Parlamentskorrespondenz Nr. 32 vom 18.01.2012

Parteipolitik im ORF unter Beschuss

Dringlicher Antrag der Grünen zu Strukturreform im ORF

Wien (PK) – Um parteipolitische Einflussnahme im ORF ging es in der Debatte um einen Dringlichen Antrag unter dem Titel "Parteipolitik raus, echte Unabhängigkeit rein", den die Grünen in der heutigen Nationalratssitzung eingebracht haben. Die Antragsteller, Abgeordneter Dieter Brosz und Abgeordneter Wolfgang Zinggl, vertreten darin die Auffassung, dass die immer wiederkehrenden Diskussionen um parteipolitische Personalentscheidungen weniger mit den handelnden Personen, sondern mit der Struktur der Entscheidungsfindungen zu tun haben, die dem ORF durch die Politik in Form des ORF-Gesetzes auferlegt wird.

Sie fordern daher eine Neugründung des Stiftungsrats nach dem Vorbild der ÖIAG sowie die Streichung der Verpflichtung der Generaldirektion, vor Erstattung eines Vorschlags für die Bestellung und Abberufung von LandesdirektorInnen eine Stellungnahme des jeweiligen Bundeslandes einzuholen. Schließlich soll den gewählten Mitgliedern des Stiftungsrats per Gesetz zu untersagt werden, während ihrer Funktionsperiode in Geschäftsbeziehungen zum ORF zu treten, ebenso soll ein Wechsel von Stiftungsratsmitgliedern in das Unternehmen in den ersten vier Jahren nach Beendigung ihrer Stiftungstätigkeit nicht möglich sein.

Der Antrag der Grünen blieb jedoch in der Minderheit und wurde somit abgelehnt.

In der Begründung des Antrags klagte Abgeordneter Dieter BROSZ (G), der ORF sei in seinen Entscheidungsstrukturen zutiefst von Parteipolitik geprägt. Es gebe zwar nunmehr weniger politische Einflussnahme als noch vor 2006, mit der Unabhängigkeit des Unternehmens sei es nicht weit her. Der Redner sprach neben dem Fall Pelinka auch andere Postenbesetzungen im ORF an, die, wie er sagte, parteipolitisch motiviert waren, und nannte in diesem Zusammenhang Helmut Krieghofer, Robert Ziegler und Thomas Prantner. Brosz kritisierte vor allem die Möglichkeit des Wechsels vom Stiftungsrat in das Unternehmen und forderte unter dem Motto "Parteipolitik raus, Unabhängigkeit rein" eine Neugestaltung des Stiftungsrats in ein sich selbst zu erneuerndes Gremium nach dem Vorbild des ÖIAG-Gesetzes sowie einen Ausschluss der politischen Einflussnahme durch die Landeshauptleute.

Bundeskanzler Werner FAYMANN bekannte sich zu einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zu dessen Unabhängigkeit, gab gleichzeitig aber zu bedenken, es sei klar, dass die repräsentative Demokratie darüber zu entscheiden habe, wie dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk gestaltet wird. Das Modell einer sich selbst erneuernden Einrichtung wäre jedenfalls nicht der Weisheit letzter Schluss und sei, wie Faymann erinnerte, bei der Diskussion über das ÖIAG-Gesetz von den Grünen selbst wegen mangelnder Transparenz kritisiert worden. Der Kanzler zeigte sich gesprächsbereit über eine Verbesserung der Strukturen, rief aber zu Ehrlichkeit in der Diskussion auf. Er verwies auf zahlreiche andere europäische Staaten, von Großbritannien über die Schweiz und Deutschland bis Dänemark, in denen die politischen Parteien bei Besetzungen im öffentlichen Rundfunk mitbestimmen, und kam zu dem Schluss, es gebe kein Modell in Europa, wo die repräsentative Demokratie keinerlei Einflussnahme auf die Personalentscheidungen bei den Öffentlich-Rechtlichen habe.

