Parlamentskorrespondenz Nr. 788 vom 17.10.2012

EU braucht stärkere demokratische Legitimation

EU-Hauptausschuss diskutiert über Reformen der Union

Wien (PK) – Weitgehende Übereinstimmung bestand heute im EU- Hauptausschuss über die Notwendigkeit eines neuerlichen EU-Konvents. Die Abgeordneten von SPÖ, ÖVP und Grünen unterstützten die Einberufung eines Konvents ausdrücklich und meinten, es brauche ein Mehr an Europa. FPÖ und BZÖ hingegen äußerten sich skeptisch dazu und sprachen sich strikt gegen jegliche weitere Abgabe von Souveränitätsrechten aus. Der Ausschuss tagte im Vorfeld des Europäischen Rates am 18. und 19. Oktober. Im Mittelpunkt des Europäischen Rats steht der Wachstums- und Beschäftigungspakt, ein wesentliches Thema dabei ist auch die Schaffung einer gemeinsamen Bankenaufsicht.

Österreich für Einberufung eines Konvents noch in diesem Jahr

Die Union brauche Strukturänderungen, insbesondere eine Stärkung der demokratischen Legitimation, so der Tenor vieler Wortmeldungen. Ein Konvent sei sicherlich kein Allheilmittel, sondern der Start einer Diskussion und die Chance, Europa wieder stärker zusammenzuführen, sagte dazu Bundeskanzler Werner Faymann. Aufgrund der oft unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der EU 27 habe man vermehrt den Weg der verstärkten Zusammenarbeit beschritten, Österreich könne aber an einer Kluft in Europa nicht interessiert sein, bekräftigte er. Um dem gegenzusteuern, halte er daher eine Vertragsdiskussion für unumgänglich. Auch im Hinblick auf die Vertiefung der Union müsse man dem Ausbau und der Kontrolle der rechtsstaatlichen Strukturen ein besonderes Augenmerk widmen, ergänzte er.

Ebenso machte sich Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger für einen Konvent stark. Österreich habe den Vorschlag gemacht, einen solchen am Jahresende einzusetzen, berichtete er und zeigte sich erfreut über die diesbezügliche positive Reaktion des deutschen Finanzministers. Das Erfordernis eines solchen Konvents mache auch der Zwischenbericht der vier Präsidenten, Herman Van Rompuy, José Manuel Barroso, Mario Draghi und Jean-Claude Juncker deutlich. Darin würden zahlreiche technische Vorschläge präsentiert, etwa im Hinblick auf die europäische Bankenaufsicht oder eine mögliche Bankenunion, unklar bleibe das Papier jedoch im Zusammenhang mit Fragen der demokratischen Legitimation. Die Außenminister seien für eine stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente eingetreten, erläuterte Spindelegger, was Vertragsänderungen notwendig mache.

Die Einsetzung eines EU-Konvents sei sinnvoll und unterstützenswert, meinte auch der Zweite Präsident des Nationalrats, Fritz Neugebauer, um die vielen Ideen zur Stärkung der EU zu bündeln und nachvollziehbar zu machen. Er warnte davor, den Eindruck zu erwecken, die Probleme schubladisieren zu wollen. Jedenfalls sei die Rolle des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente zu stärken, hielt er fest.

Seitens vieler Ausschussmitglieder wurde diese Position der Bundesregierung unterstützt. So meinte etwa Abgeordnete Christine Muttonen (S), es seien in den letzten Jahren zahlreiche Reformen unter hohem Druck umgesetzt worden, die Wirtschafts- und Währungspolitik sowie die Sozialpolitik der EU bedürften jedoch demokratischer Strukturen, und einen solchen Umbau könne es nur über einen Konvent geben. Ähnlich äußerte sich Klubobmann Josef Cap (S). Auch Abgeordneter Martin Bartenstein (V) unterstrich in diesem Zusammenhang, dass man ein Mehr an EU brauche. Seine Klubkollegin Katharina Cortzolezis-Schlager merkte an, angesichts der globalen Herausforderungen müssten in der EU neue Strukturen geschaffen werden. Abgeordneter Bruno Rossmann (G) vertrat die Ansicht, dass auch die von den Grünen kritisch beurteilte Fiskalunion in einem Konvent diskutiert werden müsse.

