Parlamentskorrespondenz Nr. 554 vom 01.06.2011

Wahlrecht: Breite Zustimmung zu Änderungen bei Briefwahl

Ausschussberatungen über Gesetzentwurf nach Hearing vertagt

Wien (PK) – Das Wahlrecht für Nationalratswahlen und andere bundesweite Urnengänge könnte noch vor dem Sommer geändert werden. Bei einem Hearing im Verfassungsausschuss des Nationalrats zeichnete sich eine breite Mehrheit für ein Änderung der Briefwahl-Bestimmungen ab. Allerdings müssen noch einige offene Fragen geklärt werden. Sowohl die heute geladenen Experten als auch jene Stellen, von denen eine schriftliche Stellungnahme zum Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 eingefordert wurde, haben Probleme in einzelnen Bereichen aufgezeigt. Neben der Verhinderung von Missbrauch bei der Briefwahl geht es insbesondere auch um die Aufhebung jenes Gesetzespassus, der Mitgliedern des Hauses Habsburg die Kandidatur bei Bundespräsidentenwahlen untersagt, sowie um die Ausweitung des Wahlrechts für Strafgefangene in Folge einer Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs.

Basis für das heutige Hearing bildeten eine gemeinsame Gesetzesinitiative der Koalitionsparteien und des BZÖ sowie sechs Oppositionsanträge (600/A, 914/A, 1001/A, 1002/A, 1098/A, 1398/A[E]). So sieht etwa das von SPÖ, ÖVP und BZÖ vorgelegte Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 vor, die Nachfrist für das Einlangen von Wahlkarten gänzlich zu streichen und bei der Stimmauszählung nur noch Wahlkarten zu berücksichtigen, die bis spätestens 17 Uhr des Wahltags bei der zuständigen Bezirkswahlbehörde eingelangt sind. Im Gegenzug sollen Wahlfristen vorverlegt und die Abgabemöglichkeiten für Wahlkarten erweitert werden. Weiters will man bei der Ausgabe von Wahlkarten mehr Sorgfalt walten lassen. Diese Anliegen werden auch von den Grünen geteilt. Das BZÖ fordert darüber hinaus ein Veröffentlichungsverbot von Wahlprognosen und Meinungsumfragen über potentielles Wählerverhalten in den letzten zwei Wochen vor der Wahl.

Die Meinungen der geladenen Experten zum Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 beim heutigen Hearing waren unterschiedlich. Zwar stellten Bernd-Christian Funk, Heinz Mayer, Klaus Poier, Robert Stein und Eike Lindinger einhellig außer Streit, dass durch den Gesetzentwurf Wahlbetrug durch taktisches Wählen künftig ausgeschlossen sei, allerdings äußerten sich Mayer und Lindinger zur Briefwahl generell skeptisch. Sie sehen durch dieses Instrument den Grundsatz des geheimen Wahlrechts de facto als abgeschafft, eine Auffassung, die auch die FPÖ vertrat. Bernd-Christian Funk verwies insbesondere auf notwendige Nachbesserungen bei den neu formulierten Wahlausschließungsgründen für Strafgefangene.

Im Anschluss an das Hearing wurden die Beratungen über das Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 und die Oppositionsanträge vertagt.

Funk: Nachbesserungen bei Wahlausschluss von Strafgefangenen nötig

Eingeleitet wurden die Stellungnahmen der Experten durch den Verfassungsexperten Bernd-Christian Funk. Er befasste sich insbesondere mit dem Ausschluss von Strafgefangenen vom Wahlrecht und gab zu bedenken, dass es laut Europäischem Menschengerichtshof eine Verhältnismäßigkeit zwischen Delikt und Wahlausschluss geben müsse und Einzelfallprüfungen erforderlich seien. Er sieht diese Grundsätze durch die vorliegenden Gesetzesbestimmungen nicht zur Gänze erfüllt und trat in diesem Sinn für Nachbesserungen ein. Funk kann sich etwa vorstellen, den vorgesehenen Deliktkatalog zu streichen und es in jedem einzelnen Fall den Gerichten zu überlassen, ob der verurteilte Straftäter auch vom Wahlrecht ausgeschlossen wird. Rechtlich möglich wäre seiner Ansicht nach auch, auf die Nebenstrafe "Wahlausschluss" gänzlich zu verzichten, wie er auf Nachfrage der Grünen festhielt.

