreichischen Außenpolitik klar definieren und strikt verfolgen. Derzeit verhalte man sich außenpolitisch zu "brav", man solle aber anstreben, innerhalb Europas eine größere Rolle zu spielen. Was die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei anbelangen, so sei es falsch gewesen, sie überhaupt aufzunehmen, zumal in diesem Staat gravierende Menschenrechtsprobleme bestünden und die Türkei noch immer Grenzstreitigkeiten mit anderen EU-Mitgliedsstaaten austrage. Der türkische Botschafter in Wien ist für Österreich untragbar geworden und solle, so Scheibner, das Land unverzüglich verlassen. Man brauche seine Belehrungen nicht, denn schließlich habe die Türkei selbst noch viele "Hausaufgaben" zu machen, schloss er.

Abgeordnete Karin HAKL (V) dankte Bundesminister Michael Spindelegger für seine klaren Worte und seine "Außenpolitik mit Augenmaß". Die Türkei sei ein strategisch wichtiger Partner, hielt Hakl fest, am Ende der Verhandlungen müsse aber nicht unbedingt ein Beitritt dieses Landes zur EU stehen. Dass es in Österreich Probleme in Hinblick auf die Integration mancher MigrantInnengruppen gebe, stehe außer Frage. Es gelte aber aus Fehlern zu lernen, um ein positives Miteinander zu fördern. Dabei müsse man aber auch die "Finger auf offene Wunden legen", meinte Hakl.

S-Mandatarin Gisela WURM wollte die österreichische Außenpolitik nicht nur auf das Kapitel Türkei beschränkt wissen. Sie kam deshalb auf die Position Österreichs im Europarat zu sprechen und skizzierte die Bedeutung dieser Institution für ein friedliches Europa.

Abgeordneter Herbert KICKL (F) hielt fest, dass es sich beim Thema Türkei um eine "Causa prima" handle. SPÖ, ÖVP und Grüne wären jedoch nicht fähig, die arroganten und provokanten Äußerungen türkischer Vertreter richtig einzuordnen. Hinter diesen stehe aber ein Plan, der "bis in die vom türkischen Staat finanzierten Moscheen in Österreich" hineinreiche, stand für Kickl fest. Was Tezcan sagte, sei nicht als "Ausrutscher eines mediengeilen Botschafters" zu verstehen, sondern als Teil einer Strategie, die darauf abziele, an den türkischen Nationalismus zu appellieren. Dieser habe aber im Gastland Österreich nichts verloren. Der Republik die Schuld für das Integrationsversagen in die Schuhe zu schieben, gelinge dennoch, weil VertreterInnen anderer politischer Parteien für dieses Argument zugänglich seien. Die FPÖ betrachte Integration aber als "Bringschuld" von Zugewanderten, die sich an die "Leitkultur" anzupassen hätten.

G-Abgeordnete Judith SCHWENTNER konnte die Aufregung ihres Vorredners nicht nachvollziehen. Sie kam auf die Kürzungen beim EZA-Budget zu sprechen, die, so Schwentner, viele Projekte der Entwicklungszusammenarbeit gefährdeten. Es sei vor diesem Hintergrund auch mehr als zweifelhaft, dass Österreich die Millenniumsziele noch erreiche. Kritisch äußerte sich die Rednerin außerdem zur "Privatisierungsspirale" im Bereich EZA.

B-Mandatar Ewald STADLER brachte eingangs seiner Wortmeldung einen Antrag seiner Fraktion betreffend Abberufung des türkischen Botschafters Kadri Evcet Teczan ein. Stadler kam sodann auf die Ermordung von Erzbischof Luigi Padovese im Juni 2010 zu sprechen. Dieser sei von einem islamistischen Fundamentalisten im anatolischen Iskenderun erstochen und geköpft worden, stellte der Redner fest. Trotz weiterer Fälle, in denen christliche Religionsvertreter ums Leben kamen, habe man aber außenpolitisch "keinen Finger gerührt", kritisierte Stadler. Aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen verzichte man auf Protest, doch wiegen andere Werte schwerer als ökonomische Interessen. Auch habe der türkische Botschafter in Wien keine Integrationsratschläge zu erteilen, zumal in seinem Heimatland noch immer der umstrittene Artikel 301 im Strafgesetzbuch verankert sei. Die Einstellung der "Toleranzromantiker" habe Tezcan weidlich ausnutzen können, doch gebe es hierzulande immer noch Politiker, die – wie die österreichische Bevölkerung – derartige Zustände nicht tolerierten.

