Parlamentskorrespondenz Nr. 1237 vom 15.12.2011

Unterrichtsausschuss beschließt Oberstufenreform

Modulares System, individuelle Förderung und Lernbegleitung

Wien (PK) – Mit der Schulorganisationsgesetznovelle beschloss der Unterrichtsausschuss heute die Rahmenbedingungen für die "neue Oberstufe", die vor allem individuelle Förderung und Lernbegleitung ermöglichen sollen und zudem Maßnahmen der Begabtenförderung vorsehen. Das Gesetz, das auch eine Bestimmung über das Aufsteigen mit zwei bzw. nach Beschluss der Klassenkonferenz mit drei "Nicht genügend" enthält, wurde mit den Stimmen der Regierungsparteien verabschiedet. Das kostenlose Nachholen des Pflichtschulabschlusses wiederum ist Kernbestandteil einer von den Abgeordneten einstimmig genehmigten Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Förderung von Lehrgängen im Bereich Basisbildung/Grundkompetenzen.

Schulische Förderung soll stärker individualisiert werden

Ziel des Konzepts der "neuen Oberstufe" ist es, auf die Unterschiedlichkeiten der SchülerInnen in ihrer jeweiligen Lernsituation einzugehen und dabei konkrete Unterstützungsmaßnahmen (Semesterprüfungen, Schulstufenwiederholungen als letzte Maßnahme bei mehr als zwei "Nicht genügend" in Pflichtgegenständen), aber auch Maßnahmen der Begabtenförderung anzubieten. So soll durch Früherkennung, individuelles Nachholen, Festigen und Vertiefen bei gleichzeitigem Verbleib im Klassenverband die Förderung forciert und individuelle Lernbegleitung ermöglicht werden. Weiterer Aspekt der Novelle ist die Überführung der Schulversuche zur Integration von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf  in der Polytechnischen Schule in das Regelschulwesen.

Der Diskussion im Ausschuss lagen auch Anträge der Grünen zugrunde (1763/A(E), 1767/A(E), 1768/A(E)), in denen Abgeordnete Helene Jarmer die Einführung der Gebärdensprache als Unterrichtssprache für Gehörlose bzw. ein Ende der Diskriminierung gehörloser LehrerInnen forderte und Abgeordneter Harald Walser für die Abschaffung der Sonderschulen eintrat. Die drei Initiativen werden einem Beschluss des Ausschusses zufolge in einem Unterausschuss erörtert werden.

Während Abgeordnete Andrea Gessel-Ranftl (S) in der Novelle den Beginn einer neuen Ära für die Oberstufe sah, sprach Abgeordneter Werner Amon (V) von einem "ordentlichen Schritt vorwärts" und bedauerte, dass die Reform in der medialen Öffentlichkeit bloß auf die Frage reduziert wurde, ob man nun mit zwei oder drei "Nicht genügend" aufsteigen dürfe. Amon begrüßte insbesondere die Modularisierung der Oberstufe nach der Formel "ein Semester ist ein Modul", die Verstärkung des Frühwarnsystems und die Ausweitung des individuellen Förderangebots um 35 % bei gleichzeitigem Einsatz von Begleitlehrern. Zum Thema Klassenwiederholung stellte er klar, dass das neue Modell mehr Nachhaltigkeit erlaube, zumal einmal positiv erbrachte Leistungen erhalten bleiben und negative Module spätestens bis zur Matura ausgebessert werden müssen.  

Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) kritisierte insbesondere die Möglichkeit des Aufsteigens mit zwei bzw. drei "Nicht genügend", unterstützte allerdings die Möglichkeit der individuellen Förderung im Rahmen eines ausgebauten Frühwarnsystems. Er kündigte an, dass sich die FPÖ eine differenzierte Betrachtung bei der Abstimmung in der Zweiten Lesung vorbehalten werde.

Abgeordneter Harald Walser (G) bemängelte, die Novelle mit ihrer sinnvollen Modularisierung sei durch Kompromisse derart verwässert worden, dass am Schluss nicht viel Positives übrig bleibe. Er kritisierte insbesondere die Ausnahme der neunten Schulstufe. 

Abgeordneter Stefan Petzner (B) stellte eine teilweise Zustimmung des BZÖ im Plenum in Aussicht. Sein Hauptkritikpunkt betraf das Aufsteigen mit zwei bzw. drei "Nicht genügend", in dem er einen Widerspruch zum Leistungsprinzip sah. 

Abgeordneter Franz Riepl (S) hingegen erwartete sich von der Reduzierung der Zahl der Klassenwiederholungen eine Steigerung der Effizienz.

