Parlamentskorrespondenz Nr. 899 vom 13.11.2012

Nationalrat: Zivildienst versus freiwilliges Sozialjahr

Aktuelle Stunde im Vorfeld der Volksbefragung

Wien (PK) – Die kommende Volksbefragung am 20. Jänner 2013 warf abermals ihre Schatten auf die Diskussion im Nationalrat. Die Abgeordneten starteten die Plenumswoche mit einer Aktuellen Stunde zum Thema "Perspektiven des Zivildienstes in Österreich". Diesmal war es der ÖVP-Parlamentsklub, der die Frage auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Wöginger: Zivildienst ist Eckpfeiler in Sozial- und Gesundheitspolitik

Abgeordneter August WÖGINGER (V) wies einleitend darauf hin, dass es bei der Volksbefragung am 20. Jänner 2013 auch um den Fortbestand des Zivildienstes gehen wird. Aus diesem Grund erachte es die ÖVP für notwendig, zu dieser Frage eine aktuelle Stunde im Nationalrat abzuhalten. Man müsse die Menschen darüber informieren, dass das Ende der Wehrpflicht auch ein Aus für den Zivildienst, der als Wehrersatzdienst in der Verfassung verankert ist, bedeutet, betonte er.

Der Zivildienst habe sich seit der Einführung im Jahr 1975 zu einem Eckpfeiler in der Sozial- und Gesundheitspolitik entwickelt und immer mehr an Ansehen gewonnen, war Wöginger überzeugt. Rund 14.000 junge Männer leisten derzeit im Rahmen des Rettungswesen, der Behindertenhilfe sowie in den Pflegeheimen und Krankenhäusern einen unverzichtbaren Beitrag für die Gesellschaft. Wöginger zitierte sodann aus Briefen, in denen ehemalige Zivildiener über ihre positiven Erfahrungen berichten, die sie u.a. dazu bewogen hätten, einen Beruf im Sozial- oder Gesundheitswesen zu ergreifen. Allein daraus könne man erkennen, dass es sich beim Zivildienst um ein Erfolgsmodell handelt, das unbedingt beibehalten werden soll, forderte der VP-Mandatar. Er verstehe auch nicht, warum ein gut funktionierendes System abgeschafft werden soll, ohne eine geeignete Alternative anbieten zu können.

Dem von der SPÖ propagierten bezahlten freiwilligen Sozialjahr könne er wenig abgewinnen, da es ein Widerspruch in sich sei: Ehrenamtlichkeit und Bezahlung passen einfach nicht zusammen! Außerdem ergeben sich aus dem Hundstorfer-Modell noch viele offene Fragen, die nicht geklärt sind, gab Wöginger zu bedenken. Was macht man zum Beispiel, wenn sich viel weniger Menschen dafür entscheiden, als man braucht? Wird dann beim Katastrophenschutz, bei der Feuerwehr, bei der Jugendarbeit, bei der Schulwegsicherung oder bei der Kinderbetreuung eingespart? Völlig inakzeptabel sei auch der Vorschlag der SPÖ, in Hinkunft eine Agentur zur Personalvermittlung einzusetzen, wodurch es möglich sein wird, die Kollektivverträge zu umgehen. Das sei einem ehemaligen ÖGB-Präsidenten nicht würdig, betonte Wöginger in Richtung des Sozialministers.

Mikl-Leitner: Ein gut bewährtes System nicht aufs Spiel setzen

Bundesministerin Johanna MIKL-LEITNER pflichtete ihrem Vorredner bei, dass es sich beim Zivildienst um eine Erfolgsgeschichte handle. Nach anfänglichen Problemen und Sorgen darüber, ob die jungen Männer von den hilfsbedürftigen Menschen überhaupt akzeptiert werden, habe sich das "Experiment" Zivildienst immer besser entwickelt und sei heute gar nicht mehr wegzudenken, war die Innenministerin überzeugt. Mikl-Leitner gab auch zu bedenken, dass sich durch den Zivildienst das Rollenbild des Mannes entscheidend verändert habe. Heute sei es eine Selbstverständlichkeit, dass sich Männer in Sozial-, Gesundheits- und Pflegeberufen engagieren, hob die Ministerin mit Nachdruck hervor.

Wie man an den Zahlen erkennen könne, erfreue sich der Zivildienst auch immer größerer Beliebtheit, führte Mikl-Leitner weiter aus. Während im Jahr 1975 erst 344 junge Männer für diese Arbeit gewonnen werden konnten, stieg die Zahl 2004 auf über 10.000; im Jahr 2011 waren bereits über 13.500 Personen im Zivildienst tätig. Sie glaube, dass dieser Trend auch weiter anhalten werde. Dies sei auch notwendig, da etwa aufgrund der steigenden Anzahl an Rettungsfahrten oder des größeren Bedarfs in Pflege- und Behindertenheimen auch immer mehr Zivildiener gebraucht werden.

