Parlamentskorrespondenz Nr. 957 vom 19.10.2011

Bundesrechnungsabschluss 2010: Hohe Schulden, gute Wirtschaftslage

Rechnungshofpräsident Moser urgiert Strukturreformen

Wien (PK) – Budgetfragen beherrschten die Diskussion im Nationalrat auch nach der Budgetrede von Finanzministerin Maria Fekter. Aufgrund des Bundesrechnungsabschlusses wurde nicht nur Bilanz über das Haushaltsjahr 2010 gezogen, sondern auch über die aktuelle Lage diskutiert (III-263 d.B. und III-229 d.B.).

Am Beginn der Sitzung appellierte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer an die Abgeordneten, in den kommenden Diskussionen die Würde des Hohen Hauses zu beachten, auch wenn die Auseinandersetzungen inhaltlich hart sind.

Darüber hinaus gab sie bekannt, dass die Grünen eine Dringliche Anfrage an den Bundeskanzler zum Thema "Budgetäre Vorkehrungen der Bundesregierung für Reformen im Bildungsbereich" eingebracht haben. Die Debatte darüber beginnt um 15 Uhr.

Heute wurde auch ein neuer Abgeordneter der FPÖ angelobt. Anstelle des zurückgetretenen Abgeordneten Werner Königshofer ist nun der aus Landeck stammende Mathias Venier Mitglied des Nationalrats.

Unterschiedliche Einschätzung der Budgetsituation und des Budgetkurses

Grundlage für die budgetpolitische Diskussion bildeten folgende Daten: 2010 erreichten die Ausgaben des Bundes 67,287 Mrd. €, um 2,170 Mrd. € (-1,3 %) weniger als 2009 (69,457 Mrd. €). Auch die Einnahmen blieben mit 59,434 Mrd. € um 2,942 Mrd. € unter dem Stand von 2009 (-4,7 %). Das Defizit betrug 7,853 Mrd. €, um 0,773 Mrd. € mehr als im Jahr 2009 (-7,080 Mrd. €), aber um 5,323 Mrd. € weniger als im Voranschlag (-13,176 Mrd. €) angenommen, was insbesondere auf geringere Ausgaben für Finanzierungen und Währungstauschverträge (-2,337 Mrd. €) sowie höhere Abgabeneinnahmen (+1,185 Mrd. €) zurückzuführen war (III-229 d.B.). Der Primärsaldo war 2010 negativ (-3,067 Mrd. €), was bedeutet, dass der Bund 2010 nicht nur den Zinsaufwand, sondern auch operative Ausgaben durch weitere Schulden finanzieren musste. Das gesamtstaatliche Defizit betrug im Jahr 2010 13,169 Mrd. € (2009: 11,296 Mrd. €). Die Staatsschuld stieg um 14,21 Mrd. € auf 205,212 Mrd. € (72,3 % des BIP). Zur insgesamt positiven Entwicklung der Volkswirtschaft im Jahr 2010 zählen ein BIP-Wachstum von 2 %, ein Anstieg der unselbständigen Beschäftigung um 0,8 % und ein Rückgang der Arbeitslosenquote auf 6,9 % (laut Eurostat auf 4,4 %). Der Leistungsbilanzsaldo war mit 3,2 % positiv, die Inflationsrate lag unter 2 %.

Die Berichte des Budgetausschusses wurden mit Mehrheit angenommen.