Was die Briefwahl betrifft, stellte Funk klar, dass diese verfassungskonform sei. Er hält den derzeitigen Passus in der Verfassung aber als "unsauber" formuliert. Seiner Meinung nach ist es  nicht konsequent, zum einen den Eindruck zu erwecken, dass die Briefwahl eine Ausnahme sein soll, und auf der anderen Seite nicht dafür zu sorgen, dass dieses Recht tatsächlich nur in Ausnahmefällen in Anspruch genommen wird. "Sauberer" wäre es zu sagen, wer von der Briefwahl Gebrauch machen möchte, solle dies tun, meinte er.

Lindinger und Mayer: Briefwahl muss Ausnahme bleiben

Rechtsanwalt Eike Lindinger zeigte sich mit der Neuformulierung der Wahlauschließungsgründe für Strafgefangene ebenfalls nicht zufrieden. So würde etwa die aufgedeckte Wahlkartenfälschung durch einen burgenländischen Bürgermeister auf Grund einer bedingten Strafe nicht zum Ausschluss vom aktiven Wahlrecht führen, skizzierte er. Außerdem ortet er Datenschutzprobleme durch die öffentlich einsehbare Wählerevidenz. Im Grunde sei der Verlust des Wahlrechts für verurteilte Straftäter aber kein zentrales Problem, hielt Lindinger mit Hinweis auf seine Erfahrungen in der Praxis fest.

Weitgehend ablehnend äußerte sich der Rechtsanwalt zur Briefwahl. Er erinnerte daran, dass diese ursprünglich nur für AuslandsösterreicherInnen gedacht gewesen sei, und sprach sich dagegen aus, diese zum Normalfall zu machen. Seiner Ansicht nach ist durch die Briefwahl der Wahlgrundsatz der geheimen und persönlichen Wahl gefährdet. Würden beispielswiese 80% der WählerInnen BriefwählerInnen sein, wäre, so Lindinger, ein zentrales Verfassungsprinzip ausgehöhlt. Dieses grundsätzliche Problem könne durch die vorgesehene Bestimmung nicht behoben werden, wonach Wahlkarten bis zum Wahlschluss bei der Behörde eingelangt sein müssten.

Verfassungsrechtler Heinz Mayer machte geltend, dass das bestehende Wahlrecht an drei gravierenden Problemen leide. Zwei davon, nämlich die Möglichkeit des taktischen Wählens sowie die zu leichte Zugänglichkeit zu Wahlkarten, würden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf im Wesentlichen beseitigt und Manipulationsmöglichkeiten weitgehend ausgeschaltet, erklärte er. Die geplanten Bestimmungen seien "ein gelungener Kompromiss zwischen Sicherheit und Praktikabilität".

Am dritten gravierenden Problem, der Briefwahl an sich, ändere der Gesetzentwurf allerdings nichts, bemängelte Mayer. Er sprach sich dafür aus, Artikel 26 der Bundesverfassung so umzuformulieren, dass die Briefwahl tatsächlich eine Ausnahme bleibe. Eine höhere Wahlbeteiligung dürfe nicht durch die Aufgabe des geheimen Wahlrechts erkauft werden, mahnte er. Die Briefwahl sei zwar nicht verfassungswidrig, aber demokratiepolitisch bedenklich. Mayer plädierte demgegenüber für einen zweiten Wahltag.

Die Wahlausschließungsgründe für Strafgefangene könnten Mayer zufolge theoretisch gänzlich aus dem Wahlrecht beseitigt werden. Am nähesten kommt man seiner Ansicht nach der Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs, wenn man die Entscheidung in jedem Einzelfall den Gerichten überlasse.

Poier: Missbrauch der Briefwahl soll stärker geahndet werden

Wahlrechtsexperte Klaus Poier äußerte sich als klarer Verfechter der Briefwahl und wandte sich strikt dagegen, diese einzuschränken. Österreich sei ohnehin eines der letzten demokratischen Länder der Welt gewesen, wo dieses Instrument eingeführt worden sei, skizzierte er. Poier zufolge konnte durch die Briefwahl eine deutliche Steigerung der Wahlbeteiligung verzeichnet werden. Um Manipulationen einzuschränken, kann er sich vorstellen, die Strafbestimmungen für den Missbrauch der Briefwahl zu verschärfen, die geltende eidesstattliche Erklärung hält er für eine ungünstige Lösung.

