Parlamentskorrespondenz Nr. 124 vom 28.02.2012

Opposition fordert von Regierung mehr Information in Sachen EU

EU-Hauptausschuss zu Serbien, Kosovo, Schengen, Arabischem Frühling

Wien (PK) – Neben finanzpolitischen Fragen zur Stabilisierung der Eurozone standen vor allem außenpolitische Themen im heutigen EU-Hauptausschuss im Mittelpunkt der Diskussion, der im Vorfeld des Europäischen Rates vom 1. und 2. März 2012 tagte. Dies betraf insbesondere den zu erwartenden Beschluss über den Kandidatenstatus für Serbien, der seitens der Abgeordneten allgemein begrüßt wurde. Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger bemerkte in diesem Zusammenhang, dieser Schritt sei auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU. Der Außenminister unterstrich einmal mehr das Interesse Österreichs an einer europäischen Perspektive für die Länder des Westbalkans und sicherte die Unterstützung Österreichs für die Annäherung des Kosovo an Europa zu.

Spindelegger bedauerte, dass aufgrund des Widerstands von Seiten der Niederlande und Finnlands der Schengenraum für Rumänien und Bulgarien nicht geöffnet wird, obwohl beide Länder die von der EU formulierten Auflagen erfüllt haben.

Der Arabische Frühling wurde von den Abgeordneten mit gemischten Gefühlen bewertet, zumal die neuesten Entwicklungen in einigen Ländern Anlass zur Sorge um die demokratische Entwicklung und die Wahrung der Menschenrechte gibt. Der Außenminister verwies dabei auf die von der EU beschlossenen Nachbarschaftsprogramme, die an demokratische Standards und die Einhaltung der Menschenrechte anknüpfen. Er blieb auch bei seiner massiven Kritik am syrischen Regime.

Harsche Kritik wegen mangelnder Informationspolitik übten die Grünen an der Regierung. Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) sprach von einem "demokratiepolitischen Ausnahmezustand" und forderte umgehende Informationen über das von der Eurogruppe ausverhandelte zweite Griechenlandpaket ein. Die Bundesregierung möge sich ein Beispiel an Deutschland nehmen, wo der Bundestag über umfassende und klare Unterlagen verfüge, klagte er. Die österreichische Regierung werde für die nötige Zweidrittelmehrheit für den ESM die Stimmen der Grünen benötigen, dies werde schwierig sein, wenn es darüber keine ausreichenden Informationen gibt, mahnte Van der Bellen. Sowohl Bundeskanzler Werner Faymann als auch Vizekanzler Michael Spindelegger machten klar, dass die Regierung über all diese Fragen mit dem Parlament so rasch wie möglich in Verhandlung treten werde. Es gehe aber nicht an, sagte Faymann, mit Drohungen zu agieren, sondern Grundlage könne nur ein respektvoller Umgang miteinander sein, mit dem Ziel, die gemeinsame Basis in Europa zu stärken. Der Kanzler sprach sich im Hinblick auf den ESM dafür aus, den Schutzschirm stärker auszustatten, um eine bessere Präventivwirkung zu erzielen. Die Hilfen müssen selbstverständlich an bestimmte Konditionen gebunden sein, stellte er klar.

Der kommende Gipfel werde nach der Einigung über das Griechenlandpaket kein Euro-Gipfel sein, erläuterte Faymann in weiterer Folge, die Diskussion über den ESM und den Schutzschirm sei für den März zu erwarten. Er werde sich aber einmal mehr für die rasche Einführung der Finanztransaktionssteuer, eine Regulierung der Finanzmärkte, die Schaffung einer europäischen Ratingagentur sowie für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einsetzen. Die Idee der Finanztransaktionssteuer werde nunmehr von 9 Ländern sowie von der Kommission unterstützt und es gehe nun darum, Nägel mit Köpfen zu machen, meinte Faymann, nachdem Abgeordneter Gerald Grosz (B) Zweifel geäußert hatte, dass die Einführung der Finanztransaktionssteuer bis 2014 gelingt.

Im Rahmen dieses Themenblocks brachten die drei Oppositionsparteien Anträge auf Stellungnahme ein, die jedoch keine Mehrheit erhielten. So kritisierten die Freiheitlichen den Zahlungsstopp aus EU-Fördermitteln an Ungarn, und das BZÖ verlangte einmal mehr einen sofortigen Zahlungsstopp an Griechenland sowie die Schaffung einer Euro-Kernzone. Die Grünen wiederholten ihre Forderung nach Einberufung eines europäischen Konvents zur Etablierung einer handlungsfähigen und demokratisch legitimierten europäischen wirtschaftspolitischen Steuerung.