Abgeordneter Alois GRADAUER (F) hielt fest, der von Seiten des Rechnungshofs äußerst übersichtlich und professionell gestaltete Bundesrechnungsabschluss 2010 veranschauliche die Misswirtschaft, die SPÖ und ÖVP betrieben. Im Jahr 2010 hätte diese Regierung schließlich mit 4,6% des BIP – das sind 13,2 Mrd. € - das größte gesamtstaatliche Defizit der Zweiten Republik verschuldet, führte der F-Mandatar aus. Man komme damit auf einen Gesamtschuldenstand von 215 Mrd. €. Dafür müssten die österreichischen SteuerzahlerInnen Zinsen in Höhe von 8 Mrd. €, die sich pro Sekunde um 600 € vermehrten, bezahlen. Trotz dieser desaströsen Situation beschreite die Bundesregierung aber weiterhin den "Schuldenpfad", kritisierte Gradauer: Schließlich denke man auch in Zukunft an Neuverschuldung. Dabei liege die Staatsverschuldung bereits heute bei "sagenhaften" 72,2% des BIP. Dass die Bundesregierung dennoch keine Sanierungs- und Konsolidierungsmaßnahmen zu setzen gedenke, sei, wie Gradauer ausführte, ein "Verbrechen an der Jugend", die die "Suppe einmal auslöffeln" müsse. Einig zeigten sich SPÖ und ÖVP schließlich nur dann, wenn es um weitere Belastungen für die Bevölkerung und den "Untergang" dieses Landes "im EU-Sumpf" gehe. Was die finanziellen Mittel für Griechenland anbelange, wäre aus dem "Supergeschäft", das Ex-Finanzminister Pröll angekündigt habe, nichts geworden. Man werde um eine Staatsinsolvenz schließlich nicht herumkommen, schloss Gradauer.

V-Mandatar Jakob AUER hielt es für unabdingbar, sich mit den Zahlen des vorliegenden Bundesrechnungsabschlusses objektiv auseinanderzusetzen. Schließlich gelte es anzuerkennen, dass er trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten positiver ausgefallen sei als erwartet. Die Ausgaben wären nämlich um rund 3 Mrd. € geringer gewesen als noch im Vorjahr, skizzierte Auer, der den MitarbeiterInnen des Rechnungshofs für den qualitativ hochwertigen Bericht dankte. Dank gelte es aber auch den österreichischen ArbeitnehmerInnen auszusprechen, deren Einsatz dieses positive Ergebnis erst ermöglicht habe. Österreich dürfe angesichts dieser Daten und seiner Position im internationalen Vergleich auch durchaus selbstbewusst auftreten, stellte Auer fest. Schließlich zähle man zu den fünf Staaten des EU-Raums, die die Wirtschafts- und Finanzkrise am besten bewältigt haben. "Viel gelungen" sei außerdem auch im Bereich Beschäftigung. Es gelte, diese Erfolge anzuerkennen und festzustellen, dass Finanzministerin Fekter in ihrer heutigen Budgetrede einen gangbaren "Weg in die Zukunft" vorgezeichnet habe, schloss Auer.

Unternehmen reorganisierten sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die Politik tue es aber nicht, kritisierte BZÖ-Klubobmann Josef BUCHER. Von Seiten der ÖVP und Finanzministerin Fekter würden schließlich Dinge "vorgegaukelt", die jeder Grundlage entbehrten, stand für ihn fest. Betrachte man den Bundesrechnungsabschluss seriös, so zeige sich, dass rund ein Drittel der Ausgaben auf Pensions- und Zinszahlungen entfalle, die sich mehr als dynamisch entwickelten. Es brauche deshalb ein gerechtes und zukunftsfähiges Pensionssystem und weiterführende Bemühungen der Finanzministerin, wolle man einer "Verpfändung der Republik" und einer Verschuldung der nächsten Generationen vorbeugen, zeigte sich Bucher überzeugt. Dass man ein negatives Primärsaldo verzeichne, bedeute schließlich nichts anderes, als dass man nicht einmal mehr die finanziellen Mittel für die Zinszahlungen aus eigener Kraft erwirtschaften könne. Den Weg, den die Bundesregierung einschlage, habe dennoch nichts mit Schuldenabbau zu tun. Finanzministerin Fekter solle diesbezüglich "zur Wahrheit zurückkehren", forderte der B-Klubobmann. Schließlich stimme es auch nicht, dass man einen Bürokratieabbau für Unternehmen anstrebe. Was es brauche, seien mutige Schritte im Bildungs-, Pensions-, Gesundheits- und Pflegebereich. Ohne sie werde man die derzeitige Ausgabendynamik nämlich nicht mehr in den Griff bekommen, zeigte sich Bucher überzeugt.

