Parlamentskorrespondenz Nr. 29 vom 18.01.2012

Fiskalunion und Budgethoheit der EU-Staaten - ein Widerspruch?

Aktuelle Europastunde im Nationalrat

Wien (PK) – Die europäische Dimension der aktuellen budgetären, wirtschaftspolitischen und auch sozialpolitischen Probleme stand dann in der Aktuellen Europastunde der heutigen Nationalratssitzung im Mittelpunkt der Diskussion. Grundlage dafür war das Verlangen der ÖVP und ihres Klubobmanns Karlheinz Kopf, der das Thema "Was bedeutet die derzeitige Schuldenkrise für die Zukunft Europas?" vorgeschlagen hatte. Die Abgeordneten thematisierten abermals die Schuldenbremse und setzten sich im Rahmen dieser Debatte aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln unter anderem mit den Plänen zu einer engeren Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedstaaten auseinander. Viele orteten vor dem Hintergrund der Schuldenkrise auch eine Demokratiekrise.

Abgeordneter Karlheinz KOPF (V) wertete die Herabstufung einiger EU-Staaten als Ausdruck eines massiven Verlustes des Vertrauens in die europäische Problemlösungsfähigkeit und sah vor diesem Hintergrund keine Alternative zu einer starken EU und einem starken Euro. Klar war für den Redner, dass bei der Gestaltung und der Erweiterung der EU und bei der Einführung des Euro Fehler gemacht wurden. Wer es mit der Verantwortung für Österreich ernst meint, könne sich aber auch vor der Verantwortung für Europa nicht drücken, warnte er. Dies bedeute Solidarität mit den Partnern und Mitarbeit an der Stärkung der EU-Institutionen und an einer Entwicklung der Union als Chancengemeinschaft. Was den Weg der Budgetkonsolidierung betrifft, plädierte Kopf für Einsparungsmaßnahmen und erteilte neuen Steuern eine klare Absage.

Außenminister Michael SPINDELEGGER qualifizierte die Herabstufung Österreichs als unverständlich, warnte aber vor einer "Wagenburg-Mentalität". Vielmehr gelte es nun, Wege zu finden, wie man durch Systemreformen zu einem besseren Ausblick in den nächsten fünf Jahren kommen könne, betonte er und sah Reformbedarf vor allem bei den Frühpensionen, den Förderungen, bei der ÖBB und in den Bereichen Verwaltung und Gesundheit. Ziel sei es, das Triple A wiederzuerlangen, stand für Spindelegger fest. Heftige Kritik übte der Außenminister im Zusammenhang mit der Schuldenbremse an den Oppositionsparteien, denen er vorwarf, Hürden aufgestellt zu haben, die in Wahrheit nicht zu überspringen seien.

Auf europäischer Ebene wiederum ortete Spindelegger Konstruktionsmängel, die es zu beheben gelte. So müsse die EU zu einer Fiskalunion mit Zielen, Regeln und Sanktionen für alle ihre Mitglieder werden, unterstrich er und trat überdies für ein Europa ein, in dem nicht das Recht des Stärkeren gilt, das dem europäischen Lebensmodell treu bleibt und das nicht auf Kosten seiner Zukunft lebt.

Abgeordnete Christine MUTTONEN (S) wandte sich gegen einen Reformprozess, der einseitig auf Sparmaßnahmen beruht, und plädierte auf europäischer Ebene für eine striktere und effizientere Überwachung der Finanzmärkte, eine strengere Kontrolle der Rating-Agenturen und eine Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften. Unabdingbar war ihrer Meinung nach aber auch ein europaweites Konzept für neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum.

Abgeordneter Reinhold LOPATKA (V) unterstrich die Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit und erinnerte, Österreich habe als kleines, exportorientiertes Land stärker vom Euro profiziert als alle anderen EU-Staaten. Es gehe nun darum, alles zu tun, um diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen. Dazu brauche man auch Reformen im eigenen Land, meinte Lopatka und wies in diesem Zusammenhang den Vorwurf des Kaputtsparens als "Argument aus der Mottenkiste" zurück.

Abgeordneter Harald VILIMSKY (F) betonte, die FPÖ wäre bereit gewesen, über eine verfassungsrechtliche Verankerung der Schuldenbremse zu verhandeln. Einziges Ergebnis sei allerdings, dass Staatssekretär Kurz mit der Ausarbeitung eines Demokratiepakets beauftragt worden sei, klagte er. Unterdessen steige der Schuldenberg an, die Koalition habe noch keine einzige konkrete Maßnahme zur Reduktion der Schulden vorgestellt.

Generell fürchtet Vilimsky, dass der Euro auf einen Kollaps zusteuert und damit ein massiver Kaufkraftverlust auf die Bevölkerung zukommt. Seiner Ansicht nach werden die politischen Eliten in Europa von den Finanzmärkten gesteuert. Die FPÖ wolle demgegenüber eine EU, die wieder auf den Prinzipien der Freiheit, der Demokratie und der Selbstbestimmung fuße, sagte Vilimsky.

