Parlamentskorrespondenz Nr. 666 vom 29.06.2011

Österreich soll "Speerspitze" im Kampf gegen Kernenergie werden

Aktuelle Aussprache im Umweltausschuss zum Thema Atomausstieg

Wien (PK) – Seine heutige Sitzung leitete der Umweltausschuss mit einer Aktuellen Aussprache zum Thema "Weltweiter Atomausstieg" ein. Um die Herausforderungen, die sich mit diesem Ziel verbinden, eingehend beleuchten zu können, hatten die Fraktionen dazu Auskunftspersonen geladen, die den MandatarInnen Rede und Antwort standen.

Des Weiteren befasste sich der Umweltausschuss mit einer Reihe von Oppositionsanträgen, die jedoch allesamt vertagt wurden – eine Vorgangsweise, die von FPÖ, BZÖ und Grünen heftig kritisiert wurde. In ihren Entschließungsanträgen fordern die Freiheitlichen die Überprüfung eines Stromanbieterwechsels für alle Bundesgebäude zur Sicherstellung des Bezugs von garantiert atomstromfreier Energie  (1518/A[E]), die Umstellung von Bundesgebäuden auf LED-Beleuchtung (1545/A[E]) sowie die Errichtung von Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden – insbesondere Schulen und Kindergärten – samt visueller Darstellung ihres volkswirtschaftlichen Gesamtnutzens (1137/A[E]). Das BZÖ setzt sich in seinem Antrag für zinsfreie, staatliche Kredite zum Zweck der thermischen Sanierung ein (485/A[E]), während die Grünen auf die Erlassung eines Bundesgesetzes zum Schutz von Mensch und Umwelt vor Schäden durch nichtionisierende/elektromagnetische Strahlung pochen (675/A[E]).

Vor Eingang in die Tagesordnung bedauerte V-Mandatar Hermann Schultes, dass das im Ministerrat beschlossene Klimaschutzgesetz heute nicht im Ausschuss diskutiert werden könne: Die Grüne Ausschussobfrau habe es schließlich nicht auf die Tagesordnung gesetzt. G-Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber und B-Mandatar Robert Lugar konnten die diesbezügliche "Erregung" der ÖVP nicht nachvollziehen, schließlich sei das angesprochene Gesetz keiner Begutachtung unterzogen worden – ein Argument, das auch Ausschussobfrau Christiane Brunner im Rahmen der Begründung ihrer Entscheidung vorbrachte.

Berlakovich wirbt für "rot-weiß-roten Schulterschluss"

Umweltminister Nikolaus Berlakovich bekräftigte einmal mehr, dass Österreich Kernenergie in keinster Weise für eine Option halte, gab aber zu bedenken, dass eine Reihe anderer Staaten sehr wohl für sie eintrete: Bei der Klimakonferenz in Cancún hätten schließlich einige Länder dafür optiert, das Klimaschutzprogramm um Projekte zu erweitern, die in Atomkraft investierten. Aus Fukushima gelte es jedoch, die richtigen Schlüsse zu ziehen: Österreich habe deshalb gegen diese Ausweitung votiert und könne damit einen nicht unwesentlichen Erfolg auf dem Weg zu einer atomfreien Welt verbuchen.

Die Haltung der österreichischen Republik zur Frage der Kernenergie sei auch auf europäischer Ebene eindeutig, meinte Berlakovich, der einräumte, dass man deshalb lange Zeit als "Sonderling" betrachtet worden war. Diese Betrachtungsweise unterliege jedoch spätestens seit dem Reaktorunglück von Fukushima einem Wandel: In zähen Verhandlungen sei es schließlich sogar gelungen, Deutschland "ins Boot zu holen". Österreich spiele nach wie vor eine führende Rolle im Rahmen der europäischen Anti-Atompolitik und habe sich deshalb auch für die Durchführung von Stresstests für AKWs ausgesprochen, skizzierte Berlakovich.

Last but not least verwies der Umweltminister auf den Aktionsplan, den die Bundesregierung beschlossen hat und der laut Berlakovich eine Energiewende festschreibt: Bis 2015 wolle man unabhängig von Atomstromimporten werden, weshalb es die Energieeffizienz zu erhöhen und in erneuerbare Energie zu investieren gelte. Hierzu bedürfe es allerdings noch der Verabschiedung der diesbezüglichen gesetzlichen Grundlagen, die Berlakovich im Ökostrom- und Klimaschutzgesetz ortete. Die Abstimmung des letzteren auf den "St. Nimmerleinstag" zu verschieben, halte er für einen großen "politischen Fehler" der Grünen Fraktion.