Abgeordneter Franz GLASER (V) übte heftige Kritik an den Worten seines Vorredners, den er als "radikalen Christen" bezeichnete. Er wollte auf das Thema der Katastrophenhilfe zu sprechen kommen: Der im Rahmen des EZA-Budgets eingerichtete Katastrophenfonds habe es unter anderem ermöglicht, in Sri Lanka, Bhutan, Burkina Faso, Haiti und Pakistan, rasch Hilfe zu leisten, stellte Glaser fest. Begrüßenswert sei auch, dass man auf EU-Ebene daran arbeite, die Hilfsmaßnahmen der Mitgliedsstaaten besser zu koordinieren.

S-Mandatarin Petra BAYR bedauerte, dass die Diskussion auf dem Niveau der Wortmeldung des Botschafters weitergeführt werde. Was die EZA anbelange, so seien die Budgetkürzungen mehr als beschämend, zumal auch andere Staaten nach der Wirtschaftskrise ihre diesbezüglichen Ausgaben nicht verringerten. Sie hoffte, dass Finanzminister Pröll in dieser Frage noch "Einsicht" zeige. Was die EZA-Schwerpunktregion Westsahara anbelange, müsse man mit allem Nachdruck dafür eintreten, dass sie ein Selbstbestimmungsrecht erhalte, schloss Bayr.

Selbstbestimmung dürfe aber nicht nur für die "Mauren" gefordert werden, stand für F-Abgeordneten Werner NEUBAUER fest. Es gelte diese Forderung auch auf Südtirol zu beziehen. Er sprach von 90 Jahren "Unrechtsgrenze" Brenner und stellte fest, dass Österreich nicht von seiner Schutzmacht Gebrauch mache. Die Autonomie Südtirols sei für seine Fraktion nur eine Übergangslösung bis zur Erreichung eines Selbststimmungsrechts. Dass man diesem Problem nur zwei von insgesamt 485 Seiten des außenpolitischen Berichts widme, kritisierte Neubauer ausdrücklich. Die zu Südtirol enthaltenen Informationen seien außerdem "schön gefärbt". Neubauer brachte außerdem einen Antrag seiner Fraktion betreffend sofortiger Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein.

G-Mandatar Karl ÖLLINGER warf FPÖ und BZÖ vor, eine "Kreuzzugsmentalität" zu vertreten. Sich für die Rechte der Christen in anderen Ländern stark zu machen, sei eine gute Sache, doch dies noch lange kein Grund, "Kreuzzugsreden" zu halten. Man dürfe nicht vergessen, dass man als Parlamentarier alle in Österreich lebenden Menschen zu vertreten habe. Wer aber Kirchenbau in anderen Staaten fordere, der dürfe auch den Anhängern einer gewissen Religion in Österreich nicht den Bau von Kultbauten untersagen, stand für Öllinger fest.

Abgeordneter Andreas KARLSBÖCK (F) konstatierte, immer mehr europäische BürgerInnen hätten "Angst" vor der Europäischen Union. Als eine der Hauptursachen ortet er das deutliche Wohlstandsgefälle zwischen den alten und den neuen EU-Ländern. Das führe nicht nur zu einer  verstärkten Zuwanderung in den Westen, vielmehr würden auch EU-Gelder zunehmend in den Osten fließen und Unternehmen abwandern. Karlsböck sprach sich u.a. dafür aus, Einwanderern erst nach einer gewissen Übergangsfrist Sozialleistungen zu gewähren.

Abgeordneter Josef JURY (o.F.) setzte sich kritisch mit der Wirtschaftspolitik der EU auseinander und bemängelte, dass diese Politik stark vom European Round Table, einer Gruppe von "Industriekapitänen", bestimmt werde. Dadurch kämen die Interessen kleiner österreichischer Unternehmen, aber auch der kleinstrukturierten Landwirtschaft in Österreich zunehmend unter die Räder. Kritik übte Jury auch an den nach wie vor geltenden Benes-Dekreten und den Avnoj-Bestimmungen.

Bei der Abstimmung wurde der Außenpolitische Bericht 2009 vom Nationalrat mit S-V-G-B Mehrheit zur Kenntnis genommen. Einhellig stimmten die Abgeordneten dem Entschließungsantrag der Koalitionsparteien betreffend weltweite Durchsetzung der Religionsfreiheit als elementares Grund-und Menschenrecht zu. Der Entschließungsantrag des BZÖ betreffend Abberufung des türkischen Botschafters sowie der Entschließungsantrag der FPÖ betreffend sofortiger Abbruch der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei fanden keine Mehrheit. (Fortsetzung Nationalrat)