Parlamentskorrespondenz Nr. 665 vom 29.06.2011

VolksanwältInnen orten nach wie vor Missstände in der Jugendwohlfahrt

Ausschuss setzt Beratungen über Volksanwaltschaftsbericht 2010 fort

Wien (PK) – Der Volksanwaltschaftsausschuss des Nationalrats hat heute seine Beratungen über den Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft 2010 fortgesetzt. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei der Themenkomplex Justiz, wobei neben den drei VolksanwältInnen auch zwei VertreterInnen des Justizministeriums für Auskünfte zur Verfügung standen. Konkret ging es etwa um Beschwerden aus dem Bereich der Sachwalterschaft, unzureichende Unterhaltsvorschüsse, die Einrichtung von Schlichtungsstellen im Vorfeld von Scheidungsverfahren und Fälle von Kindesentführung durch einen Elternteil. Zum Teil knüpften die Abgeordneten dabei an die vergangene Woche geführten Ausschussberatungen an (siehe PK Nr. 643/2011). Zur Sprache kamen außerdem Missstände in der Jugendwohlfahrt, Härtefälle in Zusammenhang mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und Themen aus dem Gesundheitsbereich.

Volksanwältin Gertrude Brinek wies im Rahmen der Diskussion darauf hin, dass die Volksanwaltschaft regelmäßig mit Beschwerden über den Justizbereich konfrontiert werde, auch wenn es nicht in ihre Kompetenz falle, die autonome Rechtsprechung zu prüfen. Hilfe erwarten sich die BeschwerdeführerInnen etwa bei der Interpretation von Urteilen, der Aufklärung über den Instanzenzug und dem Verständnis von Schriftstücken. Gerichte und RechtsanwältInnen würden viele Kürzel und Ausdrücke außerhalb des normalen Sprachgebrauchs verwenden, kritisierte Brinek, dieser typische Juristenjargon trage nicht dazu bei, das Vertrauen der Betroffenen in die Gerichte zu stärken.

Was die Sachwalterschaft betrifft, fühlten sich umsorgende Familienangehörige oder hilfreiche Nachbarn immer wieder von Entscheidungen ausgeschlossen, berichtete Brinek. Oft würde Geld vorgeschossen, um den besachwalteten Personen einen Wunsch zu erfüllen oder ihre Situation zu verbessern. Um dessen Ersatz müsse dann monatelang mit dem Sachwalter gestritten werden, da dieser den alleinigen Zugang zu Konten und Vermögen habe. Überdies reiche der gesetzlich verpflichtende Kontakt zwischen Sachwalter und besachwalteter Person einmal im Monat häufig nicht aus.

Die in der letzten Gesetzesnovelle verankerte Höchstzahl von Sachwalterschaften pro Person würde häufig nicht eingehalten, machte Brinek geltend. Am häufigsten beschwerten sich Leute über RechtsanwältInnen, die Sachwalterschaften ausüben, Sachwaltervereine seien weniger betroffen. Als ein Problem sieht Brinek auch, dass ein Sachwalterwechsel nur von der besachwalteten Person selbst beantragt werden kann.

Die Ausführungen Brineks wurden durch einen Vertreter des Justizministeriums ergänzt. Er gab zu bedenken, dass die Bestellung eines externen Sachwalters oft deshalb notwendig sei, weil bei den Familienmitgliedern finanzielle Interessen im Vordergrund stünden. In manchen Fällen sei es unmöglich, ein Familienmitglied als Sachwalter zu bestellen, bekräftigte er.

Den zuletzt verzeichneten Rückgang von Beschwerden über den Justizbereich bei der Volksanwaltschaft führte der Ressortvertreter nicht zuletzt darauf zurück, dass sich das Justizministerium sehr darum bemühe, RichterInnen und andere GerichtsmitarbeiterInnen im Umgang mit Beschwerden zu schulen, und immer wieder auch auf die Bedeutung der Verwendung von einfacher Sprache verweise. Er wisse aber, dass hier noch einiges im Argen liege, meinte er. Zweiter Grund für den Beschwerderückgang sind für ihn die bei den Oberlandesgerichten eingerichteten Justizombudsstellen, die jährlich 3.000 bis 4.000 Fälle bearbeiten würden.

Der Experte des Justizressorts nahm darüber hinaus zum nach wie vor bestehenden Sachverständigenmangel bei Pflegschaftsverfahren Stellung und hielt fest, es gebe zu wenig PsychologInnen und PsychiaterInnen, die in diesem Bereich tätig sein wollten. Nach Ansicht einer Vertreterin des Ministeriums könnte das Problem möglicherweise durch eine Erhöhung der geringen Tarife teilweise gelöst werden.