Es brauche auch keinen Wettlauf um den Titel "bester Anti-Atomkämpfer", sondern einen "rot-weiß-roten Schulterschluss" aller politischen und zivilgesellschaftlichen Akteure, zeigte sich Berlakovich überzeugt: Das Erreichte schlecht und klein zu reden, sei schließlich nicht der richtige Weg. Österreich solle lieber seine Funktion als "Speerspitze" im Widerstand gegen Kernkraft ausbauen, schloss der Umweltminister.

Schinerl: Österreich darf nicht auf Atomstromimporte angewiesen sein

Niklas Schinerl (Greenpeace) skizzierte die Situation in Hinblick auf jene Atomkraftwerke, die sich in direkter Nachbarschaft zu Österreich befinden. Erfreut zeigte sich der Experte dabei über die Tatsache, dass Deutschland endlich aus der Atomenergie aussteigen will und seine acht ältesten Reaktoren bereits abgeschaltet hat. Es gelte jedoch im Auge zu behalten, ob diese Linie auch weiterhin konsequent verfolgt werde. Dass sich auch Italien im Rahmen einer Anti-Atom-Volksabstimmung zu 95% gegen die Anwendung nuklearer Technologien ausgesprochen habe, sei ein weiterer positiver Schritt für Österreich, denn damit käme es nun nicht mehr zu AKW-Neubauten in Grenznähe. Was die Schweiz anbelange, könne man leider nur wenig Erfreuliches berichten: Die dortigen AKWs würden nunmehr bis zu 50 Jahre betrieben und damit für eine Zeitspanne, für die sie nicht konzipiert wären. In Hinblick auf das slowenische Kernkraftwerk Krško diskutiere man neben der Verlängerung der Laufzeit des ersten Reaktors auch den Bau eines zweiten Reaktors. Eine ähnliche Entwicklung sei außerdem auch in Tschechien und der Slowakei zu beobachten, wo man einen Ausbau der Reaktorkapazitäten anstrebe, um mehr Atomstrom exportieren zu können.

Als internationale Organisation denke Greenpeace auch nicht in der von Bundesminister Berlakovich vorgeschlagenen Kategorie des "nationalen Schulterschlusses": Man werde also auch weiterhin an negativen Entwicklungen Kritik üben und Positives lobend hervorheben. Dass Österreich auf europäischer Ebene wieder gegen Atomkraft kämpfe, erkenne er dementsprechend durchaus an.

Liebel: Österreich kommuniziert seinen Standpunkt auch international

Günther Liebel (Sektionschef BMLFUW) erklärte, Österreich kommuniziere seine ablehnende Haltung gegen Kernenergie auch auf internationaler Ebene klar und unmissverständlich. Als Sitz der Internationalen Atombehörde IAEO habe man sich deshalb auch immer wieder kritisch zu Fragen der nuklearen Sicherheit zu Wort gemeldet. Des Weiteren bringe sich Österreich auch in der Nuclear Energy Agency der OECD und verschiedenen europäischen Arbeitsgruppen aktiv ein, gab Liebel zu bedenken.

Was den EURATOM-Vertrag anbelange, gebe er den rechtlichen Spielraum für die Europäische Union in Fragen der Kernenergie vor. Vor diesem Hintergrund habe man auch die Richtlinie über die nukleare Sicherheit von Atomanlangen sowie die Richtlinie über atomare Abfälle verabschiedet, mit denen diesbezügliche Mindeststandards festgeschrieben wurden. Die Zahlungen, die Österreich jährlich für die Finanzierung von EURATOM leiste, bewegten sich zwischen 20 und 22 Mio. € jährlich und bildeten einen Teil des gemeinsamen Budgetrahmens, erläuterte Liebel.

Egger: Österreich muss aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen

Da Österreich einen weltweiten Atomausstieg lanciere, sei es nicht einsehbar, dass die Republik EURATOM-Mitglied bleiben wolle, stellte Roland Egger (Initiative Atomkraftfrei Leben, Initiator des EURATOM-Volksbegehrens) fest. Die Argumente, die man bislang gegen diesen Schritt aufgeboten habe, könnten angesichts der vorliegenden Daten auch leicht entkräftet werden: Schließlich dürfe man nicht von einer wirksamen Nutzung des Mitspracherechts sprechen, wenn man im Ernstfall einer Verdreifachung der Mittel für die Atomforschung zustimme, wie dies 2007 geschehen sei, gab Egger zu bedenken. Und auch der Hinweis auf eine mögliche Einflussnahme auf Strahlenschutzregelungen sei kein zielführendes Argument: Schließlich habe sich gezeigt, dass die Strahlenschutzwerte von Seiten der Europäischen Kommission nach dem Unglück von Fukushima schnell nach oben gesetzt wurden. Die Bevölkerung sehe nicht ein, warum Österreich an dieser Mitgliedschaft festhalte: Inzwischen lägen aber auch kritische Resolutionen aller neun Landtage und von mehr als 280 Gemeinden vor.

