Parlamentskorrespondenz Nr. 141 vom 01.03.2012

Androsch wünscht sich nationale Kraftanstrengung in Sachen Bildung

Erste inhaltliche Debatte über Bildungsvolksbegehren im Hohen Haus

Wien (PK) – Nach seiner Konstituierung im Februar nahm heute der Besondere Ausschuss zur Vorberatung des Volksbegehrens Bildungsinitiative seine Beratungen wieder auf. Im ersten Teil des Ausschusses wurde eine Generaldebatte durchgeführt, in der sowohl die Abgeordneten, als auch die VertreterInnen des Volksbegehrens sowie die von den Fraktionen entsandten ExpertInnen grundsätzliche Statements abgaben. Der zweite Teil widmete sich dann dem Thema "Vorschulische Einrichtungen – Frühpädagogik". Ausschussvorsitzender Elmar Mayer (S) informierte darüber, dass der Ausschuss zu weiteren Beratungen am 16. April und am 7. Mai 2012 zusammentreten wird, wobei die Themen "Schwerpunkte in den Bereichen Pädagogik und Bildung" bzw. "PädagogInnenausbildung" und "Universitäten, Erwachsenenbildung" im Mittelpunkt stehen werden.

Hannes Androsch: "Die Schulen sind Treibhäuser der Zukunft"

Der Bevollmächtigte des Volksbegehrens, Hannes Androsch, bedankte sich eingangs für die Einladung in den Ausschuss, weil damit die Gelegenheit bestehe, die Anliegen der insgesamt 383.724 UnterstützerInnen des Volksbegehrens ausführlich zu diskutieren und weil dadurch auch der Respekt vor direktdemokratischen, überparteilichen Initiativen zum Ausdruck komme.

Schon die erste Lesung im Hohen Haus habe den breiten Konsens bei allen Parlamentsparteien über die Bedeutung der Bildung und Ausbildung für jeden jungen Menschen erkennen lassen, sagte er. Aus diesem Grund erhoffe er sich auch, dass den Diskussionen konkrete Ergebnisse folgen, damit die derzeit herrschende Resignation bei den Menschen bezüglich ihrer Einflussmöglichkeiten auf die Politik überwunden wird. Auch wenn im österreichischen Bildungssystem sicherlich nicht alles schlecht sei, so belegten doch zahlreiche Untersuchungen und Studien, dass Reformen dringend notwendig sind, betonte Androsch. Es sei besonders bedeutsam, den Veränderungen in der Gesellschaft und Wirtschaft Rechnung zu tragen sowie die Erkenntnisse und Erfahrungen der Neurowissenschaften, der kognitiven Psychologie, der Erziehungswissenschaften, der Entwicklungspsychologie etc. in die Praxis umzusetzen.

Im Zentrum aller Überlegungen müsse stehen, dass jeder junge Mensch, egal welcher Herkunft, die gleichen Chancen erhält, um ein erfolgreiches, selbstbestimmtes Leben zu führen. Gleichzeitig müsse anerkannt werden, dass es sich beim Lehrerberuf um einen der wichtigsten und schwierigsten handle und dass daher die besten Rahmenbedingungen für die PädägogInnen geschaffen werden müssen. Insgesamt bedürfe es einer nationalen Kraftanstrengung, die eine Überwindung der Partikularinteressen impliziert, um ein zeitgemäßes Bildungssystem zu entwickeln, das jeden internationalen Vergleich bestehen könne.

ParteienvertreterInnen anerkennen Reformbedarf im Bildungssektor

Sodann stellten die VertreterInnen aller fünf Parlamentsparteien in kurzen Wortmeldungen ihre Positionen dar, wobei sie einheitlich den InitiatorInnen des Volksbegehrens für deren Engagement in Sachen Bildung dankten. Durch die Behandlung der zwölf Punkte des Volksbegehrens in einem eigenen Ausschuss wolle man zum Ausdruck bringen, dass die Anliegen der BürgerInnen sehr ernst genommen werden, unterstrich ausdrücklich Ausschussvorsitzender Elmar Mayer (S). 