Abgeordneter Werner KOGLER (G) forderte den ORF auf, sich aus der Geiselhaft der parteipolitischen Einflussnahme zu befreien, und unterstrich, es gehe hier um die Glaubwürdigkeit des Unternehmens. Er untermauerte den Vorschlag seiner Fraktion nach einem neuen Modus für die Bestellung der Mitglieder des Stiftungsrats, betonte aber, es sei selbstverständlich, dass der Nationalrat die Auswahl darüber zu treffen habe, welche Institutionen in einem diesbezüglichen Gründungskonvent vertreten sein sollen.

Abgeordneter Josef CAP (S) rückte die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten des ORF ins Bild und stellte, Armin Wolf zitierend, fest, noch nie hätten die JournalistInnen im ORF eine so große Freiheit wie heute gehabt. Um die hohe Qualität der Berichterstattung aufrecht zu erhalten und die Arbeitsbedingungen zu verbessern sei es aber unabdingbar, dem ORF regelmäßig die Gebührenbefreiungen zu refundieren, gab Cap zu bedenken. Skeptisch äußerte er sich zum Vorschlag der Grünen, wobei er argumentierte, ein Stiftungsrat nach dem Vorbild der ÖIAG-Struktur wäre nichts anderes als eine Vorstufe zur Privatisierung.

Abgeordneter Karlheinz KOPF (V) qualifizierte das Motto der Grünen "Parteipolitik raus, Unabhängigkeit rein" als "heuchlerisch", wofür er später von der Präsidentin des Nationalrats einen Ordnungsruf erhielt. Es seien Rot, Grün und Orange gewesen, die vor fünf Jahren Wrabetz, einen, wie er sagte, unfähigen Manager, der unter der Kuratel einer Partei steht, an die Spitze des ORF gesetzt haben. Die Grünen hätten sich dabei korrumpieren lasse, es stehe ihnen daher nicht zu, mit dem Finger auf andere zu zeigen, bemerkte Kopf. Der V-Klubobmann plädierte für eine Gremienreform im ORF und schlug dabei insbesondere eine Eigentümerversammlung vor, die die Öffentlichkeit repräsentiert, sowie einen qualifizierten Aufsichtsrat und eine Geschäftsführung aus mehr als nur einer Person.

Abgeordneter Harald VILIMSKY (F) sieht, wie er sagte, die dringende Notwendigkeit, den ORF "an Haupt und Gliedern" zu reformieren. Er kritisierte nicht nur die angekündigte Bestellung von Niko Pelinka zum Büroleiter von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, sondern auch das ORF-Programm. Seiner Ansicht nach ist der öffentlich-rechtliche Charakter des Senders nicht sichtbar, Vilimsky ortet einen viel zu hohen Unterhaltungsanteil und viel zu viele US-amerikanische Soap-Operas.

Vilimsky wandte sich allerdings gegen den Vorschlag der Grünen, der Politik das Nominierungsrecht für Stiftungsräte zu nehmen. Solange der ORF gebührenfinanziert sei, sei es Aufgabe der Politik, die Interessen der WählerInnen im ORF wahrzunehmen, meinte er. Dabei gehe es nicht um Einflussnahme auf die Berichterstattung, sondern etwa um die Sicherung der Programmqualität oder die Prüfung des wirtschaftlichen Gebarens. Die Alternative ist für Vilimsky, den ORF zu privatisieren und die Rundfunkgebühren zu streichen. Anstelle der ORF-Gebühren will er eine allgemeine Medienförderung etablieren.

Abgeordneter Stefan PETZNER (B) sprach sich dafür aus, den Parteieneinfluss im ORF zur Gänze zurückzudrängen. Seiner Meinung nach ist der Versuch der politischen Einflussnahme auf den ORF nichts Neues, dieses System gelte es zu bekämpfen. Man solle den ORF von einer Stiftung öffentlichen Rechts in eine private Aktiengesellschaft umwandeln, bei der der Staat eine Sperrminorität von 25% der Aktien hält, schlug er vor. Gleichzeitig sollten die "Zwangsgebühren" abgeschafft und stattdessen Volksaktien aufgelegt werden. Der stark sinkende Marktanteil des ORF zeigt für Petzner, dass die ÖsterreicherInnen dem Sender nicht mehr vertrauen.