Ablehnend stand die Innenministerin dem Modell von Minister Hundstorfer gegenüber, weil dieses "Bezahlmodell" den Anfang vom Ende der ehrenamtlichen Tätigkeit darstellen würde und ein Angriff auf die Motivation tausender engagierter Freiwilliger in Österreich sei. Außerdem könne man mit einem Modell, das im Grunde auf die Arbeitslosigkeit setzt, keine langfristigen, verlässlichen Planungen vornehmen. Man dürfe auch nicht vergessen, dass es auf jeden Fall teurer kommen wird und Leistungskürzungen die Folge sein werden. Die ÖVP wehre sich jedenfalls vehement dagegen, nur wegen eines Wahlkampfgags der SPÖ Wien ein gut bewährtes Modell, das man aber durchaus weiter entwickeln könne, aufs Spiel zu setzen, unterstrich die Ressortchefin. Um auf seriöser Basis über die Frage des Zivildienstes diskutieren können, habe sie diesbezüglich eine Studie bei der Wirtschaftsuniversität in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse in ein paar Wochen vorliegen werden, kündigte Mikl-Leitner an. Sie persönlich, nicht nur als Ministerin, sondern auch als Staatsbürgerin und Mutter von zwei Kindern, stehe jedenfalls ganz klar für die Beibehaltung der Wehrpflicht und des Zivildienstes, weil es dabei nicht nur um eine sicherheitspolitische, sondern auch um eine gesellschaftspolitische Frage gehe.

SPÖ: Organisationsstrukturen neuen Herausforderungen anpassen

Abgeordneter Otto PENDL (S) hielt es für legitim, sich aufgrund der ständig ändernden Herausforderungen über eine zeitgemäße, moderne Organisationsstruktur des Heeres Gedanken und Überlegungen zu machen. Bei allem Verständnis für den Sozialbereich und dem Katastrophenschutz sei es aber völlig verfehlt, diese Diskussion nur über Sekundäraspekte abzuhandeln, warnte er. Was die Argumente der christlich-sozialen Volkspartei anbelangt, so verstehe er wirklich nicht, was deren Vertreter gegen ein ordentliches Beschäftigungsverhältnis einwenden können. Außerdem sei es seit vielen Jahren gelebte Praxis an allen Dienststellen aller Rettungsorganisationen, dass hauptberufliche neben ehrenamtlichen MitarbeiterInnn gemeinsam und ohne Probleme Dienst machen. 

ÖVP: Zivildienst ist für beide Seiten Win-Win-Situation

Aufgrund persönlicher beruflicher Erfahrungen könne sie nur sagen, dass die Einbindung von Zivildienern immer sehr gut funktioniert habe und für beide Seiten eine Win-Win-Situation war, argumentierte Abgeordnete Claudia DURCHSCHLAG (V). Einerseits seien die jungen Männer mit einer Lebenssituation in Kontakt gekommen, die ihnen sonst mit Sicherheit fremd geblieben wäre, und andererseits hätten die Kinder und die älteren Menschen große Freude gehabt, mit den Zivildienern zusammen zu sein. Sehr positiv war auch der Integrationsaspekt, strich Durchschlag heraus, das Miteinander- und das Voneinanderlernen habe bestens funktioniert. Außerdem haben sich viele junge Männer danach entschlossen, einen Sozialberuf, wo es noch immer einen großen Frauenüberhang gibt, zu ergreifen. Sorgen machte sich Durchschlag auch noch bezüglich des Gedenkdienstes, der nicht Opfer der Abschaffung der Wehrpflicht werden dürfe.

FPÖ: Gut bewährtes System beibehalten und verbessern

Abgeordneter Heinz-Christian STRACHE (F) erinnerte daran, dass der Vorschlag auf Abschaffung der Wehrpflicht ein Wahlkampfgag von Bürgermeister Häupl im Jahr 2010 war, der ihm aber gar nichts genutzt habe. Generell sei er der Auffassung, dass die SPÖ-Ideen in dieser Frage nur dazu beitragen, die Landesverteidigung, den Katastrophenschutz sowie die soziale Sicherheit in Österreich ernsthaft zu gefährden. Einerseits sei nämlich das von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Modell des Berufsheeres viel zu teuer und andererseits könne der bisherige Standard beim Katastrophenschutz, den Blaulichtorganisationen, der Kinder- und Behindertenbetreuung nicht mehr aufrechterhalten werden. Man müsse nämlich auch bedenken, dass neben den 13.500 Zivildienern auch zahlreiche Grundwehrdiener im Einsatz sind. Das in seiner Grundstruktur gut bewährte System solle daher beibehalten und notwendige Verbesserungen durchgeführt werden, forderte Strache. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an die FPÖ-Anträge hinsichtlich der Anrechnung der Pensionszeiten oder Bevorzugung bei der Aufnahme im öffentlichen Dienst, wenn Freiwilligenarbeit geleistet wird.