Skeptisch zeigten sich jedoch Abgeordneter Johannes Hübner (F) und EU-Abgeordneter Ewald Stadler (B). Es sei falsch zu glauben, dass es am Ende eines solchen Konvents zu einer weiteren Abgabe von Souveränitätsrechten kommt, meinte Stadler, das werde schon allein an Großbritannien scheitern. Man werde sich mit dem Konvent eine blutige Nase holen, formulierte er drastisch.

Hübner (F) warf den Koalitionsparteien und den Grünen vor, im Hinblick auf ihre Forderung nach demokratischer Legitimation nicht ehrlich zu sein, und äußerte den Verdacht, dass für diese die demokratische Legitimation dort endet, wo eine andere Meinung befürchtet wird. Deshalb wagten sie es auch nicht, an die BürgerInnen im Zuge einer Volksabstimmung heranzutreten.

Er brachte einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem sich die FPÖ für den Erhalt und die Rückgewinnung nationaler Kompetenzen im Rahmen der EU ausspricht. Dieser blieb jedoch aufgrund der Ablehnung durch SPÖ, ÖVP und Grüne in der Minderheit.

Debatte über die Notwendigkeit, die Union zu vertiefen

EU-Abgeordneter Ewald Stadler (B) übte harsche Kritik an der EU-Politik. In jedem EU Staat werde derzeit ein etwaiges Referendum über eine weitere Vertiefung der Union scheitern, zeigte er sich überzeugt. Der Binnenmarkt habe zu hohen Arbeitslosenraten wie nie geführt und beweise, genauso wie die Nicht-Bewältigung der Krise, dass ein Mehr an Europa keine Lösung bringen könne. Alles gehe viel zu schnell, überall denke man darüber nach, wie man aus den Verträgen teilweise herauskommt. Auch werde dem Wildwuchs auf dem Finanzsektor nichts entgegengesetzt, alles laufe aus dem Ruder, kritisierte Stadler und sprach sich dezidiert gegen die Idee eines "Euro-Superkommissars" sowie gegen zwei EU-Budgets – eines für die gesamte Union und eines für die Euro-Gruppe – aus. Scharf griff der EU-Mandatar EZB-Präsident Draghi an, dem er eine zu große Nähe zu Goldman Sachs nachsagte und ihm vorwarf, kein Konzept auf den Tisch zu legen und nicht bereit zu sein, den Brand zu löschen, den er selbst gelegt habe. Die EZB hätte ausreichend Möglichkeiten, mit der Krise in Griechenland fertig zu werden, meinte Stadler, so aber zahlten die EU-Mitgliedsstaaten in ein Fass ohne Boden.

Auch Abgeordneter Johannes Hübner (F) vermisste vernünftige Konzepte und sprach von einer "Voodoo-Zombie-Schuldenpolitik", eine Diktion, die Vizekanzler Michael Spindelegger ebenso auf das Schärfste zurückwies wie die Aussagen Stadlers. Spndelegger bezeichnete diese als nicht konstruktiv. Es sei falsch zu glauben, dass man ohne die EU keine Probleme hätte, bemerkte er, es sei auch nicht logisch, einerseits von einem "Bürgerkrieg" in Griechenland zu sprechen, wie das Stadler getan hatte, gleichzeitig aber zu fordern, keinen Cent nach Griechenland zu schicken. Auch Klubobmann Josef Cap (S) konnte den Ausführungen Stadlers nichts abgewinnen. Er vermisse Lösungsvorschläge des BZÖ-Mandatars, außerdem sei die Konsequenz von Stadlers Ausführungen eine Kapitalismuskritik und ein Mehr an Europa, das vermeide Stadler aber zu sagen, so Cap.

Der BZÖ Antrag auf Stellungnahme, der von Abgeordnetem Gerhard Huber (B) eingebracht wurde und in dem sich das BZÖ ebenfalls gegen Souveränitätsverluste Österreichs, die Aufgabe nationaler Budgethoheit, die Schaffung eines eigenen Eurozonenbudgets und die Gründung einer politischen Union ausspricht, blieb in der Minderheit. Dafür votierten nur die Abgeordneten des BZÖ und der FPÖ. 

