Parlamentskorrespondenz Nr. 819 vom 23.10.2012

Umweltausschuss beschließt 5-Parteien-Antrag für Atomausstieg

Berlakovich: AKW-Stresstests haben Mängel publik gemacht

Wien (PK) - Widerstand gegen Atomkraft war der Tenor des heutigen Umweltausschusses. Ausgedrückt wurden Bedenken hinsichtlich der Produktion und Nutzung von Nuklearenergie in einem 5-Parteien-Antrag, der einstimmig angenommen wurde. Umweltminister Nikolaus Berlakovich betonte, dass die Stresstests an Europas Atomkraftwerken durch das Aufzeigen gravierender Mängel ein politisches Umdenken initiiert hätten. Oppositionsanträge zu weiteren Detailbereichen der Atompolitik wurden allerdings durchwegs als impraktikabel abgelehnt.

Petition als Initialzündung für Anti-Atom-Antrag

703.063 ÖsterreicherInnen hatten die Petition "Abschalten! Jetzt!" zum weltweiten Atomausstieg unterzeichnet. Die Abgeordneten Hannes Weninger (S), Hermann Schultes (V), Carmen Gartelgruber (F), Christiane Brunner (G) und Rainer Widmann (B) machten die Petition zur Basis eines gemeinsamen Entschließungsantrags (2059/A[E]), der die konsequente Umsetzung der österreichischen Anti-Atompolitik mit dem Ziel eines möglichst raschen Ausstiegs aus der Kernenergie in Europa zum Inhalt hat.

Umweltminister Nikolaus Berlakovich meinte, der Entschließungsantrag enthalte eine Reihe wichtiger Punkte und die Bundesregierung sehe ihn als wichtige Unterstützung, um den Weg in der Anti-Atompolitik konsequent fortzusetzen. Es habe sich gezeigt, dass die Stresstests nicht, wie von mancher Seite befürchtet, zu einem Persil-Schein für die AKW-Industrie geworden seien, sondern tatsächlich ein Umdenken befördert hätten. Die Atomkraftbetreiber mussten Daten bekanntgeben, die sie lieber nicht öffentlich gemacht hätten. Das sei aber erst nach zähem Ringen um die Veröffentlichung der Daten geschehen, bei diesem Punkt dürfe man auch weiterhin nicht nachlassen.

Mit diesem Fünf-Parteien-Antrag zur Anti-Atom-Politik der Regierung wolle der Umweltausschuss Österreichs Position zu Atomstrom in der weltweiten Klimadebatte klarstellen, erklärte Abgeordnete Werner Neubauer (F). Österreich solle sich aus Sicht des F-Mandatars aktiv für die EU-weite Stilllegung von "Schrottreaktoren" und gegen Laufzeitverlängerungen einsetzen. Neubauer zeigte sich erbost, dass die Regierung nicht auf die durch Stresstests beim Atomkraftwerk Temelin erwiesene Mängel reagiert habe und forderte, die Sicherheit und Gesundheit der heimischen Bevölkerung ungeachtet bilateraler Konsequenzen im Fokus zu haben.

Abgeordneter Hannes Weninger (S) sah in dem Antrag aller Fraktionsparteien ebenfalls eine wichtige Initiative für Österreichs Atompolitik und wies darauf hin, dass Atomkraft auf Grund von Naturkatastrophen und menschlichen Versagens nie sicher seien. Sein Fraktionskollege Walter Schopf betonte, dass eine Reihe von Oppositionsanträgen in diesen gemeinsamen Antrag eingeflossen seien, der zudem die Anliegen der Petition genau wiedergebe. Die Zeit sei reif für diesen Antrag, da ein Ausstieg aus der Atomenergie in vielen Länder gerade diskutiert werde. Die alarmierenden Ergebnisse der Stresstests für AKW hätten dazu viel beigetragen.

Wie Abgeordneter Hermann Schultes (V) betonte, sei der gemeinsame Antrag die Frucht langer Verhandlungen. Auch er sah die Stresstests für Atomkraftwerke als einen wichtigen Faktor, durch sie sei das Bewusstsein für Mängel der Atomindustrie und die Notwendigkeit eines Ausstiegs gestärkt worden. Gemeinsam mit dem Atomausstieg müsste die Förderung alternativer Energien und der Energieeffizienz erfolgen.

Auch Abgeordneter Christiane Brunner (G) zeigte sich erfreut über den gemeinsamen Antrag. Er müsse Grundlage und Ausgangspunkt gemeinsamer Arbeit werden, unterstrich sie. Sie bekräftigte ihre kritische Position zu den Stresstests. Es bestehe die Gefahr, dass aus ihnen nur die Konsequenz gezogen werde, AKW nachzurüsten und damit deren Laufzeit letztlich zu verlängern. Das wäre der falsche Schluss, sagte sie.