Grüne: Zivildienst nicht als Argument für Beibehaltung der Wehrpflicht verwenden

Abgeordnete Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) hielt den Vertretern der ÖVP entgegen, dass sie kein einziges Argument für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht vorgebracht hätten. Sie halte es für unzulässig, wenn die Beibehaltung des Zivildienstes als Hauptargument dafür hergenommen wird, um den jungen Männern weiterhin sechs Monate ihrer Lebenszeit zu stehlen. Glawischnig-Piesczek machte zudem darauf aufmerksam, dass bereits 17 EU-Länder die Wehrpflicht abgeschafft haben und dafür auch gute Gründe hatten. Auch die Reformkommission des Bundesheeres habe schon vor vielen Jahren festgestellt, für die vorhersehbare Zukunft sei keine konventionelle militärische Bedrohung des österreichischen Staatsgebietes zu erwarten, so die G-Rednerin. Die Einführung eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres würde ihrer Ansicht nach auch nicht dazu führen, dass sich niemand mehr ehrenamtlich engagieren würde. Die Grünen hätten sich aber immer dafür eingesetzt, das freiwillige Engagement besser zu unterstützen; diese Initiativen seien aber immer abgelehnt worden, bedauerte sie. Es sei auch nicht richtig, dass sich die Reform in Deutschland nicht bewährt habe, zeigte Glawischnig-Piesczek auf; Bundeskanzlerin Merkel habe den Bundesfreiwilligendienst, nach dem die Nachfrage sehr groß ist, als absolutes Erfolgsmodell bezeichnet.

BZÖ: Starkes Bundesheer und Reform des Bürgerengagements

Abgeordneter Gerald GROSZ (B) erinnerte daran, dass die ÖVP und die FPÖ früher immer als Gegner des Zivildienstes aufgetreten und nun zu erbitterten Befürwortern geworden seien. Die Grünen wiederum seien immer gegen das österreichische Bundesheer und wollten nun ein Berufsheer, bemerkte Grosz. Die Parteien seien selbst uneinig, verlangten aber von den BürgerInnn, Stellung zu beziehen und in der wichtigen Sicherheitsfrage eine Entscheidung zu treffen, kritisierte er. Grosz bedauerte, dass über die wirklich wichtigen Fragen, wie etwa die militärpolitische Ausrichtung Österreichs oder die Stärkung des Ehrenamts gar nicht diskutiert werden, sondern nur parteipolitische Argumente auf den Rücken der Betroffenen ausgetauscht werden. Das BZÖ wolle sowohl ein starkes Bundesheer als auch eine Reform des Bürgerengagements, das mit diversen Boni (leichterer Zugang zum Studium und zum öffentlichen Dienst, Steuererleichterungen etc.) belohnt wird, forderte Grosz abschließend.

T: Militär in Rettungswesen und Feuerwehren einbinden

Aus der Sicht des Team Stronach stellt die Abhaltung der Volksbefragung im Jänner eine klare Alibi-Aktion dar, konstatierte Abgeordneter Christoph HAGEN (T). Dabei können seiner Meinung nach die BürgerInnen nur zwischen Pest und Cholera entscheiden, weil offen gelassen werde, wie es nach der Befragung weitergeht. Niemand wisse, wie das Bundesheer weiterentwickelt wird, welche Aufgaben es zu erfüllen hat und was mit dem Katastrophenschutz passieren soll. Völlig unklar sei auch, wie der Zivildienst-Ersatz aussieht, falls sich die Mehrheit der BürgerInnen für die Abschaffung der Wehrpflicht ausspricht. Das Team Stronach schlägt dazu vor, langzeitarbeitslosen Frauen und Männern, die die Mindestsicherung erhalten, zwei Jahre lang noch 500 € zusätzlich zu geben, wenn sie z.B. für Rettungsorganisationen tätig sind. Außerdem könnte das Militär – wie in Frankreich – in das Rettungswesen und die Feuerwehren eingebunden werden. Zudem setzte sich Hagen für ein gut funktionierendes Berufsheer mit einer fairen und ordentlichen Bezahlung ein.

