Parlamentskorrespondenz Nr. 251 vom 16.03.2011

Bundesrat: EU-Ausschuss diskutiert Zukunft der Kohäsionspolitik

Bedenken gegen Lebendimpfstoff bei Blauzungenkrankheit

Wien (PK) - Der EU-Ausschuss des Bundesrates hat in seiner heutigen Sitzung zunächst eine Mitteilung der EU-Kommission mit deren Schlussfolgerungen zum Fünften Kohäsionsbericht sowie ein Arbeitspapier der Kommission zum selben Thema in Verhandlung genommen und eine ausführliche Beratung darüber abgehalten. Die Sitzung leitete Ausschussobmann Georg Keuschnigg.  

Die Vorschläge der EU-Kommission zur Kohäsionspolitik ab 2014

Eine Mitteilung der EU-Kommission enthält Schlussfolgerungen zum aktuellen Fünften Bericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU und Vorschläge der Kommission zur Kohäsionspolitik in der Finanzperiode ab 2014. Die Kommission will in der "Europäischen Territorialen Kooperation" weiterhin alle Regionen Europas fördern, abgestuft nach ihrem wirtschaftlichen Entwicklungsstand. Sie will eine strategischere und thematisch konzentriertere Programmplanung samt besserer Evaluierung und sie will mehr Finanzierungsinstrumente einsetzen. Mehr Budgetdisziplin und einfachere Verfahren sollen den Verwaltungsaufwand reduzieren. Außerdem soll der Europäische Sozialfonds "sichtbarer" werden.

Im kommenden Juni sollen die Entwürfe für die Finanzielle Vorausschau ab 2014 und Ende Juli die Verordnungsentwürfe für die einzelnen Politikbereiche vorgelegt werden. Im Herbst 2011 beginnen die eigentlichen Verhandlungen. Bis zum Sommer will der Haushaltsausschuss des Rates die Verhandlungen über eine Novelle der EU-Haushaltsverordnung abschließen.

Der ungarische Ratsvorsitz treibt die Debatte zur Kohäsionspolitik voran und plant ein informelles Ministertreffen von 19. bis 21. Mai 2011. Dazu kommen Seminare und hochrangige Konferenzen. Auch der polnische Ratsvorsitz in der zweiten Jahreshälfte hat neben den offiziellen Verhandlungen informelle Diskussionen angekündigt.

Inhaltlich wollen die EU-Institutionen den europäischen Mehrwert und die Wirkungsorientierung der Kohäsionspolitik stärken und plädieren gemeinsam mit den Empfängerstaaten für ein möglichst hohes Kohäsionsbudget. Die Nettozahler wollen das Budget hingegen begrenzen, für sich selbst aber zugleich möglichst viele Förderungen sichern. Aussichten auf eine Entbürokratisierung werden gering eingeschätzt. Es wäre schon ein Erfolg, wenn die administrativen Anforderungen nicht weiter steigen.

Bundesregierung und Landeshauptleute-Konferenz haben sich für eine Weiterführung der Kohäsionspolitik in allen Mitgliedstaaten ausgesprochen. Österreich will die Kohäsionspolitik an der Strategie "Europa 2020" ausrichten und ihren Nutzen für Europa vergrößern. Grenzüberschreitende interregionale Kooperationsprogramme sollen weitergeführt, der Rechtsrahmen für die Kohäsionspolitik verbessert, die Verwaltung vereinfacht und das "Proportionalitätsprinzip" gestärkt werden.

Wie ein Experte des Wirtschaftsministeriums den Bundesräten erklärte, handelt es sich bei der EU-Kohäsionspolitik mittels Strukturfonds um einen der finanziell größten Politikbereiche der Union, zu dem die Agrarpolitik und die Förderung der ländlichen Entwicklung nicht zählen. Zuletzt galten siebenjährige Förderungsprogramme, ob es bei dieser Dauer auch in der Periode ab 2014 bleibe, sei noch offen. Mittel, die bis 2014 nicht verbraucht werden, können jedenfalls noch in einem rund zweijährigen Auslaufzeitraum angesprochen werden.

