Parlamentskorrespondenz Nr. 56 vom 20.01.2011

Kinderrechte werden in der Verfassung verankert

Heftige Debatte um ausreichende Verfassungsgesetzgebung im NR

Wien (PK) – Kinderrechte werden nunmehr durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz besonders geschützt. Der Nationalrat machte nach einer kontroversiellen Debatte den Weg mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ dafür frei. Während die Grünen eine wortwörtliche Übernahme der UN-Kinderrechtskonvention in die Verfassung verlangten, was sie auch in einem – ebenfalls zur Debatte stehenden, aber abgelehnten - Antrag zum Ausdruck brachten, vertraten die anderen Parteien die Auffassung, dass man mit dem vorliegenden Vorschlag die Kinderrechte in Österreich umfassend im Sinne der Konvention schütze. Man habe die Konvention aber an die österreichische Rechtsordnung anpassen müssen. Die von der Opposition in der Sitzung eingebrachten Anträge zu diesem Thema fanden keine ausreichende Unterstützung.

Der Gesetzesvorschlag sieht unter anderem einen Rechtsanspruch von Kindern auf Schutz und Fürsorge, ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, altersgerechte Mitspracherechte und ein Verbot von Kinderarbeit vor. Kinder sollen außerdem grundsätzlich Anspruch auf regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen haben. Dabei wird auch besonders auf die Bedeutung der Familie hingewiesen. Auch die Generationengerechtigkeit soll in Hinkunft bei Gesetzen Berücksichtigung finden. Allerdings ist eine gesetzliche Beschränkung von Kinderrechten aus bestimmten Gründen möglich, wobei in den Erläuterungen konkret z.B. straf- und fremdenrechtliche Maßnahmen und berücksichtigungswürdige Elterninteressen genannt werden.

Vor der Debatte über die Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung forderten die Abgeordneten Herbert SCHEIBNER (B), Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) und Heinz-Christian STRACHE (F) unter Hinweis auf die Bedeutung der Materie die Anwesenheit des Bundeskanzlers und des Familienministers. Die Abgeordneten Karlheinz KOPF (V) und Josef CAP (S) hingegen lehnten dies ab und machten geltend, dass die Vertretung durch Staatssekretäre der Geschäftsordnung und den parlamentarischen Usancen entspreche.

Abgeordnete Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) bemängelte, das heute beschlossene Verfassungsgesetz trage dem Geist der UN-Kinderrechtskonvention nicht Rechnung und werde nichts an der Situation der Kinder und Jugendlichen in Österreich ändern. Sie kritisierte vor allem, dass die Bereiche Gesundheit, Armutsgefährdung und Recht auf Bildung ausgespart und jugendliche AsylwerberInnen vom Geltungsbereich ausgeschlossen werden. Die Umsetzung sei jedenfalls ein Schlag ins Gesicht jener 120.000 Menschen, die sich in einer Petition dagegen ausgesprochen haben, dass Kinder und Jugendliche in Schubhaft genommen werden, stellte sie fest.

Abgeordnete Angela LUEGER (S) skizzierte den langen Weg von der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention bis zum heutigen Beschluss ihrer Verankerung in der österreichischen Bundesverfassung. Sie widersprach ihrer Vorrednerin und meinte, es seien dabei keineswegs Artikel willkürlich herausgenommen worden. Vielmehr habe man eine Anpassung an die österreichische Rechtssituation vornehmen müssen, was auch der Meinung anerkannter Verfassungsrechtsexperten entspreche, sagte Lueger. Die gesetzliche Regelung verankere nun Kinderrechte als einklagbare positive Rechte.