Unterhaltsvorschuss: Brinek sieht nach wie vor ungelöste Probleme

Zum Thema Unterhaltsvorschuss hielt Volksanwältin Brinek fest, das Modell sei so konzipiert, dass sich die Vorschusszahlungen nicht an den Bedürfnissen der betroffenen Kinder orientierten, sondern an der Chance, das Geld vom Unterhaltspflichtigen wieder einzubringen. Mit dem letzten Familienrechtspaket sind ihrer Meinung nach zwar einzelne Verbesserungen erfolgt, viele Problemfelder seien aber aufrecht geblieben. Brinek erachtet es etwa als problematisch, dass Unterhaltsvorschüsse nur bis zum 18. Lebensjahr vorgesehen sind, obwohl viele höhere Schulen erst mit 19 Jahren abgeschlossen würden.

Zur Forderung von Abgeordneter Sonja Ablinger (S), Unterhaltsvorschüsse generell bis zum Ende der Ausbildung zu gewähren, hielt eine Vertreterin des Justizministeriums fest, das Gesetz knüpfe bewusst an die Volljährigkeit an, weil man sonst in einen kompetenzrechtlichen Konflikt mit den Ländern kommen würde. Auch eine Erweiterung der Bestimmungen sei aus diesem Grund schwierig. Warum Unterhaltsvorschüsse gezahlt werden, wenn der Vater in Österreich eine Haftstrafe absitzt, nicht aber, wenn er im Ausland inhaftiert ist, begründete sie damit, dass die Vorschusszahlungen als Äquivalent für die Arbeitsleistung des Häftlings gesehen würden.

Die Vorbereitungen für das Modellprojekt Familiengerichtshilfe sind nach Darstellung der Ministeriumsvertreterin im Wesentlichen abgeschlossen. Die Schlichtungsstellen sollen eine Art "Clearing-Funktion" im Vorfeld von Scheidungen wahrnehmen und an verschiedenen Gerichtsstandorten, auch außerhalb von Wien, erprobt werden. Die Ressortvertreterin rechnet mit einer Aufnahme der Tätigkeit der Stellen im Herbst bzw. Winter 2011.

Dem Justizministerium ein wesentliches Anliegen ist der Ressortvertreterin zufolge auch die korrekte Trennung zwischen Strafvollzug und Maßnahmenvollzug in den Justizanstalten. Hier hatte es zuletzt Kritik von der Volksanwaltschaft gegeben.

Jugendwohlfahrt: Kostelka bemängelt stockende Verhandlungen

Volksanwalt Peter Kostelka ging auf Fragen zum Thema Jugendwohlfahrt ein und sprach im Zusammenhang mit den noch immer nicht abgeschlossenen Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern von einer "sehr traurigen und betrüblichen Geschichte". Obwohl der Bund sich bereit erklärt habe, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, sei eine Einigung über bundesweit einheitliche Mindeststandards nach wie vor ausständig.

Wie Kostelka schilderte, gibt es im Bereich der Jugendwohlfahrt extrem große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. So hätten einige Bundesländer angesichts der generell bestehenden personellen Unterbesetzung mit einer Personalaufstockung begonnen, während andere Länder überhaupt nicht reagierten. Das gleiche gelte für das 4-Augen-Prinzip, das nicht überall selbstverständlich sei. Kostelka wertete es in diesem Zusammenhang als "zynisch", von einem sinnvollen Wettbewerb der Bundesländer zu sprechen.

"Unerträgliche Zustände" herrschen laut Kostelka zum Teil auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er berichtete etwa von einem Fall, bei dem ein 10-jähriges Kind tagelang festgeschnallt gewesen sei.

Regelmäßig Beschwerden an die Volksanwaltschaft werden laut Kostelka auch über Kindesentführungen, meist durch den Vater, gelegentlich aber auch durch die Mutter, herangetragen. Das Haager Übereinkommen, das eine internationale Anerkennung erstinstanzlicher Entscheidungen vorsieht, hat seiner Darstellung nach bestehende Probleme – entgegen ursprünglicher Erwartungen – nicht zur Gänze beseitigt. Vielmehr seien im Gegenzug neue Probleme aufgetreten.

Generell wies Kostelka darauf hin, dass die Volksanwaltschaft, wenn sie in Zusammenhang mit Beschwerden auf mutmaßliche strafgesetzliche Tatbestände wie etwa Korruption stoße, der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung übermittle.

