Parlamentskorrespondenz Nr. 177 vom 12.03.2012

Offen mit der österreichischen Vergangenheit umgehen

Generalversammlung der Freunde von Yad Vashem im Hohen Haus

Wien (PK) - Bereits zum zweiten Mal fand auf Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer die jährliche Generalversammlung des Vereins "Österreichische Freunde von Yad Vashem" im Hohen Haus statt. In ihrer Eigenschaft als Ehrenpräsidentin des Vereins begrüßte Prammer unter den zahlreichen TeilnehmerInnen hochrangige Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft Österreichs und Israels, sowie VertreterInnen der österreichischen Israelitischen Kultusgemeinden und jüdischen Organisationen. Aufgrund des starken Interesses der Öffentlichkeit fand die Veranstaltung diesmal im Plenarsaal des Nationalrates statt. Bundeskanzler Werner Faymann hielt die Festansprache, und auch Vizekanzler Michael Spindelegger wandte sich mit einer Ansprache an die Versammlung.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer erinnerte in ihren Begrüßungsworten daran, dass der 12. März für Österreich einen historischen Gedenktag von besonderer Bedeutung darstellt. Der "Anschluss" vor 74 Jahren sei einer der zentralen Bezugspunkte im Ringen um ein adäquates Selbstverständnis und um das Geschichtsbild der Zweiten Republik. Es habe lange gebraucht, bis man von der Opferthese zur Anerkennung der Mitverantwortung Österreichs gelangt sei. Prammer betonte, dass es einen Schlussstrich unter diese Vergangenheit nicht geben könne, weil die Erinnerung an die Opfer des Holocaust wachgehalten werden und die Auseinandersetzung mit den Lehren der Vergangenheit weitergehen müsse. Die Freunde von Yad Vashem seien eine jener Organisationen, die sich diesen Aufgaben in vorbildlicher Weise widmen. 

Günther Schuster dankte als Vorsitzender der Österreichischen Freunde von Yad Vashem Nationalratspräsidentin Prammer für die Einladung ins Hohe Haus und für ihr Engagement. Er überreichte ihr als Zeichen der Anerkennung den "Award of Excellence" der Freunde von Yad Vashem. Ulrike Schuster präsentierte in ihrer Eigenschaft als Generalsekretärin des Vereins die vielfältigen Tätigkeiten des letzten Jahres. Sie hob besonders hervor, dass derzeit gemeinsam mit Yad Vashem eine Ausstellung über alle bisher bekannten und geehrten österreichischen "Gerechten unter den Völkern" vorbereitet werde. Man hoffe, dass diese Ausstellung in Zukunft Teil eines österreichischen Holocaust-Museums sein werde, ein Projekt, für dessen Verwirklichung noch Unterstützung gesucht werde.

Vizekanzler Michael Spindelegger führte in seiner Ansprache aus, das offizielle Österreich sei mit Israel und auch mit Yad Vashem als einer der wichtigsten Stätten des Gedenkens an den Holocaust in vielfältiger Weise verbunden. Er nannte dazu eine Reihe von Initiativen des Außenressorts, die nicht nur die Bewahrung der Erinnerung an den Holocaust zum Ziel haben, sondern die auch dazu dienen, den Bezug zur Gegenwart herzustellen und aktive Konsequenzen aus den Lehren der Vergangenheit zu ziehen. Die Mission von Yad Vashem, gegen Antisemitismus, Hass und Vorurteil aufzutreten, werde von Österreich anerkannt und aktiv unterstützt. Die Aufarbeitung der Vergangenheit sei das eine, darüber hinaus müssten die dahinter liegenden Werthaltungen auch Eingang ins tägliche Leben finden, sagte Spindelegger abschließend.

Bundeskanzler Werner Faymann erinnerte eingangs seiner Festrede an ein Wort von Elfriede Gerstl, wonach nur die Opfer ein Recht auf Vergessen haben. Faymann stellte dann die Verpflichtung zu einem offenen Umgang mit allen Aspekten der österreichischen Geschichte und die daraus zu ziehenden Lehren in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Das bedeute für ihn vor allem, dass die Jugend in die antifaschistische und demokratische Bewusstseinsbildung einbezogen werden müsse. Er bekenne sich dazu, dass für alle Einrichtungen und Organisationen, die sich dieser Aufgabe widmen, wie etwa der österreichische Gedenkdienst, auch in Zeiten von Sparbudgets eine ausreichende Finanzierung gesichert sein müsse.

Vor dem Hintergrund der größten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren, die noch nicht überwunden sei, habe diese Arbeit besondere Bedeutung. Auch heute bilden Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Vertrauensverlust in die Gesellschaft den Nährboden für Extremismus, meinte Faymann. Die Erfahrung gesellschaftlicher Ohnmacht könne nur allzu leicht in Hass und das Bedürfnis, sich an Sündenböcken zu rächen, umschlagen. Im Zentrum stehe daher letztlich die Glaubwürdigkeit der demokratischen Politik, die sich nicht darauf beschränken dürfe, ihre Werte nur an Gedenktagen hochzuhalten. Sie müsse diese auch im Alltag einfordern und dazu bereit sein, jeglicher Beschönigung der nationalsozialistischen Vergangenheit und allen Anzeichen von Demokratiefeindlichkeit und autoritären Tendenzen entschlossen entgegenzutreten.

Abschließend richteten Aviv ShirOn (Botschafter des Staates Israel in Österreich) und Avner Shalev (Vorstandsvorsitzender von Yad Vashem Jerusalem) Grußworte an die Versammlung und dankten für das vielfältige Engagement für die Gedenkstätte Yad Vashem. Botschafter ShirOn sah es ein als Symbol die Übernahme von Verantwortung für die Vergangenheit und als ermutigendes Zeichen für die Zukunft, dass die heutige Veranstaltung in Österreichischen Parlament stattfinden konnte. Avner Shalev meinte, der Anschluss vor 74 Jahren und den Holocaust könne man nicht als in weiter Vergangenheit liegende historische Ereignisse betrachten. Sie seien vielmehr eine ständig präsente Erinnerung daran, dass Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit stets aufs Neue verteidigt werden müssen.

Die musikalische Umrahmung der Feierstunde erfolgte durch das Ensemble Klesmer Wien. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.