Parlamentskorrespondenz Nr. 1178 vom 01.12.2011

Verfassungsausschuss gibt grünes Licht für Schuldenbremse

Notwendige Zweidrittelmehrheit im Nationalrat jedoch weiter fraglich

Wien (PK) – Die "Schuldenbremse" hat die erste parlamentarische Hürde genommen. SPÖ und ÖVP stimmten im Verfassungsausschuss des Nationalrats für den von Regierung vorgelegten Gesetzentwurf. Zuvor wurden in einigen Punkten allerdings noch Abänderungen vorgenommen. So werden die restriktiven Vorgaben für die Länder teilweise gelockert, zudem müssen diese entgegen dem ursprünglichen Entwurf nicht mehr für Defizitüberschreitungen eines anderen Bundeslands geradestehen.

Nach wie vor äußerst fraglich ist allerdings, ob der Gesetzentwurf im Plenum des Nationalrats die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhalten wird. Die Opposition ließ im Ausschuss kein gutes Haar an den vorgesehenen Bestimmungen und stimmte geschlossen gegen den Entwurf. Die Regierung könne nicht erwarten, dass man ihr einen "Blankoscheck" ausstelle, ohne zu wissen, wo gespart werde, argumentierten etwa BZÖ, Grüne und FPÖ. Zudem sprachen sie angesichts fehlender Sanktionen von einem "Bremsklötzchen". Finanzministerin Maria Fekter und SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer wollen die Hoffnung allerdings noch nicht aufgeben. Schließlich sei man sich im Ziel einig, argumentierte Krainer und appellierte gemeinsam mit Fekter und SPÖ-Klubchef Josef Cap an die Opposition, ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Scheitert der Entwurf nächste Woche dennoch, hat die Koalition eine kleine "Notbremse" vorgesehen und gleichzeitig mit der Verfassungsänderung eine Gesetzesvorlage zur Änderung des Bundeshaushaltsgesetzes beschlossen. Damit wird zumindest einfachgesetzlich festgelegt, dass der Bund ab dem Jahr 2017 ein maximales strukturelles Defizit von 0,35% erreichen darf.

Auch auf eine erste konkrete Sparmaßnahme haben sich die Abgeordneten bereits geeinigt: Sie wollen zum dritten Mal in Folge auf eine Inflationsanpassung ihrer Bezüge verzichten. Der von SPÖ-Klubobmann Josef Cap namens aller fünf Fraktionen eingebrachte Gesetzesantrag wurde einstimmig angenommen. Betroffen von der neuerlichen "Nulllohnrunde" für PolitikerInnen sind nicht nur Nationalratsabgeordnete und BundesrätInnen, sondern etwa auch die Mitglieder der Bundesregierung und LandespolitikerInnen. Zuletzt waren die PolitikerInnenbezüge im Juli 2008 erhöht worden.

Schuldenbremse: Auch Länder und Gemeinden müssen sparen

Mit der Verankerung einer verfassungsrechtlichen "Schuldenbremse" will die Regierung einen Abbau der hohen Schuldenquoten bewirken sowie Bund, Länder und Gemeinden künftig zu mehr Haushaltsdisziplin zwingen. In diesem Sinn sind ergänzende Bestimmungen in der Verfassung über die Haushaltsziele von Bund, Ländern und Gemeinden und der verpflichtende Abschluss eines unbefristeten innerösterreichischen Stabilitätspakts ab 2013 vorgesehen.

Konkret soll das strukturelle Defizit des Bundes ab dem Jahr 2017 auf maximal 0,35% des BIP begrenzt werden, jenes der Länder und Gemeinden auf maximal 0,1%. Allerdings ist es den Gebietskörperschaften erlaubt, außergewöhnliche Konjunkturschwankungen "symmetrisch" zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck wird sowohl für den Bund als auch für die einzelnen Länder und die Gemeinden ein "Kontrollkonto" eingerichtet, auf dem vorübergehend höhere Defizite erfasst werden sollen. Diese zusätzlichen Belastungen müssen spätestens dann "konjunkturgerecht" zurückgeführt werden, wenn ein bestimmter Schwellenwert – 1,25% für den Bund, 0,35% für die Länder und Gemeinden – erreicht wird.

Im Falle von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen, die sich, wie es heißt, "der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen", kann der Nationalrat die vorgegebene Defizitgrenze für den Bund mit einfacher Mehrheit lockern. Im Bereich der Länder und der Gemeinden wird dafür die Zustimmung des jeweiligen Landtags benötigt. Entsprechende Beschlüsse sind jeweils mit einem Schuldenabbauplan zu verbinden, der die Rückführung der überhöhten Defizite in einem angemessenen Zeitraum vorsehen muss. Verfassungsrechtlich verankert wird auch die Verpflichtung der Länder, für eine transparente und dem Bund vergleichbare Haushaltsführung zu sorgen.