Staatsbürgerschaft: Stoisits fordert Beseitigung von Härten

Volksanwältin Terezija Stoisits machte abseits des Themenkomplexes Justiz auf ein Problemfeld in Zusammenhang mit der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft aufmerksam. In Folge der letzten Staatsbürgerschaftsnovelle komme es immer wieder zu extremen Härten, die ihrer Ansicht nach nicht beabsichtigt gewesen sind. Jemand, der unverschuldet in eine finanzielle Notlage gerate, etwa weil er Opfer eines Verkehrsunfalls wurde, habe überhaupt keine Chance mehr, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten, auch wenn er noch so lange in Österreich lebe und alle anderen Kriterien erfülle, skizzierte sie. Ein Grund dafür sei nicht zuletzt, dass Leistungen wie Pflegegeld nicht für den Nachweis des ausreichenden Unterhalts angerechnet würden. Die VolksanwältInnen drängten auf mehr Ermessensspielraum für die BeamtInnen.

Auf Anfrage von Abgeordnetem Wolfgang Zinggl (G) berichtete Stoisits außerdem über den Fall eines nigerianischen Asylwerbers, der zum Zweck der Umschreibung seines Führerscheins seinen Reisepass bei der Behörde abgegeben und - trotz einer mittlerweile erfolgten kollegialen Missstandsfeststellung der Volksanwaltschaft - bis heute nicht zurückbekommen habe. Die vom Innenministerium in diesem Zusammenhang genannte Begründung ist für sie nicht nachvollziehbar. Der Volksanwaltschaft seien aber die Hände gebunden.

Stoisits wies auch auf häufige Anrainerbeschwerden im Umfeld von Wirtshäusern und anderen Lokalen hin. Ihrer Meinung nach kann man dem "Dilemma" aufgrund der bestehenden Gesetzeslage aber nur schwer "entrinnen", da auch eine Verkürzung der Sperrstunde oft keine Lösung bringe. Am sinnvollsten erachtet sie irgendeine Form von Mediation.

Kostelka mahnt strengere Kontrolle des Tabakgesetzes ein

Volksanwalt Kostelka mahnte in Zusammenhang mit Lokalen eine strengere Kontrolle des Tabakgesetzes ein. Für ihn ist es nicht einsichtig, dass Verstöße gegen das Rauchverbot in Lokalen nicht genauso geahndet würden wie Geschwindigkeitsübertretungen im Straßenverkehr. Die mangelnde Kontrolle habe zur Folge, dass private "Rauchersheriffs" aktiv würden.

Was die Rezeptgebührenobergrenze betrifft, vertrete er im Einklang mit Gesundheitsminister Alois Stöger die Auffassung, dass Medikamente, die weniger als die Rezeptgebühr kosten, bei der Berechnung berücksichtigt werden müssten, führte Kostelka aus. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger gehe hier "völlig irrational" vor, kritisierte er. Stöger habe ihm gegenüber eine Gesetzesänderung in Aussicht gestellt, sollte der Hauptverband nicht von sich aus einlenken. In Bezug auf die erlaubten Arbeitszeiten in Krankenanstalten ist die österreichische Rechtslage laut Kostelka nach wie vor "in eklatanter Weise EU-rechtswidrig".

Abgeordnete Susanne Winter (F) hatte zuvor auch die unterschiedlichen Selbstbehalte für medizinische Leistungen, etwa für Brillen, Zahnspangen und orthopädische Behelfe, kritisiert und deren Abschaffung bzw. zumindest soziale Staffelung gefordert.

Zur von Abgeordneter Gertrude Aubauer (V) angesprochenen Streichung des Alleinverdienerabsetzbetrags für Paare, in deren Haushalt keine Kinder leben, hielt Volksanwältin Brinek fest, es gebe dazu auch bei der Volksanwaltschaft Beschwerden. Hier bleibe ihr aber nichts anderes übrig, als auf die gesetzliche Lage zu verweisen. Das zuständige Ministerium habe ihr mitgeteilt, dass eine besondere Berücksichtigung sozialer Härten einen zu hohen Verwaltungsaufwand verursachen würde. Aubauer hatte zuvor darauf verwiesen, dass die teilweise Streichung des Alleinverdienerabsetzbetrags vor allem Pensionistenpaare hart treffe.

Mit ihren Stellungnahmen antworteten die drei VolksanwältInnen und die zwei VertreterInnen des Justizressorts auf Fragen der Abgeordneten Anna Höllerer (V), Anneliese Kitzmüller (F), Hannes Fazekas (S), Johann Hechtl (S), Sonja Ablinger (S), Susanne Winter (F), Ewald Sacher (S),  Gertrude Aubauer (V), Wolfgang Zinggl (G) und Bernhard Vock (F).

Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) berichtete von einem erfolgreichen Einschreiten der Volksanwaltschaft in Zusammenhang mit der Auszahlung von Agrarförderungen. Die Behörde habe rasch reagiert und gehe nun einheitlich vor, skizzierte er.

Der Bericht der Volksanwaltschaft wurde mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen zur Kenntnis genommen. (Schluss)