Abgeordneter Kai Jan KRAINER (S) wollte objektiv über den Bundesrechnungsabschluss diskutiert wissen. Angesichts der Tatsache, dass man 2010 nicht 13 Mrd. €, sondern unter 8 Mrd. € an Ausgaben zu verzeichnen hatte, sei der Arbeit der Bundesregierung schließlich ein sehr gutes Zeugnis auszustellen. Außerdem seien auch alle anderen wesentlichen Parameter deutlich positiver ausgefallen, als man es erwartet hätte. Derzeit verzeichne man etwa das beste Beschäftigungsergebnis in der EU, wenngleich man noch immer nicht zufrieden sein könne, räumte Krainer ein: Schließlich liege die Arbeitslosenquote noch höher als dies vor der Krise der Fall gewesen ist. Was die Einnahmensituation anbelange, müsse man jedoch feststellen, dass Arbeit und Konsum stärker besteuert seien als Kapital und Vermögen. Die diesbezügliche Schieflage wolle die Sozialdemokratie beseitigen, versicherte Krainer.

B-Mandatar Rainer WIDMANN attestierte der Rede der Finanzministerin zu viel "Schönsprech" enthalten zu haben. Es brauche jedoch Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit, zeigte sich der Abgeordnete angesichts der Tatsache, dass man Kredite aufnehmen müsse, um die Zinsen bereits bestehender Kredite zu tilgen, überzeugt. Dass ein Drittel der Ausgaben auf Pensions- und Zinszahlungen entfällt, hielt Widmann außerdem für überaus problematisch: Schließlich werde so der Handlungsspielraum für echte Zukunftsfelder eingeschränkt. Mit einem Budgetdefizit von über 4% liege Österreich außerdem deutlich über der Maastricht-Vorgabe. Man habe die Ausgaben einfach nicht mehr im Griff, entlaste die Gemeinde unzureichend und nehme keine wesentlichen Reformen vor, kritisierte Widmann. Der Pflegebereich wäre außerdem nur bis 2014 abgesichert, für die Zeit danach bestünden keinerlei Konzepte. Einig sei sich die Koalition schließlich nur in Hinblick auf die Übernahme von Haftungen für marode Staaten und die weitere Belastung des Mittelstand, schloss Widmann, der vor diesem Hintergrund von einem "kläglichen Versagen" der Regierung sprach.

Abgeordneter Werner KOGLER (G) spannte einen Bogen vom Verfassungsbruch, der die Vorlage des Budgets im letzten Jahr begleitet habe, zur gegenwärtigen Situation und warf der Bundesregierung vor, "Stillstandsverwaltung" zu betreiben. Was die Ausgabenseite des Budgets anbelange, gelte es jedoch entsprechende Maßnahmen zu treffen: Man müsse richtig sparen, aber auch richtig investieren, zeigte sich Kogler überzeugt. Die Bundesregierung habe aber, was die Durchführung von Reformen anbelange, "abgedankt": Denn bereits Ex-Finanzminister Josef Pröll sei an den heute zur Diskussion stehenden Fragen und dem diesbezüglichen Widerstand der Landeshauptleute "gescheitert". Das Mehr an finanziellen Mitteln, das den heimischen Universitäten Fekter zufolge zukommen soll, existiere nicht. In Wirklichkeit handle es sich um ein "Nullsummenspiel", denn man gebe den Universitäten nur das, was man ihnen zuvor weggenommen habe, wieder. Die Bundesregierung investiere schließlich lieber in den Bankensektor. Dabei sei Bildung die "sicherste Bank", zeigte sich Kogler überzeugt.

