Parlamentskorrespondenz Nr. 173 vom 25.02.2011

Österreichische Justizpolitik bekennt sich zum Stockholmer Programm

Jahresvorschau auf Justizvorhaben der Europäischen Union liegt vor

Wien (PK) – Die österreichische Justizpolitik bekenne sich zum 2009 durch den Europäischen Rat gebilligten Stockholmer Programm, das die Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht innerhalb der Europäischen Union zum Ziel habe. Das Bundesministerium für Justiz unterstütze daher grundsätzlich auch die von Seiten der Europäischen Kommission und des Rates unter spanischer, belgischer und ungarischer Präsidentschaft gesetzten Prioritäten, heißt es im Vorwort zum Bericht der Justizministerin betreffend Jahresvorschau auf zentrale EU-Vorhaben im Einflussbereich ihres Ressorts (III-211 d.B.).

Dieses 58 Seiten starke Übersichtswerk informiert über justizbezogene Initiativen und Legislativvorhaben der Europäischen Union, wobei neben Ziel und Umsetzungsstand jeweils auch die Position Österreichs zum betreffenden Vorschlag erläutert wird. Außerdem enthält der Bericht Informationen zum Thema e-Justice und der für 2011 angekündigten Mitteilung zur europäischen Juristenfortbildung.

Initiativen und Legislativvorhaben im Bereich Strafrecht

Das Gebiet des Strafrechts berühren 21 der insgesamt 48 beschriebenen Vorhaben. Österreich steht diesen Vorschlägen in fünf Fällen grundsätzlich positiv und in zwei Fällen kritisch-abwartend gegenüber. Die Entschließung des Rates betreffend Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigten oder Beschuldigten in Strafverfahren habe Österreich zwar mitgetragen, die drei damit in Verbindung stehenden Legislativvorhaben könnten mangels Vorlage aber noch nicht inhaltlich bewertet werden. Gleiches gelte auch für 11 weitere Fälle, in denen noch kein Entwurf vorliege. Das sei u. a. in Hinblick auf die Richtlinie betreffend die Rechte von Opfern von Straftaten und deren Unterstützung, den Vorschlag für einen neuen Rechtsrahmen für die Konfiszierung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten und den Legislativvorschlag zur Einführung gemeinsamer Beweiserhebungsnormen der Fall.

Unterstützen wird Österreich den Vorschlag über eine Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie, zumal seinen diesbezüglichen Einwendungen im Rahmen der Verhandlungen weitgehend nachgekommen wurde. Bedauern äußert der Bericht darüber, dass die Feststellung des Unterausschusses des Nationalrats in Angelegenheiten der Europäischen Union zum gegenständlichen Entwurf keine Unterstützung durch andere EU-Mitgliedsstaaten fand. In dieser hatte man gefordert, auch Handlungen unter Strafe zu stellen, bei denen ein grobes, der juristischen Person zuzurechnendes Verschulden vorliegt.  

Auf allgemeine Zustimmung Österreichs treffen die Entwürfe über eine Richtlinie über das Recht auf Information in Strafverfahren sowie die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung – eine Initiative, die Österreich auch als "Co-Sponsor" unterstützt. Auch den Legislativvorschlag für ein europäisches Strafregisterinformationssystem für verurteile Drittstaatsangehörige (Europäischer Index) begrüße man vor dem Hintergrund des Ziels der Komplettierung der Arbeiten zur Verbesserung und Beschleunigung des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Grundsätzlich positiv stehe Österreich dem Richtlinienvorschlag betreffend den Angriff auf Informationssysteme gegenüber: Auf diesem Gebiet bestünden jedoch noch geringe Vorbehalte, was die Strafhöhen und erschwerenden Umstände anbelange, heißt es im Bericht.

Abwartend-kritisch steht Österreich dem Legislativvorschlag zur Stärkung und Zukunft von Eurojust gegenüber. Hier wäre es laut Bericht sinnvoll, den Abschluss der 2008 auf diesem Gebiet initiierten Veränderungsprozesse und ihrer Evaluation abzuwarten, ehe man weitere Schritte gehe, heißt es im Bericht. Eine abwartend-kritische Position nimmt Österreich aber auch in Hinblick auf die Mitteilung der Kommission über eine umfassende Politik zur Bekämpfung von Korruption ein: Dem Thema Korruptionsbekämpfung stehe man zwar sehr positiv gegenüber, ob es dazu der Implementierung eines weiteren Evaluierungsmechanismus bedürfe, sei jedoch fraglich.