Sollte die EU finanzielle Sanktionen verhängen, weil Österreich budgetäre EU-Vorgaben nicht einhält, sieht der Gesetzentwurf eine Aufteilung der Strafzahlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Verhältnis der Abweichung von den verfassungsrechtlich festgelegten Defizitgrenzen fest.

Mit der Regierungsvorlage mitverhandelt wurden ein Antrag des BZÖ und ein Entschließungsantrag der FPÖ, die zum einen vertagt und zum anderen abgelehnt wurden. Das BZÖ will Bund, Länder und Gemeinden durch eine Ergänzung der Verfassung ausdrücklich dazu verpflichten, in ihrem politischen Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen. Dazu gehört für Abgeordnete Ursula Haubner und ihre FraktionskollegInnen etwa auch ein Sozialversicherungssystem, das nachfolgende Generationen beim Einlösen von Leistungsansprüchen nicht benachteiligt. Die FPÖ wehrt sich vehement gegen die Einrichtung des geplanten Euro-Schutzschirms und warnt vor einem "Milliardengrab" und einer zu Lasten Österreichs gehenden "Transferunion".

Geschlossene Kritik der Opposition am Gesetzentwurf

Im Rahmen der Debatte kritisierte die Opposition geschlossen den vorliegenden Gesetzentwurf. BZÖ und FPÖ bekannten sich zwar grundsätzlich zur Verankerung einer Schuldenbremse in der Verfassung, werteten die vorgesehene Form aber als untragbar. So meinte BZÖ-Klubobmann Josef Bucher, dass eine Schuldenbremse ohne nachhaltige Konsequenzen bei einem Verfehlen der Ziele wenig Sinn mache und sprach vor diesem Hintergrund von einem "Bremsklötzchen". Er bekräftigte außerdem erneut, dass für das BZÖ nur eine ausgabenseitige Budgetsanierung in Frage komme, und verwies in diesem Zusammenhang auf die rund 600 vom Rechnungshof vorgelegten Reformvorschläge.

Im Einklang mit den anderen beiden Oppositionsparteien warf Bucher Finanzministerin Fekter darüber hinaus vor, vor den Ländern in die Knie gegangen zu sein. So zeigten Bucher und Grün-Abgeordneter Werner Kogler etwa kein Verständnis dafür, dass die Länder die Haushaltsregeln des Bundes nun doch nicht übernehmen müssen. Der allgemeinen Kritik von Bucher schloss sich auch sein Fraktionskollege Herbert Scheibner an, der von "Gummiparagraphen" sprach und den Vorwurf, das BZÖ würde sich "zieren", zurückwies.

Seitens der Grünen wandte sich nicht nur Budgetsprecher Werner Kogler, sondern auch Abgeordneter Albert Steinhauser gegen den Gesetzentwurf. Es hindere die Regierung niemand, auch ohne verfassungsrechtliche Schuldenbremse sinnvolle Sparmaßnahmen zu ergreifen, argumentierten sie. Nach Meinung von Steinhauser kann die Regierung außerdem nicht erwarten, dass ihr die Opposition einen "Blankoscheck" ausstelle, ohne zu wissen, wie das geplante Sparprogramm ausschaue. Er glaubt auch nicht, dass mit der Schuldenbremse die Nervosität an den Finanzmärkten eingedämmt werden kann. Sein Eindruck sei, dass gegen den Euro ein "wirtschaftspolitischer Krieg" bar jeglicher Realität geführt werde, sagte Steinhauser.

Kritik, wonach seine Fraktion verantwortungslos agiere, ließ Abgeordneter Kogler nicht gelten. Er erinnerte daran, dass sich die Grünen bei Verhandlungen zur Verwaltungsreform stets "sehr konstruktiv" gezeigt hätten. Alle Reformprojekte seien schließlich aber am internen Widerstand innerhalb der Koalitionsparteien, etwa von Seiten der Länder, gescheitert. Das Prinzip der Grünen sei jedenfalls "weniger Schulden durch sinnvolles Sparen und durch gerechte Steuern", fasste er zusammen.

Auch Abgeordneter Alois Gradauer (F) wertete es als unzulässig, der Opposition die Schuld am Scheitern der "Schuldenbremse" zu geben. Die FPÖ habe bereits vor zwei Jahren einen derartigen Vorschlag gemacht und stehe nach wie vor dazu, bekräftigte er. Das, was die Regierung vorgelegt habe, sei aber "substanzlos". Ohne konkretes Sanierungskonzept wird es seiner Ansicht nach nicht gelingen, die Schulden nachhaltig zu senken. In diesem Zusammenhang machte Gradauer darauf aufmerksam, dass Österreich jährlich bereits 8 Mrd. € an Zinsen zahle, und sprach von "Feuer am Dach". Er und sein Fraktionskollege Harald Stefan bekräftigten zudem den Standpunkt ihrer Fraktion, dass es keine weiteren österreichischen Gelder für den ESM und den EFSF geben dürfe.

Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) wollte trotz der breiten ablehnenden Front die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Opposition im Nationalrat der Schuldenbremse doch noch zustimmt. Seiner Ansicht nach gibt es, was das Ziel betrifft, keinerlei Differenzen zwischen den Fraktionen. Alle hielten es für richtig, die Schulden zurückzuführen, betonte er. Dass es unterschiedliche Auffassungen über den Weg der Schuldenreduktion gebe, sei klar, meinte Krainer, daran dürfe das Gesetz aber nicht scheitern. Schließlich werde dieser Weg nicht in der Verfassung verankert und müsse erst in den nächsten Jahren ausdiskutiert werden. Er hoffe jedenfalls "bis zur letzten Minute", dass sich die Oppositionsparteien "besinnen". Krainer wies auch darauf hin, dass sich die vorliegenden Bestimmungen stark mit jenen Deutschlands deckten.

SPÖ-Klubobmann Josef Cap sprach sich für "möglichst äquivalente" ausgabenseitige und einnahmenseitige Maßnahmen zur Verringerung der Schulden aus. Die verfassungsrechtliche Verankerung der Schuldenbremse wäre seiner Ansicht nach ein nicht zu unterschätzendes internationales Signal. Die Nulllohnrunde für PolitikerInnen wertete Cap als symbolischen Beitrag der Politik, er machte aber geltend, dass es grundsätzlich dringend notwendig wäre, die Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten zu verbessern.

Abgeordneter Konrad Steindl (V) legte den Gesetzesantrag zur Änderung des Bundeshaushaltsgesetzes vor. Ziel des Antrags ist es, wie er und Abgeordneter Krainer erklärten, das angestrebte Ziel eines maximalen strukturellen Defizites des Bundes von 0,35% ab dem Jahr 2017 zumindest einfachgesetzlich zu verankern, sollte das Verfassungsgesetz im Nationalrat keine Mehrheit finden. Er warb allerdings vehement für die "Schuldenbremse" und gab zu bedenken, dass damit stabile Finanzen über die laufende Legislaturperiode hinaus sicher gestellt würden.

Abgeordneter Günther Kräuter (S) nahm zum Antrag der FPÖ Stellung und machte darauf aufmerksam, dass es entweder katastrophale Folgen für Österreich allein oder katastrophale Folgen für Österreich und die EU gegeben hätte, wäre Österreich aus dem Euro-Rettungsfonds ausgeschert.

Finanzministerin Maria Fekter erinnerte an die Genese der "Schuldenbremse" und wies darauf hin, dass auf Grund der Entwicklung in Ungarn und in Italien eine massive Ansteckungsgefahr für Österreich gedroht habe. Der Zinsabstand zu Deutschland sei innerhalb weniger Tage "explodiert" und das Zinsenniveau auf 3,8% gestiegen. Österreich habe daher ein klares Signal setzen müssen und mit der Schuldenbremse unter Beweis stellen wollen, dass es eine langfristige stabile Finanzpolitik anstrebe. Bei einem enormen Anstieg der Zinsen hätte Österreich erst recht ein Budgetproblem, skizzierte sie.

Fekter appellierte in diesem Sinn an die Opposition, der verfassungsrechtlichen Verankerung der Schuldenbremse zuzustimmen. Sie verstehe nicht, warum FPÖ, BZÖ und Grüne "so sperrig" seien, meinte sie. Wenn jemand höhere Zinsen wolle, solle er das der Bevölkerung laut sagen.

Kritik am Verhandlungsergebnis mit den Ländern wies Fekter zurück. Sie machte darauf aufmerksam, dass sich die Länder bereit erklärt hätten, den geltenden Stabilitätspakt abzuändern und angesichts der dramatischen Situation mehr Haushaltsdisziplin an den Tag zu legen als derzeit paktiert. Ebenso hätten die Länder zugestimmt, die Prinzipien der Haushaltsführung des Bundes, wie Transparenz, Vergleichbarkeit und mehrjähriger Budgetpfad, zu übernehmen. Dass die Länder Zeit bräuchten, ihr Haushaltsrecht umzustellen, sei aber verständlich. Überdies hätten die Länder zu Recht nicht in einen Topf geworfen werden wollen. Es könne nicht sein, dass ein Land, das sich "wohlverhält", für andere Länder mitzahlen müsse.

Staatssekretär Andreas Schieder gab zu bedenken, dass bei einer verfassungsrechtlichen Verankerung der Schuldenbremse nicht nur verbindliche Haushaltsziele für den Bund, sondern auch für die Länder und die Gemeinden verankert würden. Überdies würde das Prinzip, wonach derjenige, der Schulden mache, auch für etwaige Strafzahlungen aufkommen müsse, verfassungsgesetzlich verankert. Für Schieder wäre eine Schuldenbremse außerdem ein gutes Signal an die Finanzmärkte. Auch Italien habe gestern mit überwältigender Mehrheit eine solche Bremse beschlossen, schilderte er. (Fortsetzung Verfassungsausschuss)