Gemeinsame Bankenaufsicht zentrales Thema im Rat

Im Mittelpunkt des kommenden Europäischen Rates wird der Pakt für Wachstum und Beschäftigung stehen, wie Bundeskanzler und Vizekanzler informierten. Außenminister Michael Spindelegger äußerte seine Zufriedenheit darüber, dass sich Österreich erfolgreich für kleineren und mittleren Unternehmen einsetzen konnte und in den Schlussfolgerungen ein Passus aufgenommen wird, dass sich die EU auf diesen wichtigen Wirtschaftszweig konzentrieren werde. Vor allem gehe es um notwendige Verbesserungen beim Zugang der KMU zu EU- Fördermitteln. Das wurde auch von Abgeordnetem Martin Bartenstein (V) begrüßt.

Als einen ersten wichtigen Schritt in Richtung Bankunion bezeichnete Bundeskanzler Werner Faymann die Schaffung einer gemeinsamen Bankenaufsicht. Diese Frage werde in der Diskussion im Rat großen Raum einnehmen, dabei werde europaweit die Kompetenz und das Know-how der EZB herangezogen werden müssen. Die Frage werde sich darum drehen, wie lange ein derartiger Aufbau bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der vollen Qualität dauere. Abgeordneter Martin Bartenstein (V) erhofft sich eine Bankenaufsicht "as soon as possible" und zeigte sich zufrieden darüber, dass in Bezug auf eine Einlagensicherung nun der Weg der Harmonisierung gegangen wird. Man müsse einen Schritt nach dem anderen setzen, sagte er, eine Bankenkonzession für den ESM könnte dann ein letzter Schritt sein. Eine Bankenaufsicht ohne EZB hält er für nicht denkbar. Der EZB komme eine besondere Rolle bei der Bekämpfung der Inflation zu, bemerkte er.

Ausdrücklich betonte der Kanzler, dass die Abhaltung eines eigenen Euro-Gipfels nicht geplant sei. Er ging dabei auf die jüngsten Beschlüsse der EZB im Zusammenhang mit dem europäischen Stabilitätsmechanismus ESM ein und verteidigte den verstärkten Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Diese mache ihr Eingreifen davon abhängig, ob sich ein Land an die Vorgaben hält, stellte er klar. Der Prozess zur Umsetzung der Finanztransaktionssteuer sei im Laufen, neun zustimmende Briefe seien bereits eingelangt, mindestens zwei werden noch folgen. Nachdem sich elf von 27 Mitgliedsstaaten für die Einführung dieser Steuer ausgesprochen haben, werde sich der ECOFIN am 13. November damit befassen.

Wo sind die Grenzen der Sparpolitik?

Kritik an den bisherigen Maßnahmen im Rahmen des Pakts für Wachstum und Beschäftigung kam von Abgeordnetem Bruno Rossmann (G). Ihm zufolge ist bislang zu wenig passiert, die Austeritätspolitik habe sogar große Wirtschaftsräume in die Rezession geführt, skizzierte er. Er plädierte daher für einen Paradigmenwechsel innerhalb der EU wie ihn kürzlich auch der IWF für seine Politik angekündigt hat. Der IWF habe eingesehen, dass ab einem bestimmten Schwellenwert die Politik des Sparens wiederum nur zu neuerlichen Schulden und höherer Arbeitslosigkeit führe. Der Mandatar sprach sich für einen Wachstumspakt mit ökologischen Weichenstellungen aus, der diesen Namen auch verdient.  

Die Aussagen Rossmanns wurden auch von Abgeordnetem Werner Kogler (G) bekräftigt, indem er meinte, die Glaubwürdigkeit der Union kranke auch daran, dass man den Eindruck habe, es setzen sich bestimmte ideologische und ökonomische Richtungen durch. Das Problem des Fiskalpakts besteht nach Ansicht Koglers insofern, dass man eine Lösung darin sieht, mit allem zurückzufahren. Der IWF "spucke jetzt auf einmal aber ganz andere Töne" meinte Kogler pointiert. Dazu bemerkte der Bundeskanzler, der Fiskalpakt bedeute nicht Sparen am falschen Platz, sondern alles zu tun, um die Verschuldung zurückzuführen. In bestimmten Bereichen sei durchaus sinnvolles Sparpotenzial zu finden. Im Zusammenhang mit der neuen Politik des IWF sprach Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) von einem "Realitätsruck der Institution" und bewertete den Schwenk positiv.