Abgeordnete Andrea Kuntzl (S) wertete es als ersten großen Erfolg des Volksbegehrens, dass das Thema Bildung nun so umfassend in der Öffentlichkeit debattiert werde. Ihr ging es vor allem um die Weiterentwicklung des Bildungssektors hin zu einem chancengerechten System, das im Kindergarten beginnt und bis hin zur Erwachsenenbildung reicht. Grundsätzlich dürfe die soziale Herkunft nicht darüber entscheiden, welchen Bildungsweg ein junger Mensch einschlägt, unterstrich sie. Kuntzl sprach sich auch gegen die zu frühe Trennung der SchülerInnen aus, weil dies dazu führe, dass man auf Talente verzichtet. Auch der Zugang zu den Unis müsse weiterhin offen bleiben, forderte sie. Es gebe nämlich nicht zu viele Studierende, sondern nur zu schlechte Bedingungen. Abgeordneter Franz Riepl (S) setzte sich für die Ganztagsschule ein und appellierte, nicht auf die Berufsschulen zu vergessen.

Abgeordneter Silvia Fuhrmann (V) lagen vor allem drei Punkte am Herzen. Einerseits habe sie den Eindruck, dass viele Neuerungen noch nicht in den Schulen angekommen sind, wie etwa die IT-Revolution oder aktuelle Entwicklungen im Bereich der Sprachförderung. Wichtig war ihr auch, dass es in den Schulen zu keiner Ausrichtung am Durchschnitt kommt und dass die zentrale Rolle der PädagogInnen anerkannt wird. Aus diesem Grund plädierte Fuhrmann auch für eine Modernisierung der LehrerInnenausbildung und des -dienstrechts. Ihre Fraktionskollegin Anna Franz betonte die Bedeutung der Frühkindpädagogik, weil damit der Einstieg in die Bildungslaufbahn begründet wird. Man müsse sich unbedingt fragen, welche Inhalte im Kindergarten vermittelt werden sollen und dementsprechend Ausbildungsangebote entwickeln. Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) befasste sich in ihrer Wortmeldung vor allem mit der Lehrerausbildung Neu sowie der Modernisierung des Dienstrechts.

Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) hob in seiner Wortmeldung insbesondere hervor, dass die Bildungsinstitutionen nur dann erfolgreich sind, wenn sie junge Menschen hervorbringen, die eigenständig denken und kritikfähig sind. Für ihn gelten auch noch immer die Prinzipien des Schulorganisationsgesetzes, wonach die Schule die Aufgabe hat, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen mitzuwirken. Dies hänge natürlich sehr stark von der Qualität der LehrerInnen ab, die – laut Jaspers – das Schicksal eines Landes mitentscheiden.

Abgeordneter Harald Walser (G) hielt Reformen im Bildungsbereich für dringend erforderlich, da das aktuelle System sozial sehr ungerecht sei. Seiner Ansicht nach herrscht noch immer das Matthäusprinzip – den Reichen wird gegeben, den Armen wird genommen. Es gebe auch schon viele Konzepte und Vorschläge, aber anscheinend fehle der Mut, diese auch endlich in die Praxis umzusetzen, meinte er.

Abgeordnete Ursula Haubner (B) hielt es für bedenklich, dass laut einer aktuellen Studie 75.000 junge Menschen weder eine Schule besuchen noch eine Ausbildung absolvieren. Es gehe daher nicht nur darum, den Bildungssektor finanziell gut auszustatten, sondern auch zu überlegen, welche präventiven Schritte man setzen könne. Ein Hemmfaktor sei ihrer Meinung nach auch die Struktur des heimischen Bildungssystems, das eine Reihe von Doppelgleisigkeiten aufweise. Ihr Fraktionskollege Abgeordneter Rainer Widmann plädierte mit Nachdruck für eine Entideologisierung der Bildungsdebatte. Außerdem müsse die Finanzierung von Wissenschaft und Forschung sichergestellt werden.

Macedonia: Kinder brauchen anregende Umgebung und soziale Interaktion

Ein Kind lerne nie wieder so leicht wie in seinen ersten Lebensjahren, betonte die Kognitions- und Neurowissenschaftlerin Manuela Macedonia (Max-Planck-Institut), die einen Vortrag zum Thema "Frühkindliche Gehirnentwicklung und Förderung am Beispiel (Zweit)Sprache" hielt. Ein Kind erwirbt Sprache in intensiver Interaktion mit seiner Umwelt und seinen Bezugspersonen, wobei vor allem die ersten Lebensjahre von entscheidender Bedeutung sind.

Verabsäumt man, das Kind mit dem notwendigen Input zu versorgen, dann entstehen strukturelle und funktionelle Defizite im Gehirn, hob Macedonia hervor. Dies betreffe nicht nur den Spracherwerb, sondern auch andere kognitive Funktionen. Metaphorisch gesprochen bedeute dies, dass die kindliche Hardware – das Gehirn – leistungsfähiger wird, wenn man frühzeitig eine anspruchsvolle Software installiert: "education changes the brain". Verbringt das Kind die "sensiblen Phasen" in einer suboptimalen Situation, schwinden seine Chancen, sein geistiges und emotionales Potential voll auszuschöpfen, warnte die Wissenschaftlerin. Frühkindliche Förderung ermöglicht daher den besten Start ins Leben!

