Parlamentskorrespondenz Nr. 1126 vom 23.11.2011

Erleichterter Zugang zur Bildungskarenz bleibt aufrecht

Sozialausschuss stimmt Gesetzentwurf der Regierung einhellig zu

Wien (PK) – Im Zuge der Wirtschaftskrise 2009 hat der Nationalrat unter anderem beschlossen, den Zugang zur Bildungskarenz vorübergehend zu erleichtern. Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Bildungskarenz ist demnach eine mindestens sechsmonatige Beschäftigung im Unternehmen und eine mindestens zweimonatige berufliche Auszeit zum Zweck der Weiterbildung. Diese Bestimmungen haben sich dem Sozialministerium zufolge bewährt und sollen daher nun unbefristet verankert werden. Der Sozialausschuss des Nationalrats gab heute einstimmig grünes Licht für einen entsprechenden Gesetzentwurf. Die Mehraufwendungen gegenüber der alten Rechtslage – mindestens einjährige Beschäftigung und drei Monate Bildungskarenz – werden vom Sozialministerium auf rund 2,5 Mio. € jährlich geschätzt.

Die Gesetzesnovelle wurde im Sozialausschuss von allen fünf Fraktionen begrüßt. Abgeordneter Karl Öllinger (G) und Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (B) wiesen allerdings darauf hin, dass Bildungskarenz von Personen mit niedrigem Einkommen und von Saisonarbeitern kaum in Anspruch genommen würde. Man müsse sich hier Gegenmaßnahmen überlegen, forderten sie, wobei Öllinger etwa ein höheres Weiterbildungsgeld für Niedrigverdiener anregte.

Abgeordneter Herbert Kickl (F) wies generell darauf hin, dass Österreich die Wirtschaftskrise noch lange nicht bewältigt habe und die Situation viel weniger "rosig" sei als vielfach dargestellt. In Bezug auf die Bildungskarenz stellte er eine Reihe von Detailfragen an Sozialminister Hundstorfer und forderte die Aufnahme der betroffenen Personen in die Arbeitslosenstatistik.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer verwies darauf, dass die Zahl jener Personen, die Bildungskarenz in Anspruch nehmen, zuletzt gestiegen sei. So habe man im ersten Halbjahr 2011 eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um "500 Köpfe" verzeichnen können. Überproportional in Anspruch genommen wird Bildungskarenz seiner Auskunft nach von Personen, die im Gesundheits- und im Sozialbereich beschäftigt sind. Nach Geschlecht aufgesplittet sind es 50% Frauen und 50% Männer. Es gebe gemeinsam mit der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite auch laufende Bemühungen, die Inanspruchnahme von Bildungskarenz durch sehr gering qualifizierte ArbeitnehmerInnen zu forcieren, unterstrich der Sozialminister.

Insgesamt stoße die Bildungskarenz laut einer Studie auf hohe Akzeptanz bei den Betroffenen, berichtete Hundstorfer. Den Umstand, dass Personen in Bildungskarenz nicht in die Arbeitslosenstatistik aufgenommen werden, begründete er damit, dass sie ein karenziertes Dienstverhältnis haben.

Mit der Regierungsvorlage mitverhandelt wurde ein Entschließungsantrag des BZÖ, der allerdings über die eigene Fraktion hinaus nur von der FPÖ unterstützt wurde und damit in der Minderheit blieb. Er zielt darauf ab, ArbeitnehmerInnen, die sich vorübergehend gegen einen Entfall ihrer Bezüge freistellen lassen, künftig kein Weiterbildungsgeld mehr zu zahlen, wenn sie keine Weiterbildungsmaßnahmen für diesen Zeitraum nachweisen. Abgeordnete Ursula Haubner und Abgeordneter Sigisbert Dolinschek wollen damit einen missbräuchlichen Bezug des Weiterbildungsgeldes verhindern. Es sei notwendig, Kontrollen durchzuführen, sagte Haubner im Ausschuss, schließlich handle es sich um öffentliche Gelder. Überdies würden die Kosten dafür 1,5 Mio. € jährlich betragen.