Zur allgemeinen Kritik an der angekündigten Bestellung von Niko Pelinka zum Büroleiter von ORF-Chef Alexander Wrabetz merkte Petzner an, es gehe um das System, das in Frage zu stellen sei. Man könne verschiedene Dinge wie etwa die Art der Ausschreibung oder die Gehaltseinstufung kritisieren, es sei aber nicht in Ordnung, die Frisur, die Kleidung oder das Alter eines Menschen "zum Gegenstand einer unwürdigen politischen Debatte" zu machen. In diesem Sinn rief er auch die ORF-RedakteurInnen zur Mäßigung auf.

Für den Begriff "heuchlerisch" erteilte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer auch Petzner einen Ordnungsruf.

Abgeordneter Wolfgang ZINGGL (G) meinte, die völlige Unabhängigkeit des ORF möge eine Illusion sein, man solle aber versuchen, sich sukzessive diesem Ziel zu nähern. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an den Erfolg des Rundfunk-Volksbegehrens in den 60er-Jahren, als die Politik nach langer Gegenwehr den Weg für einen zumindest am Papier unabhängigen ORF frei gemacht habe. Nun sei ein nächster Schritt notwendig, unterstrich Zinggl, die Bevölkerung habe den Parteieneinfluss und Postenschacher im ORF "endgültig satt".

Abgeordnete Sonja STESSL-MÜHLBACHER (S) sprach sich gegen eine Privatisierung des ORF aus. Sie fürchtet, dass in einem solchen Fall der öffentlich-rechtliche Bildungsauftrag auf der Strecke bleiben würde. Überdies erinnerte sie daran, dass das Motto "mehr privat, weniger Staat" in der Zweiten Republik schon mehrmals "in die Hose gegangen" sei. Die SPÖ ist ihr zufolge außerdem strikt dagegen, die ArbeitnehmerInnenrechte im ORF zu beschneiden.

Allgemein hielt Steßl-Mühlbacher fest, der ORF leiste "ausgezeichnete Arbeit", nicht nur bundesweit, sondern auch mit den ORF-Landesstudios. Auch die Zuseher- und Zuhörerquoten sind ihrer Meinung nach weiter hervorragend. Der ORF habe sich überdies wirtschaftlich stabilisiert.

Abgeordneter Reinhold LOPATKA (V) wertete es als "kühnes Unterfangen" von Seiten der Grünen, das "System Wrabetz" zu kritisieren. Schließlich seien die Grünen am Beginn der Ära Wrabetz Hauptnutznießer dieses Systems gewesen, sagte er. Für ihn ist das "System Wrabetz" unter anderem durch eine "höchst eigenwillige" Methode bei Personalentscheidungen und rapid sinkende Zuseherquoten gekennzeichnet. Lopatka machte zudem darauf aufmerksam, dass Wrabetz den ORF mit einem Eigenkapital von 300 Mio. € übernommen und in sechs Jahren trotz zusätzlicher Mittel im Ausmaß von 160 Mio. € davon 180 Mio. € "vernichtet" habe.

Abgeordneter Martin STRUTZ (F) wertete es als unzulässig, dass Bundeskanzler Werner Faymann und die SPÖ versuchten, ORF-Redakteur Armin Wolf zu vereinnahmen, und ständig auf dessen Aussage verwiesen, dass der ORF unter Direktor Wrabetz viel unabhängiger sei als früher. Strutz zitierte aus verschiedenen Einträgen von Wolf auf Twitter, in denen Wolf Faymann vorwirft, nur Teile eines Interviews mit ihm zu zitieren. Nach Meinung von Strutz ist Bundeskanzler Faymann in der Causa Pelinka aufgefordert, ein Machtwort zu sprechen und Pelinka zum Rückzug zu bewegen. Kritik übte er auch an der Gehaltserhöhung der ORF-Spitze.