Abgeordneter Wilhelm MOLTERER (V) meinte, es herrsche zweifellos Konsens darüber, dass eine Gesellschaft an ihrem Umgang mit den Schwächsten gemessen werde. Dazu gehörten auch Schutz und Sicherheit für Kinder. Mit der Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung sei man auf einem guten Weg für Österreich. In Richtung von Abgeordneter Glawischnig-Piesczek plädierte Molterer für größere Fairness in der Diskussion. Eine bloße wortwörtliche Umsetzung der Konvention hätte entweder Widersprüche zu geltendem österreichischen Recht erzeugt oder bloße Selbstverständlichkeiten festgehalten. Der vorgesehene Gesetzesvorbehalt sei in der Rechtsordnung völlig normal.

Abgeordneter Harald STEFAN (F) sah die Umsetzung der UN-Konvention der Kinderrechte als grundsätzlich positiv. Allerdings stelle sich für ihn angesichts des Umgangs mit Verfassungsrecht in Österreich die Frage, was man sich davon erwarten dürfe. In der politischen Realität zeige sich nämlich, dass Familien und Kinder nicht im Mittelpunkt stünden, wie man am eben beschlossenen Budget erkennen könne. Die darin vorgesehenen Kürzungen von Familienleistungen seien eventuell sogar verfassungswidrig. Der Abgeordnete bedauerte Mängel in der Umsetzung des Kinderschutzes und listete dazu zehn FPÖ-Forderungen auf, die bisher nicht umgesetzt worden seien. Stefan sprach die Hoffnung aus, dass man auf der Basis der nun enthaltenen Bestimmungen auch zu einer gesetzlichen Verankerung der gemeinsamen Obsorge kommen werde. Der Gesetzesvorbehalt schließlich sei richtig, da man verhindern müsse, dass Kinder dazu missbraucht werden, staatliche Maßnahmen zu verhindern.

Abgeordneter Ewald STADLER (B) verwies darauf, dass es sich bei den Beschlüssen zu Kinderrechten um die Formulierung von Staatszielen handle. Das müsse aber auch Auswirkungen auf die Gebietskörperschaften haben, hier gebe es Anpassungsbedarf. Der SPÖ und den Grünen warf er vor, den Kinderschutz zu relativieren, wenn es um Ungeborene geht. Mit dem Hinweis auf konkrete Fälle von schweren Kindesmisshandlungen forderte Stadler dann eine allgemeine Anzeigepflicht, durch die man ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen zum Schutz der Kinder verpflichten würde, wie er meinte. Ohne eine solche rechtliche Verantwortung sei das Gesetz das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben wurde, sagte der Abgeordnete.

Staatssekretär Josef OSTERMAYER zeigte sich erfreut darüber, dass heute nach langer Diskussion die Umsetzung der Kinderrechte auf der Tagesordnung des Nationalrats steht. Unter Hinweis auf die Debatten im zuständigen Ausschuss meinte Ostermayer, dass man sehr sorgfältig prüfen müsse, welche Gesetze man in den Verfassungsrang hebe. Er verteidigte auch die Aufnahme eines Gesetzesvorbehalts und zitierte dazu die Meinungen von Verfassungsrechtlern. Der Protest gegen die jetzt getroffene Regelung ist seiner Meinung nach weit überzogen. Eine ganze Anzahl von Regelungen sei schließlich schon an anderer Stelle im österreichischen Rechtssystem eindeutig getroffen worden.

Auch Abgeordneter Peter WITTMANN (S) meinte, dass man lange und ausführlich darüber diskutiert habe, welche Punkte der Kinderrechtskonvention man übernehmen solle. Er warf den Grünen in diesem Zusammenhang unseriöse Argumentation vor. Die Formulierungen der Konvention enthielten ausschließlich Minimalforderungen, die durch die österreichische Verfassung und EU-Grundrechtscharta bereits erfüllt und fest verankert seien. Die Argumentation der Grünen gehe daher an den Tatsachen vorbei. Zweifellos könne und müsse man die Kinderrechte weiter ausbauen, die UN-Kinderrechtskonvention sei aber in Österreich bereits umgesetzt.

