Parlamentskorrespondenz Nr. 351 vom 02.05.2012

Marktfreiheit versus Grundrechte

Bundesrat diskutiert Vorschläge der Kommission

Wien (PK) – Ob und inwieweit der freie Warenverkehr sowie die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Grundrechte wie das Streikrecht beschränken können, stellt sich angesichts des  Verordnungsvorschlags Monti II, der heute ebenfalls auf der Tagesordnung des EU-Ausschusses des Bundesrats stand. Dieser zielt darauf ab, das Verhältnis zwischen Grundrechten und Marktfreiheiten zu klären, wobei darin festgehalten wird, dass Grundrechte der EU gleichrangig mit den wirtschaftlichen Grundfreiheiten sind. Die Verordnung soll in keiner Weise die Ausübung der in den einzelnen Mitgliedstaaten anerkannten Grundrechte schmälern, gleichzeitig wird darin festgehalten, dass die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nicht beeinträchtigt werden dürfe.

Die Notwendigkeit für die Klarstellung hat sich aufgrund der Judikatur des EuGH ergeben. Bekannte Fälle in diesem Zusammenhang sind etwa die Demonstrationen auf der Brennerstrecke, um auf die große Belastung des LKW-Verkehrs für die dort lebende Bevölkerung aufmerksam zu machen.  

Die Arbeiterkammer sowie die Wirtschaftskammer standen dem Vorschlag ablehnend gegenüber, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Laut Wirtschaft ist ein derartiger neuer Rechtsakt unnötig, da er nur die Judikatur der EuGH wiedergibt und die Garantie des freien Warenverkehrs vom Staat auf die Unternehmen abgeschoben wird.

Dem gegenüber argumentierte die Arbeiterkammer, es finde eine inakzeptable Verschiebung statt, indem Marktfreiheiten zu Grundrechten werden. Für die Arbeiterkammer gibt der Verordnungsvorschlag den Marktfreiheiten Vorrang vor den Grundrechten, zumal geprüft werden müsse, ob die Ausübung der Grundrechte verhältnismäßig und gerechtfertigt ist. Nach dem EuGH müssten nun nicht mehr nur die Staaten selbst für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zuständig sein, sondern auch einzelne Gruppen, die ihr Streik- und Demonstrationsrecht wahrnehmen, lautete die Kritik. Die Arbeiterkammer lehne daher den Entwurf vollinhaltlich ab, außerdem verwies der Experte auf die Judikatur des Menschenrechtsgerichtshofs, die konträr zu jener des EuGH stehe. Die Vertreterin der Wirtschaftskammer wiederum unterstrich, dass die geplante Verordnung die Marktfreiheiten und die Grundrechte als gleichrangig ansehe, und daher wie bisher üblich nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu entscheiden wäre.  

Bundesrat Stefan Schennach (S/W) sowie Bundesrätin Ana Blatnik (S/K) konstatierten, es sei nicht zu akzeptieren, Marktfreiheiten über Grundrechte zu stellen bzw. überhaupt über Grundrechte zu diskutieren. Dem gegenüber führte Bundesrat Franz Perhab (V/St) ins Treffen, es sei notwendig, dass nicht jede Kleingruppe im Binnenmarkt einen großen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten könne. Es bedürfe ausgewogener Positionen, außerdem gebe es in den einzelnen Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Streikkultur. In Österreich gelte in diesem Zusammenhang die Neutralität des Staates.

Die Vertreterin des Sozialministeriums informierte die BundesrätInnen, dass die Mehrzahl der Mitgliedstaaten dem Vorschlag skeptisch gegenüberstehen und wies auch auf die internationalen Bestimmungen zum Streikrecht in der EMRK und der Europäischen Sozialcharta des Europarats hin. Bundesrat Stefan Schennach (S/W) machte darauf aufmerksam, dass die für diese Verordnung zugrunde liegende Judikatur des EuGH aus der Zeit vor dem Vertrag von Lissabon stamme und Lissabon mit der Grundrechtecharta vieles verändert habe. Auf seinen Vorschlag hin, den politischen Dialog über die Materie weiterzuführen, vertagte Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) den Tagesordnungspunkt. 