Hubmann wünscht sich besseres Image für KindergartenpädagogInnen

Nach Auffassung von Gerhild Hubmann (Amt der Kärntner Landesregierung) ist es dringend erforderlich, dass der Beruf der Kindergartenpädagogen massiv aufgewertet wird. In diesem Zusammenhang wünschte sie sich auch zusätzliche Anreize, um mehr Männer für diesen so wichtigen Beruf zu interessieren. Einer Akademisierung der Ausbildung stand sie grundsätzlich positiv gegenüber, allerdings sollte hier behutsam vorgegangen werden. Wie schon einige ihrer Vorredner trat sie auch für eine Entflechtung der Kompetenzen ein, um Doppel- und Mehrfachgleisigkeiten zu unterbinden, sowie für eine Weiterentwicklung der Lehrerausbildung und eine Modernisierung des Dienstrechts.

Daniel Landau: Individuelle Förderung jedes Kindes notwendig

Der Pädagoge Daniel Landau (Evangelisches Gymnasium und Werkschulheim, 1110 Wien) setzte sich vor allem dafür ein, dass individuell auf jedes Kind eingegangen wird. Es sei leider eine Tatsache, dass jährlich über 8.000 Jugendliche ohne Abschluss aus dem System fallen, da ihre Stärken zu wenig gefördert wurden, erklärte er. Ihnen fehle insbesondere die positive Zuwendung, sie verlieren das Interesse und reagieren dann rasch mit Angst, Aggression oder Verweigerung. Damit diesen Menschen die Zukunft nicht verschlossen bleibt, müsse man über Gegenmaßnahmen und deren realpolitische Umsetzung diskutieren, forderte Landau. Statt einer negativen Selektion sollten vielmehr die Stärken und Talente der Jugend gefördert werden.

Aus diesem Grund schlug Landau folgende Notfallmaßnahmen vor: eine weitestgehende Neudefinition der Lehr- und Lerninhalte, eine Überarbeitung der Art und der Bewertung der Leistungsfeststellung sowie eine Freistellung von Mitteln aus der Schulverwaltung; diese sollten in Brennpunktgebieten schulautonom abrufbar sein. Außerdem regte er noch die Gründung einer österreichischen Bildungsstiftung an, die nicht nur als Ansprechpartner fungiert, sondern auch in Notsituationen hilft und bestimmte Projekte fördert.

Stemer: Qualität der Frühpädagogik entscheidend für Bildungskarriere

Siegmund Stemer, vom Amt der Vorarlberger Landesregierung, dankte nochmals den Initiatoren des Volksbegehrens für ihren Einsatz, weil damit die Bildungsdebatte einen enormen Anschub erlebt hat. Viele der Forderungen seien absolut richtig, unterstrich er, und manche diskussionswürdig. Keinen Zweifel gebe es jedoch daran, dass die Frühpädagogik, die einen wichtigen Grundstein lege, aufgewertet werden müsse. Ein wichtiges Anliegen war ihm auch, dass die PädagogInnenausbildung vorangetrieben und das Dienst- und Besoldungsrecht modernisiert wird. Außerdem plädierte er für eine ergebnisverantwortliche Schulautonomie.

Wegricht: Der Boden für die Bildung muss aufbereitet werden

Elfriede Wegricht (Institut für Begabungsdiagnostik und Begabtenförderung) wies einleitend darauf hin, dass sie einen etwas anderen Zugang zum Thema gewählt habe und es ihr vor allem darum gehe, dass "der Boden für die Bildung aufbereitet" wird. Um den Kindern die Entwicklung hin zu selbstbestimmten, eigenständigen, angstfreien Individuen zu ermöglichen, sollte vor allem die Vermittlung von essentiellen Werten wie Empathie, Kompromissfähigkeit, Toleranz, solidarisches Handeln, Nächstenliebe, Gerechtigkeitssinn, Hilfsbereitschaft, Kreativität etc. im Mittelpunkt stehen. Erst dann könnten die Kinder die Bildungsinhalte auch aufnehmen und behalten und sich ihre Neugier ein Leben lang bewahren.

Der Ausschuss setzte seine Beratung mit der Spezialdebatte zum Thema Frühpädagogik fort. (Fortsetzung)