Parlamentskorrespondenz Nr. 872 vom 07.11.2012

ORF: Lob und Kritik im Verfassungsausschuss des Nationalrats

KommAustria-Leiter Ogris verteidigt Programmvorgaben

Wien (PK) – KommAustria-Leiter Michael Ogris hat heute im Verfassungsausschuss des Nationalrats die Entscheidung der Kommunikationsbehörde verteidigt, einer Beschwerde über den ORF wegen Unausgewogenheit des Programms teilweise stattzugeben. Wie er den Abgeordneten mitteilte, hat eine Analyse des Programms in den Jahren 2010 und 2011 gezeigt, dass vor allem der Unterhaltungsanteil im ORF zu hoch sei. Durch die neuen Spartenprogramme des ORF dürfte sich die Situation zwar entschärft haben, sagte Ogris, ORF 3 und ORF Sport+ entbinden den ORF ihm zufolge aber nicht von der Verpflichtung, auch in ORF eins und in ORF 2 ein ausgewogenes Programm zu senden. Die Entscheidung der KommAustria enthalte die klare Grundaussage, dass man aus ORF eins keinen reinen Unterhaltungssender machen dürfe, nur weil es ORF 3 gebe. Zumindest drei von vier Programmkategorien – Unterhaltung, Information, Kultur und Sport – müssten auch in den beiden ORF-Vollprogrammen adäquat vertreten sein.

Die Entscheidung der KommAustria ist allerdings, wie Ogris betonte, noch nicht rechtskräftig, da der ORF berufen hat. Ogris rechnet, dass die Causa bis zu den Höchstgerichten gehen wird, vorerst ist allerdings der Bundeskommunikationssenat am Wort.

Thema der Mediendebatte im Verfassungsausschuss war auch die Reaktion der ORF-Führung auf den Konflikt zwischen Sido und Dominic Heinzl rund um die Sendung "Die große Chance"

Grundlage für die Ausschussdiskussion bildete eine Reihe von Regierungsberichten, darunter der Kommunikationsbericht 2011 und der ORF-Jahresbericht 2011. Den Daten zufolge konnte der ORF im vergangenen Jahr ein besseres Ergebnis erzielen als erwartet. Als Grund werden die konsequente Umsetzung des Sparkurses und über den Prognosen liegende Werbeeinnahmen genannt. Auch mit den Reichweiten und den Marktanteilen zeigt sich die ORF-Führung grundsätzlich zufrieden. Die größten Reichweitengewinne im Jahr 2011 konnten allerdings die österreichischen Privatsender verzeichnen, wie der Kommunikationsbericht aufzeigt.

Durchschnittlich verbrachten die ÖsterreicherInnen 2011 167 Minuten pro Tag vor dem Bildschirm, damit stieg der Fernsehkonsum das zweite Jahr in Folge an. Bei den Printmedien gewannen die Gratiszeitungen Marktanteile. Die RTR berichtet auch über deutlich gestiegene Beschwerden über erhöhte Handyrechnungen im vergangenen Jahr, insgesamt telefonierten die ÖsterreicherInnen 2011 mehr als 22,2 Milliarden Minuten im Mobilfunknetz.

Förderungen für private Rundfunksender steigen sukzessive

Neben Michael Ogris war auch der Geschäftsführer der Rundfunkregulierungsbehörde RTR für den Fachbereich Medien, Alfred Grinschgl, als Experte in den Ausschuss geladen. Er hob unter anderem die  erfolgreiche Digitalisierung des Fernsehens in Österreich hervor und berichtete über die regulatorischen Aufgaben der RTR und ihre Fördervergaben. Grinschgl zufolge werden im kommenden Jahr 15 Mio. € an Fördermittel für private Rundfunkveranstalter zur Verfügung stehen, dazu kommen 3 Mio. € für nichtkommerzielle TV- und Radiosender.