Unterrichtsministerin Claudia Schmied wertete die Reform als Ausdruck des Leistungsgedankens und sah eine deutliche Verschärfung im Vergleich zum Status Quo, wobei sie betonte, jedes Semester müsse nun positiv abgeschlossen werden. Ausdrücklich begrüßte sie die Maßnahmen der Inklusion bezüglich behinderter SchülerInnen, meinte aber ebenso wie Abgeordneter Franz Josef Huainigg (V), dies sei noch nicht der letzte Schritt, gelte es doch, die diesbezüglichen Schulversuche auch in den höheren  Schulstufen  zu verankern. 

Bei der Abstimmung wurde die Novelle mit den Stimmen der Regierungsparteien verabschiedet.

Kostenloses Nachholen des Pflichtschulabschlusses

Ein zwischen dem Bund und den Ländern im Rahmen eines Art 15a-Vertrags abgestimmten einheitlichen Förderprogramms in den Bereichen Basisbildung/Grundkompetenzen und Nachholen des Pflichtschulabschlusses sollen bessere Zugangschancen zum Arbeitsmarkt für Erwachsene eröffnet werden, die bisher über keine ausreichenden Mindestqualifikationen verfügten. Um den Erfolg der Maßnahmen sicherzustellen, soll die Teilnahme an den Bildungsprogrammen kostenlos sein. 

In der Debatte wertete Abgeordneter Elmar Mayer (S) den kostenlosen Erwerb von Bildungsabschlüssen als Quantensprung und begrüßte überdies ebenso wie Abgeordnete Anna Franz (V) die einheitlichen Qualitätskriterien.

Abgeordneter Harald Walser (G) meinte, angesichts der hohen Analphabetenquote sei dringender Handlungsbedarf gegeben, durch den heutigen Beschluss "gehe etwas vorwärts".

Abgeordneter Stefan Markowitz (B) begrüßte ebenfalls die Vereinbarung, vermisste aber einen Rechtsanspruch auf die unentgeltliche Teilnahme an den Lehrgängen. Positiv äußerte sich auch Abgeordneter Walter Rosenkranz (F).

Unterrichtsministerin Claudia Schmied sprach von einem epochalem Schritt: Erstmals sei es gelungen, einen Vertrag mit den Ländern über Erwachsenenbildung abzuschließen und dabei Bundesinteressen zu verwirklichen. Erwachsenenbildungseinrichtungen, die sich akkreditieren lassen, bieten die Lehrgänge an, die Länder und der Bund werden die Kosten refundieren, erklärte sie. Für den Zeitraum 2012 bis 2014 sei ein Gesamtvolumen von 55 Mio. € vorgesehen. Wichtig war es für Schmied nun, die Zielgruppe zu erreichen und zu mobilisieren, gleichzeitig aber auch die Reformbestrebungen im Bildungsbereich voranzutreiben, zumal, wie sie sagte, das eine das andere nicht ausschließe.

Die Vereinbarung wurde einstimmig angenommen.

Schule soll mehr kreative Bildung anbieten

Mehr kreative Bildung verlangten zwei Entschließungsanträge der Regierungsparteien, die vom Ausschuss einstimmig angenommen wurden. Die Abgeordneten Sonja Ablinger (S) und Silvia Fuhrmann (V) plädierten in ihrer gemeinsam eingebrachten Initiative für die Einbeziehung von Musikschulen, Theater- und Tanzprojekten zur kreativen Bildung in ganztägige Schulformen. Die Abgeordneten Elmar Mayer (S) und Werner Amon (V) wiederum schlugen in ihrem Antrag die Einrichtung eines musisch-kreativen Schwerpunktes in der Neuen Mittelschule vor.

Als miterledigt galt damit ein Vorstoß des Abgeordneten Walter Rosenkranz auf Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und Musikapellen im Rahmen von Betreuungsformen in den Schulen außerhalb des Regelunterrichts.

Oppositionsinitiativen im Unterrichtsausschuss vertagt

Abgeordneter Harald Walser (G) schlug in seinem Entschließungsantrag 1762/A(E) die Abschaffung des Hauptschullehrplans vor und empfahl die ausschließliche Verwendung des AHS-Unterstufenlehrplanes an Neuen Mittelschulen. Der Antrag wurde einstimmig vertagt, nachdem Abgeordneter Werner Amon (V) auf bevorstehende Beschlüsse der Bundesregierung zum Thema Neue Mittelschule hingewiesen hatte. Die Verwendung des Hauptschullehrplans mit dem Ziel einer "grundlegenden vertiefenden Allgemeinbildung" helfe Schülern, die das Ziel einer "umfassenden vertiefenden Allgemeinbildung", wie es dem achtjährigen Bildungskontinuum des Gymnasiums entspreche, in der vierjährigen Neuen Mittelschule nicht erreichen können, stellte Abgeordneter Amon gegenüber dem Antragsteller fest, der an das Versprechen erinnert hatte, in der Neuen Mittelschule nach dem Lehrplan der AHS-Unterstufe zu unterrichten.

