Parlamentskorrespondenz Nr. 450 vom 31.05.2012

Debatte zur neuen Sicherheitsstrategie im Verteidigungsausschuss

Darabos will entspannt über das neue Wehrsystem diskutieren

Wien (PK) – Der Landesverteidigungsausschuss debattierte in einer Aktuellen Aussprache mit Bundesminister Norbert Darabos über Eckpunkte der von der Bundesregierung vorgelegten Sicherheitdoktrin, die vom Parlament noch nicht beschlossen wurde, weil in der Zwischenzeit eine Debatte über Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht eingesetzt habe. Gegenüber ÖVP und FPÖ, die an der Wehrpflicht festhalten wollen, sah Minister Darabos die Diskussion über die Wehrpflicht als Teil des Heeresreformprozesses und riet zu einer "entspannten Debatte". Ausschussvorsitzender Peter Fichtenbauer berichtete an dieser Stelle über die intensive Arbeit des Unterausschusses zur Sicherheitsstrategie, der vor dem Sommer noch einmal tagen werde, schätzte die Aussicht auf eine einvernehmliche Sicherheitsstrategie aus politischen Gründen aber als "mäßig" ein. Dann verabschiedete der Ausschuss eine Änderung des Wehrgesetzes mit rechtlichen Klarstellungen für heeresfremde Personen, wenn diese auf Schießplätzen des Bundesheeres Waffen bedienen, und neuen Vorschriften für die Deaktivierung von militärischen Waffen mit S-V-Mehrheit. Ein Antrag des BZÖ auf Beendigung der Wehrpflicht wurde vertagt.

Thema Wehrpflicht - Darabos rät zu einer entspannten Debatte

Verteidigungsminister Norbert Darabos leitete die Aktuelle Aussprache nicht ohne Stolz mit dem Hinweis darauf ein, dass das österreichische Bundesheer international viel Lob für seinen – im Verhältnis zur Größe des Landes – überdurchschnittlichen Beitrag zu internationalen Friedensmissionen erntet. Selbst die USA betrachten Österreich neuerdings als einen "Big Player bei UN-Friedensmissionen", erfuhren die Ausschussmitglieder.

Dann wandte sich Darabos der neuen Sicherheitsstrategie zu, die von der Bundesregierung bereits beschlossen wurde. Sie gehe von der Einschätzung aus, dass Österreich nach Ende des Kalten Krieges keinen existenzbedrohenden Gefahren von außen ausgesetzt sei und die Anforderungen an das Bundesheer sich dramatisch geändert haben. Dazu kommen die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Verteidigungshaushalte aller europäischen Länder. Laut Darabos sei daher über ein klares sicherheitspolitisches Konzept, über einen verantwortlichen Umgang mit knappen Budgetmitteln, über eine Fokussierung auf Hauptaufgaben des Heeres und über die Aufrechterhaltung einer breiten militärischen Grundbefähigung zu diskutieren.

Da ein konventioneller Angriff auf Österreich unwahrscheinlich geworden sei, seien die militärischen Fähigkeiten in der Territorialverteidigung zu redimensionieren. Neue Sicherheitsaufgaben sah der Minister dagegen im Bereich der Cyber-Sicherheit, der Terrorabwehr und beim Schutz der Infrastruktur. Dazu kommt der Schutz vor Naturkatastrophen und die Fähigkeit, hochwertige Beiträge bei friedenssichernden Einsätzen zu leisten.

Der Minister stellte klar, dass es ihm um Anpassungen und Neuausrichtungen zu tun sei, er aber keineswegs etwas abschaffen wolle. Daher werden 400 gepanzerte Systeme aufrechterhalten, wobei der Schwerpunkt bei Schützenpanzern und geschützten Transportfahrzeugen sowie bei Pionierpanzern liege.

Personell bewege sich das Bundesheer in die richtige Richtung, sagte der Minister und wies darauf hin, dass militärische "Manpower" aus Österreich international sehr gefragt sei. Darabos bekannte sich in diesem Zusammenhang nachdrücklich zur Fortsetzung der Friedenseinsätze des Bundesheeres und zur Teilnahme an den Bemühungen um eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa. Er hoffe auf Zustimmung zur Sicherheitsstrategie, schloss Minister Darabos.

Abgeordneter Stefan Prähauser (S) unterstrich die Aussagen des Ministers über die hohe Anerkennung Österreichs und seiner internationalen Bemühungen um den Frieden und befasste sich im Einzelnen mit Fragen über die Auswirkungen von Budgetkürzungen auf das Bundesheer.