Für Abgeordneter Rainer Widmann (B) zeigte das Zustandekommen des gemeinsamen Antrags die demokratiepolitische Reife der Opposition. Entscheidend werde aber sein, was die Regierung davon umsetze. Es dürfe nicht zu einem "Beruhigungsantrag" für die Forderungen der Opposition werden, hielt er fest. Das BZÖ werde auf seine Umsetzung drängen. Wichtig sei daher, dass alle auf europäischer Ebene zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen Atomkraftwerke und für deren Stilllegung auch ergriffen werden.

Der Fünf-Parteienantrag wurde einstimmig angenommen. Mit diesem Antrag wurden eine Reihe von weiteren Anträgen zum Atom-Thema miterledigt (1722/A[E], 1978/A[E], 811/A[E], 1317/A[E], 1318/A[E], 1837/A[E])

Anträge der Opposition zur Atompolitik abgelehnt

Eine Reihe weiterer Anträge der Opposition zu Fragen der Atompolitik, in denen es vor allem um rechtliche Schritte gegen bestehende grenznahe Atomanlagen ging, fanden nur die Zustimmung von den drei Oppositionsparteien und blieben damit in der Minderheit. Angesichts der Risiken und Sicherheitsmängel rund um die grenznahen AKW Temelin und Mochovce und schwerwiegender rechtlicher Mängel bei den Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Errichtung neuer AKW-Blöcke in Temelin und im slowakischen Mochovce forderte BZÖ-Abgeordneter Rainer Widmann von der Bundesregierung die Einleitung europäischer Vertragsverletzungsverfahren gegen Tschechien und die Slowakei (1532/A(E) und 1533/A(E)).

Auch Abgeordneter Werner Neubauer (F) forderte in einem Entschließungsantrag (1146/A(E)) die Bundesregierung auf, zu klären, inwieweit die von der Slowakei durchgeführten UVP-Verfahren zur Fertigstellung neuer Reaktorblöcke 3 und 4 der AKW Mochovce und Temelin den EU-Vorschriften entsprechen. Abgeordneter Rainer Widmann (B) sah offene Sicherheitsfragen beim AKW Temelin (1736/A(E)) und kritisierte Wettbewerbsverstöße der Atomindustrie. Sie könne durch Milliardensubventionen und geringe Haftungen die Kosten für Atomstrom künstlich niedrig halten und agiere damit am Strommarkt wettbewerbsverzerrend (1855/A(E)).

FPÖ-Abgeordneter Werner Neubauer verlangte die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Tschechien wegen der aus seiner Sicht europarechtswidrigen Umweltverträglichkeitsprüfung bei der geplanten Erweiterung des AKW Temelin (2033/A(E)) und warnte vor dem Plan der slowakischen Regierung, beim Ausbau des AKW Bohunice auch ein Atommüllrestlager im westslowakischen Jaslovske Bohunice, nur 60 Kilometer von der burgenländischen Grenze entfernt, zu errichten (1861/A(E)). Zudem forderte er vom Umweltminister, bei der EU-Kommission zu erwirken, dass notwendige Abschaltungen von Atomkraftwerken allein im jeweiligen Betreiberstaat finanziert werden (2097/A(E)). Er wollte auch eine Prüfung der Frage, wie die zukünftige Versorgung von Bundesgebäuden durch ökozertifizierte Anbieter mit garantiert atomstromfreier Energie sicherzustellen (1518/A(E)) sei.

Alle Oppositionsanträge wurden jedoch von den Abgeordneten der Koalitionsparteien Sonja Steßl-Mühlbacher (S) und Hermann Schultes (V) mit dem Argument, dass die Forderungen der Anträge entweder bereits in Umsetzung wären oder nicht die erwarteten Ergebnisse bringen würden, abgelehnt. Steßl-Mühlbacher stellte fest, die früher belächelten Positionen Österreichs zur Atomenergie würden nun ernst genommen. Daher sei es auch wichtig, den EURATOM-Vertrag zu einem Atom-Ausstiegsvertrag zu machen. Abgeordneter Schultes sah keinen Anknüpfungspunkt für EU-Vertragsverletzungsverfahren bei grenznahen Kernkraftwerken in Tschechien. Dem widersprach Abgeordneter Rainer Widmann (B), der hier sehr wohl rechtliche Möglichkeiten auf EU-Ebene sah und die Zustimmung zu den Anträgen als "Nagelprobe" für die Haltung der Koalition zur Atompolitik wertete. Auch Ausschussvorsitzende Christiane Brunner (G) argumentierte, dass sie im Sinne einer konsequenten Anti-Atompolitik auch hier die Zustimmung der Koalition erwartet hätte. (Fortsetzung Umweltausschuss)