Parlamentskorrespondenz Nr. 710 vom 07.07.2011

Immunität von Abgeordneten soll neu gestaltet werden

Vier-Parteien-Antrag wird in Begutachtung geschickt

Wien (PK) – Vier der fünf Fraktionen des Nationalrats haben sich auf eine Neugestaltung der Immunität der Abgeordneten geeinigt. SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grüne haben gestern gemeinsam einen entsprechenden Gesetzesantrag im Nationalrat eingebracht. Dieser soll nun in Begutachtung geschickt werden. Konkret will der Verfassungsausschuss – mit Frist 6. September – schriftliche Stellungnahmen vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, vom Innenministerium, vom Justizministerium, vom Verteidigungsministerium, von der Präsidentin des Bundesrats, von den neun LandtagspräsidentInnen und von den Landtagsklubs der Bundesländer einholen. Ein entsprechender Beschluss wurde heute einstimmig gefasst.

Kernpunkt des Gesetzesantrags ist die Abschaffung der außerberuflichen Immunität von Abgeordneten bei gleichzeitiger Ausweitung der so genannten "sachlichen Immunität". Außerdem wird – analog zum Redaktionsgeheiminis – eine Art "Parlamentsgeheimnis" geschaffen, um Abgeordneten eine ungestörte Ausübung ihrer parlamentarischen Arbeit zu ermöglichen. Damit sollen auch "Informanten", die sich an Abgeordnete wenden, geschützt werden. Die berufliche Immunität und der grundsätzliche Schutz von Abgeordneten vor Verhaftung bleiben unverändert erhalten.

Dem Gesetzentwurf zufolge soll es der Staatsanwaltschaft künftig untersagt, Sachverhalte zu ermitteln, die unmittelbar die "Vorbereitung und Erfüllung parlamentarischer Aufgaben" durch Abgeordnete betreffen. Mutmaßliche strafbare Handlungen von MandatarInnen wie etwa Bestechung sollen von diesem Ermittlungsverbot allerdings nicht betroffen sein. Alle Ermittlungsmaßnahmen gegen Mitglieder des Nationalrats müssen jedenfalls dem jeweils zuständigen Rechtschutzbeauftragten gemeldet werden, er hat bei Zweifel an deren Rechtmäßigkeit den betreffenden Abgeordneten zu informieren und kann überdies bei klarer Sachlage einen Ermittlungsstopp anordnen. In nicht so eindeutigen Fällen obliegt die Letztentscheidung dem Nationalrat.

Um BürgerInnen zu schützen, die sich mit vertraulichen Informationen an einen Abgeordneten bzw. eine Abgeordnete wenden, sieht der Gesetzesantrag ein Recht von Abgeordneten, ParlamentsmitarbeiterInnen und KlubmitarbeiterInnen vor, Zeugenaussagen zu verweigern. Die Ermittlungsbehörden dürfen auch nicht versuchen, die Identität des "Informanten" oder die Übermittlungswege von Unterlagen durch das Abhören von Telefongesprächen oder andere Überwachungsmaßnahmen zu eruieren.

Die Ausweitung der "sachlichen Immunität" soll schließlich sicherstellen, dass Abgeordnete Vorwürfe, die sie im Zuge von Parlamentsdebatten oder schriftlichen Anfragen erhoben haben, in Presseaussendungen oder Weblogs wiederholen können, ohne sich vor Anzeigen fürchten zu müssen. Laut einem OGH-Urteil sind derzeit nur dritte Personen, aber nicht die Abgeordneten selbst, geschützt, wenn sie wahrheitsgemäß über Parlamentsdebatten und parlamentarische Materialien berichten.

In engem Zusammenhang mit der Neuformulierung der Immunitätsbestimmungen in der Bundesverfassung steht eine geplante Änderung des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrats, die ebenfalls von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen gemeinsam beantragt wurde.

Auch zu neuem EU-Informationsgesetz werden Stellungnahmen eingeholt

Gleichfalls vom Verfassungsausschuss in Begutachtung geschickt wurde das neue EU-Informationsgesetz. Mit diesem Gesetz sollen die Informationspflichten der Regierung über aktuelle EU-Vorhaben genauer determiniert und der Informationsfluss zwischen Regierung und Nationalrat effizienter gestaltet werden. Außerdem wird die Parlamentsdirektion gesetzlich verpflichtet, eine Datenbank mit allen relevanten EU-Dokumenten zu führen, die so weit wie möglich auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Der Gesetzentwurf wurde gemeinsam von SPÖ, ÖVP und Grünen vorgelegt. Rund 60 Stellen sollen nun bis zum 16. September dazu Stellung nehmen, darunter unter anderem die Bundesministerien, die Länder, die Interessenveretungen, der Städte- und der Gemeindebund, die Höchstgerichte und der Datenschutzrat.

Vereinfacht werden soll der Informationsfluss etwa durch die Verpflichtung der Regierungsmitglieder, EU-Dokumente künftig in der Regel automationsunterstützt zu übermitteln. Außerdem sollen Nationalrat und Bundesrat einen direkten Zugang zur Dokumentendatenbank des Rates (U32-Extranet) erhalten, was die manuelle Übermittlung der meisten Dokumente hinfällig macht. Alle Dokumente sollen tagesaktuell in die Datenbank der Parlamentsdirektion aufgenommen werden und – mit Ausnahme von als vertraulich eingestufter Papiere – der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Die bisher von den einzelnen Ressorts freiwillig erstellten Erläuterungen zu jenen EU-Vorhaben, die in den EU-Ausschüssen des Nationalrats und des Bundesrats eingehender beraten werden, werden zur Pflicht. Die Regierung ist in Hinkunft außerdem angehalten, das Parlament frühzeitig über besonders bedeutende EU-Vorhaben zu informieren, auf Verlangen eines Klubs detaillierte schriftliche Erläuterungen zu einem EU-Dokument vorzulegen und über den Fortgang etwaiger vom Nationalrat bzw. vom Bundesrat eingebrachter Subsidiaritätsklagen zu berichten.

Die genauen Voraussetzungen für die Einbringung einer Subsidiaritätsklage sollen im Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrats bzw. in der Geschäftsordnung des Bundesrats verankert werden. (Schluss)