Parlamentskorrespondenz Nr. 691 vom 19.09.2012

Hitzige Diskussion über den Europäischen Stabilitätsmechanismus

Aktuelle Europastunde im Nationalrat

Wien (PK) – Die Finanzkrise in der EU und die gesetzten Maßnahmen zu deren Bewältigung standen im Zentrum der Aktuellen Europastunde im heutigen Nationalratsplenum. Die FPÖ hatte im Vorfeld das Verlangen gestellt, zum Thema "Keine Schuldenunion ohne Volksabstimmung, Herr Bundeskanzler!" zu diskutieren. Im Mittelpunkt stand dabei vor allem der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, der nach dem Urteil der Karlsruher VerfassungsrichterInnen voraussichtlich am 8. Oktober in Kraft treten wird. Bundeskanzler Werner Faymann verteidigte die getroffenen Maßnahmen und warnte davor, dass ein Auseinanderbrechen des Euroraums wesentlich teurer käme und enorme Nachteile brächte.

FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian STRACHE erinnerte eingangs Bundeskanzler Faymann an dessen Versprechen, zukünftige Vertragsänderungen in der Europäischen Union den ÖsterreicherInnen in Form einer Volksabstimmung vorzulegen. Diese Volksabstimmung habe der Bundeskanzler den ÖsterreicherInnen verweigert, klagte Strache und bedauerte, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht nicht den Mut aufgebracht habe, den ESM-Vertrag zu kippen. Immerhin hätten die deutschen Verfassungsrichterinnen aber kritisch festgehalten, dass die betragsmäßige Grenze des Stabilitätsmechanismus völkerrechtlich nicht begrenzt sei. Aus diesem Grund, der für die österreichischen SteuerzahlerInnen dazu führen könne, dass der Haftungsrahmen des ESM im Ernstfall nicht 20 Mrd. €, sondern mehr als 300 Mrd. € ausmachen könnte, werde die FPÖ eine Staatsvertragsprüfung durch den Verfassungsgerichtshof beantragen, kündigte der FPÖ-Klubobmann an. Der FPÖ gehe es darum, die Unabhängigkeit und Souveränität Österreichs zu verteidigen und den Weg in eine europäische Transferunion zu verhindern. Es sei nicht einzusehen, dass österreichische SteuerzahlerInnen für Verluste haften sollen, die Bankspekulanten in anderen Ländern verursacht haben. Die FPÖ wolle dieses Geld für Bildung, Forschung, Investitionen und zur Sicherung der Pensionen einsetzen, führte Strache aus.

Faymann: Was dem gemeinsamen Europa nützt, nützt Österreich

Bundeskanzler Werner FAYMANN trat dem FPÖ-Klubobmann mit dem Hinweis auf die Vorteile entgegen, die Österreich als Mitglied der Eurozone habe und erläuterte das große Interesse Österreichs an der Stabilität der Eurozone. Die österreichische Exportwirtschaft und hunderttausende ArbeitnehmerInnen seien davon abhängig, dass in den anderen Ländern der Eurozone Kaufkraft bestehe und dort österreichische Exportprodukte gekauft werden können. Der Bundeskanzler untermauerte seine Aussagen mit dem Hinweis auf die Rekordbeschäftigung in Österreich und die im europäischen Vergleich geringe Arbeitslosigkeit. Dazu komme, dass Österreich für die Verzinsung seiner Staatsschuld derzeit historisch niedrige Zinsen bezahle, woraus alljährlich finanzielle Vorteile in Milliardenhöhe resultierten. Dieses Geld könne für Investitionen und für die Sicherung von Arbeitsplätzen eingesetzt werden, führte der Bundeskanzler aus. Ausdrücklich bekannte sich Faymann auch zu den neuen Möglichkeiten der Europäischen Zentralbank bei der Stabilisierung der Euro-Zone. "Was dem gemeinsamen Europa nützt, nützt Österreich", schloss der Bundeskanzler.