In der laufenden Programmperiode 2007 bis Ende 2013 wurden Österreich 1,46 Mrd. Euro zugesprochen, 250 Mio. Euro davon für die "Territoriale Zusammenarbeit", die bisher unter dem Titel "INTERREG" die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten fördert. Aus dem EU-Sozialfonds erhält Österreich 525 Mio. € zur Förderung von Arbeitsmarkt- und Behindertenprojekten. 675 Mio. € stehen aus dem EU Regionalfonds zur Förderung von Innovation, Forschung und Wirtschaftsprojekten zur Verfügung.

In der österreichischen Stellungnahme zu den Vorschlägen der EU-Kommission für die neue Kohäsionspolitik ab 2014, die im Rahmen der Österreichischen Raumordungskonferenz von Vertretern des Bundes, der Länder und der Gemeinden ausgearbeitet wurde, begrüßt Österreich den Vorschlag, die gesamte EU-Politik an den Zielen der Strategie 2020 auszurichten. Grundsätzlich seien auch Bemühungen um eine stärkere Wirkungsorientierung zu begrüßen, Österreich sei aber skeptisch gegenüber Regeländerungen bei der Abwicklung der Projekte, sofern dies zu noch mehr Bürokratie führe. Die "Territoriale Zusammenarbeit" sei für Österreich, das ein Sechstel aller Strukturfondsmittel für INTERREG-Projekte erhalte, wichtiger als für die meisten anderen Mitgliedsländer, führte der Experte aus.

Bundesrat Edgar Mayer (V/V) plädierte dafür, die Programme zur Stärkung des ländlichen Raumes in der Kohäsionspolitik zu stärken und zeigte sich skeptisch gegenüber Absichten, die EU-Haushaltsverordnung zu ändern. Auf die Frage, in welchem Ausmaß Österreich Kohäsionsförderungsmittel ausschöpfe, erfuhr Mayer, dass die zugesprochenen Mittel anfangs 2011, also zur Hälfte der Programmlaufzeit, bereits zu 40 bis 50 % in Form konkreter Projekte realisiert waren.

Bundesrat Stefan Schennach (S/W) schloss sich seinem Vorredner an, betonte die Bedeutung der INTERREG-Programme, trat aber nachdrücklich dafür ein, die enorme Bürokratie bei der Projektabwicklung zu reduzieren und eine flexiblere Form zu finden. Schennach verteidigte die traditionelle Abrechnung von Förderungsprojekten, weil er von der Einführung einer ergebnisorientierten Verrechnung noch mehr Bürokratie befürchtete.

Bundesrat Georg Keuschnigg (V/T) brachte die schwierige Situation vieler peripherer Regionen mit Entwicklungserschwernissen und Abwanderung zur Sprache.  

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (G/N) zeigte sich verwundert über die Absicht, auch sicherheitspolitische Projekte grenzüberschreitend zu fördern.

Bundesrätin Monika Mühlwerth (F/W) sah grenzüberschreitende Kooperationen differenziert und erläuterte das Ziel ihrer Fraktion, nationale und regionale Projekte stärker zu fördern. Kritik übte Mühlwerth an Regelungswut und Bürokratisierungstendenzen in der EU.

Gegen eine überbordende Bürokratie in der EU wandte sich auch Bundesrat Ewald Lindinger (S/O).

Laut Ressortvertreter sind die Verhandlungen über Änderungen der Haushaltsverordnung noch nicht abgeschlossen, Widerstand komme von Seiten mehrerer EU-Länder. Die geplante Änderung würde Österreich zwingen, bewährte Strukturen bei der Abwicklung der Programme zu ändern. Die Förderung schwacher Regionen im ländlichen Raum sei ein traditioneller Schwerpunkt Österreichs. Es gelte die Balance bei der Förderung des ländlichen Raums sowie der Ballungszentren zu wahren, wo Technologie- und Innovationsbemühungen im Vordergrund stehen. 

Grenzüberschreitende Kooperationen in der Sicherheitspolitik entsprechen einem Wunsch der Innenministerin nach Förderung grenzüberschreitender Polizeikooperationen, erfuhren die Bundesräte von Seiten des Ressorts.

Jugend in Bewegung 

In weiterer Folge befasste sich der EU-Ausschuss des Bundesrates mit einer Mitteilung der EU-Kommission zur Initiative "Jugend in Bewegung" und mit einem Resolutionsentwurf des Rates über neue Formen der Teilhabe junger Menschen am demokratischen Leben.