Abgeordneter Oswald Klikovits (V) erkundigte sich nach dem Stand der Umsetzung der Bundesheerreform und bekannte sich seinerseits dazu, die Diskussion über die Sicherheitsstrategie fortzusetzen. Diese Diskussion sei durch die zwischenzeitlich ausgebrochene Wehrpflichtdebatte unterbrochen worden. Für die ÖVP sei die von der SPÖ 2011 vorgeschlagene Aufhebung der Wehrpflicht und die Entwicklung zu einem Berufsheer undenkbar. Die ÖVP verlangt auch 12.500 präsente Kräfte für den Katastrophenschutz. Verwundert zeigte sich Klikovits über die neue Liebe der SPÖ zur NATO, die an der Teilnahme des Verteidigungsministers an der NATO-Tagung in Chicago zum Ausdruck komme. Die ÖVP wende sich gegen die Ausrichtung des Bundesheeres auf ein Berufsheer und gegen diesbezügliche Pilotprojekte, die große Kosten verursachen. Begrüßt werde von der ÖVP die Lösung für die Forstverwaltung am Truppenübungsplatz Allentsteig.

Abgeordneter Elmar Podgorschek (F) erinnerte den Verteidigungsminister daran, dass die von ihm in Aussicht gestellte Prämie für die Freiwilligenmiliz nach Ansicht der Finanzministerin zu versteuern sei. Der Redner ersuchte diesbezüglich um Aufklärung.

Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (G) problematisierte die Teilnahme Österreichs an der Finanzierung von Sicherheitsprojekten in Afghanistan, obwohl Afghanistan kein Schwerpunktland der österreichischen EZA sei und gleichzeitig Mittel für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit gekürzt werden. Kritik übte die Abgeordnete auch an Äußerungen des Verteidigungsministers gegenüber Israel.

Abgeordneter Kurt List (B) brachte die Kritik des Rechnungshofs an zu vielen Offizieren beim Bundesheer zur Sprache, drängte auf Personalmaßnahmen und auf die Verbesserung der Personalstruktur, die mit einem Offizier pro drei Unteroffizieren und drei Soldaten immer noch den Verhältnissen zur Zeit der Raumverteidigung entspreche.

Verteidigungsminister Norbert Darabos informierte die Abgeordneten über die Bundesheereinsätze auf dem Westbalkan und teilte mit, dass die Soldaten in den Einheiten für internationale Operationen "auf Einsätze brennen". In diesem Zusammenhang erfuhr Abgeordneter Gerhard Köfer (S) vom Minister, er, Darabos, könne der schwedischen Idee etwas abgewinnen, den Aufgabenrahmen der Battle-Groups auf humanitäre Einsätze zu erweitern, da diese Einheiten bislang noch niemals zum Einsatz gekommen seien.

Beim Thema Sicherheitsstrategie hielt der Minister fest, der Analyseteil sei zwischen SPÖ und ÖVP abgestimmt. Die Diskussion über das neue Wehrsystem sehe er als Fortsetzung der Heeresreform und empfahl eine "entspannte Debatte", die auch in eine Verfassungsänderung führen könne. Darabos sprach aber auch von der Möglichkeit, die Wehrpflicht nicht abzuschaffen, sondern auszusetzen. Die Pilotprojekte seien jedenfalls rechtskonform, ausfinanziert und liegen im Handlungsbereich des Bundesministers:  "Wir dürfen Pilotprojekte durchführen", hielt der Ressortleiter fest. Für ihn ist Österreich ein neutraler Staat, hielt der Minister fest, sein Verhalten gegenüber der NATO sei auf Kooperation bei der Friedenssicherung im Kosovo sowie darauf gerichtet, die "Partnerschaft für den Frieden" mit Leben zu erfüllen.

Der Heeresforstverwaltung in Allentsteig sei in wirtschaftlicher Hinsicht nicht das beste Zeugnis ausgestellt worden, sagte Darabos, die angedachte Lösung bezwecke, die Bediensteten im Schoß des Heeres zu behalten, am Ziel einer ordentlichen Finanzgebarung werde aber festgehalten, sagte der Minister.

Die Milizprämie sei gerechtfertigt und entspreche der Heeresgebührenordnung, bei der Frage der Besteuerung hoffe er auf eine Meinungsänderung der Finanzministerin. Als völlig absurd bezeichnete Darabos Klagen wegen einer angeblichen Ungleichbehandlung der Feuerwehren wegen der Milizprämie.

Er stehe zur Unterstützung der Polizeiausbildung und von Projekten zur Verbesserung der Sicherheitssituation in Afghanistan, sagte der Minister. Darabos bekannte sich auch zu seinen Aussagen über Israel, räumte aber ein, dass er seine Aussage "diplomatischer formulieren hätte können".

Hinsichtlich der Personalstruktur des Heeres berichtete Darabos über neue Arbeitsplätze für 750 Heeresangehörige und über Versetzungen im Einvernehmen mit der Personalvertretung. "Beim Bundesheer sitzt niemand nutzlos zu Hause herum", hielt der Minister fest.

Abgeordneter Michael Ikrath (V) problematisierte das Pilotprojekt "Milizprämie" hinsichtlich dessen rechtlicher Grundlagen und vermisste eine budgetäre Deckung dieser Prämie. Da der Minister diese Prämie regelmäßig auszahlen wolle, seien auch arbeitsrechtliche Fragen zu klären, sagte Ikrath.

Abgeordneter Mario Kunasek (F) kritisierte den "seichten" Dienstplan bei der militärischen Ausbildung ehemaliger Zivildiener, die sich in den Exekutivdienst eintreten wollen.