Die von Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle zu Beginn der Diskussion über das EURATOM-Forschungsprogramm eingeschlagene Linie sei positiv gewesen, hielt Egger fest. Das Ergebnis dieses Prozesses könne man aber alles andere als zufriedenstellend bezeichnen. Auf die Großtechnologie der Kernfusion zu setzen, halte er, so Egger, insgesamt für verfehlt, zumal die Energiepolitik der Zukunft dezentral organisiert sein sollte.

Uhrig: Stresstests müssen frühzeitig und transparent erfolgen

Für Reinhard Uhrig (Atomexperte, Global 2000) stand außer Frage, dass es in der Diskussion nicht nur um die Frage von AKW-Neubauten, sondern auch um die Überprüfung des bereits bestehenden Parks von 143 europäischen Kernkraftwerken gehen müsse, von denen 67 auf den ersten Blick als Höchstrisikoreaktoren einzustufen seien. Die deutsche Regierung habe zwar bereits acht davon abgeschaltet, doch gelte es, sich noch immer mit 59 Härtefällen auseinanderzusetzen. Die Überprüfung von Kernkraftwerken mittels Stresstests sei zu befürworten, stand für Uhrig außer Frage, es gelte aber durchzusetzen, dass diese transparent und frühzeitig erfolgten und nicht von Seiten der Atomkonzerne durchgeführt würden.

Uhrig machte außerdem auf das Problem des Zukaufs von Strom unbekannter Herkunft aufmerksam, der durch eine Gesetzeslücke – oder besser gesagt: eines "Scheunentors" – im Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) ermöglicht werde. Um dem Handel mit Zertifikatsnachkäufen und der "Veredelung" von Atomstrom vorzubeugen, müsse man die diesbezügliche Bestimmung des ElWOG herausnehmen und die Trennung von Strom- und Zertifikatshandel rückgängig machen, forderte der Experte.

Binder-Krieglstein: Atomkraft war nie wirklich wirtschaftlich

Fritz Binder-Krieglstein (Renewable Energy Consultant) beschäftigte sich in seiner Wortmeldung mit der Frage der Wirtschaftlichkeit von Atomkraft und gelangte zu dem Ergebnis, dass alle erneuerbaren Energien weit ökonomischer seien als Kernenergie. Auf die Photovoltaik treffe dieser Befund zwar noch nicht völlig zu, räumte der Experte ein, die Entwicklungsschritte auf diesem Gebiet ließen aber die Einschätzung zu, dass dies in ein bis zwei Jahren der Fall sein werde. Bei einem Atomausstieg Deutschlands könne es Studien zufolge zwar zu einem kurzfristigen Anstieg der Strompreise kommen, allerdings werde langfristig ein Rückgang zu verzeichnen sein, da, makroökonomisch betrachtet, der Merit-Order-Effekt zum Tragen komme.

Was die Frage nach den erforderlichen legistischen Maßnahmen anbelangt, gab Binder-Krieglstein zu bedenken, dass es Sinn mache, für jeden der angesprochenen Bereiche – sei es Ökostrom, Klimaschutz oder Energieeffizienz – ein engagiertes Gesetzes zur Verfügung zu haben. Die Haltung von Umweltminister Berlakovich zur Technik der CO2-Abscheidung und -Speicherung (carbon capture storage, CCS) begrüßte er ausdrücklich: Was in Cancún diesbezüglich erreicht wurde, sei ein "Meilenstein", hielt Binder-Krieglstein fest.

BZÖ: Österreich muss seine Hausaufgaben auch im Inland machen

B-Mandatar Robert Lugar hielt es für notwendig, dass Österreich seine "Hausaufgaben" im Bereich der Energiepolitik vor allem im Inland mache. Man könne schließlich keinen anderen Staat für seine Haltung zur Kernkraft schelten, wenn man selbst immer noch Atomstrom importiere, gab der Abgeordnete zu bedenken: Österreich nehme schließlich Temelín die gesamte Jahresproduktion ab. Im Sinne der Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit gelte es aber, zur Gänze auf derartige Importe zu verzichten, forderte Lugar, der zudem auf den Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag pochte.