Dass es bei den Fördervergaben zu bürokratischen Hemmnissen kommt, wie Abgeordneter Dieter Brosz (G) aufgrund von Beschwerden privater Rundfunkveranstalter in den Raum gestellt hatte, wollte Grinschgl nicht bestätigen. Die Verfahren werden seiner Meinung nach vielmehr unkompliziert und rasch abgewickelt. Die letzten Antragstermine hat es seinem Bericht nach am 17. bzw. 30. Oktober gegeben, Mitte Dezember sollen die Förderwerber per E-Mail über die Entscheidung informiert werden. Für die Fördervergabe gebe es klare Kriterien, unterstrich Grinschgl, diese seien aber losgelöst von den gesetzlichen Vorgaben für den ORF zu sehen.

Was die Einführung des digitalen Radios betrifft, beobachtet Österreich laut Grinschgl derzeit die Situation in der Schweiz und in Deutschland genau. Seiner Ansicht nach konnten durch die abwartende Haltung Österreichs in diesem Bereich Ausgaben in Millionenhöhe vermieden werden.

KommAustria-Leiter Michael Ogris berichtete, dass die Beschwerde gegen den ORF von privaten Rundfunkveranstaltern eingebracht wurde. Neben der Kritik am nicht ausgewogenen Programm des ORF wurde in der Beschwerde auch bemängelt, dass der ORF kein unverwechselbarer öffentlich-rechtlicher Sender sei und damit gegen das ORF-Gesetz verstoße. Diesem Beschwerdeteil hat die KommAustria Ogris zufolge nicht stattgegeben, da der Vorwurf nicht ausreichend begründet gewesen sei.

Zur neuen Aufgabe der KommAustria nach dem Medientransparenzgesetz merkte Ogris an, man habe den betroffenen Stellen wie vorgesehen eine Nachfrist gesetzt. Die erste Liste der Förderungen soll Mitte Dezember veröffentlicht werden.

Lob und Kritik am ORF

Von Seiten der Abgeordneten gab es sowohl Lob als auch Kritik am ORF. So wertete Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) die Entscheidung der KommAustria als Beleg dafür, dass der ORF entgegen den Behauptungen im Jahresbericht 2011 nicht alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten habe. Für Fichtenbauer wird durch den Spruch klargestellt: Keine Programmkategorie darf mehr als zwei Drittel der Gesamtsendezeit eines Programms einnehmen, zumindest drei der vier Kategorien müssen mit zumindest 10 % im Programm vertreten sein. Auch wenn man einen öffentlich-rechtlichen Sender befürworte und es auch Anlässe gebe, auf den ORF stolz zu sein, müsse Kritik am Sender erlaubt sein, bekräftigte er. Fichtenbauer vermisst etwa im Informationsprogramm teilweise objektive Berichterstattung.

Abgeordneter Dieter Brosz (G) wandte sich dagegen, das Spartenprogramm ORF 3 als Legitimation für die Ausweitung des Unterhaltungsanteils in ORF eins und ORF 2 heranzuziehen. Zudem hinterfragte er die Politik des ORF, Sendungen wie die "Millionenshow" oder "Schnell ermittelt" zum öffentlich-rechtlichen Kernauftrag zu zählen. Es gehe ihm nicht um einen "puristischen" ORF, sagte Brosz, das Programm müsse aber ausgewogen sein. Allerdings steht Brosz auch der Entscheidung der KommAustria nicht unkritisch gegenüber, für ihn fallen kulturell hochwertige Filme und die österreichische Kabarettszene klar unter den Kulturbegriff.

Auch Abgeordneter Herbert Scheibner (B) betonte, dass das von ihm positiv bewertete Spartenprogramm ORF 3 kein Freibrief dafür sein könne, das Programm von ORF eins und ORF 2 an jenes der Privatsender anzugleichen. Dass sich die finanzielle Lage des ORF zuletzt verbessert hat, führt er nicht zuletzt auf die jüngsten Gebührenerhöhungen und den Kostenersatz des Bundes zurück.