"Jugend in Bewegung" ist eine der sieben Leitlinien der EU-Strategie "Europa 2020", für die der EU-Bildungsausschuss 28 konkrete Maßnahmen festlegen wird. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 21 % könne nur überwunden werden, wenn junge Menschen Qualifikationen und Kompetenzen für ein erfolgreiches Arbeitsleben erwerben. Bis 2020 wird der Anteil der Arbeitsplätze, die eine hohe Qualifikation sowie Anpassungs- und Innovationsfähigkeit erfordern, von 29 % auf 35 % steigen, das entspricht 15 Millionen Jobs. Da weniger als ein Drittel der Menschen in der EU (31,1 %) einen Hochschulabschluss haben (USA: über 40 %, Japan: über 50 %) will die Kommission den Anteil der 30 bis 34-Jährigen mit Hochschulabschluss in der EU bis 2020 auf mindestens 40 % anheben und die Schulabbrecherquote auf 10 % senken.

Die von einer Experten die Ministeriums für Wirtschaft, Jugend und Familie erläuterten Stichworte der Initiative lauten: Modernere Berufsausbildung und attraktivere Hochschulen; ein neuer europäischer Rahmen für die Beschäftigung junger Menschen, Arbeitsmarktreformen und mehr Unterstützung der öffentlichen Arbeitsverwaltungen; Validierung des nichtformalen und informellen Lernens (2011); Einrichtung einer Website zu "Jugend in Bewegung" mit Informationen über das Lern- und Mobilitätsangebot in der EU (2011); Förderung der Mobilität junger Menschen zu Lernzwecken (2011); Einführung eines Jugendausweises zur Erleichterung der Mobilität von Schülern, Studierenden, Auszubildenden, Praktikanten, Forschern und Freiwilligen; Einführung eines Europäischen Qualifikationspasses (2011) und mehr Augenmerk auf die "NEET"-Gruppe (NEET= no employment, education and training), also für Jugendliche, die weder arbeiten noch in eine Schule gehen. - Österreich unterstützt die Initiative "Jugend in Bewegung", wird bei der Konkretisierung einzelner Maßnahmen aber auf die Einhaltung des Prinzips der Subsidiarität drängen.

Auf dem Verhandlungstisch des EU-Ausschusses des Bundesrats lag auch ein von Österreich unterstützter Entschließungsentwurf des Rates zur Förderung neuer Formen der Beteiligung Jugendlicher am demokratischen Leben in Europa. Dieser Entwurf soll vom Rat Bildung, Jugend, Kultur und Sport am 19./20.5.2011 angenommen werden und zielt auf die Förderung des Jugendaustauschs sowie des Austauschs sozialpädagogischer Betreuer. Jugendorganisationen kommt dabei eine wichtige unterstützende Rolle zu, wird ausdrücklich festgestellt. Die Mitgliedsstaaten sollen die Lernmobilität der Jugendlichen stärken, um ihren Zugang zu Bildungssystem, Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu verbessern. Das Bildungsangebotes für digitale und Medienkompetenz soll verbessert, Initiativen von Jugendlichen unterstützt und ihre Ideen umgesetzt werden. Das Europäische Jugendportal soll benutzerfreundlicher werden, meint der Rat.

Österreich verfolgt in der Jugendpolitik den Grundsatz: FÜR die Jugend und MIT der Jugend. Eine Arbeitsgruppe mit VertreterInnen der Jugendorganisationen, der offenen Jugendarbeit, der Jugendzentren, der Nationalagentur "Jugend in Aktion" und der Bundesländer will EU-Beschlüsse jugendgerecht umsetzen. Bei der Implementierung der geplanten Maßnahmen in Österreich spielen die Jugendreferate der Landesregierungen eine wichtige Rolle. Daher wird Österreich bei der Festlegung und Konkretisierung einzelner Maßnahmen auch in Zukunft auf die Einhaltung der Subsidiarität drängen, erfuhren die Bundesräte von Seiten des Ressorts.

Bundesrat Michael Hammer (V/O) verlangte entschlossenere Maßnahmen zur Senkung der Drop-out-Rate bei Schülern und drängte darauf, bürokratische Hemmnisse abzubauen, die der Mobilität von Jugendlichen entgegenstehen, etwa beim Absolvieren von Auslandspraktika.