Keine Annäherung der Standpunkte

Abgeordnete Christine LAPP (S) sprach sich gegen Zwangsverpflichtung und für Freiwilligkeit sowie gerechte Bezahlung aus und meinte, es gehe nicht an, jungen Männern Monate ihres Lebens zu stehlen, wo man doch mit Motivation und Freiwilligkeit viel mehr erreichen könne. Der ÖVP warf die Rednerin vor, früher Zivildiener immer als Drückeberger verunglimpft zu haben, sich jetzt aber als Retter des Zivildienstes zu präsentieren. Fest stand für Lapp, dass der Zivildienst allein das Sozialsystem nicht aufrecht erhalten könne. Vielmehr müsse man darauf setzen, zusätzliche professionelle und motivierte Beschäftigte zu finden. Sie unterstützte mit Nachdruck das von Minister Hundstorfer vorgestellte Modell eines freiwilligen bezahlten sozialen Jahres und sah darin eine gute Voraussetzung für Männer und Frauen, die sich für einen Beruf im sozialen und im Gesundheitsbereich interessieren.

Abgeordneter Hermann GAHR (V) bekannte sich hingegen zu den drei Säulen Wehrdienst, Katastrophenschutz und Zivildienst. Er brach insbesondere eine Lanze für den Zivildienst und trat dabei der Behauptung entgegen, dies sei bloß gestohlene Zeit. 37 Jahre Zivildienst von heute auf morgen auszulöschen wäre unverantwortlich, warnte er. Es gelte vielmehr, junge Menschen für soziale Verantwortung zu gewinnen und den Zivildienst den Anforderungen der Gesellschaft entsprechend zu gestalten.

Abgeordneter Peter FICHTENBAUER (F) betonte, die tragenden Säulen der österreichischen Sicherheitspolitik und der sozialen Versorgung dürften nicht umgeworfen werden. Es sei eine nicht zu überbietende Absurdität zu behaupten, man könne mit 6.000 Menschen dasselbe leisten wie mit 13.000. Fichtenbauer wies auf die steigende Bedeutung der Zivildiener vor allem vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung hin und bekräftigte, der Zivildienst sei unverzichtbar und dürfe nicht als Zwangsdienst herabgewürdigt werden. Er rief deshalb die Bevölkerung auf, sich am 20. Jänner zu Wehrpflicht und Zivildienst zu bekennen.

Abgeordnete Tanja WINDBÜCHLER-SOUSCHILL (G) warf der ÖVP vor, mit den Ängsten der Menschen zu spielen, und bemerkte, der Volkspartei gehe es bloß darum, das alte System des Kalten Krieges aufrechtzuerhalten. Die Grün-Mandatarin forderte demgegenüber eine Umstrukturierung des gesamten sozialen Bereichs auf ein System, das existenzsichernde Löhne zahlt und für Frauen und Männer gleichermaßen zugängig ist. Als falsch bezeichnete sie es, den Zivildienst als einzige Stütze des Sozialsystems zu bezeichnen. Besser wäre es ihrer Meinung nach, das derzeit für den Zivildienst aufgewendete Geld in ein auf bezahlten Füßen stehendes Sozialsystem zu investieren.

Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B) argumentierte, nach der Menschenrechtskonvention seien staatlich verordnete Zwangsdienste nur für die Landesverteidigung und für Katastrophenfälle zulässig. Es sei daher verfassungs- und menschenrechtswidrig, das Sozialsystem in Österreich auf Basis von Zivildienern aufzubauen, folgerte er. Scheibner erinnerte überdies, dass der Katastrophenschutz in Österreich in die Kompetenz der Länder fällt, und bezeichnete es als unverantwortliche Panikmache, so zu tun, als würde bei einem Wegfall des Bundesheers auch der gesamte Katastrophenschutz gefährdet sein. Was den Zivildienst betrifft, stellte Scheibner fest, man habe in den letzten Jahren krampfhaft versucht, die Einsatzgebiete auszuweiten, unbedingt notwendig zur Aufrechterhaltung des Sozialsystems seien die Hilfstätigkeiten der Zivildiener sicherlich nicht.

Abgeordneter Robert LUGAR (T) schloss sich seinem Vorredner an und bemerkte überdies, der Zivildienst sei eine Erfolgsgeschichte gewesen für jene, die sich dadurch billige Arbeitskräfte verschaffen konnten. Klar war für den Redner zudem, dass die allgemeine Wehrpflicht heute angesichts der sicherheitspolitischen Veränderungen nicht mehr gebraucht werde. Sinnvoller wäre es seiner Auffassung nach, das Geld in gut ausgebildete SoldatInnen zu investieren und im Sozialbereich freiwillige Dienste anzubieten, die vor allem auch für Langzeitarbeitslose offenstehen. (Schluss Aktuelle Stunde/Fortsetzung Nationalrat)