Abgeordneter Alexander VAN DER BELLEN (G) warf Vizekanzler Spindelegger "unerträgliche Polemik" von der Regierungsbank vor. Es gehe nicht an, der Opposition pauschal zu unterstellen, dass sie reformunwillig sei, betonte er. Den Fiskalunions-Vertrag in der vorliegenden Form hält Van der Bellen für "nicht unterschriftsreif". Er wendet sich strikt dagegen, den EuGH als verbindliches Schiedsgericht vorzusehen, sollte es zu Streitigkeiten zwischen den Euro-Ländern über die vorgesehene Reduktion des strukturellen Defizits auf 0,5% des BIP kommen. Seiner Meinung nach wird dadurch die Budgethoheit des Nationalrats ausgehebelt und damit auch in die österreichische Verfassung eingegriffen.

BZÖ-Klubobmann Josef BUCHER wertete den Vorwurf von Vizekanzler Spindelegger an die Opposition, sie habe die verfassungsrechtliche Verankerung der Schuldenbremse in Österreich verhindert, als "absurd". Das BZÖ hätte der Schuldenbremse zugestimmt, wenn man sich gleichzeitig darauf verständigt hätte, die Steuer- und Abgabenquote zu deckeln, skizzierte er. Das sei aber abgelehnt worden. Scharfe Kritik übte Bucher auch an der geplanten Fiskalunion. Er sieht dadurch die Souveränität Österreichs in Gefahr und warnte vor einem "sozialistischen Einheitsstaat".

Nach Meinung von Abgeordnetem Christoph MATZNETTER (S) führt hingegen kein Weg an einer Vertiefung der Europäischen Union vorbei. Allerdings müsse man darauf achten, dass die demokratischen Rechte der europäischen BürgerInnen durch eine entsprechende Einbindung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente gewahrt blieben, betonte er. Die Angst, mit dem Fiskalunions-Vertrag könnte die Budgethoheit des Nationalrats ausgehebelt werden, wertet Matznetter in Anbetracht eines vorliegenden neuen Entwurfs als unbegründet. Kein Verständnis äußerte er für die Position von FPÖ und BZÖ – er glaubt, dass Österreich ähnliche Probleme wie Ungarn drohten, wenn man "die nationale Karte spielt".

Abgeordnete Gabriele TAMANDL (V) wies auf den Rat von WirtschaftsforscherInnen hin, das Budget nicht durch Einzelmaßnahmen zu sanieren, sondern langfristige Strukturreformen zu beschließen. Österreich sei vor dem Beginn der Finanzkrise bereits auf gutem Weg gewesen, erklärte sie. Mit Populismus und dem Wechseln von politischem Kleingeld könne die Krise jedenfalls nicht bewältigt werden. Um die Frühpensionen einzudämmen, will Tamandl nach dem Vorbild Schwedens auch ein Malussystem für Unternehmen einführen, die Beschäftigte in Frühpension schicken.

Abgeordneter Norbert HOFER (F) machte geltend, die Finanzkrise habe letztendlich auch zu einer Krise der Demokratie geführt. Es sei allerdings ein Irrglauben, dass man die Krise durch eine Aushöhlung der Demokratie lösen könne, sagte er. Wolle man die Unterstützung der FPÖ bei der Krisenbewältigung, dann führe kein Weg an mehr direkter Demokratie in Österreich vorbei. Hofer erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass viele Versprechen der Politik beim seinerzeitigen EU-Beitritt nicht gehalten worden seien. Generell hielt Hofer fest, die FPÖ sei für eine europäische Integration, sie wolle aber ein anderes, ein subsidiäres Europa.

Abgeordnete Daniela MUSIOL (G) wertete es als überraschend, dass sich die FPÖ nunmehr für mehr direkte Demokratie stark mache. Angesichts der negativen Beurteilung des Bildungs-Volksbegehrens bezweifelt sie, dass es der FPÖ damit auch wirklich ernst ist. In Richtung Abgeordnetem Lopatka hielt Musiol fest, die Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren sei durch zu restriktives Sparen ausgelöst worden. Ihr zufolge führt die Einführung einer Schuldenbremse außerdem nicht dazu, dass ausgewogene, sozial gerechte und nachhaltige Budgets beschlossen werden. Bei Klimaschutz, Bildung und Gesundheit dürfe man aber nicht sparen, warnte sie.

Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B) meinte, nicht jene, die Kritik an der aktuellen Europapolitik übten, würden dem Europagedanken schaden, sondern jene "Euphoriker" die jede Kritik an der EU zurückweisen. Es sei natürlich notwendig, das Feuer zu löschen, führte er in Bezug auf die aktuelle Krise aus, man müsse aber endlich auch die Brandstifter lokalisieren, die das Feuer immer wieder anfachten. Scheibner forderte in diesem Sinn neue Wege zur Krisenbewältigung und urgierte etwa die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und die Implementierung eines Kerneuropa. (Schluss Aktuelle Europastunde/Fortsetzung Nationalrat)