Abgeordnete Silvia FUHRMANN (V) stellte klar, dass die jetzt stattfindende Verankerung in der Verfassung nicht bedeute, dass es bisher keine Kinderrechte gegeben habe. Ab nun könne aber auch der Verfassungsgerichtshof angerufen werden, wenn Rechte nicht gewahrt werden. Sicher handle es sich in erster Linie um eine Willenskundgebung des Gesetzgebers, und die Diskussion über den Schutz von Kindern im Alltag müsse weiter geführt werden. Zur geforderten Anzeigepflicht bei Misshandlungen meinte sie, in dieser Frage müsse man die Meinung aller Betroffenen anhören, um keine kontraproduktive Regelung zu schaffen.

Abgeordnete Anneliese KITZMÜLLER (F) begrüßte die Verankerung der Rechte von Kindern in der Verfassung. Allerdings bestehe Handlungsbedarf beim Schutz der Kinder vor Gewalt, hier habe der Gesetzgeber bisher kläglich versagt, meinte die Abgeordnete. Mehrere erschütternde Fälle hätten gezeigt, dass die Jugendwohlfahrt überfordert sei und oft gegen besseres Wissen nicht handle. Kitzmüller sprach sich daher für eine Anzeigepflicht bei Kindesmisshandlung aus und brachte einen Entschließungsantrag ein, in dem die FPÖ eine Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes fordert. Auch durch eine gemeinsame Obsorge könnte viel Leid verhindert werden, zeigte sich Kitzmüller überzeugt.

Abgeordnete Tanja WINDBÜCHLER-SOUSCHILL (G) kritisierte, dass die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in der Form, wie sie heute beschlossen werde, nicht ausreichend sei. Vor allem würden die Rechte von Flüchtlingen, die in der Konvention klar verankert seien, ignoriert. Auch der Schutz vor Armut sei in Österreich nicht gegeben. In der Frage des Gesetzesvorbehalts vermutete sie einen "Kniefall der SPÖ vor der ÖVP". Die Grünen würden sich jedenfalls weiter für die Verankerung aller Kinderrechte in der Verfassung einsetzen, schloss Windbüchler-Souschill.

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) kündigte die Zustimmung des BZÖ an und meinte, dass man nach 20-jähriger Diskussion endlich diesen notwendigen Schritt setze, um mehr Schutz und Sicherheit für unser wertvollstes Gut, die Kinder, zu gewährleisten. Sie begrüßte besonders, dass im Gesetz der Begriff der Generationengerechtigkeit festgeschrieben werde, der auf eine Initiative des BZÖ zurückgehe. Die Politik dürfe nicht auf Kosten der Zukunft der Kinder und Jugendlichen gemacht werden. Haubner sprach dann das Jugendwohlfahrtsgesetz an und forderte bundeseinheitliche Bestimmungen. Was müsse noch geschehen, fragte sie, bevor man den Entwurf dazu, der seit 2008 "in der Schublade" liegt, endlich umsetzt. Man brauche eine gesetzliche Anzeigepflicht, die Vernetzung von Spitälern und Behörden sowie eine strengere Strafverfolgung bei Misshandlungsfällen. Die Systemfehler in den Jugendämtern müssten beseitigt werden, forderte Haubner.

Staatssekretärin Verena REMLER meinte, heute sei ein großer Tag für die Kinder, denn erstmals schaffe man mit der gegenständlichen Vorlage die Möglichkeit, dass der Verfassungsgerichtshof überprüfen könne, ob die Kinderrechte in der österreichischen Rechtsordnung adäquat berücksichtigt sind. Dies sei mithin ein deutliches Zeichen für ein kinderfreundlicheres Österreich, was ihr ein großes Anliegen sei, unterstrich die Staatssekretärin, die an die Länder appellierte, die Ziele der Bundesregierung zu unterstützen. Sie lade, schloss Remler, alle Abgeordneten ein, diesem Verfassungsgesetzesentwurf zuzustimmen, um den Kindern jenen Stellenwert zukommen zu lassen, den sie in unserer Gesellschaft verdienten.

