Parlamentskorrespondenz Nr. 244 vom 15.03.2011

Europäische Energiepolitik ist einer Neubewertung zu unterziehen

EU-Unterausschuss diskutiert EU-Energiestrategie 2020

Wien (PK) – Vor dem Hintergrund der Katastrophe in Japan konnte das Thema des heutigen EU-Unterausschusses, nämlich die Zukunft der Energieversorgung in der EU, aktueller nicht sein. Dementsprechend stand auch die Notwendigkeit eines Umdenkens der europäischen Energiepolitik im Mittelpunkt der Wortmeldungen von Bundesminister Reinhold Mitterlehner und den Abgeordneten aller Fraktionen.

Unter dem Eindruck der Ereignisse in Japan müsse man die verschiedenen Zielsetzungen der europäischen Energiepolitik evaluieren und einer Neubewertung unterziehen, unterstrich Mitterlehner. Die Anti-Atom-Strategie Österreichs habe sich im Prinzip als richtig erwiesen, sagte er, räumte aber zugleich ein, dass es im Hinblick auf die Versorgungssicherheit nicht zu einer sofortigen Abschaltung der Atomkraftwerke in Europa kommen werde. Die Diskussion sei jedoch im Gange und in Deutschland seien die alten Atommeiler bereits abgeschaltet worden. In dieser Situation sei es besonders wichtig, dass man Mitgestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von EURATOM habe, mit dem Ziel, keine Kernenergieprojekte mehr zu fördern, sofern sie nicht der Sicherheit dienen. Dies wurde auch von seinem Vorgänger und nunmehrigen Abgeordneten Martin Bartenstein (V) bekräftigt.

Die aktuellen Ereignisse würden auch Auswirkungen auf die Versorgungsentwicklung haben, erläuterte der Wirtschaftsminister und meinte, fossile Energieträger würden nun vermehrt nachgefragt, was auch die Preise beeinflussen werde. Österreich liege jedenfalls mit seiner Schwerpunktsetzung - Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien - richtig. Die ehemalige Außenministerin, Abgeordnete Ursula Plassnik (V), wies in diesem Zusammenhang auf die besorgniserregenden Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen Osten als wesentlicher Faktor zukünftiger Energieversorgung hin.

In der strikten Anti-Atom-Politik waren sich dann auch die Ausschussmitglieder in der Diskussion einig, wenngleich auch mit unterschiedlicher Nuancierung. Während die Abgeordneten der Regierungsparteien die bisherige klare Linie der Regierung auch in den EU-Gremien hervorhoben, bemängelte die Opposition eine aus ihrer Sicht zu weiche Haltung der heimischen VertreterInnen in den einzelnen EU-Institutionen. Die Unterschiede traten auch in den jeweils eingebrachten Anträgen zutage.

S-V-Antrag: Ausstieg aus Kernenergie fördern

Mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP wurde schließlich ein Antrag auf Mitteilung der Abgeordneten Muttonen (S), Plassnik (V), Bartenstein (V) und Katzian (S) angenommen. Darin weisen sie darauf hin, dass Kernspaltung keine nachhaltige Form der Energiegewinnung ist. Die Kommission wird aufgefordert, die ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um einen europa- und weltweiten Verzicht auf die Nutzung der Kernspaltung zur Energiegewinnung zu fördern. Die AntragstellerInnen verlangen weiters einen "Stresstest" aller europäischen Kernkraftwerke nach einheitlichen Standards und wollen das EURATOM-Forschungsprogramm 2014-2018 ausschließlich auf die Forschung zu nuklearer Sicherheit, auf Risikoforschung und Strahlenschutz ausrichten. Die Mittel des derzeitigen EURATOM-Forschungsprogramms sollen in diesem Sinne verwendet werden, das europäische Frühwarnsystem ECURIE sei weiter auszubauen und die europaweite Koordination im Bereich der im nuklearen Ernstfall zu treffenden Maßnahmen generell zu verstärken. Schließlich ist nach Meinung der AntragstellerInnen europaweit verstärkt auf Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energie zu setzen.

Anträge der Grünen und des BZÖ abgelehnt

Diese Formulierungen waren der Opposition zu wenig konkret. So verlangen die Grünen in ihrem Antrag auf Stellungnahme die sofortige Stilllegung aller Risikoreaktoren in Europa und den Baustopp für alle in Europa in Bau befindlichen AKW. Weiters soll nach Ansicht der Grünen die EU-Kommission einen europäischen Ausstiegsplan entwickeln und die Richtlinie für nukleare Sicherheit mit dem Ziel höchstmöglicher verbindlicher Standards überarbeiten. Von Bundesministerin Beatrix Karl wird erwartet, dass sie dem EURATOM-Forschungsrahmenprogramm keine Zustimmung gibt. Weitere Punkte des grünen Antrags betreffen den Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa, die Abschaffung der Privilegien der Atomindustrie durch die Beendigung des EURATOM-Vertrags und die Gründung einer europäischen Gemeinschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Der Antrag wurde von allen drei Oppositionsparteien unterstützt, nicht aber von ÖVP und SPÖ und blieb somit in der Minderheit.

