Parlamentskorrespondenz Nr. 53 vom 20.01.2011

Schützt eine hohe Beschäftigungsquote vor Armut?

Aktuelle Stunde im Nationalrat zu ausgezeichneten Arbeitsmarktdaten

Wien (PK) – Mit einer von der SPÖ beantragten Aktuellen Stunde zum Thema "Die Erfolge der österreichischen Arbeitsmarktpolitik" startete der Nationalrat seine Plenarsitzungen im Jahr 2011.

Am Beginn wurde nach dem Ausscheiden von Abgeordneter Marianne Hagenhofer (S), Harry Rudolf Buchmayr (S) als neuer Abgeordneter angelobt.

Während die RednerInnen der Koalitionsparteien die guten Arbeitsmarktdaten, womit Österreich an der Spitze Europas liegt, auf die zielgerichteten arbeitsmarktpolitischen und konjunkturpolitischen Maßnahmen sowie auf das verantwortungsbewusste Vorgehen der Unternehmen zurückführte, kritisierte die Opposition die hohe Zahl jener Menschen, die trotz Arbeit von ihrem Einkommen nicht leben können. Große Sorgen wurden auch im Hinblick auf die kommende Öffnung des heimischen Arbeitsmarkts für BürgerInnen der neuen Mitgliedstaaten geäußert. Bundesminister Rudolf Hundstorfer hielt dem entgegen, dass die Regierung ein eigenes Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping erarbeitet und darüber hinaus die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften noch strenger als bisher kontrolliert werden.

Abgeordneter Wolfgang KATZIAN (S) zeigte sich anhand der guten arbeitsmarktpolitischen Datenlage davon überzeugt, dass die gezielten aktiven Reaktionen der Regierung auf die Wirtschafts- und Finanzkrise und die schwerwiegenden Folgen für die Realwirtschaft erfolgreich gewesen sind. Katzian würdigte in diesem Zusammenhang auch die gute Kooperation zwischen Politik und Sozialpartnerschaft. Überall werde anerkannt, dass die Krise in Österreich weniger negative Auswirkungen gehabt hat, als in anderen Ländern. Mit 3,4 Mio. aktiven Beschäftigten im Dezember 2010 - das bedeutet ein Plus von 60.000 Arbeitsplätzen gegenüber dem Vorjahr - habe man die höchste Beschäftigungsquote zu verzeichnen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit mache sich auch bei den Jugendlichen bemerkbar. Katzian erinnerte an die gesetzten Schritte, wie Kurzarbeit, verbunden mit Maßnahmen zur Qualifikation. Durch das zweite Arbeitsmarktpaket habe man die Instrumente aktiv an die neuesten Entwicklungen angepasst und daneben eine Reihe von wichtigen Begleitmaßnahmen, wie die Jugendstiftung, eine Verbesserung bei der Bildungskarenz und Altersteilzeit und viel mehr geschaffen. Katzian hob in diesem Zusammenhang besonders das Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspaket 2010 hervor.

Für die kommende Zeit skizzierte der Redner zwei Schwerpunkte. Zum einen gehe es darum, für den Sozial- und Pflegedienst entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, was auch große volkswirtschaftliche Aspekte habe. Katzian sprach dabei die Hoffnung aus, dass die Bundesländer das zusätzliche Geld, das sie kürzlich von der Bundesregierung bekommen haben, in die Pflege investieren. Zum anderen laufen die Übergangsfristen hinsichtlich der Freizügigkeit der ArbeitnehmerInnen am 1. Mai 2011 aus. Daher bereite man derzeit ein Gesetz gegen Lohn und Sozialdumping vor.

Auch Bundesminister Rudolf HUNDSTORFER strich die hohe Beschäftigungsrate und die sinkenden Arbeitslosenzahlen heraus. Mit 3,4 Mio. Menschen in Beschäftigung habe man die Beschäftigungsverluste in der Krise wettgemacht, sagte er, denn noch nie seien so viele Menschen im Arbeitsprozess gestanden. Diese positive Entwicklung zeige sich in allen Bundesländern, aber auch bei allen Personengruppen, ob Männer oder Frauen, ob Jugendliche oder ältere Menschen. Auch das Pensionseintrittsalter habe sich erhöht, berichtete Hundstorfer, derzeit würden 30.000 Personen über 50 Jahre mehr als bisher einen Arbeitsplatz haben. Die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-jährigen betrage 43,1%, das sei ein Zuwachs von 12.6%. Ende Dezember 2010 habe man darüber hinaus einen Anstieg von freien Stellen um 22% verzeichnen können, in konkreten Zahlen bedeute dies ein Quantum von 28.890 freien Stellen. Die Arbeitslosenzahl sei unter Einbeziehung der SchulungsteilnehmerInnen um 18.000 zurückgegangen, und der Trend halte an. Auch die Wirtschaftsforscher hätten ein Wachstum von 2,2% für 2011 prognostiziert.