Abgeordneter Robert LUGAR (o.F.) kam auf das negative Primärsaldo Österreichs zu sprechen und erläuterte seine Bedeutung. Hinter diesem Begriff verberge sich schließlich die Tatsache, dass der Staat weder für Kredite noch Zinsen noch tägliche Ausgaben aufkommen könne. Um diese Situation zu bewältigen, nehme er deshalb weitere Kredite auf. In dieser Hinsicht stehe sogar der griechische Staat besser da. Dass man vor diesem Hintergrund keine Reformen durchführe, wie auch von Seiten des RH-Präsidenten immer wieder gefordert, sei unverständlich. Anzusetzen gelte es etwa im Bereich der Pensionen: Österreich sei schließlich als "Weltmeister" bei Früh- und Invaliditätspensionen bekannt – ein Faktum, das nicht zuletzt angesichts der demografischen Entwicklung zum Handeln anregen müsse. Finanzministerin Fekter sei außerdem dazu angehalten, die "Hausaufgaben", die ihr Rechnungshof und Parlament stellten, zu machen und Vorkehrungen für den Fall der Staatspleite Griechenlands zu treffen. Die Banken sollten außerdem ihre Bilanzen und "Leichen im Keller" offenlegen: Der Wohlstand Österreichs sei letztlich auch davon abhängig, schloss Lugar.

V-Mandatar Günter STUMMVOLL rief zur nüchternen Betrachtung des Bundesrechnungsabschlusses auf. Er enthalte schließlich sowohl gute als auch schlechte Nachrichten: Ein positives Urteil sei in diesem Zusammenhang über das Krisenmanagement der Bundesregierung zu fällen. Weniger erfreulich wäre allerdings das negative Primärsaldo, mit dem man sich tiefgreifend auseinandersetzen sollte. Schließlich gelte es dafür Sorge zu tragen, dass man sich aus der Abhängigkeit von Spekulanten lösen könne, was nur durch eine Konsolidierung der Finanzen möglich sei, zeigte sich Stummvoll überzeugt.

Abgeordneter Kurt GARTLEHNER (S) zeigte sich über das positive Ergebnis der Lohnverhandlungen der Metaller erfreut, das die Kaufkraft stärken und Finanzministerin Fekter schlussendlich auch bessere Steuereinnahmen sichern werde. Positiv äußerte sich der S-Mandatar außerdem zum Vorhaben der Bundesministerin, den Steuersatz für die unterste Einkommensstufe absenken zu wollen. Überzeugt zeigte er sich außerdem davon, dass im öffentlichen Dienst bereits viel zur Konsolidierung beigetragen werde: Was es aber noch brauche, sei ein neues Dienst- und Besoldungsrecht für LehrerInnen. Die demografische Entwicklung, auf die Abgeordneter Lugar zu sprechen gekommen war, werde Studien zufolge 2030 in ihrer heutigen Schärfe überwunden sein, versicherte der S-Abgeordnete.

Auch S-Mandatar Wilhelm HABERZETTL attestierte den Bemühungen der Bundesregierung in Hinblick auf die Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise Erfolg. Die von Abgeordnetem Lugar aufgestellten Behauptungen betreffend Pensionsalter der ÖBB-Bediensteten seien außerdem nicht zutreffend: Man halte heute nicht bei einem durchschnittlichen Pensionsantrittsalter von 52 sondern von 54 Jahren. Um Früh- und Invaliditätspensionen vorzubeugen, gelte es außerdem, verstärkt im Präventivbereich tätig zu werden, schloss Haberzettl.

Abgeordneter Franz ESSL (V) sprach von einem verantwortungsvollen Umgang der Bundesregierung mit Steuereinnahmen und zeigte sich davon überzeugt, dass man die richtigen Prioritäten in den Bereichen Bildung und Soziales setze. Das österreichische Steuersystem hielt er für durchaus vernünftig: Es brauche schließlich einen gebührenden Schutz des Eigentums und nicht seine Besteuerung.

"Keinen Grund zum Feiern", sah F-Mandatar Maximilian LINDER angesichts der Zahlen des Bundesrechnungsabschlusses. Es sei auch nicht sinnvoll, ein Ergebnis, dass nur aufgrund niedriger Zinsen positiver als erwartet ausgefallen ist, als Erfolg zu verkaufen, stellte der Abgeordnete fest. Die Bundesregierung solle sich in diesem Zusammenhang ein Beispiel am Bundesland Kärnten nehmen, das seine negative finanzielle Situation zum Ausgangspunkt zahlreicher, von Seiten des Rechnungshofs angeregter Reformen gemacht habe.