Bundeskanzler Faymann informierte die Abgeordneten auch darüber, dass die Wiederwahl des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy anstehe und er sich für eine zweite Amtsperiode Rompuys aussprechen werde.

Opposition kritisiert massiv Informationspolitik der Regierung

Wie der vorliegende Entwurf für die Schlussfolgerungen des kommenden Europäischen Rats festhält, ist die Europäische Union nun verstärkt um Maßnahmen bemüht, Europa wieder auf einen Wachstumspfad zurückzuführen. Dazu seien einerseits Maßnahmen zur finanziellen Stabilität und Budgetkonsolidierung notwendig, andererseits aber auch Schritte, um das Wachstum zu fördern. Die Staats- und RegierungschefInnen bekräftigen, an der Strategie Europa 2020 festhalten zu wollen und sich damit auch in höherem Ausmaß der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu widmen.

Diese Zielrichtung wurde insbesondere von Abgeordneter Christine Muttonen (S) begrüßt. Eine rigide Sparpolitik sei zu wenig, viel mehr brauche es eine differenzierte und wachstumsfreundliche Konsolidierung, sagte sie. Deshalb sei die 2020-Strategie, die den Fokus auf Bildung, Beschäftigung und Investitionen legt, enorm wichtig. Muttonen zeigte sich zufrieden darüber, dass der dänische Vorsitz primär beim Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit ansetzen will. Es sei notwendig, Fehlentwicklungen am Arbeitsmarkt frühzeitig zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Muttonen stellte abermals die Forderung nach einer verbindlichen Obergrenze für die gesamtstaatliche Arbeitslosenrate in den Raum, was sie für eine sinnvolle Ergänzung zu den Maastricht-Kriterien halte.

Auch die Grünen forderten, Weichen für längst überfällige Zukunftsinvestitionen (Green New Deal) zu stellen. Ihnen zufolge fehlen beim Fiskalpakt Einschätzungen über dessen Auswirkungen. Wenn man nicht zusätzliche Investitionen einplane, komme es unweigerlich zu einer Rezession, warnte Kogler. Abgeordneter Alexander Van der Bellen äußerte massive Zweifel, dass der ausgehandelte Schuldendeal mit Griechenland die grundlegenden Probleme des Landes lösen wird, da der Pakt seiner Meinung nach weder eine Perspektive für eine wirtschaftliche Erholung enthalte, noch die zahlreichen wohlhabenden Griechinnen und Griechen in die Pflicht genommen werden. Griechenland sei nach wie vor insolvent, sagte er, und ein Geheimpapier der Troika schätze die Wahrscheinlichkeit, dass das Ganze schief geht, höher ein als einen positiven Ausgang. Der Bundeskanzler merkte dazu an, es gebe keine Garantie, dass alles gut gehen werde. Er würde es lieber sehen, mehr Regelwerke zu haben und den Schutzschirm stärker auszustatten. Er beantwortete damit auch eine Frage von Abgeordnetem Konrad Steindl (V).

Empört zeigte sich Van der Bellen ebenso wie sein Klubkollege Werner Kogler (beide G) über die mangelnde Information im Hinblick auf den Fiskalpakt und das zweite Griechenlandpaket. In Anbetracht der Tatsache, dass das Parlament darüber kaum etwas Konkretes wisse, komme ihm "die Galle hoch", formulierte Van der Bellen pointiert. Eine ausreichende Informationspolitik sei eine Frage der Glaubwürdigkeit und der Haltung, stellte Kogler in Richtung der beiden anwesenden Regierungsvertreter fest und erinnerte daran, dass die Koalition die Unterstützung beim ESM brauchen werden. Dieser werde seitens der Grünen durchaus "respektabel" beurteilt und man verlange auch nicht, den Vertrag nochmals aufzuschnüren. Der ESM werde seine Wirkung nur dann entfalten können, wenn andere Schritte, wie Staatsanleihen oder die Finanztransaktionssteuer, gesetzt werden. Vor allem brauche man demokratische Prozesse und im Vorfeld dazu die Einberufung eines europäischen Konvents, forderten beide.

Dazu bemerkte Abgeordneter Josef Cap (S), der Konvent entspreche nicht mehr der Realität der Union. Das habe man bei der Krisenbewältigung der letzten Jahre gesehen, wo Rat, Regierungen, Europäisches Parlament und nationale Parlamente die Hauptrolle gespielt haben. Er gestand aber zu, dass über all diese Fragen ein wesentlich höherer Diskussions- und Informationsbedarf besteht. Auch Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger versicherten ihre Bereitschaft, über diese Themen demnächst in eine intensive Diskussion zu treten.