Über Nutzen und Nachteile Europäischer Solidarität und des Euro

Abgeordneter Kai Jan KRAINER (S) stellte klar, dass der ESM-Vertrag die Beiträge der Mitgliedsländer begrenze und der österreichische Höchstbeitrag zum ESM nur aufgrund eines Beschlusses des Nationalrats erhöht werden könne. Laut Krainer sollte man nicht vergessen, dass die Finanzkrise durch eine Bankenkrise ausgelöst worden ist, die Staaten gezwungen habe, Finanzmärkte zu stabilisieren, und die Folgen der Wirtschaftskrise überdies viel Geld gekostet haben. Infolge dessen seien einzelne Länder zum Ziel von Spekulanten geworden, was es notwendig mache, diese Länder vor Spekulationen zu schützen. Auch Abgeordneter Krainer begrüßte es daher, dass die EZB – unter strengen Auflagen – Geld einsetzen könne, um Ländern zu helfen, die zum Ziel von Spekulanten werden.

Abgeordneter Günter STUMMVOLL (V) bedauerte, dass in der medialen Berichterstattung zur Finanzkrise und den damit verbundenen Risiken übersehen werde, welche Chancen es dabei auch gebe. Nun sei die Gelegenheit gekommen, Konstruktionsfehler des Euro zu beseitigen und Maßnahmen zur Stabilisierung der Währung zu setzen. Fakten würden belegen, dass der Euro im Grunde eine "Erfolgsstory" sei, führte Stummvoll weiter aus und erläuterte beispielsweise, dass der Euro um 30% mehr wert als der Dollar ist und nach dem Dollar den größten Bestandteil aller Weltwährungsreserven ausmache. Die "Monopolstellung" des Dollar am Weltmarkt sei nicht länger gegeben.

Stummvoll beschrieb außerdem, mit welchen Schritten im Rahmen des ESM und der neuen unlimitierten Ankaufspolitik von Staatsanleihen durch die EZB Impulse für Wachstum und Beschäftigung und Strukturreformen in Europa gesetzt werden. Eine Rückkehr zum Schilling sei ebenso wenig eine Lösung der Krise wie die Etablierung von Nord- und Südeuro, die zu einer 10%igen Verringerung des österreichischen Bruttosozialproduktes führen würde, warnte Stummvoll.

Abgeordneter Herbert KICKL (F) hielt dem Bundeskanzler vor, dessen Ausführungen zu Österreichs guter wirtschaftlicher Lage mit einer niedrigen Arbeitslosenrate und geringen Zinsen, sei nicht dem Beitritt des Landes zum Euro geschuldet. Immerhin verzeichneten andere Euroländer wie Griechenland mehr Arbeitslose und steigende Zinsen. Als Land der Eurozone befinde sich Österreich in einer Negativspirale, in der alte Schulden durch neue Verschuldung bekämpft würden. Kickl forderte daher im Namen seiner Fraktion eine Volksabstimmung, ob Österreich der "Schuldenunion" beitreten solle.

Das Problem des ESM sah der F-Mandatar darin, dass Deutschland seinen Beitrag auf 190 Mrd. Euro eigefroren hatte, wodurch der Rest von anderen zahlungsfähigen Staaten wie Österreich beglichen werden müsse.