Für Rechnungshofpräsident Josef MOSER stand außer Frage, dass die im Bundesrechnungsabschluss aufgezeigten Rahmenbedingungen die Notwendigkeit von Strukturreformen eindeutig herausstellten. Andernfalls wären die selbst gesetzten und rechtlichen Vorgaben nicht zu erfüllen. Diese Ziele umfassten etwa eine nachhaltige Budget- und Finanzpolitik, einen ausgeglichenen Haushalt über den gesamten Konjunkturzyklus, eine gemeinsame Budgetverantwortung aller Gebietskörperschaften und eine nachhaltige Budgetkonsolidierung. Durch die Finanzkrise hätte sich die österreichische Situation zwar verschärft, räumte Moser ein, doch wäre selbst zuvor kein ausgeglichenes Budget erreicht worden. Ein Bedarf an Strukturreformen habe also bereits vor der Wirtschafts- und Finanzkrise bestanden, konstatierte er.

Die Nettofinanzschulden seien zwischen 2007 und 2010 um 29,4 Mrd. €, die Haftungen um 40 Mrd. € gestiegen. Das Budgetdefizit von 4,6% des BIP entspreche außerdem nicht den Maastricht-Kriterien, erläuterte Moser. Nehme man die notwendigen Reformen nicht vor, würden demnach die zukunftsbezogenen von den vergangenheitsbezogenen Ausgaben "aufgefressen". Auch die Verschuldung der Länder und Gemeinden habe sehr stark zugenommen, konstatierte der Rechnungshofpräsident. Letztere befänden sich heute in einer äußerst prekären Situation und hätten dennoch Ausgabensteigerungen in den Bereichen Gesundheit und Soziales zu verzeichnen.

Kritisch äußerte sich Moser außerdem auch zu den übermäßigen Anstiegen bei den Ausgaben für Pensions- und Zinszahlungen. Nicht unproblematisch sei außerdem die geplante Neuverschuldung, die noch höher ausfallen werde als in der Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrise. Ein ausgeglichener Haushalt über den Konjunkturzyklus hinweg werde deshalb schwer oder nicht erreichbar sein, prognostizierte Moser.

Er forderte vor diesem Hintergrund auch die Etablierung eines aussagekräftigen und transparenten Rechnungswesens, das die Ausgaben aller Gebietskörperschaften zusammen veranschauliche und auch ausgelagerte Bereiche umfassen solle. Das sei notwendig für eine Steuerung, die die Gesamtheit im Blick habe, zeigt er sich überzeugt.

Neuer Beruf Wertpapiervermittler; Kritik an der Finanzprokuratur

In weiterer Folge verabschiedete der Nationalrat das Wertpapieraufsichtsgesetz und das Finanzprokuraturgesetz.

Ziel des Wertpapieraufsichtsgesetzes ist es unter anderem, das Vertrauen der Anleger in den Finanzmarkt nach der Krise im Herbst 2008 wiederherzustellen. Dazu zählt auch eine Reform des Systems der Anlageberatungsberufe. Nach Überprüfung der freien "Finanzdienstleistungsassistenten", deren Tätigkeit von der FMA nur indirekt beaufsichtigt wurde, wird nunmehr der neue Beruf des "Wertpapiervermittlers" als Gewerbe mit Befähigungsnachweis eingeführt. Er soll eine bessere Beratung, mehr Rechtssicherheit für die KundInnen, mehr Verantwortung der Konzessionsträger und eine effizientere Aufsicht mit sich bringen. Gegen eine ersatzlose Abschaffung des "Finanzdienstleistungsassistenten", ein Verbot der oft diskutierten Mehrfachvermittlung oder eine verpflichtende Konzessionierung nach dem Wertpapieraufsichtsgesetz sprechen laut Regierung rechtliche Bedenken, soziale Nachteile (Arbeits- bzw. Erwerbslosigkeit) und die Gefahr des Ausweichens in den grauen Kapitalmarkt.

Mit breiter Mehrheit passierte auch die Novelle zum Finanzprokuraturgesetz den Nationalrat. Das neue Gehaltsschema für ProkuraturanwältInnen soll die Besoldung an deren Ausbildungserfordernisse (Dienstprüfung, Anwaltsprüfung, dreijährige Praxis) und an die besondere Stellung der Finanzprokuratur innerhalb der Verwaltung anpassen.