Ein wichtiger Schritt, um Wahlbetrug zu verhindern, wird laut Poier mit dem vorliegenden Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 gesetzt. Die Bestimmung, wonach Briefwahlkarten bis um 17 Uhr des Wahltages eingelangt sein müssen, ist für ihn der richtige Weg, auch wenn AuslandsösterreicherInnen dadurch de facto drei Tage verlieren.

Bei der Zustellung der Wahlkarten ist man nach Auffassung Poiers im Gesetzentwurf allerdings "etwas zu restriktiv geworden". Die Zustellung per eingeschriebenen Brief sei eine zu große Hürde und würde den Zugang zur Briefwahl massiv erschweren, bemängelte er. Da bei einer Zustellung an den Hauptwohnsitz die Manipulationsgefahr gering sei, könnte man, so Poier, in diesen Fällen auch bei einer einfachen Zustellung bleiben. Mit Funk einer Meinung zeigte sich Poier bei der kritischen Bewertung des Artikel 26 B-VG. Bei den Strafgefangenen tendierte er in Richtung Einzelfallprüfungen.

Stein: Gesetzesvorschlag ist praktikabel und realitätsnah

Der Leiter der Abteilung Wahlangelegenheiten im Innenministerium Robert Stein bewertete das Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 weitgehend positiv. Es sei gelungen, eine möglichst praktikable Lösung zu finden, die realitätsnah und so unbürokratisch wie möglich sei, meinte er. Das gelte auch für die von Rechtsanwalt Lindinger kritisierte "Botenregelung" bei der Zustellung von Wahlkarten. Besonders begrüßt wurde von ihm, dass taktisches Wählen in Hinkunft ausgeschlossen ist. Was die eidesstattliche Erklärung auf der Wahlkarte betrifft, geht Stein davon aus, dass eine Unterschriftenfälschung sehr wohl strafbar wäre.

Anpassungsbedarf sieht Stein noch bei jener Bestimmung, der zufolge die Gemeinden verpflichtet sind, nicht abgeholte Wahlkarten bei den Postgeschäftsstellen einzusammeln und zu den jeweiligen Wahlsprengeln zu bringen, um betroffenen WählerInnen das Wählen am Wahltag noch zu ermöglichen. Grundsätzlich sei diese Bestimmung "ein absolutes Muss", wolle man verhindern, dass tausende Briefwahlkarten auf der Post liegen bleiben, sagte er, es müssten aber noch Adaptierungen erfolgen. Ob Wahlfristen weiter vorverlegt werden sollten, um AuslandsösterreicherInnen länger die Möglichkeit zum Wählen zu geben, ist für Stein eine politische Frage, seiner Meinung könnte das Problem auch durch einen von Montag auf Freitag vorgezogenen Versand der Wahlkarten gelöst werden.

Was die Wahlausschließungsgründe betrifft, werde künftig niemand mehr ohne eine Einzelfallentscheidung durch den Richter vom Wahlrecht ausgeschlossen, hielt Stein fest.

Diskussion: FPÖ übt scharfe Kritik an Briefwahl

Im Rahmen der Diskussion übte die FPÖ scharfe Kritik an der Briefwahl und schloss sich den Ausführungen von Verfassungsexperten Heinz Mayer an. Mit der Briefwahl werde das geheime Wahlrecht unterlaufen, erklärte etwa Abgeordneter Peter Fichtenbauer. Es gebe außerdem keinen Beleg, dass durch die Briefwahl die Wahlbeteiligung steige. Ähnlich äußerte sich auch Abgeordneter Walter Rosenkranz der von einer gefährlichen Gratwanderung sprach. Der Staat habe dafür zu sorgen, dass das Wahlrecht geheim bleibe, bekräftigte er.

Was den Ausschluss vom Wahlrecht für Strafgefangene anlangt, verlange der Europäische Menschengerichtshof eine Einzelfallprüfung, betonte Rosenkranz. Er hielt es allerdings für "eine nicht wahnsinnig befriedigende Situation", wenn ein einzelner Richter über das Wahlrecht einer Einzelperson entscheide.