Unbehagen äußerte Abgeordneter Rossmann auch über die angedachte Selbstverpflichtung der Staaten, die Empfehlungen der Kommission im Rahmen des "Europäischen Semesters" umzusetzen. Offensichtlich denke man hier, ähnlich wie beim Fiskalpakt, an den Abschluss völkerrechtlicher Verträge unter Umgehung der EU-Verträge und ohne Einbindung der Parlamente. Dem entgegnete Bundeskanzler Faymann,  angesichts der Tatsache, dass man sowohl weltweit als auch in der EU der 27 aufgrund unterschiedlicher Auffassungen nicht das Maximum zustande bringe, sei es besser, mit einer kleineren Gruppe die Gemeinsamkeiten zu suchen und Projekte umzusetzen als gar nichts zu tun. Jedenfalls bedürfe es rechtsstaatlicher Strukturen, stellte der Kanzler unmissverständlich fest.

Die Grünen legten ihrerseits auch einen Antrag auf Stellungnahme vor, indem sie die im Ausschuss geäußerte Kritik bekräftigen und einen europäischen Konvent fordern. Auch dieser blieb in der Minderheit und wurde von den anderen Fraktionen nicht unterstützt.

Sorge, dass neben dem Wachstums- und Beschäftigungspakt auch ein Liberalisierungspakt entstehen könnte, äußerte Abgeordnete Christine Muttonen (S). Dies sei der falsche Weg, vielmehr bedarf es ihrer Meinung nach verstärkter sozialpolitischer Maßnahmen. Ihr schwebt unter anderem die Schaffung einer europäischen Arbeitslosenversicherung sowie eines Verfahrens bei übermäßiger Arbeitslosigkeit ähnlich dem Defizitverfahren vor. In gleicher Weise trat ihr Klubkollege Kai Jan Krainer dafür ein, sich nach der Neuausrichtung des IWF zu orientieren. Eine Lösung der Refinanzierung der Staaten müsse unabhängig von den Finanzmärkten erfolgen können, ergänzte er.

Muttonen sprach sich auch für eine gemeinsame Schuldenbewirtschaftung aus und zeigte sich überzeugt davon, dass die Demokratiedefizite in der EU behoben werden müssen. Man müsse den Zusammenhalt der EU stärken, um eine Kluft innerhalb der Mitgliedsstaaten verhindern. Dagegen sprach sich jedoch Abgeordneter Johannes Hübner (F) aus. Die Vorstellungen Muttonens hielt er für unrealistisch.

Verdient die EU den Friedensnobelpreis?

Eine Diskussion ergab sich im Ausschuss auch über die Zuerkennung des Friedensnobelpreises an die EU. Zweiter Präsident des Nationalrates Fritz Neugebauer hielt den Preis für berechtigt und meinte, trotz aller Schwierigkeiten in Teilbereichen könne es zu den Friedenszielen der EU keine Alternative geben. Sein Unverständnis galt daher den Aussagen von EU-Abgeordnetem Stadler, der gemeint hatte, dieser Preis negiere die ökonomischen Tatsachen, im Zuge der Krise herrsche etwa in Griechenland Bürgerkrieg.

Vizekanzler Michael Spindelegger nahm im Ausschuss auch Stellung zu außenpolitischen Fragen und betonte, dass man im Hinblick auf die Entwicklung in Syrien und die größer werdenden Flüchtlingsströme die humanitäre Hilfe verstärken werde. Er bekräftigte weiters die österreichische Forderung, die Verantwortlichen in Syrien für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung zu ziehen. Ferner kündigte er die Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran an, man sei aber zu weiteren Gesprächen bereit, fügte er hinzu. Was die Situation in Mali betrifft, so prüfe die EU eine militärische Intervention. (Schluss EU-Hauptausschuss)