Abgeordneter Bernhard THEMESSL (F) sah die Neuordnung des Berufsbildes der Wertpapiervermittler und Vermögensberater positiv, merkte aber kritisch an, dass die Regierung dabei auf die vielen Vorschläge und Anregungen der Berufsverbände in der Wirtschaftskammer nicht eingegangen sei. Die Regierung agiere auf Zuruf der Banken und radiere im Interesse der Banken das Berufsbild des Wertpapiervermittlers praktisch aus, weil er seine Tätigkeit ohne Haftungsdach nicht mehr ausüben könne. Dazu komme eine gravierende Verschlechterung für die Versicherungsmakler, weil Wertpapiervermittler alle Versicherungen verkaufen dürfen, der Versicherungsmakler umgekehrt aber keine Vermögensprodukte verkaufen dürfe, kritisierte Themessl und brachte dazu einen Abänderungsantrag seiner Fraktion ein.

Abgeordneter Günter STUMMVOLL (V) erinnerte an die Initiative des Nationalrates aus dem Jahr 2008 und an die intensiven Verhandlungen über das neue Berufsbild des Wertpapiervermittlers, der nun als reglementiertes Gewerbe mit Befähigungsnachweis an die Stelle des Finanzdienstleistungsassistenten tritt. Bei den Verhandlungen konnte nicht für alle Untergruppen ein jeweils befriedigendes Ergebnis erzielt werden. Die Wirtschaft insgesamt könne mit dieser Novelle aber leben, sagte Stummvoll und hielt es nicht für sinnvoll, das Paket wieder aufzuschnüren. Andere, von der Novelle nicht umfasste Bereiche, sollen künftig geregelt werden, sagte Stummvoll.

Abgeordneter Peter PILZ (G) bezeichnete es als einen Irrtum, wenn man meint, eine umfassende Reform der Anlageberatungsberufe könne sich in einer - wenn auch wichtigen - Reform in einem Teilbereich erschöpfen. Nur eine umfassende Reform würde kleinen Sparern dienen, sagte Pilz, nicht aber den großen Spekulanten, für die habe man schon vor Jahren ein großes Rettungspaket verabschiedet. Große Spekulanten würden offenbar mit allen Mitteln geschützt, um kleine Sparer aber oder um Häuselbauer, die ihre Eigenheime verloren haben, kümmere man sich bislang in dieser Republik aber nicht so gerne. Pilz begrüßte daher ausdrücklich die Einladung des Abgeordneten Stummvoll zu weiteren Gesprächen über eine weitergehende Reform.

Auch Abgeordnete Heidrun SILHAVY (S) erinnerte an die Zusage, über die Reform der Anlageberatungsberufe weiter zu verhandeln. Bei der vorliegenden Novelle gehe es insbesondere um die Finanzdienstleistungsassistenzen, um eine bessere Beratungsqualität für die KundInnen und um eine stärkere Verantwortung der Konzessionsträger. Den Versicherungsagenten riet die Abgeordnete, sich nicht nur an einen Abgeordneten, sondern an alle Abgeordneten zu wenden.

Abgeordneter Peter WESTENTHALER (B) sprach in diesem Zusammenhang von einer merkwürdigen Ansicht seiner Vorrednerin und wies auf das Recht der Bürger hin, sich an einen Abgeordneten ihres Vertrauens zu wenden. Das BZÖ unterstütze den Abänderungsantrag der FPÖ, es sei notwendig, den Fehler zu korrigieren, auf den die Versicherungswirtschaft aufmerksam mache. Die Vorlage selbst würdigte der Redner als einen ersten richtigen Schritt. Es musste reagiert werden, nachdem tausende Anleger während der Finanzkrise geschädigt wurden. Beratungsqualität, Kontrolle und Rechtssicherheit für Kunden von Anlageberatern werden verbessert, so Westenthaler. Eine Abschaffung der Finanzdienstleistungsassistenzen sei nicht in Frage gekommen, weil dies zur Abwanderung der Kunden in den grauen Finanzdienstleistungsmarkt führen würde, meinte er.