Legislativvorhaben und Initiativen im Bereich Zivilrecht

Vier der insgesamt 27 Legislativvorhaben und Initiativen, die den Bereich des Zivilrechts berühren, begrüßt Österreich ausdrücklich. Hierzu zählen die Verordnung betreffend Erb- und Testamentssachen (Rom IV), die Verordnung betreffend die ehelichen Güterstände im Falle internationaler Ehen, die Revision der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie die Änderung der Zweiten Richtlinie.

Österreich spreche sich auch für die höchstmögliche Verwaltungskostenreduktion und eine Vereinfachung der Rechnungslegungsvorschriften aus, heißt es im Bericht. Was diesen Bereich anbelange, gelte es aber – wie in weiteren 17 Fällen – die Vorlage eines konkreten Entwurfs abzuwarten. Zuwarten müsse man auch in Bezug auf Maßnahmen betreffend die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums: Fragen der Rechtsdurchsetzung im Internet würden, so der Bericht, europaweit diskutiert. Es gelte aber abzuwarten, ob es der Kommission gelinge, diesbezügliche, ausgewogene Lösungen zu präsentieren.

In Hinblick auf die Richtlinie über die Rechte der VerbraucherInnen spreche man sich nach wie vor für eine differenzierte, auf geeignete Punkte eingeschränkte Vollharmonisierung aus. Österreich plädiert in diesem Zusammenhang für eine Lösung, die den Ansprüchen des Verbraucherschutzes Rechnung trägt, gleichzeitig aber Wirtschaft und Unternehmen keine unverhältnismäßigen Belastungen auferlegt. Gemeinsam mit anderen Mitgliedsstaaten sei man außerdem für die Streichung einiger Kapitel des ursprünglichen Entwurfs eingetreten, da die Implikationen der hier enthaltenen Regelungen auf das nationale Vertragsrecht unabsehbar sind. Den nun vorliegenden reduzierten Vorschlag kann Österreich vorerst mittragen. Sollte seinen vorgebrachten Bedenken jedoch nicht nachgekommen werden, gelte es eine Neubewertung vorzunehmen, heißt es im Bericht.

Dem Vorschlag der Kommission betreffend Rechtsinstrument für ein Europäisches Vertragsrecht, dessen Vorlage in der zweiten Jahreshälfte 2011 erwartet wird, stehe Österreich ambivalent gegenüber: Das Modell der "tool box" im Sinne eines gemeinsamen Referenzrahmens begrüße man zwar, die Erarbeitung des von Seiten der Europäischen Kommission favorisierten optionalen Regelungsinstruments und die damit verbundene Schaffung einer "28. Rechtsordnung" lehne man aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Frage der faktischen Machbarkeit jedoch ab.

Skeptisch äußert sich Österreich auch betreffend die Verordnung zur Schaffung einer Europäischen Privatgesellschaft – einer Gesellschaftsform mit sehr niedrigem Mindeststammkapital und großer Satzungsfreiheit, die in erster Linie nicht-börsennotierten sowie kleinen und mittleren Unternehmen nützen soll. Als problematisch bewertet man hier etwa das vorgesehene Mitgliedsstaatenwahlrecht in Bezug auf das Mindestkapital, die sehr weit gefassten Anknüpfungspunkte für einen grenzüberschreitenden Bezug als Gründungsvoraussetzung sowie die Möglichkeit der Trennung von Satzungssitz und Ort der tatsächlichen Geschäftsausübung.

Genauso skeptisch steht Österreich dem "Grünbuch zum freien Verkehr von Dokumenten: Personenstandsurkunden, Urkunden und erleichterte Legislation" gegenüber. Wolle man "hinkende Personenstandsverhältnisse" vermeiden, erreiche man dies am ehesten durch eine Vereinheitlichung des Privatrechts, nicht durch Regeln über die Anerkennung von Personenstandsurkunden, heißt es im Bericht.

Einsatz von e-Justice muss massiv forciert werden

Die Anwendung von e-Justice finde im europäischen Bereich derzeit nur äußerst eingeschränkt statt, informiert der Bericht. Den Einsatz dieses Instruments gelte es aber massiv zu forcieren, um eine Qualitätsverbesserung, Verfahrensbeschleunigung und Kostenreduktion zu erzielen. Im Herbst 2008 wurde ein diesbezüglicher Aktionsplan ausgearbeitet, dessen Hauptaugenmerk u. a. auf der Einrichtung eines e-Justice-Portals lag, das im Juli 2010 seinen Betrieb aufnahm. Arbeiten auf dem Gebiet der e-Justice gelte es laut Bericht weiterzuführen, um den BürgerInnen einen einfachen und raschen Zugang zur Justiz zu ermöglichen. Österreich könne hier seine diesbezügliche, internationale Erfahrung einbringen, wie es im Rahmen europäischer Projekte schon mehrfach bewiesen habe. (Schluss)