Spindelegger: Kandidatenstatus für Serbien ist Frage der Glaubwürdigkeit der EU

Nachdem alle 27 Staaten befürworten, Serbien den EU-Kandidatenstatus zu geben gehe er davon aus, dass es beim Gipfel am 1. und 2. März zu einem diesbezüglichen formellen Beschluss komme, zeigte sich Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger überzeugt. Österreich habe sich "richtig ins Zeug gelegt" und gemeinsam mit Frankreich und Italien die Initiative gestartet. Serbien erfülle die Bedingungen, die im Dezember formuliert worden waren, und habe sich nach dem Zwischenfall im Norden des Kosovo kooperativ gezeigt. Serbien sei beispielsweise beim gemeinsamen Grenzmanagement oder auch in der Frage des Grundbuchs und des Zollstempels äußerst konstruktiv vorgegangen und habe damit das tägliche Zusammenleben der Menschen beider Länder wesentlich erleichtert. Die Verleihung des Kandidatenstatus sei daher eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU konstatierte Spindelegger und wies darauf hin, dass die Stabilität am Westbalkan im ureigensten Interesse Österreichs liege. Für das Engagement Österreichs seien auch wirtschaftliche Interessen ausschlaggebend.

Diese Politik Österreichs gegenüber Serbien aber auch in der Kosovofrage wurden vor allem von den Abgeordneten Fritz Neugebauer (V), Wolfgang Gerstl (V) und Alexander Van der Bellen (G) begrüßt. Belgrad habe sich um die vollständige Umsetzung der im Dezember 2011 von der EU formulierten Bedingungen bemüht und diese auch erfüllt, und das sei auch ein Verdienst der Außenpolitik Österreichs gemeinsam mit Frankreich und Italien, betonte der zweite Nationalratspräsident Fritz Neugebauer. Der Kandidatenstatus sollte nun für Serbien ein Ansporn sein, die Reformen im eigenen Land weiter zu führen und die Beziehungen zum Kosovo auch nach den Wahlen fortzusetzen. Neugebauer befürwortete insbesondere die Perspektive, mit dem Kosovo ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abzuschließen, worauf der Außenminister darauf hinwies, dass sich Österreich dafür eingesetzt habe, eine Machbarkeitsstudie für ein derartiges Abkommen zu erstellen, zumal es einige rechtliche Fragen zu klären gebe. Auch beim Wunsch nach einer Visafreiheit für den Kosovo werde das Land unterstützt, man arbeite an der Ausformulierung von Bedingungen, informierte er.

Bedenken äußerte jedoch Abgeordneter Andreas Karlsböck (F). Der Kandidatenstatus Serbiens stelle einen Kompromiss dar, und es sei eine Tatsache, dass es in Bezug auf den Nordkosovo keine Einigung geben werde. Dem hielt der Außenminister entgegen, in der Politik seien Kompromisse notwendig, und warnte davor, an derartig sensible Fragen defaitistisch heranzugehen, da die Menschen eine Perspektive brauchen und es im übrigen Fortschritte gebe.

Schengenerweiterung um Rumänien und Bulgarien: Bitte warten

Auch die Frage der Erweiterung des Schengenraums um Rumänien und Bulgarien beschäftigte die Abgeordneten im heutigen Ausschuss. Obwohl die beiden Länder die von der EU festgelegten Bedingungen erfüllt haben und der Kommissionsbericht positiv ausgefallen ist, legen sich nun die Niederlande und Finnland quer, sodass es zu keinem Beschluss beim diesmaligen Europäischen Rat kommen wird, informierte der Außenminister. Diese Entwicklung werde von Österreich bedauert, betonten sowohl Spindelegger als auch Faymann. Wenn es eine Vorgabe gibt und diese erfüllt wird, sei es unfair, neue Hürden zu verlangen, sagten beide. Es gehe dabei auch um die Verlässlichkeit der Europäischen Union, zumal vereinbart worden sei, die Grenzkontrollen in zwei Stufen aufzuheben, nämlich beim Flugverkehr im März 2012 und beim Landverkehr im Juni 2012.

Auch Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) schloss sich dem an und meinte, man müsse sich auch überlegen, welche politischen Signale man den Ländern und deren Bevölkerung damit sende. Die Menschen brauchen eine Perspektive und dazu gehöre auch die ungehinderte Mobilität innerhalb der Union.