Abgeordneter Martin Bartenstein (V) begründete seine Haltung damit, dass der Antrag unrealistisch sei, was ihm wiederum den Vorwurf der Abgeordneten Johannes Hübner (F) und Ewald Stadler (B) einbrachte, die Regierung sei zu zögerlich und habe Angst, mit ihrer Meinung allein da zu stehen. Stadler untermauerte seine Meinung durch Zitate vorliegender Ratsbeschlüsse, die auf eine Unterstützung der Kernkraft hinauslaufen und von der jeweiligen österreichischen Regierung mitgetragen wurden. Auch die vorliegenden Papiere zur Energiestrategie enthielten direkte und indirekte Bekenntnisse zur Kernkraft, kritisierte er.

Daher drängen die BZÖ-Abgeordneten in ihrem Antrag auf Ausschussfeststellung darauf, diesen Textpassagen in den Vorschlägen der Kommission keine Zustimmung zu erteilen. Der Antrag wurde ebenfalls von SPÖ und ÖVP und damit mehrheitlich abgelehnt. Das BZÖ spricht sich darin auch für die umgehende Entwicklung eines verbindlichen Stufenplans zum europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie aus, mit dem Ziel, innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren die EU kernkraftfrei zu machen. Darüber hinaus muss laut Antrag ein europäischer Notfallplan geschaffen und ein verbindlicher Masterplan für erneuerbare Energie auf europäischer Ebene entwickelt werden.

Die vorliegenden Pläne der EU zu einer Energiestrategie 2020

Bundesminister Reinhold Mitterlehner wehrte sich vehement gegen den Vorwurf, die Regierung sei in den EU-Gremien in punkto Anti-Atom-Politik zu verhalten aufgetreten. Österreich habe immer klar seine Positionen eingebracht, sagte er, man müsse aber zur Kenntnis nehmen, dass unter dem Gesichtspunkt der CO2-Reduktion in den letzten Jahren die Kernenergie eine Renaissance erfahren hat. Es sei auch europäische Rechtslage, dass jedes Land über seinen Energiemix selbst entscheiden könne.

Die Kommission habe aber in den letzten Jahren vermehrt auf die Förderung erneuerbarer Energiequellen gedrängt und angesichts der Katastrophe in Japan werde die bisherige Strategie einer gründlichen Überprüfung zuzuführen sein, betonte der Minister mehrmals. Österreich werde mit aller Kraft versuchen, den Meinungsbildungsprozess zu beeinflussen, die vertragliche Konstruktion in Europa werde man aber nicht ändern können.

Grundlage für die Diskussion boten drei Mitteilungen der Kommission. Diese betreffen zum einen "Eine Strategie für wettbewerbsfähige, nachhaltige und sichere Energie (Energy 2020)", zum anderen "Energieinfrastrukturprioritäten bis 2020 und danach – ein Konzept für ein integriertes europäisches Energienetz" und schließlich "Erneuerbare Energien : Fortschritte auf dem Weg zum Ziel für 2020".

Der Rat für Verkehr, Telekommunikation und Energie (TTE) hat sich am 28. Februar 2011 mit der Energiestrategie und den Energieinfrastrukturprojekten befasst und sich in seinen Schlussfolgerungen für  die umgehende und vollständige Umsetzung des 3. Energiebinnenmarktpakets, für eine verbesserte Zusammenarbeit der Energieregulatoren und der Regionen sowie für eine besondere Berücksichtigung der Bedürfnisse der KonsumentInnen ausgesprochen. Ferner soll die europäische Energieeffizienz gesteigert werden. Der Rat spricht sich auch für die Schaffung der notwendigen Infrastrukturen aus, die die künftige Zunahme erneuerbarer Energien verkraften können.

Weitere Ziele betreffen laut Vorlage der Kommission Forschung und Innovation für Energietechnologien mit niedrigem CO2-Ausstoß, die Betonung der wichtigen Rolle von "heimisch" geförderten Energiequellen, insbes. von nachhaltiger Energie, aber auch von fossilen Brennstoffen (sowohl von konventionellen als auch unkonventionellen fossilen Brennstoffen wie Ölschiefer und Schiefergas) sowie die Sicherstellung einer einheitlichen, glaubwürdigen und transparenten europäischen Energieaußenpolitik gegenüber ihren wichtigsten Partnerstaaten.