Ein flammendes Plädoyer für den ORF hielt SPÖ-Klubobmann Josef Cap. Gerade die Berichterstattung über die US-Wahl habe gezeigt, dass der ORF international konkurrenzfähig sei, betonte er. Seiner Meinung nach ist es angebracht, auf den ORF stolz zu sein. Cap hob in diesem Zusammenhang etwa das große Engagement der JournalistInnen im ORF, die Unabhängigkeit des Senders, die im internationalen Vergleich hohen Marktanteile – 75 % beim Radio, 36,4 % beim Fernsehen und 44,5 % beim Onlinedienst – und den "gut gelungenen" Spartenkanal ORF 3 hervor.

Die Politik habe eine Verantwortung für "die Kultureinrichtung ORF", mahnte Cap, man müsse dem Unternehmen ausreichende finanzielle Handlungsspielräume geben, auch wenn man manche kritische Anmerkungen am Programm machen könne und Berichte nicht in allen Fällen ausreichend objektiv seien.

Seitens der ÖVP meinte Abgeordneter Wolfgang Gerstl, die Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich sei unbestritten. Für ihn ist das allerdings kein Grund dafür, das "Füllhorn" für den ORF "unendlich zu vergrößern". Nach Meinung von Gerstl ist der ORF-Jahresbericht viel zu einseitig ausgefallen, eine etwas ausgewogenere Darstellung wäre, wie er meinte, "klug".

Fall Sido: Wenig Verständnis für ORF-Reaktion

Nicht nehmen lassen wollten sich einige Abgeordnete die Gelegenheit, im Rahmen der Mediendebatte zu den Vorkommnissen rund um die ORF-Sendung "Die große Chance" Stellung zu beziehen, auch wenn es einhelliger Tenor im Ausschuss war, dass die Diskussion darüber grundsätzlich in den Stiftungsrat bzw. in den Publikumsrat des ORF gehört.

Für Abgeordneten Fichtenbauer hat der Fall Sido gezeigt, dass Unterhaltung "auf die Ebene des Abscheulichen abgleiten kann", seiner Meinung nach hat die Führungsebene des ORF völlig falsch reagiert. Abgeordneter Scheibner kritisierte, der ORF habe den Konflikt zwischen Sido und Dominic Heinzl "zelebriert". SPÖ-Klubobmann Cap meinte hingegen, die Reaktion von ORF-Unterhaltungschefin Kathrin Zechner sei eher von einem christlichen Zugang als von einem unternehmerischen geleitet gewesen, sie habe "dem Sünder" offenbar eine Chance geben wollen. Für ihn steht hinter der Reaktion auf den Fall außerdem das generelle Problem des ORF, an jüngere Zuschauer heranzukommen. Abgeordneter Gerstl äußerte die Vermutung, dass die Entscheidung zur Rückholung von Sido durch Generaldirektor Wrabetz selbst getroffen wurde.

Staatssekretär Josef Ostermayer gab in seiner Stellungnahme zur Mediendebatte generell zu bedenken, dass das Fernsehen ein Unterhaltungsmedium sei. Jede der Programmsparten – Unterhaltung, Kultur, Sport und Information – müsse vom Zuschauer als so interessant empfunden werden, dass er nicht wegschalte, machte er geltend. Seiner Ansicht nach lässt sich durch Quizsendungen im Übrigen sehr wohl Bildung vermitteln. Lange diskutieren kann man nach Meinung von Ostermayer darüber, ob eine Haneke-Verfilmung eines Buchs von Elfriede Jelinek nun Kultur oder Unterhaltung sei.

Bei der Abstimmung wurden die von der Regierung vorgelegten Berichte teils einhellig, teils mehrheitlich zur Kenntnis genommen. Neben dem Kommunikationsbericht 2011 und dem ORF-Jahresbericht 2011 lagen dem Verfassungsausschuss zwei weitere Berichte der Rundfunk- und Telekomregulierungsbehörde RTR (2010, 2008), zwei Tätigkeitsberichte des Fernsehfonds (2009, 2008) und des Digitalisierungsfonds (2009, 2008), der Tätigkeitsbericht des Fonds zur Förderung des nichtkommerziellen Rundfunks und des Fonds zur Förderung des privaten Rundfunks 2009 sowie die Digitalisierungsberichte 2009 und 2007 vor. (Schluss Verfassungsausschuss)