Dann setzte sich Abgeordneter Stefan Petzner (B) für den Erhalt religiöser Symbole der christlich-abendländischen Kultur, insbesondere des Kreuzes, im öffentlichen Raum ein (887/A(E)) und wandte sich gegen ein diesbezügliches negatives Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Abgeordneter Elmar Mayer (S) erinnerte an eine Entschließung des Nationalrates aus dem Jahr 2009, die dem Anliegen des Antrages Rechnung trug und schlug eine Vertagung vor. Demgegenüber wies der  Antragsteller auf den europäischen Anlass seiner Initiative und auf sein Verlangen hin, auch auf europäischer Ebene tätig zu werden.  

Abgeordneter Harald Walser (G) hielt den Antrag angesichts der Rechtslage in Österreich für überflüssig und wandte sich entschieden gegen Versuche von Parteien, Religionen politisch zu instrumentalisieren. Walser plädierte für die Ablehnung des Antrags. Die Vertagung erfolgte mit S-V-Mehrheit.

Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (F) forderte ein Verbot von Kopftüchern in Schulen (1279/A(E)). Das Kopftuch sei nicht Ausdruck einer religiösen Haltung, sondern Symbol für die Unterwerfung der Frau unter den Mann und überdies ein Zeichen des politischen Islams, erklärte die Antragstellerin.

Abgeordneter Werner Amon (V) hielt das Thema für diskussionswürdig, weil die Verschleierung tatsächlich als ein Mittel der Diskriminierung von Frauen eingesetzt werde. Amon wollte diese Debatte aber nicht im Plenum führen, sondern vorerst in einem kleineren Kreis und unterbreitete daher einen Vertagungsantrag.

Der Forderung Amons, den Antrag genauer zu formulieren, weil Kopftücher in Österreich nicht nur von Islamistinnen getragen werden, schloss sich Abgeordneter Stefan Petzner (B) an. Auch  Abgeordneter Harald Walser (G) sprach sich für eine umfassende und unaufgeregte Diskussion des Themas aus, den vorliegenden Antrag sah Walser aber nicht als einen Beitrag dazu und plädierte auf Ablehnung. Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) schloss sich dem Vorschlag nach einer grundlegenden Diskussion in einem kleineren Rahmen und somit auch dem Antrag auf Vertagung an und sprach die Hoffnung auf eine Fünf-Parteien-Lösung aus. Die Vertagung erfolgte mit S-V-F-B-Mehrheit.

Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) trat schließlich dafür ein, IFES-Umfragen über die Zufriedenheit der Eltern nicht auf die Neue Mittelschule zu beschränken, sondern auch auf Gymnasien auszuweiten (1217/A(E)).

Abgeordneter Harald Walser (G) lehnte derartige Umfragen als "PR-Aktionen" und "Verschwendung von Steuergeld" grundsätzlich ab. Im Hinblick auf eine bevorstehende umfassende Debatte über die Neue Mittelschule plädierte Abgeordneter Franz Riepl (S) mit Unterstützung von ÖVP und BZÖ erfolgreich für die Vertagung der Vorlage.

Bürgerinitiative: Berufsschulabschluss soll nachgeholt werden können   

Mit einer Ergänzung im Schulorganisationsgesetz (SchOG) will die Bürgerinitiative 27/BI das Nachholen eines Berufsschulabschlusses ermöglichen. Die Chance auf eine positive Lehrabschlussprüfung würde wesentlich erhöht, argumentieren die mehr als 7.000 UnterzeichnerInnen der Initiative. Dies würde den Betroffenen und der österreichischen Wirtschaft nützen.

Redner aller Fraktionen nahmen das Anliegen der Bürgerinitiative positiv auf und bezeichneten es als wichtig, Menschen zu unterstützen, die ihren Berufsschulabschluss nachholen wollen. Abgeordneter Franz Riepl (S) wies dabei auf die Notwendigkeit hin, Verhandlungen mit den verschiedenen Schulerhaltern und den Ländern zu führen und dabei auch offene Finanzierungsfragen zu klären. Bundesministerin Claudia Schmied berichtete über eine dazu eingerichtete interministerielle Arbeitsgruppe. Sie werde den vorliegenden Vorschlag sowie mögliche Alternativen dazu prüfen, mit den Ländern verhandeln und noch vor dem Sommer 2012 konkrete Vorschläge unterbreiten, kündigte die Ministerin an. - Die Vertagung erfolgte mit S-V-F-Mehrheit. (Schluss)


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