Laut Schlussfolgerungen des Rats TTE sollen aber auch langfristige Perspektiven bis 2050 entwickelt werden

Was die erneuerbaren Energien betrifft, so drängt die Kommission in ihrer diesbezüglichen Mitteilung die Mitgliedstaaten, ihre nationalen Aktionspläne umzusetzen. Die EU hat sich ja konkret dazu verpflichtet, bis 2020 einen Anteil an erneuerbaren Energien von 20% zu erreichen. Jüngste Daten zeigen nun, dass die meisten Mitgliedstaaten im Jahr 2010 ihre Ziele, die sie sich auf diesem Weg dorthin für den Strom- und Verkehrssektor gesetzt haben, verfehlt haben.

Die Mitgliedstaaten werden auch aufgefordert, für eine Verdoppelung der Kapitalinvestitionen in erneuerbare Energien von 35 Mrd. EUR pro Jahr auf 70 Mrd. EUR zu sorgen. Die Kommission weist darauf hin, dass zwar in allen Mitgliedstaaten unterschiedliche Finanzinstrumente für den Ausbau erneuerbarer Energien verwendet werden, ihre Abwicklung und Verwaltung jedoch noch weiter verbessert werden muss. Die Investoren benötigen nach Auffassung der Kommission mehr Kohärenz, Klarheit und Sicherheit.

Darüber hinaus lag den Ausschussmitgliedern ein Vorschlag für eine EU-Verordnung über die "Integrität und Transparenz des Energiemarkts" vor.

Der Kommissionsvorschlag umfasst drei Komponenten: Marktmissbrauchsvorschriften für den Energiegroßhandel, insbesondere soll ein Insiderhandels- und Marktmanipulationsverbot entwickelt werden; weiters wird ein Transaktionsreporting für den Energiegroßhandel eingeführt. Zuständig dafür wird ACER ("Agency for the Cooperation of Energy Regulators" - die neu gegründete EU-Energieregulierungsagentur) sein, in Zusammenarbeit mit nationalen Energieregulierungsbehörden. Die Durchsetzung des Marktmissbrauchsverbots soll auf nationaler Ebene erfolgen.

Mitterlehner: Österreich setzt auf Ausbau erneuerbarer Energieträger

Bundesminister Reinhold Mitterlehner wies darauf hin, dass die Europäische Union durch den Vertrag von Lissabon zusätzliche Kompetenzen im Energiebereich erhalten hat. Neben Umweltschutz und Liberalisierung der Energiemärkte sei die EU nunmehr auch für das Gebiet Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung zuständig.

Der Minister unterstützte die Bemühungen der Kommission um mehr Energieeffizienz und um die Schaffung eines Energiebinnenmarkts und hielt eine flexible und ausreichende Infrastruktur für notwendig. In diesem Zusammenhang habe sich auch der zuständige Kommissar für den Bau der 380 KV-Leitung in Österreich ausgesprochen, sagte Mitterlehner, und im Lichte der aktuellen Lage würden auch die Möglichkeiten der Pumpspeicherkraftwerke wie Kaprun an Bedeutung gewinnen. Im Gasbereich müsse man die Versorgungssicherheit verbessern, erläuterte Mitterlehner, und die Diversifizierung vorantreiben. Er plädierte für die Realisierung von Nabucco sowie von South Stream als Ergänzung zu Nabucco.

Erneuerbare Energien seien ein wichtiger Teilaspekt der Gesamtstrategie, merkte der Minister an und bekräftigte den Willen der Regierung, den nationalen Aktionsplan umzusetzen. Österreich setze auf den Ausbau von Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie und Biomasse, erläuterte er und kündigte die baldige Vorlage einer Novelle zum Ökostromgesetz an. Die Vorschläge der Kommission gehen nach Auffassung des Ministers in die richtige Richtung.

Die Diskussion

Die Zielsetzung Nachhaltigkeit und Sicherheit wurden auch von Abgeordneter Christine Muttonen (S) unterstützt. Europa müsse jedoch aus der Katastrophe von Japan Konsequenzen ziehen und die Weichen auf Ausstieg aus der Atomenergie stellen. Kernenergie sei keine nachhaltige Basis für eine verantwortungsvolle Energiepolitik, sagte sie, Atomkraft sei niemals völlig sicher. Die EURATOM-Forschungsprogramme seien daher allein auf die Sicherheit auszurichten, für notwendig erachtete Muttonen auch eine europaweite Koordination.