Abgeordneter Bruno ROSSMANN (G) erinnerte seinen Vorredner daran, dass auf Grund der heimischen Gesetzeslage ein Überschreiten des österreichischen Beitrags von 19 Mrd. Euro nur möglich sei, wenn die Finanzministerin einen entsprechenden Auftrag durch das Parlament erhalte. Das hätten die Grünen mit der Bundesregierung ausverhandelt und entspreche dem Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Das Spekulieren der Finanzmärkte gegen schwache Länder wertete Rossmann als Kern des Problems. Der ESM bilde nun zusammen mit der jüngsten Entscheidung der EZB, Anleihen am Sekundärmarkt unlimitiert aufzukaufen, ein Instrument, das "Primat" der Finanzmärkte über die Politik aufzuheben. Eine Rückkehr zum Schilling würde Österreich in die schwerste Rezession aller Zeiten mit Massenarbeitslosigkeit stürzen, prophezeite Rossmann, er spreche sich dagegen für eine umfassende Fiskalunion aus. Der G-Mandatar verwies auch auf die finanzielle Situation Kärntens, wo jahrelang mehr Haftungen für die Hypo-Alpe-Adria übernommen wurden, als die Wirtschaftsleistung des Landes ausmachte.

Im Zusammenhang mit der Hypo-Alpe-Adria verwies Abgeordneter Josef BUCHER (B) darauf, dass die Bundesregierung die Bayrische Landesbank, von der das Kärntner Institut gekauft und "ruiniert" worden war, aus der Verantwortung entlassen habe. In Richtung Bundeskanzler Faymann stellte der B-Mandatar die Frage, weswegen der Regierung der Mut für eine Volksabstimmung zur Bankenunion fehle und folgerte, dass die Ängste der Bevölkerung den Regierungsmitgliedern wohl bewusst seien. Den ÖsterreicherInnen würden durch die Eurorettung Kosten aufgebürdet, die noch ihre Kindeskinder zu tragen haben würden, befürchtete Bucher. Der BZÖ-Klubobmann analysierte, Österreichs niedrige Zinsen rührten nur aus der um vieles schlechteren Bonität anderer Euroländer her und die heimische Wirtschaft befinde sich am Weg in Richtung Rezession. Zudem prangerte er in Richtung ÖVP den Gedanken an, eine "Republik Europa" etablieren zu wollen; anstatt eines "sozialistischen Zentralstaats" sei ein souveränes Europa vonnöten.

Erneut auf die Hypo-Alpe-Adria Bank Bezug nehmend, erklärte Abgeordneter Christoph MATZNETTER (S), es sei "fast schon unredlich" der Bundesregierung die Schuld an der Misere zu geben, immerhin hätte der damalige Landeshauptmann Jörg Haider die Bank als Finanzierungsinstrument genutzt und letztlich müssten die SteuerzahlerInnen die Zeche bezahlen. So wie Österreich und Kärnten eine Schicksalsgemeinschaft bilden, spannte Matznetter den Bogen, sei auch die Europäische Union eine Solidaritätsgemeinschaft. Man müsse jetzt Sorge dafür tragen, dass der entstandene Schaden in Europa nicht größer werde. Der S-Mandatar betrachtete daher den ESM als Versicherungsleistung, die vorranging dem Erhalt des Friedens und der Sicherheit in der EU diene.

Abgeordneter Jakob AUER (V) warf eingangs F-Klubobmann Heinz-Christian Strache vor, für Österreichs Beitrag zum ESM eine völkerrechtlich abgesicherte Haftungsobergrenze gefordert zu haben, jedoch nicht im Klaren darüber gewesen zu sein, dass diesbezügliche Mitbestimmungsregeln bereits gesetzlich fixiert sind. Die EU garantiert für Auer Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und stabile Finanzen. Außerdem benötige das Exportland Österreich den Euro unbedingt. Mit einer niedrigen Arbeitslosenrate, einer der niedrigsten Jugendarbeitslosenzahlen Europas und einem Budgetdefizit unter 3% habe Österreich eine gute Bilanz vorzuweisen.

Die Regierung habe während des Sommers für die Stabilisierung des Euros gearbeitet, meinte der V-Mandatar, während die Opposition nicht einmal ein Thema für eine Sondersitzung gefunden hätte.