Diese Zahlen zeigten, dass eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die hinschaut und nicht wegschaut, Chancen für alle bietet. Österreich habe damit die niedrigste Arbeitslosenquote in Europa und gelte als "Best-Practice-Modell" in der EU.

Hundstorfer ging in weiterer Folge auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung ein, die es seit Mitte des Vorjahres gibt. Die ersten Daten zeigten positive Effekte, erläuterte der Minister, das AMS konnte 1.900 BezieherInnen eine Beschäftigung vermitteln, 4.000 hätten das Schulungsangebot angenommen. Damit mache man aus SozialleistungsempfängerInnen SteuerzahlerInnen, lobte der Minister das Modell dieser Form der Mindestsicherung.

Hundstorfer zeigte Verständnis für die Sorgen im Hinblick auf die Öffnung des Arbeitsmarkts für BürgerInnen der neuen EU-Länder mit Mai 2011, versuchte aber aus seiner Sicht die bestehenden Ängste zu entkräften. Man rechne mit 20.000 bis 25.000 ArbeitnehmerInnen aus diesen Ländern, was er als arbeitsmarktpolitisch vertretbar bezeichnete. Österreich sei gut vorbereitet und werde gesetzliche Vorkehrungen gegen ein Lohn- und Sozialdumping treffen, um auch einen fairen Wettbewerb sicherstellen zu können.

Darüber hinaus präsentierte der Sozialminister das Programm "Fit to work", um die Arbeitsfähigkeit älterer Menschen solange wie möglich zu erhalten. Er wies schließlich auch darauf hin, dass das AMS das dritthöchste Förderbudget zur Verfügung hat und weiter bestrebt sei, ihre Programme zielgerichteter zu gestalten und diese auch besser mit den Betrieben abzustimmen.

Abgeordnete Renate CSÖRGITS (S) bekräftigte die positiven Effekte der von der Politik gesetzten Maßnahmen. Man habe es geschafft, vielen das Schicksal der Arbeitslosigkeit, der Perspektivenlosigkeit und der Armut zu ersparen. Csörgits lobte insbesondere die qualifizierte und erfolgreiche Tätigkeit des AMS und unterstrich die Notwendigkeit eines hohen Budgets für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Die Hälfte der Mittel würden dafür verwendet, die Frauenerwerbstätigkeit zu fördern, insbesondere das Interesse von Mädchen für nicht-typische Frauenberufe zu wecken. Sie zeigte sich auch froh über die Änderungen zum Gleichbehandlungsgesetz, da dieses mehr Transparenz hinsichtlich der Einkommen von Frauen und Männern bringen werde.

Abgeordneter Peter HAUBNER (V) strich in seiner Wortmeldung insbesondere die Leistung der Unternehmen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise hervor. Ohne die Betriebe, vor allem ohne die Klein- und Mittelbetriebe, wäre die stolze Bilanz nicht möglich gewesen, sagte er und wies darauf hin, dass die 29.200 neugegründeten Unternehmen 66.000 neue Arbeitsplätze geschaffen hätten. Die Unternehmen hätten in der Krise ihre bewährten MitarbeiterInnen gehalten, sagte Haubner, sie seien die Garanten für sichere Arbeitsplätze in Österreich. Vor allem hätten sich die Klein- und Mittelbetriebe als das Rückgrat der heimischen Wirtschaft erwiesen, sie hätten flexibel gehandelt und Verantwortung gegenüber ihren MitarbeiterInnen bewiesen, indem sie ihnen Sicherheit und Stabilität gegeben haben. Es gelte nun, auch in Zukunft die Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu verbessern, forderte Haubner und sprach sich vehement gegen jegliche Erhöhung der Lohnnebenkosten aus. Der Faktor Arbeit müsse entlastet werden, aber das könne nicht durch zusätzliche Belastung von Eigentum und zusätzliche Steuern geschehen, stellte er fest. Die Devise müsse sein: Erneuern statt besteuern.