Abgeordneter Jakob AUER (V) sprach von einer qualitativen Verbesserung in der Anlageberatung sowie der Rechtssicherheit für die Kunden von Finanzdienstleistern. Auer erinnerte an die oft dramatischen Verluste, die viele Menschen während der Krise erlitten haben und wies insbesondere auch auf negative Erfahrungen mit Fremdwährungskrediten hin. Der Redner warnte vor der Illusion, es gäbe in der Finanzbranche Geschenke oder Produkte mit Renditen, die höher sind als man erwirtschaften könne. Jakob Auer wünschte sich einen schärferen Blick und genauere Prüfungen durch die Finanzmarktaufsicht.

Auch Abgeordneter Peter FICHTENBAUER (F) unterstrich gegenüber Abgeordneter Silhavy das verfassungsmäßige Recht jedes Österreichers, sich an jeden Abgeordneten zu wenden. Dann wiederholte Fichtenbauer seine Forderung nach Abschaffung der Finanzprokuratur nach dem Vorbild Deutschlands, wo Bund und Länder juristisch von RechtsanwältInnen vertreten werden. Dieser Zukauf juristischer Leistungen sei billiger als die Aufrechterhaltung einer permanenten Einrichtung. "Opferverhöhnung" nannte Fichtenbauer den Fall eines von einem Schuldirektor misshandelten Schülers, den die Finanzprokuratur als schulischen Betriebsunfall darzustellen versuchte. "Die Finanzprokuratur ist abzuschaffen", schloss Fichtenbauer.

Abgeordneter Johann HECHTL (S) sprach von einem richtigen Schritt in die richtige Richtung und plädierte dafür, weitere Schritte im Sinne einer umfassenden Reform zu setzen. Es sei notwendig, strengere Kriterien an den Beruf der Wertpapiervermittler anzulegen, weil dies die Rechtssicherheit der KonsumentInnen erfordere. Es gehe um das Vertrauen der Menschen in die Finanzdienstleistung. Kritik der FPÖ am Verfassungsrang der Kammern hielt Hechtl die jüngsten Erfahrungen mit der großen Problemlösungskapazität der Sozialpartner entgegen.

Abgeordneter Stefan PETZNER (B) warnte vor weiteren Kosten von 400.000 € für die aus seiner Sicht nutzlose Finanzprokuratur, die es abzuschaffen gelte. Abzuschaffen sei auch die völlig sinnlose CSI Hypo Alpe-Adria in Kärnten, die bislang keinerlei Ergebnisse vorzuweisen habe. Aussagen des Präsidenten der Finanzprokuratur in diesem Fall stünden in Widerspruch zu vorliegenden Unterlagen. Wider besseres Wissen seien Organe der Bank und das Bundesland Kärnten mit Hilfe der Finanzprokuratur kriminalisiert worden, stellte Petzner fest.

Abgeordneter Michael IKRATH (V) hielt es für unverantwortlich, wenn ein Abgeordneter wie Petzner, der selbst in den Hypo-Skandal verwickelt sei, "ungeheuerlich und absurd" die Finanzprokuratur und ein Gesetz zu kritisiere, das den Leistungen dieser Stelle Rechnung tragen soll. Österreich folge nicht Deutschland, sondern habe das Interesse seiner BürgerInnen an der Finanzprokuratur im Auge, auch wenn dies nicht dem Interesse des Berufsstandes der RechtsanwältInnen entspreche. Gerade in Fällen wie der Hypor Alpe Adria brauche man bei der Finanzprokuratur gute Leute, die man entsprechend bezahlen müsse. Das geschehe durch die vorliegende Gesetz, dem die ÖVP gerne zustimme.

Abgeordneter Stefan PETZNER wies in einer weiteren Stellungnahme die Behauptung zurück, er sei in die Causa Hypo Alpe Adria verwickelt.