Auf die Frage des Abgeordneten Kurt List nach einem Brandanschlag in Oberösterreich sprach sich der Minister dafür aus, diesen Anschlag  aufzuklären, um medial verbreiteten Gerüchten entgegen zu treten. "Ich sehe mich nicht als Ziel dieses Anschlags", hielt Darabos fest.

Die Pilotprojekte haben eine klare Rechtsgrundlage und sind ausfinanziert, sagte der Minister auch Abgeordnetem Ikrath, die Milizprämie entspreche der Heeresgebührenordnung. Abgeordnetem Kunasek berichtete der Minister von der Aussortierung von Panzern der Typen Kürassier und Leopard, von Panzerhaubitzen M109 und der Verschrottung von Schützenpanzern der Type Saurer.

Ausschussobmann Peter Fichtenbauer (F) führte abschließend aus, dass Österreich über eine geltende Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2001 verfüge. Die von der Bundesregierung beschlossene und dem Parlament übermittelte neue Sicherheitsstrategie sei im Unterausschuss bereits intensiv behandelt worden. Der Unterausschuss werde vor dem Sommer noch einmal zusammentreten, angesichts der politischen Umstände beurteilte der Ausschussobmann die Aussicht für eine einvernehmliche Sicherheitsstrategie aber als "mäßig".

Klarstellungen im Wehrgesetz für Schießveranstaltungen

Im Anschluss an die Aktuelle Aussprache machte der Landesverteidigungsauschuss eine von der Regierung konzipierte Änderung des Wehrgesetzes (1742 d.B.) plenumsreif, die dem Umstand Rechnung tragen soll, dass bei Schießveranstaltungen des Bundesheeres mitunter auch ressortexterne Personen - unter Anleitung von geschultem Personal – Waffen bedienen. Klargestellt wird nun, dass bei Schießveranstaltungen des Heeres die einschränkenden waffenrechtlichen Bestimmungen nicht zu Anwendung kommen. Zudem wird die Deaktivierung von Schusswaffen geregelt.

Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) sah keinen Regelungsbedarf und warnte vor Rechtsunsicherheit. Denn es sei überflüssig, den Besitzern deaktivierter Waffen des Bundesheeres vorzuschreiben, sich die Deaktivierung ein weiteres Mal bestätigen zu lassen. Wer sonst als das Bundesheer soll bestätigen können, dass eine Waffe keine Waffe mehr sei, meinte Fichtenbauer. Für die FPÖ sei diese Vorlage sinnlos. Es gehe nicht an, Menschen zu kriminalisieren, die ihren Besitz rechtskonform ausüben, sagte der Abgeordnete.

Abgeordneter Stefan Prähauser (S) wies demgegenüber auf Unzukömmlichkeiten bei der Deaktivierung von Schusswaffen hin und unterstützte die Absicht, an dieser Stelle einheitliche Rechtsgrundlagen zu schaffen.

Abgeordneter Oswald Klikovits (V) schloss sich Prähauser an und hielt die von Abgeordneten Fichtenbauer und dessen Fraktionskollegen Mario Kunasek (F) angesprochenen Probleme beim "Bunkermuseum Wurzenpass", wo deaktivierte Bundesheerwaffen ausgestellt werden, für lösbar.

Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (G) sprach ebenfalls von einer überschießenden Regelung, während Abgeordneter Kurt List (B) seine Ablehnung mit dem zu erwartendem zusätzlichen Verwaltungsaufwand begründete.

Bundesminister Norbert Darabos sagte den Abgeordneten zu, sich um eine Lösung der Probleme beim "Bunkermuseum" in Kärnten zu bemühen, weil er dafür eintrete, dass dieses Museum weiter bestehe, der Rahmen des Rechts sei aber einzuhalten.

Bei der Abstimmung wurde die Regierungsvorlage mit S-V-Mehrheit an das Plenum weitergeleitet.

BZÖ schlägt Aussetzung der Wehrpflicht vor

Schließlich nahm der Ausschuss die Beratungen über den BZÖ-Antrag (1239/A(E)) des Abgeordneten Herbert Scheibner (B) wieder auf, der angesichts geänderter Sicherheitsanforderungen ein Aus für die Wehrpflicht bei gleichzeitiger Schaffung eines Freiwilligenheeres aus BerufssoldatInnen und Miliz fordert. Wie Abgeordneter Kurt List ausführte, sollen Anreize für einen mindestens dreijährigen freiwilligen Dienst oder eine einjährige Milizausbildung mit zehnjähriger Bereitschaft für Einsätze im Inland durch bevorzugte Aufnahme in den öffentlichen Dienst oder durch die Übernahme von Ausbildungskosten geschaffen werden.  

Auch Abgeordneter Stefan Prähauser (S) erinnerte an die veränderten Sicherheitsverhältnisse in Europa und bezeichnete den Antrag als eine gute Diskussionsgrundlage. Im Hinblick auf die Diskussion über die Sicherheitsstrategie schlug Prähauser aber vor, den Antrag zu vertagen. Diesem Vorschlag folgte der Ausschuss mit S-V-F-Mehrheit. (Schluss)