Abgeordneter Wolfgang Katzian (S) begrüßte die Ausführungen von Bundesminister Mitterlehner und unterstrich die Notwendigkeit, dass Österreich vermehrt Einfluss auf die zukünftige Energiepolitik in Europa nimmt. Er drängte auch darauf, eine einheitliche Energiestrategie in Österreich zu entwickeln, denn derzeit seien zwei Ministerien dafür zuständig.

Katzian thematisierte in seiner Wortmeldung jedoch auch den sozialen Aspekt der Energieversorgung, denn es gelte sicherzustellen, dass die Nutzung von Energie nicht von der sozialen Stellung abhängig ist. Die Energieversorgung muss laut Katzian im Bereich der Daseinsvorsorge bleiben, weshalb er jede weitere Privatisierung in diesem Bereich ablehnte. Er plädierte auch für ein bundeseinheitliches Energieeffizienzgesetz.

Die Abgeordneten Ursula Plassnik und Martin Bartenstein (beide V) verteidigten die bisherige Anti-Atom-Politik der Regierung gegenüber den Vorwürfen der Opposition. Mit den Widerständen gegen grenznahe Kernkraftwerke habe man sich bei den Nachbarn keine Freunde gemacht, bemerkte Abgeordnete Plassnik, und im Zuge der Erweiterung habe Österreich auch durchgesetzt, dass besonders gefährliche AKW der Beitrittswerber geschlossen werden müssen. Plassnik zeigte durchaus Sympathien für die Forderung der Grünen nach einer europäischen Gemeinschaft für erneuerbare Energien, meinte aber, dass man sich nun in der internationalen Agentur für erneuerbare Energien, bei der die EU-Vertragspartner ist, engagieren sollte.

Der ehemalige Wirtschaftsminister Bartenstein machte darauf aufmerksam, dass man vor dem Hintergrund der nuklearen Katastrophe in Japan die Rolle der fossilen Energieträger neu bewerten müsse. Der schrittweise Verzicht auf die Kernkraft habe Auswirkungen auf die Energiepolitik Europas. Die Strategie 2020 halte er nicht für besonders spektakulär, sie sei aber sinnvoll und in weiten Bereichen richtig, sagte Bartenstein. Die Ablehnung des grünen Antrags begründete er mit dem Hinweis auf unrealistische Forderungen, die zur Isolation Österreichs in Europa führen könnten.

Dem Argument, die Forderungen der Grünen seien unrealistisch, konnte Abgeordneter Johannes Hübner (F) durchaus etwas abgewinnen. Es gehe aber um die Formulierung der österreichischen Position und nicht um eine mehrheitsfähige Position, betonte er, weshalb die FPÖ den Antrag unterstützen werde.

In Europa werde weiter auf Atomkraft gesetzt, befürchtete Abgeordnete Christiane Brunner (G), das zeige sich auch in den vorliegenden Dokumenten der Kommission, wo eine eindeutige Vorliebe für die Atomkraft herauszulesen sei. Ihren Antrag verteidigte sie mit dem Hinweis, dass man jetzt handeln müsse, dass man klare Konsequenzen ziehen und dementsprechend klare Positionen beziehen müsse. Der Antrag der Regierungsparteien sei in diesem Sinne zu schwach formuliert.

Dem schloss sich auch ihr Klubkollege Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) an. Nun sei das österreichische Parlament gefordert, mittels einer klaren, bindenden Stellungnahme die Position der österreichischen Bundesregierung auf EU-Ebene zu stärken. Die Ereignisse in Japan seien eine Katastrophe mit globaler Dimension, die Auswirkungen auf den Wirtschaftsraum hätten und Veränderungen auf den Energiemärkten nach sich zögen. Der Abgeordnete sah auch große wirtschaftliche Chancen für die modernen österreichischen Technologien und forderte mehrmals eine offensive österreichische Positionierung ein.

Auch Abgeordnetem Ewald Stadler (B) zufolge darf Österreich keine Kompromisse mehr schließen. Österreich solle seine Vorreiterrolle nützen und nicht wie bisher in den europäischen Institutionen Haltungslosigkeit zeigen, hielt er kritisch fest. Die vorliegenden Dokumente der Kommission, die der Atomenergie noch immer Vorschub leisteten, müssten seitens Österreichs in den Ratsformationen abgelehnt werden, forderte Stadler dezidiert. Nicht nur Tschernobyl und Fukushima, sondern auch sämtliche Störfälle in anderen AKW hätten gezeigt, dass die Kernspaltungstechnologie nicht beherrschbar ist. (Fortsetzung EU-Unterausschuss)