Entsenderichtlinie soll effektiver ungesetzt werden      

Um die Rechte ausländischer ArbeitnehmerInnen ging es beim nächsten Tagesordnungspunkt. Die Kommission erachtet es als notwendig, die praktische Anwendung der geltenden Entsenderichtlinie, die selbst nicht geändert werden soll, innerhalb der EU zu verbessern und zu unterstützen. Es soll daher einerseits mittels eines eigenen "Richtlinienvorschlags Entsendung " ein allgemeiner Rahmen von Regelungen und Maßnahmen geschaffen werden, welcher eine einheitlichere Um - und Durchsetzung der Richtlinie ermöglicht, und auch Maßnahmen und Sanktionsmöglichkeiten umfasst, mit deren Hilfe Umgehungen und Missbrauch vermieden werden. Gleichzeitig sollen der Schutz der Rechte der entsandten ArbeitnehmerInnen gewährleistet und ungerechtfertigte Hindernisse der Dienstleistungsfreiheit beseitigt werden. Konkret sollen die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Behörden gestärkt und die Kontrollmöglichkeiten verbessert werden. Der Vorschlag sieht Regelungen zur Rechtsdurchsetzung und zur besseren Einhebung von Verwaltungsstrafen vor und hat darüber hinaus Haftungsbestimmungen im Fall von Subaufträgen zum Inhalt.

In Österreich werden die Rechte ausländischer ArbeitnehmerInnen durch das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geregelt, vor allem zielt dieses darauf ab, Lohn- und Sozialdumping zu verhindern. Dementsprechend haben nach Österreich entsandte ArbeitnehmerInnen für die Dauer der Entsendung zwingend Anspruch auf zumindest jenes Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren ArbeitnehmerInnen von ver-gleichbaren ArbeitgeberInnen gebührt. Die Einhaltung der Vorschriften wird durch eine behördliche Lohnkontrolle sichergestellt.

Der Vorschlag wurde allseits grundsätzlich begrüßt, Bundesrat Stefan Schennach (S/W) meinte, es sei gut, dass ein gewisser Grundschutz sowohl für ArbeitnehmerInnen als auch für ArbeitgeberInnen vorhanden sein soll und dass man versucht, die Umgehung von Vorschriften zu vermeiden.

Die Wirtschaftskammer befürwortete insbesondere die Klartstellung, welche kollektivvertraglichen Löhne gelten sollen. Kritik übte die Vertreterin der Wirtschaft jedoch an der verschuldensunabhängigen Generalunternehmerhaftung im Bereich der Löhne, da Löhne privatrechtliche Verträge darstellen. Die Arbeiterkammer stieß sich daran, dass im Gegensatz zu den ursprünglichen Mindestkontrollvorschriften nun eine Höchstgrenze der Kontrollen vorgesehen ist.

Auch die Vertreterin des Sozialministeriums bestätigte, dass die genannten beiden Punkte im Zentrum der zukünftigen Verhandlungen stehen werden. Die Befürchtungen hinsichtlich der verschuldensunabhängigen Haftung teilte sie nicht ganz, da diese ihrer Meinung nach bei der Einhaltung der nötigen Sorgfaltspflicht nicht schlagend werde. Auch in Österreich gebe es hinsichtlich des Entgelts eine rudimentäre Haftung, merkte sie ferner an. Auf eine Frage von Bundesrätin Martin Diesner-Wais (V/N) betonte sie, dass die Umsetzung der Richtlinie innerstaatlich zu erfolgen habe und davon hänge es dann ab, ob und in welchem Ausmaß Betriebe zusätzlich belastet werden. (Schluss EU-Ausschuss Bundesrat)


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