Sozialminister Hundstorfer hielt dem BZÖ entgegen, dass Weiterbildungsgeld in der angesprochenen Form nur gezahlt werde, wenn der Betrieb gleichzeitig eine Ersatzarbeitskraft einstellt. Auch wenn diese Ersatzarbeitskraft nur einen befristeten Arbeitsplatz erhalte, werde ihr der dauerhafte Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert, gab er zu bedenken. Im Übrigen gehe es nur um rund 100 Fälle, die laut Hundstorfer Kosten von rund 1 Mio. € verursachen. Auch Abgeordneter Karl Öllinger (G) wertete die bestehende Regelung als sinnvoll.

Landwirtschaft: Gesetzesnovelle bringt Neuerungen für Lehrlinge

Mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, Grünen und BZÖ billigte der Sozialausschuss eine Gesetzesvorlage der Regierung, die verschiedene Änderungen bei der Berufsausbildung von Jugendlichen im land- und forstwirtschaftlichen Bereich bringt. So werden etwa erstmals Kriterien für die fachliche Eignung von Lehrberechtigten sowie genaue Verhältniszahlen zwischen AusbildnerInnen und Lehrlingen gesetzlich festgelegt. Außerdem ist es künftig möglich, Schwerpunkte bei der Lehrlingsausbildung zu setzen und Ausbildungsverbünde einzurichten. In überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen ist eine Interessenvertretung für Jugendliche vorgesehen. Adaptiert werden auch die Bestimmungen für die integrative Berufsausbildung von behinderten Jugendlichen. Der Lehrberuf "ländliche Hauswirtschaft" wird in "Ausbildung im ländlichen Betriebs- und Haushaltsmanagement" umbenannt.

Um die Mobilität zu fördern und den Erwerb weiterer Qualifikationen zu ermöglichen, enthält der Gesetzentwurf Bestimmungen über die Teilnahme von Lehrlingen an internationalen Ausbildungsprogrammen und die Anrechnung von ausländischen Ausbildungszeiten.

Neben den Koalitionsparteien äußerten sich auch die Abgeordneten Karl Öllinger (G) und Sigisbert Dolinschek (B) positiv zur Novelle. Sie urgierten allerdings eine baldige Reform der Schulverwaltung und zeigten kein Verständnis dafür, dass für landwirtschaftliche Schulen Sonderregelungen gelten. Seitens der SPÖ wies Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig darauf hin, dass mit der Gesetzesnovelle viele Bestimmungen, die für gewerbliche Lehrberufe bereits gelten, im Bereich der Landwirtschaft nachvollzogen würden.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) wies auf gute Erfahrungen mit der integrativen Berufsausbildung hin. Seit Bestehen dieser Möglichkeit seien bereits mehr als 5.000 Lehrverträge abgeschlossen worden, skizzierte er. Für ihn ist die integrative Berufsausbildung ein guter Übergang von der Schule in die Berufswelt.

Kritik an der Novelle kam von der FPÖ. Abgeordneter Herbert Kickl räumte zwar ein, dass es einige positive Punkte im Gesetzespaket gebe, das Sozialministerium sitzt seiner Ansicht nach bei der Facharbeiterausbildung aber generell "am falschen Dampfer". Kickl bemängelte insbesondere die Forcierung von überbetrieblichen Ausbildungszentren, wo es eine zu wenig praxisnahe Ausbildung gebe. Das, was als Provisorium begonnen habe, werde mehr und mehr zu einer Dauereinrichtung, klagte er. Die SPÖ-Abgeordneten Sabine Oberhauser und Johann Hechtl wiesen dem gegenüber auf die hohe Qualität der Ausbildung in derartigen Ausbildungszentren hin.

Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer zeigte kein Verständnis für die Kritik der FPÖ. Er machte geltend, dass entgegen den Behauptungen von Abgeordnetem Kickl die Zahl der in überbetrieblichen Ausbildungsstätten ausgebildeten Personen rückläufig und die Zahl der Lehrstellen in der Wirtschaft im Steigen begriffen sei. Konkret stehen ihm zufolge 120.000 Lehrlinge in Betrieben rund 8.500 bis 9.000 Jugendlichen in überbetrieblichen Ausbildungsstätten gegenüber. Überdies würden 80% der ÜBAS-Plätze nur für ein Jahr gefördert – mit Ende des ersten Lehrjahres sei Schluss.