Seitens der Grünen wertete es Abgeordnete Daniela Musiol als erfreulich, dass ein Antrag auf Änderung des Wahlrechts vorliege. Es gebe schon länger Handlungsbedarf betonte sie. Im Entwurf der Koalitionsparteien und des BZÖ seien auch einige Anliegen der Grünen zu finden. Als positiv qualifizierte sie beispielsweise die Änderungen bei der Briefwahl, auch wenn sie bezweifelte, dass bei der Beantragung und Zustellung von Wahlkarten ausreichend Vorsorge gegen möglichen Missbrauch getroffen worden sei.

Skeptisch äußerten sich die Grünen zur vorgesehenen Änderung der Wahlausschließungsgründe für Strafgefangene. Sowohl Musiol als auch Abgeordneter Albert Steinhauser sprachen sich für eine klare Trennung zwischen den strafrechtlichen Konsequenzen einer Straftat und einem Ausschluss vom Wahlrecht aus. Er frage sich, ob ein Ausschluss vom Wahlrecht für Strafgefangene überhaupt noch zeitgemäß sei, sagte Steinhauser, schließlich drohe durch den Wahlakt keine Gefahr für die Demokratie. Die Ausübung des Wahlrechts könnte im Gegenteil ein erster Schritt zur Resozialisierung des Strafgefangenen sein.

Abgeordneter Günther Kräuter (S) sprach sich gegen das Abschaffen der Briefwahl aus, ortet aber einigen Verbesserungsbedarf. Gänzlich werde man Missbrauch nie verhindern können, meinte er und ergänzte, persönlich gefalle ihm das Instrument des Vorwahltags besonders gut. Seine Fraktionskollegin Sonja Steßl-Mühlbacher wies darauf hin, dass es im Rahmen der schriftlichen Stellungnahmen mehrere Einwände gegen jenen Passus gegeben habe, der Gemeinden verpflichtet, bei Postpartnern hinterlegte und nicht abgeholte Wahlkarten einzusammeln und zeitgerecht auf die einzelnen Wahlsprengel zu verteilen.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) wandte sich ebenfalls gegen eine Abschaffung der Briefwahl. Man müsse Vor- und Nachteile abwägen, erklärte er. Wolle man die Briefwahl abschaffen, müsste man sie konsequenterweise auch AuslandsösterreicherInnen untersagen. Sinnvoller wäre es, so Scheibner, die Strafbestimmungen bei Missbrauch der Briefwahl zu verschärfen. Scheibner warb auch für den Antrag des BZÖ, in den letzten zwei Wochen vor der Wahl die Veröffentlichung von Meinungsumfragen zu verbieten, da diese seiner Ansicht nach bewusst dafür genützt würden, das Wählerverhalten der Bevölkerung zu manipulieren.

Abgeordneter Reinhold Lopatka (V) beurteilte das Instrument der Briefwahl generell positiv. Man solle es WählerInnen möglichst leicht machen, ihr Wahlrecht auszuüben, unterstrich er. In Zeiten zunehmender Mobilität komme der Briefwahl immer größere Bedeutung zu. Lopatka machte darauf aufmerksam, dass bei den letzten Nationalratswahlen fast 9% der WählerInnen per Briefwahl abgestimmt haben. Aufgreifen sollte man ihm zufolge die vom Bund der Auslandsösterreicher geäußerten Bedenken in Bezug auf die Wahlfristen.

Zur Abschaffung des Habsburg-Passus merkte Lopatka an, die österreichische Republik sei längst stark genug, um die Kandidatur eines Mitglieds der Familie Habsburg bei Bundespräsidentenwahlen auszuhalten.

Seitens der ÖVP bekannten sich außerdem Abgeordneter Heribert Donnerbauer und Martin Bartenstein ausdrücklich zur Briefwahl. Donnerbauer warnte davor, die Briefwahl-Bestimmungen unnötig zu verkomplizieren.

Auf eine Frage von Abgeordnetem Kräuter hielt Verfassungsrechtler Funk fest, er sehe durch die Streichung des Habsburg-Passus keinerlei Vermögensfolgen. Eine falsche eidesstattliche Erklärung hat seiner Meinung nach keine strafrechtlichen Konsequenzen.

Am Beginn der Sitzung war Abgeordnter Reinhold Lopatka (V) anstelle seines Fraktionskollegen Wilhelm Molterer zu einem der Obmann-Stellvertreter des Verfassungsausschusses gewählt worden. (Schluss)