Grüne: Verzicht auf Atomstrom wäre ein positives Signal

Ähnlich wie das BZÖ argumentierten auch die Abgeordneten der Grünen: Ausschussobfrau Christiane Brunner (G) und ihr Fraktionskollege Wolfgang Pirklhuber sprachen sich für die schrittweise Reduktion der Atomimporte bei zeitgleicher Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien aus. Nur so sei die Glaubwürdigkeit Österreichs gewahrt und eine Täuschung der KonsumentInnen durch Etikettenschwindel ausgeschlossen, zeigte sich G-Mandatarin Brunner überzeugt.

Kritisch äußerten sich die Grünen Abgeordneten zum Verhandlungsergebnis in Hinblick auf das EURATOM-Forschungsprogramm. Wissenschafts- und Forschungsminister Karlheinz Töchterle sei bei erster Gelegenheit "umgefallen" und habe damit eine "historische Chance" vergeben, zeigte sich G-Mandatar Wolfgang Pirklhuber überzeugt. Seine Fraktionskollegin Gabriela Moser sprach in Hinblick auf EURATOM von einer "Chimäre", denn man gebe hier Geld für unrealistische Ziele aus, das bei den erneuerbaren Energien fehle. Ausschussobfrau Christiane Brunner übte außerdem Kritik an der Tatsache, dass die Stresstests von den Atomkonzernen selbst durchgeführt werden.

FPÖ: Österreich braucht den Mut, tatsächlich zu handeln

F-Mandatar Werner Neubauer meinte, Österreich stehe nunmehr vor der relativ einfachen Aufgabe, ein klares Signal durch seinen Anti-Atomkurs zu setzen. Dazu brauche es aber auch Mut, tatsächlich zu handeln. Das wiederum sollte angesichts der Tatsache, dass Österreich einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien als Deutschland aufweisen könne und selbst keine AKWs betreibe, zwar möglich sein, doch lasse das Agieren der ÖVP keine allzu großen Hoffnungen aufkommen, stellte der F-Mandatar fest. Auch seine Fraktionskollegin Carmen Gartelgruber zeigte sich, was den bis 2015 geplanten Ausstieg aus Atomimporten anbelangt, wenig optimistisch: Solange nur ein AKW in Europa existiere, werde es Importe geben, stellte die Abgeordnete fest und verwies auf die damit in Zusammenhang stehende Problematik des Zertifikatshandels. F-Mandatar Harald Jannach unterstellte der ÖVP, den Kampf gegen Atomkraft weniger engagiert zu betreiben als die restlichen vier im Parlament vertretenen Parteien.

SPÖ: Ausstieg aus Atomstromimporten ist essentiell

S-Abgeordnete Petra Bayr hielt es für unumgänglich, die Abhängigkeit von Atomstromimporten abzustreifen, wenngleich dies nicht von einem Tag auf den anderen möglich sei. Das Ziel, das sich die Bundesregierung diesbezüglich gesetzt habe, halte sie aber für wichtig und richtig. Bayr warb in diesem Zusammenhang außerdem für die Verabschiedung eines Energieeffizienzgesetzes. Ein solches sei der Schlüssel für alle weiteren Fragen der Energiepolitik, gab sie zu bedenken.

Ihr Fraktionskollege Walter Schopf verwies ebenfalls auf die Ergebnisse der Regierungsklausur und warb für die Unterstützung von Anti-Atombewegungen im In- und Ausland.

ÖVP: Opposition sollte Bemühungen der Regierung nicht untergraben

Die V-Mandatare Hermann Schultes, Erwin Hornek und Michael Hammer wiesen die Kritik, die ÖVP engagiere sich nicht ausreichend im Bereich der Anti-Atompolitik, aufs Schärfste zurück. Untergrabe die Opposition aber die Bemühungen der Bundesregierung, komme man keinen Schritt voran. Das Verhandlungsergebnis, das Karlheinz Töchterle in der Frage des EURATOM-Forschungsprogramms erzielt habe, sei ebenso wenig klein zu reden, wie die intensiven Bemühungen des Umweltministers auf internationaler Ebene, zeigten sie sich überzeugt. Um Erfolge im Bereich der Anti-Atompolitik verbuchen zu können, bedürfe es eines geschlossenen Auftritts nach außen: Nur so könnten Partner gefunden werden, betonte V-Abgeordneter Michael Hammer.

Für die Volkspartei steht außerdem außer Frage, dass es Investitionen im Energiebereich braucht und alle Österreich zur Verfügung stehenden Ressourcen intensiv genutzt werden müssen. (Schluss)