Abgeordneten Öllinger informierte Hundstorfer, derzeit würden rund 7.700 Lehrlinge Lehre mit Matura machen.

Grüne und BZÖ fordern Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes

Einen weiteren Themenblock der heutigen Sitzung des Sozialausschusses bildeten Fragen des Arbeitnehmerschutzes. Als Basis dafür dienten vier Entschließungsanträge der Grünen (1637/A[E], 1638/A[E], 1639/A[E], 480/A[E]) und ein Entschließungsantrag des BZÖ. Die Grünen sprechen sich darin für eine Erweiterung der Berufskrankheitenliste um psychische und psychosomatische Krankheiten, eine geschlechtergerechte Überarbeitung der Berufskrankheitenliste, eine Aufstockung des Budgets der Arbeitsinspektorate und eine Verbesserung der betriebsärztlichen Betreuung durch Beiziehung von Arbeits- und OrganisationspsychologInnen aus. Auch das BZÖ will ArbeitspsychologInnen ausdrücklich als dritte Präventivfachkraft, neben ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräften, im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz verankern. Da man eine verpflichtende Beiziehung dieser Berufsgruppe zwar anstrebe, auf Ebene der Sozialpartner allerdings kontrovers darüber diskutiert werde, stelle man heute Vertagungsanträge für die beiden diesbezüglichen Anträge, kündigten die S-MandatarInnen Erwin Spindelberger und Sabine Oberhauser an.

Die sonstigen Forderungen der Grünen wurden, obgleich Abgeordnete Birgit Schatz (G) von notwendigen Anpassungen im ArbeitnehmerInnenschutz sprach, abgelehnt. Für sie stand dennoch außer Frage, dass es in einer Zeit, in der die Krankenstandstage aufgrund psychischer und psychosomatischer Erkrankungen um mehr als 100% stiegen, derartiger Maßnahmen bedürfe.

Auch B-Mandatarin Ursula Haubner sprach von der Notwendigkeit, anzuerkennen, dass sich die Arbeitswelt nicht nur zum Positiven entwickelt habe. Angesichts der Tatsache, dass psychische Erkrankungen zunehmen, gelte es außerdem auch, nach den dahinterstehenden Gründen zu fragen. Es brauche, wie Haubner ausführte, eine Burnout-Studie und mehr Investitionen in den Bereich der Prävention. Die B-Mandatarin kündigte daher die Zustimmung ihrer Fraktion zu allen Anträgen der Grünen an.

Abgeordnete Ridi Maria Steibl (V) stellte fest, dass sich die Arbeitswelt nicht allein zum Negativen entwickelt habe. Schließlich seien ArbeitnehmerInnen wesentliche Rechte eingeräumt und Erleichterungen ermöglicht worden, erinnerte sie. Die Anerkennung neuer Berufskrankheiten hielt sie – wie auch S-Mandatarin Sabine Oberhauser – angesichts der Tatsache, dass die Kausalität zwischen Beruf und psychischer bzw. psychosomatischer Erkrankung häufig nicht eindeutig nachweisbar sei, für wenig zielführend. Wie man derzeit eine Aufstockung der personellen und finanziellen Ressourcen der Arbeitsinspektorate fordern könne, wäre ihr, so Steibl, gänzlich unverständlich: Schließlich ringe man um eine Schuldenbremse.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer versicherte, dass es durch die Überführung ehemaliger Telekom-MitarbeiterInnen in diesen Bereich zu einer substanziellen Verbesserung des Personalstands der Arbeitsinspektorate kommen werde.

Was das von B-Mandatarin Haubner angesprochene Phänomen Burnout anbelangt, handle es sich, wie V-Abgeordnete Adelheid Irina Fürntrath-Moretti ausführte, nicht um eine Krankheit, sondern um ein "Problem der Lebensbewältigung" – eine Feststellung, die Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) entschieden zurückwies.

Einige der vorliegenden Anträge halte die Freiheitliche Fraktion für durchaus sinnvoll, meinte sie: Eine weitere Aufstockung der Mittel für die Arbeitsinspektorate und die geschlechts- statt arbeitsplatzbezogene Bewertung von Berufskrankheiten hielt Belakowitsch-Jenewein aber für wenig zielführend. (Schluss)