Bundesrat Stefan Schennach (S/W) schloss sich diesem Vorschlag an und plädierte vehement dafür, auch Lehrlingen Auslandspraktika zu ermöglichen und generell zu verhindern, dass der Riss zwischen gebildeten und mobilen Menschen, die die Globalisierung nutzen können und den "Modernisierungsverlierern", noch tiefer werde.

Bundesrätin Monika Mühlwerth (F/W) wandte sich gegen die Vernachlässigung der Lehre in der Bildungspolitik, konnte dem Vorschlag, Lehrlingen Auslandspraktika zu ermöglichen, viel abgewinnen. Mühlwerth wies aber zugleich auf die finanziellen Belastungen hin, die es für Familien bedeutet, wenn ihre Kinder im Ausland studieren.

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (G/N) meinte, man sollte nicht nur die Medienkompetenz der Jugendlichen fördern, sondern auch andere Bildungsangebote unterstützen.

Bundesrätin Susanne Neuwirth (S/S) argumentierte gegen bürokratische Hemmschwellen, die es Jugendlichen erschweren, in der Ausbildung Auslandserfahrung zu sammeln. Neuwirth riet auch dazu, bei der Förderung der demokratischen Partizipation von Jugendlichen auf der kommunalen Ebene anzusetzen.

Bundesrätin Cornelia Michalke (F/V) wies darauf hin, dass viele Jugendliche in ihrem Bundesland mangels ausreichender Ausbildungsangebote oft Berufsausbildungen in Deutschland oder der Schweiz absolvieren. Ihre Frage, welche Sanktionen Mitgliedstaaten zu befürchten haben, die die Initiative "Jugend in Bewegung" nicht ausreichend umsetzen, beantwortete eine Expertin des Ressorts mit dem Hinweis darauf, dass die Mehrzahl der von dieser Initiative angesprochenen Punkte in nationaler Kompetenz liegen und auf EU-Ebene nur koordiniert werden. "Die zu erwartenden EU-Rankings sind für säumige Staaten aber Strafe genug", sagte die Vertreterin des Ministeriums.

Blauzungenkrankheit – Bedenken gegen Lebendimpfstoff

Schließlich lag dem EU-Ausschuss des Bundesrates auch ein Vorschlag des EU-Rates zur Änderung der Richtlinie für die Impfung gegen die Blauzungenkrankheit vor. Wie von Seiten des Ressorts ausgeführt wurde, handle es sich bei der "Blauzungenkrankheit" um eine von Insekten auf Wiederkäuer übertragene Fiebererkrankung, die man ursprünglich nur in Südeuropa kannte. Im November 2008 trat die Blauzungenkrankheit aber erstmals auch in Österreich auf. 2009 wurden alle Rinder, Schafe und Ziegen in Österreich obligatorisch geimpft, was dazu führte, dass sich Österreich vor kurzem "blauzungenfrei" erklären konnte. Österreich verwendete ausschließlich Totimpfstoff, um die Risiken von Lebendimpfstoff zu vermeiden. Die geplante Richtlinienänderung zielt darauf ab, Totimpfstoff zum Mittel der Wahl beim Kampf gegen die Blauzungenkrankheit zu machen, lässt den Einsatz von Lebendimpfstoffe für den Fall des Auftretens neuer Viren unter bestimmten Bedingungen aber zu.

Demgegenüber brachte der EU-Ausschuss des Bundesrates auf Antrag seines Obmanns Georg Keuschnigg in Form einer Mitteilung Bedenken gegen den Einsatz von Lebendimpfstoffen zum Ausdruck. Lebendimpfstoffe werden schlechter vertragen als Totimpfstoffe, Rückmutationen könnten nicht ausgeschlossen werden und außerdem sind in der Vergangenheit Kontaminationen von Lebendimpfstoffen mit Rinder-pathogenen Viren wie z.B. BVD-Virus aufgetreten, heißt es in dieser Mitteilung, die der EU-Ausschuss des Bundesrates nach zustimmenden Wortmeldungen der BundesrätInnen Monika Mühlwerth (F/W), Elisabeth Kerschbaum (G/N) und Friedrich Hensler (V/N) einstimmig verabschiedete. (Schluss)