Abgeordneter Gerald GROSZ (B) qualifizierte die laufende Diskussion als grotesk. Seit es den ORF gebe, sei Vetternwirtschaft und parteipolitische Einflussnahme gang und gäbe, bekräftigte er. Der Fall Niko Pelinka sei nur einer von vielen. Auch für viele Grüne habe man Jobs geschaffen. Gleichzeitig hätten alle Nationalratsparteien mit Ausnahme des BZÖ dem ORF zusätzliche Mittel von mehr als 100 Mio. € genehmigt, um das "Postenschacherparadies über Wasser zu halten". Grosz plädierte dafür, den ORF zu privatisieren und die "Zwangsgebühren" abzuschaffen. An die RedakteurInnen des ORF appellierte er, "ihre Aufgeregtheit zurückzunehmen" und wieder zu ihrem Job zurückzukehren.

Abgeordnete Judith SCHWENTNER (G) setzte sich mit der Situation der Frauen im ORF auseinander. Auf den ersten Blick seien Frauen im ORF sehr präsent und der Frauenanteil mit insgesamt 42,5% auch sehr hoch, meinte sie, in den hohen Verwendungsgruppen seien Frauen aber nach wie vor unterrepräsentiert. Für Schwentner ist die Bestellung von Niko Pelinka zum Büroleiter von Wrabetz daher auch unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebots problematisch.

Abgeordneter Hannes WENINGER (S) plädierte für eine sorgfältige Debatte über den sensiblen Bereich Medienpolitik und über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Kritik am ORF und an dessen Programmgestaltung wies der Redner mit Hinweisen auf qualitativ hochwertige Sendungen zurück und machte auf den massiven technischen Aufholprozess des ORF in der Ära Alexander Wrabetz aufmerksam. Positiv sah der Abgeordnete auch, dass in der Sportberichterstattung neuerdings auch Randsportarten einen festen Platz gefunden haben. Die gute Entwicklung des ORF werde durch entsprechende Einschaltquoten deutlich unter Beweis gestellt. Den Vorschlag, die Vertreter der repräsentativen Demokratie beim ORF durch Vertreter privater Medien oder von Investoren zu ersetzen, wies Weninger zurück. Die Beziehung zwischen Journalismus und Politik müsse fair geregelt und zukunftsorientiert weiterentwickelt werden - das sei das Anliegen der Sozialdemokratie.

Abgeordneter Wolfgang GERSTL (V) wies Vorwürfe gegenüber Staatssekretär Waldner von Seiten des BZÖ zurück und wandte sich gegen Vorschläge für eine Privatisierung des ORF, weil dies eine Unterwerfung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter Kapitalinteressen bedeuten würde. Die Grünen erinnerte der Redner an deren euphorischen Erwartungen für eine Wiederherstellung der politischen Unabhängigkeit des ORF bei der Bestellung Alexander Wrabetz'. Gesprächsbereit gegenüber den Antragstellern zeigte sich der Redner über Strukturreformen beim ORF, die mit einer Diskussion über die Zielrichtung des ORF seriös vorbereitet werden sollten. Es gehe um die Unabhängigkeit des ORF und um eine seriöse Diskussion im Verfassungsausschuss mit entsprechenden Konsequenzen, meinte Gerstl.

Abgeordneter Dieter BROSZ (G) stellte mit Bedauern fest, die SPÖ habe in der Debatte erkennen lassen, dass sie beim ORF nur in den Alternativen Privatisierung oder Parteibuchwirtschaft denken könne, die Möglichkeit zivilgesellschaftlicher Führungsstrukturen aber völlig außer Acht lasse. Den Äußerungen der ÖVP-Redner hielt Brosz Erinnerungen an die Verhältnisse in der ORF-Ära Mück/Lindner entgegen. ORF-Generalintendant Alexander Wrabetz habe sich Parteipolitik aufoktroyieren lassen, klagte Brosz und räumte ein, dass es falsch gewesen sei, einen Stiftungsrat direkt in das Unternehmen zu setzen. Niemand sei aber gezwungen, Fehler zu wiederholen, schloss Brosz. (Ende Dringlicher Antrag/Fortsetzung Nationalrat)