Abgeordnete Alev KORUN (G) votierte dafür, allen Kindern alle Kinderrechte einzuräumen. Derzeit gebe es aber noch in etlichen Bereichen Verbesserungsbedarf. Konkret gehe es vor allem darum, in Zukunft zu verhindern, dass Kinder im Gefängnis landeten, wie dies in Schubhaftfällen immer wieder geschehe. Der vorliegende Entwurf trage diesem Problem jedoch leider nicht Rechnung, und damit würden die Kinderrechte auch weiterhin nicht allen Kindern eingeräumt. Damit würde eine Zweiklassengesellschaft unter Kindern geschaffen, und das sei, schloss Korun, überaus bedauerlich.

Abgeordnete Gabriele BINDER-MAIER (S) vertrat hingegen die Ansicht, man übernehme die wichtigsten Elemente der Kinderrechtskonvention in das heimische Verfassungsrecht, womit man heute einen großen Tag für die Kinder begehen könne. Dies umso mehr, als die Kinder ja auch schon durch die österreichischen Grundrechte bislang gut geschützt waren. Nun gelte es, einheitliche Standards bei den Jugendschutzbestimmungen zu schaffen, um ein gut geknüpftes Netz zum Schutz der Kinder zu gewährleisten.

Abgeordnete Helene JARMER (G) beklagte das Fehlen von ansprechenden Bestimmungen zur Barrierefreiheit und forderte die vollständige Gleichberechtigung der Gebärdensprache auch im Bereich der Kinder. Man könne nicht die Kinderrechtskonvention auf wenige Punkte beschränken, sondern müsse sie umfassend begreifen. Dies sei hier nicht der Fall, daher könne sie der Vorlage nicht zustimmen.

Abgeordneter Franz-Joseph HUAINIGG (V) begrüßte die Vorlage als richtige Umsetzung der Kinderrechtskonvention und nannte diese eine wichtige Ergänzung der bestehenden Rechtslage. Der Entwurf sei aber auch ein Auftrag, die Integration behinderter Kinder weiter voranzutreiben. Bestehende Diskriminierungen müssten beseitigt werden, erklärte der Redner, der sich dabei auch auf ärztliche Prognosen vor der Geburt von Kindern bezog.

Abgeordneter Harald WALSER (G) fasste die grünen Bedenken gegen die Vorlage noch einmal zusammen und signalisierte aus den genannten Gründen die Ablehnung des Entwurfs durch seine Fraktion. Dies umso mehr, als man es mit keiner klaren, nachvollziehbaren Regelung zu tun habe und viele Abschnitte mit einem Vorbehalt belegt seien.

Abgeordnete Carmen GARTELGRUBER (F) zeigte sich erfreut darüber, dass man hinsichtlich der Rechte der Kinder im heimischen Verfassungsgefüge einen wichtigen Schritt setze. Die gesamte Konvention in den Rechtsbestand zu übernehmen, sei auch nach Meinung von Experten nicht sinnvoll, da viele Abschnitte, etwa jener über Kindersoldaten, auf Österreich nicht anwendbar seien. Daher könne man den vorliegenden Entwurf begrüßen. Sodann brachte die Rednerin einen Abänderungsantrag betreffend Schutz ungeborenen Lebens ein.

Abgeordneter Stefan MARKOWITZ (B) beklagte hingegen, dass wichtige Teile unberücksichtigt geblieben seien, so etwa im Gesundheits- und im Sozialbereich. In diesem Sinne brachte der Redner einen Entschließungsantrag betreffend Kinder- und Jugendhilfegesetz ein.

Einzelne Aspekte der Vorlage beleuchteten sodann noch die S-Abgeordneten Sonja STESSL-MÜHLBACHER, Otto PENDL und Stefan PRÄHAUSER sowie V-Abgeordnete Ridi STEIBL.

Die Vorlage wurde mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ angenommen, die Entschließungs- bzw. Abänderungsanträge der Opposition wurden hingegen abgelehnt.

(Fortsetzung Nationalrat)