Abgeordneter Heinz-Christian STRACHE (F) sah trotz der aktuellen Arbeitsmarktdaten keinen Grund zum Jubeln, zumal noch immer 300.000 Menschen arbeitslos sind. Er halte es für falsch, die Rekordbeschäftigung in den Vordergrund zu stellen, ohne dass die ÖsterreicherInnen etwas davon haben. Eine große Gefahr sah der freiheitliche Klubobmann durch die Öffnung der Arbeitsmärkte ab 1. Mai 2011 auf die österreichischen ArbeitnehmerInnen zukommen. Er kritisierte scharf die heimische Politik, die es verabsäumt habe, österreichische Arbeitnehmerinteressen zu schützen, indem sie mit der EU-Kommission Verhandlungen führt, um die Übergangsfristen zu verlängern. Der Arbeitsmarkt könne erst dann geöffnet werden, wenn in den betreffenden Ländern ähnliche Standards wie in Österreich herrschen, betonte Strache. Dies sei aber längst nicht der Fall. In den Nachbarstaaten lebten rund 3 Mio. Arbeitslose, die bereit sein werden, Arbeiten im untersten Lohnbereich zu verrichten. Strache befürchtete einen Anstieg von Missbrauchsfällen und warnte davor, dass die Mindestsicherung von ausländischen ArbeitnehmerInnen übermäßig in Anspruch genommen werde.

Abgeordnete Birgit SCHATZ (G) sprach von einer "Selbstbeweihräucherung" der Regierung, die sie als "ziemlich starkes Stück" bezeichnete. Es werde so getan, als ob auf dem Arbeitsmarkt alles in Ordnung sei, was jedoch nicht der Fall sei. Schatz wies auf die rund 1 Mio. Menschen hin, die sich in atypischen Arbeitsverhältnissen befinden, teilweise ohne jeglichen Versicherungsschutz. Davon seien vor allem Frauen betroffen, sagte die G-Mandatarin und rechnete vor, dass über 200.000 Menschen trotz Arbeit armutsgefährdet sind, 130.000 Menschen Vollzeit arbeiten und dennoch von ihrem Gehalt nicht leben können. Hier müsse sich der Sozialminister und die Politik insgesamt einmischen, forderte sie, denn jeder Mensch habe ein Recht auf einen Job mit fairen Rahmenbedingungen und einer fairen Bezahlung. Schatz brachte in diesem Zusammenhang das Beispiel der FriseurInnen zur Sprache, die nicht nur unter belastenden Arbeitszeiten leiden, sondern auch mit medizinischen Problemen zu kämpfen haben und dafür einen Bruttolohn von lediglich 1.122 Euro erhalten. Das sei ein Skandal, der zeige, wie notwendig ein existenzsicherndes Mindesteinkommen sei.

Abgeordneter Sigisbert DOLINSCHEK (B) nannte es "ungeheuerlich", wenn SPÖ und ÖVP von einer positiven Trendwende am Arbeitsmarkt sprechen. Selbstverständlich seien die Maßnahmen wichtig gewesen und auch die Unternehmen hätten dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu erhalten, sagte er. Man dürfe jedoch nicht vergessen, wie viele Menschen trotz Arbeit an der Armutsgrenze leben und das könne nicht sein. Auch er thematisierte die Öffnung des Arbeitsmarkts, die aus seiner Sicht eine Verschärfung der Lage bringen werde. Den Ankündigungen Hundstorfers zu einem Anti-Lohndumpinggesetz und einer verstärkten Kontrolle stand er insofern mit Skepsis gegenüber, als die Gebietskrankenkasse zu wenig Personal für die Kontrolle hätten. Er forderte, Schlupflöcher zu stopfen und Nägel mit Köpfen zu machen.

Abgeordnete Sabine OBERHAUSER (S) warf Klubobmann Strache eine bewusste Verunsicherung der Bevölkerung und Falschinformation vor. Er erzähle "Strache-Märchen" und hetze Menschengruppen gegeneinander auf, kritisierte sie. Im Gegensatz zu ihrem Vorredner vertrat sie die Auffassung, dass das geplante Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping sowie auch die Rot-Weiß-Rot-Card in der Lage sein werden, negative Auswirkungen der Öffnung des Arbeitsmarkts hintanzuhalten. Das Gesetz werde strikte Kontrollen ermöglichen, damit die Kollektivverträge eingehalten werden. Oberhauser vertraute dabei auch auf die gute Zusammenarbeit innerhalb der Sozialpartnerschaft. Sie gab Abgeordnetem Haubner hinsichtlich der Leistung der Unternehmen während der Krise Recht, machte gleichzeitig jedoch geltend, dass auch hier staatliche Förderungen geflossen seien. Der Erfolg sei allen zuzuschreiben, sagte Oberhauser, und mit dieser Vorbildwirkung sollten arbeitsmarktpolitische Themen auch europaweit stärker in den Mittelpunkt rücken. Oberhauser betonte abschließend auch die Bedeutung der Bildungspolitik für gut ausgebildete ArbeitnehmerInnen.