Abgeordneter Martin STRUTZ (F) machte im Gegensatz zu seinem Vorredner nur negative Folgen der Euroeinführung aus. Die österreichische Bevölkerung verdiene durchschnittlich um 35% weniger als vor dem Euro und die Arbeitslosenzahlen seien steigend. Indirekt werde über die Inflation für die Währungsunion gezahlt. Er bemängelte, dass es keine Volksabstimmung vor dem Beitritt Österreichs zum europäischen Stabilitätsmechanismus gegeben hat, bei dem in einem "Automatismus" Geld an Länder wie Griechenland, Italien oder Spanien geschickt werde. Eine wohlüberlegte Finanzpolitik im Interesse der heimischen Bevölkerung und nicht der Banken forderte Strutz weiter und kündigte an, seine Fraktion werde mit allen Mitteln – etwa durch eine Verfassungsklage – versuchen, den ESM zu verhindern.

Abgeordneter Werner KOGLER (G) bezog sich zu Beginn seiner Wortmeldung auf den Vorwurf Auers, die Opposition hätte während des Sommers nicht gearbeitet. Diese Maßregelung sei ein "Tiefpunkt der politischen Kultur", die Regierungsparteien würden mit solchen Aussagen die Aufgaben des Parlaments "torpedieren", bemerkte er.

Hinsichtlich des ESM meinte Kogler, dieser könne einerseits zur Spekulationsbekämpfung dienen, andererseits auch missbraucht werden, wenn unkontrolliert Geld fließe. Daher seien entsprechende Vorkehrungen getroffen worden, die dem Parlament das Recht auf Letztentscheidung in Zahlungsfragen gebe. Österreich habe diesbezüglich mit nationalen Bestimmungen mehr durchgesetzt, als das deutsche Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss. Als weitere Instrumente zur Krisenbekämpfung nannte der G-Mandatar die Finanztransaktionssteuer sowie die Politik der EZB.

In den Augen des Abgeordneten Gerald GROSZ (B) ist die hohe Verschuldung einzelner Euroländer nur bedingt auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen. Er sah vielmehr systemimmanente Probleme als Grund dafür. Deswegen bezeichnete es der B-Mandatar als "Irrglaube", die Krise durch Zahlungen österreichischen Steuergelds an Schuldenländer lösen zu können. Zudem verfüge Österreich selbst nicht über ausreichend Mittel, monierte Grosz und gab als Beispiel die Schulendrate von Graz mit 1,3 Mrd. Euro an. Die derzeitige Schuldensituation der Bundesländer, der Gemeinden und des Bundes sei Grund genug, sich gegen die Bildung einer europäischen "Schuldenunion" auszusprechen. Das BZÖ denke daher daran, gegen den ESM Klage zu erheben, so Grosz, es gelte nämlich, in Österreich erwirtschaftetes Geld zur heimischen Schuldentilgung zu nutzen.

Abgeordneter Robert LUGAR (o.F.)zählte mehrere Gründe auf, die aus seiner Sicht gegen den Euro als Währung Österreichs sprechen. Durch den Euro sei keine Stabilität eingetreten, vielmehr gebe es seit zwei Jahren Rettungsprogramme und auch mehr Wohlstand habe die Gemeinschaftswährung nicht gebracht. Selbst das Argument, der Euro schaffe mehr europäische Integration, sei zu widerlegen, befand Lugar und wies auf brennende deutsche Fahnen in Griechenland hin.

Währungen wie die Deutsche Mark und der Schilling seien Erfolgskonzepte gewesen, zeigte sich Lugar überzeugt, nur südeuropäische Staaten mit verfallenden Währungen hätten sich durch den Euro Vorteile erhofft. Doch selbst diese Südstaaten seien eines besseren belehrt worden, habe doch Griechenland stündlich mit 10 Mio. Euro mehr an Neuverschuldung zu kämpfen. Lugar plädierte dafür, die ESM-Strategie nicht weiter zu verfolgen, jedenfalls aber die BürgerInnen zu befragen, ob sie Europa mit ihrem Geld finanzieren wollen. (Fortsetzung Nationalrat)