Abgeordneter Ewald STADLER (B) hielt es für wenig glaubwürdig, wenn Michael Ikrath als Lobbyist des Sparkassenverbandes Abgeordnetem Fichtenbauer die Vertretung rechtsanwaltschaftlicher Standesinteressen vorwirft. Versuche der Finanzprokuratur, ihre Existenzberechtigung historisch zu begründen, wies Stadler zurück und kritisierte die Finanzprokuratur, wo BeamtInnen den Bund meist in Routineverfahren vertreten, "wie es auch jeder Fachreferent in den jeweiligen Ministerien könnte". "Diese Behörde ist überholt und längst abzuschaffen", sagte Abgeordneter Stadler. Er sei jedenfalls nicht bereit, eine längst überholte Behörde, die in der Causa Hypo Alpe Adria politisch instrumentalisiert werde, als Steuerzahler mitzufinanzieren.

Finanzministerin Maria FEKTER unterstrich die wichtige Funktion der Finanzprokuratur, die die Republik berät und in Gerichtsverfahren vertritt. Niemand denke daran, die Finanzprokuratur abzuschaffen. Zur Änderung des Wertpapieraufsichtsgesetzes stellte die Ministerin fest, dass sie den Auftrag des Nationalrats erfüllt habe, indem sie Verbesserungsmöglichkeiten beim Berufsbild der Wertpapiervermittler evaluiert und einen entsprechenden Änderungsentwurf vorgelegt hat. Fekter erläuterte die Bestimmungen für das neue Berufsbild des Wertpapiervermittlers, der als reglementiertes Gewerbe neu definiert wird. Wertpapiervermittler dürfen künftig nur für drei Konzessionäre tätig werden. Sie sei gerne bereit, an weiteren Reformschritten mitzuarbeiten und dem Parlament sachkundige MitarbeiterInnen ihres Resorts zur Verfügung zu stellen.

Abgeordneter Michael SCHICKHOFER (S) erinnerte an große Verluste und tragische persönliche Schicksale von Menschen, die Finanzdienstleistungsassistenzen vertrauten und scheinbar sichere Produkte erworben haben. Nun gelten strengere Regeln für Ausbildung und Weiterbildung sowie für die Haftung von Wertpapiervermittlern. Gesteigert wird auch die Beratungsqualität im Sinne der KonsumentInnen, zeigte er sich überzeugt.

Abgeordneter Ewald STADLER (B) kritisierte einmal mehr die Vorgehensweise der Finanzprokuratur im Fall Hypo Alpe Adria und beantragte vehement die umgehende Abschaffung der Finanzprokuratur.

Bei der Abstimmung wurden die beiden Bundesgesetze jeweils mit Mehrheit verabschiedet. Der Zusatzantrag der FPÖ wurde ebenso abgelehnt wie der Antrag des BZÖ auf Abschaffung der Finanzprokuratur. 

Bilaterale Finanzabkommen mit Südafrika, Tadschikistan, Armenien

In weiterer Folge stimmte das Nationalratsplenum mit Mehrheit den Doppelbesteuerungsabkommen mit Südafrika und Tadschikistan sowie einstimmig dem Zoll-Amtshilfeabkommen mit Armenien.

Abgeordneter Roman HAIDER (F) begrüßte den Abschluss eines Zollabkommens mit Armenien, weil es unter anderem den Kampf gegen den internationalen Drogenhandel erleichtere. Seine Fraktion begrüße solche Abkommen, müsse die diesbezüglichen Vorlagen aber ablehnen, weil mit ihnen die Abschaffung des österreichischen Bankgeheimnisses verbunden sei. In diesem Zusammenhang unterzog der Redner die Rolle der USA im internationalen Finanzwesen heftiger Kritik, wobei er darauf aufmerksam machte, dass die USA Basel II initiiert, aber selbst nicht eingehalten haben.

Abgeordneter Adelheid Irina FÜRNTRATH-MORETTI (V) erläuterte die vorliegenden Abkommen, die im Interesse der österreichischen Wirtschaft liegen.

Abgeordnete Laura RUDAS (S) warf der FPÖ vor, mit ihrer Kritik an Doppelbesteuerungsabkommen unverständlicherweise die Interessen von Steuerhinterziehern zu verteidigen. Die FPÖ spanne einen Schutzschirm für ausländische Steuerhinterzieher auf, sagte Laura Rudas. 

(Fortsetzung Nationalrat)