Abgeordneter August WÖGINGER (V) meinte, es sei das Wichtigste, dass Menschen einen Arbeitsplatz haben. Dank des Einsatzes der österreichischen UnternehmerInnen und Erwerbstätigen wäre es auch gelungen, die Krise erfolgreich zu bewältigen und die Rückgänge bei der Beschäftigungsrate gering zu halten. Derzeit halte man bei einer Arbeitslosenquote von 4,8% im Spitzenfeld der europäischen Staaten, nur die Niederlande könnten aktuell eine geringere Arbeitslosigkeit verzeichnen. Dennoch sei, wie Wöginger ausführte, jeder Erwerbslose einer zu viel. Die Wirtschaftsprognosen gäben jedoch Hoffnung, sodass auch der Wegfall der Übergangsfristen für ArbeitnehmerInnen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten, der weitere 10.000 bis 20.000 Menschen auf den heimischen Arbeitsmarkt bringen werde, bewältigbar sei.

F-Mandatar Martin STRUTZ hielt es für ein "skurriles Szenario", wenn sich die Bundesregierung trotz negativer Entwicklungen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt auf die Schulter klopfe und feiere. Was hier geboten werde, erinnere "an die letzten Tage des Kabinetts Honecker", das sich ebenfalls in Realitätsverweigerung geübt hätte. Dass laut Umfragen nur noch jeder zweite österreichische Bürger hinter dieser Bundesregierung stehe, müsse ihr, so Strutz, Grund zum Umdenken geben. Die Öffnung des heimischen Arbeitsmarkts, die im Mai bevorstehe, bringe eine dramatische Entwicklung für Österreich – das bestätige auch Ex-Sozialminister Erwin Buchinger. Feststehe außerdem, dass mit dem "Preiswucher an österreichischen Zapfsäulen" Schluss sein müsse, Autofahren dürfe nicht "zum Luxus" werden. Die Freiheitliche Fraktion spreche sich deshalb in einem heute einzubringenden Antrag für einen sofortigen Preisstopp aus.

Auch G-Abgeordnete Judith SCHWENTNER attestierte der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung gravierende Mängel: Nach wie vor bestünden Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was Einkommen und Beschäftigung anbelange. Vom Rückgang der Arbeitslosigkeit in Österreich profitierten vor allem männliche Erwerbstätige, der Anteil der Frauen, die einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, steige stetig. Die Novelle zum Gleichbehandlungsgesetz, über die man heute im Nationalrat abstimmen werde, hätten die Grünen gerne mitgetragen, da sie aber keine Transparenz, sondern nur "bedenkliche" Bestimmungen mit sich bringe, könne man keine Zustimmung erteilen, schloss sie.

Abgeordneter Christoph HAGEN (B) meinte, das "Schröpfbudget" der Bundesregierung liege der österreichischen Bevölkerung "schwer im Magen". Die Arbeitsmarktpolitik von SPÖ und ÖVP habe außerdem dazu geführt, dass sich Arbeit hierzulande nicht mehr lohne: Zum einen habe man eine übermäßig hohe Abgabenquote erreicht, zum anderen ermögliche man Menschen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, ein Leben "in der sozialen Hängematte". Das sei "ein Skandal sondergleichen", den man der arbeitenden österreichischen Bevölkerung nicht erklären könne, stand für Hagen fest. Das BZÖ hätte in Hinblick auf die Verminderung der Arbeitslosigkeit durchaus Vorschläge: So wäre es etwa denkbar, Menschen, die nach drei Monaten noch immer keine Arbeit gefunden haben, vom Arbeiter-Samariter-Bund ausbilden zu lassen, um die nach Abschaffung der Wehrpflicht fehlenden Zivildiener zu ersetzen, schloss Hagen.

(Schluss Aktuelle Stunde/Fortsetzung Nationalrat)