Dem gegenüber führte Abgeordneter Josef Cap (S) ins Treffen, dass hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz, der Justizreform und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität noch gravierende Mängel festzustellen seien und man die Augen davor nicht zudrücken dürfe, da dies ja auch Auswirkungen auf die sicherheitspolitischen Aufgaben anderer Staaten habe. Dem schlossen sich die Abgeordneten Johannes Hübner (F) und Gerald Grosz (G) an.

FPÖ zu EU-Politik gegenüber Ungarn: Nicht mit zweierlei Maß messen

Gegen den Entzug von Fördermitteln aus den Regionalfonds für Ungarn sprachen sich vor allem die Abgeordneten der FPÖ aus. Abgeordneter Johannes Hübner (F) sprach von einer Ungleichbehandlung gegenüber Griechenland und wies darauf hin, dass die Budgetpolitik Ungarns für 2012 ein Defizit von 2,9 Prozent vorsehe, für Frankreich sei ein Defizit von 4,5 Prozent prognostiziert, für Spanien 4,4 Prozent. Es könne daher nicht sein, Ungarn die Mittel wegen des Budgetdefizits zu sperren. Auch Abgeordneter Andreas Karlsböck (F) appellierte für eine verständnisvollere Politik gegenüber dem Nachbarland.

Bundeskanzler Werner Faymann argumentierte, Ungarn werde nicht sofort etwas gestrichen, sondern die EU beabsichtige für das Jahr 2012 einen Prozess der Klärung. Gemeinschaftseinrichtungen seien dazu da, beschlossene Vereinbarungen zu überwachen und man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Ungarn in der Budgetpolitik zu viele Einmaleffekte eingebaut habe und keine nachhaltige Konsolidierungspolitik betreibe. Der Vizekanzler informierte, dass das Thema am 13. März auf der Tagesordnung des ECOFIN stehen werde und bis dahin werde Österreich eine Stellungnahme ausarbeiten. Man werde nicht mit zweierlei Maß messen, versicherte Spindelegger, es gehe allein darum, was Faktum ist.

Arabischer Frühling - viel Skepsis und Unsicherheit

Die Lage in den Ländern des Arabischen Frühlings wurde seitens aller Diskussionsteilnehmer mit großer Sorge beurteilt. Abgeordneter Gerald Grosz (B) stellte aus seiner Sicht fest, der Arabische Frühling entwickle sich zu einer "arabischen Steinzeit", man gehe einen ähnlichen Weg wie der Iran. Er kritisierte in diesem Zusammenhang die österreichische Außenpolitik, die diese Entwicklungen weiter unterstütze, obwohl im arabischen Raum zunehmend Minderheiten wie die Christen verfolgt werden. Der Arabische Frühling habe aus stabilen Ländern instabile Regionen gemacht, so Grosz.   

Die Sorge um die Entwicklung wurde von den anderen Abgeordneten geteilt, wobei Außenminister Spindelegger darauf hinwies, dass die Entwicklung in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist. Abgeordneter Josef Cap (S) unterstricht die Notwendigkeit einer demokratischen Entwicklung im Mittelmeerraum und warnte davor, Feindbilder zu entwickeln. Vielmehr sei es Aufgabe der Außenpolitik gegenzusteuern. Abgeordneter Johannes Hübner (F) wiederum meinte, man müsse die Wahlergebnisse respektieren, das sei eben Demokratie. Dem stimmte auch der Außenminister zu, indem er geltend machte, dass die Nachbarschaftsprogramme eng mit demokratischen Standards und mit der Wahrung der Menschenrechte in den betreffenden Ländern verknüpft seien.

Was Syrien betrifft, so habe der außenpolitische Rat neue Sanktionen vorgeschlagen, etwa das Einfrieren der Assets für die syrische Zentralbank. Man wolle damit ein klares Signal setzen, dass die EU auf dem Sanktionsweg bleibt, solange das syrische Regime nicht einlenkt. Gleichzeitig habe man im Ministerrat den Beschluss gefasst, 250.000 € aus dem Auslandskatastrophenfonds für humanitäre Hilfe der UNO zur Verfügung zu stellen, reagierte er auf eine Frage des Abgeordneten Alexander Van der Bellen (G). Sollten sich Flüchtlingsströme in den Libanon ergeben, werde man auch über eine entsprechende Unterstützung nachdenken, sicherte Spindelegger Abgeordneter Christine Muttonen (S) zu. (Schluss)