Parlamentskorrespondenz Nr. 908 vom 14.11.2012

Justizministerin Karl will Strafmaße überdenken

Nationalrat diskutiert Justizbudget

Wien (PK) – Nächster Tagesordnungspunkt heute in der Budgetdebatte war das Thema Justiz. Kern waren die Gerichtsgebühren als Zugangshürden zum Recht sowie zusätzliche Planstellen für Familiengerichtsbarkeit, Korruptionsbekämpfung sowie Arbeits- und Sozialgerichte.

Abgeordneter Peter FICHTENBAUER (F) stellte fest, dass der extrem hohe Eigendeckungsgrad des Budgets des Justizressorts faktisch nichts anderes bedeute, als dass sich die österreichische Bevölkerung das Justizsystem selbst bezahle. Der Zugang zum Recht sei in Österreich sehr teuer. Das treffe vor allem Personen ohne Rechtsschutzversicherung, die gleichzeitig keinen Anspruch auf Verfahrenshilfe haben. Diese würden durch hohe Prozesskosten abgehalten, ihr Recht einzufordern. Damit bestehe eine effektive Hürde für den Zugang zum Recht. Das sei im Sinne des Rechtsstaates sehr fragwürdig, kritisierte der Abgeordnete.

93 zusätzliche Planstellen für Justiz

Abgeordneter Peter Michael IKRATH (V) sprach von einem "sehr respektablen Budget", das die Ressortleiterin vorgelegt habe. Es enthalte 93 zusätzliche Planstellen zur Umsetzung von zwei Schwerpunkten der Justizpolitik, nämlich der verstärkten Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität sowie der Verbesserungen im Bereich der Familiengerichtsbarkeit. Positiv wertete Ikrath die Versicherung der Ministerin, dass daraus keine Gebührenerhöhungen entstehe. Der Abgeordnete  begrüßte auch den interdisziplinären Ansatz bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Es gehe in dieser Frage um das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz sowie um die Reputation des Wirtschaftsstandortes Österreich.

Abgeordneter Albert STEINHAUSER (G) sah einige positive Punkte im Budgetentwurf, wie die bessere finanzielle Ausstattung des Bewährungshilfevereins "Neustart" und des Vereins für Sachwalterschaft. Auch die bessere Ausstattung der Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Wirtschaftskorruption sei zu begrüßen. Eine Reihe "offener Baustellen" blieben im Justizressort aber nach wie vor bestehen. Steinhauser sprach von einer grundsätzlichen Überlastung der Justiz und der Gerichte, die zu langen Verfahren führe. Die zahlreichen Gebührenerhöhungen der letzten Jahre nannte Steinhauser "Preistreiberei" der Ministerin. Es wäre sozial treffsicherer, wenn das Justizsystem in erster Linie durch Steuern und nicht über die eingehobenen Gebühren finanziert würde, meinte er.

Auch im Mietrecht müsse etwas geschehen, da vor allem junge Familien sich Wohnraum kaum mehr leisten könnten. Ein besonderes Anliegen war Steinhauser ein angemessener Kostenersatz nach Freisprüchen. Derzeit bestehe hier ein rechtsstaatlich unhaltbarer Zustand. Nach Aussagen der Ministerin würde eine Neuregelung 3 Mio. € pro Jahr kosten, eine Summe, die man für ein so wichtiges Anliegen aufbringen sollte, meinte Steinhauser. 

Elektronische Fußfessel bleibt umstritten

Abgeordneter Johannes JAROLIM (S) sprach ebenfalls das Thema Gerichtsgebühren an, hier gebe es noch Verbesserungsbedarf. In der Frage der elektronischen Fußfessel ersuchte er die Ministerin, die derzeitige Handhabung nochmals zu überprüfen, um durch Einzelfälle die Erfolge der Maßnahme nicht zu schmälern und das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung zu schädigen. Die gute Ausstattung der Bewährungshilfe sei angesichts hoher Rückfallquoten eine richtige Entscheidung. Begrüßenswert sei auch die personelle Aufstockung der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Er hoffe nur, dass die Neubesetzungen ohne Intervention der Politik stattfinden werden, meinte Jarolim. Die parlamentarische Zusammenarbeit im Bereich der Justiz sei grundsätzlich sehr gut, unterstrich der Abgeordnete.

Abgeordneter Gerald GROSZ (B) sprach den aktuellen Fall der Gewährung einer Fußfessel für einen Sexualstraftäter in Salzburg an, der schwere Mängel des Strafvollzugs deutlich mache. Es zeige sich daran wieder einmal, dass in Österreich schwere Straftaten gegen Leib und Leben anscheinend weit milder bestraft würden, als Finanzdelikte. Das schädige das Vertrauen in die Justiz. Grosz kritisierte auch eine einwöchige Auslandsreise der Bundesministerin nach Südamerika, die Kosten in der Höhe von 60.000 € verursacht habe. Der Nutzen einer solche Reise sei für ihn nicht erkennbar, meinte Grosz. Auch die Verhandlungen über das Auslieferungsabkommen mit Brasilien würden seiner Meinung nach keine ausreichende Rechtfertigung für so kostspielige Reisen darstellen.

Abgeordneter Bernd SCHÖNEGGER (V) warf seinem Vorredner vor, aus einem Justizfall politisches Kleingeld schlagen zu wollen. Das Justizressort habe einige erfolgreiche Reformen unternommen, etwa im Familienrecht, wo das Wohl des Kindes erstmals explizit im Mittelpunkt stehe. Ein Meilenstein sei dabei auch die Neuregelung der Obsorge. Das Familienrechtspaket bringe auch eine bessere personelle Ausstattung der Familiengerichte mit sich. In den Maßnahmen im Bereich der Aus- und Fortbildung mit dem Schwerpunkt auf Wirtschaftskriminalität erkennt Schönegger den Ausdruck eines klaren politischen Willens.

Abgeordneter Christoph HAGEN (T) zeigte sich unzufrieden mit der Zahl der neuen Planstellen im Justizbereich. Sie entspreche bei weitem nicht den Forderungen der Richter und Staatsanwälte. Auch die Justizwache habe einen akuten Personalmangel. Die Zusammenlegung von nicht rentablen Bezirksgerichten begrüßte der Abgeordnete, meinte aber, es bleibe im Bereich der Justizverwaltung noch einiges zu tun, um Synergien besser zu nützen. Gerichtsgebühren dürften nicht zum Zweck der Budgetfinanzierung auf Kosten der BürgerInnen genützt werden, meinte er.

Karl für Betreuungsvollzug mit mehr Prävention und Sicherheit

Bundesminister Beatrix KARL hielt fest, dass eine der wesentlichen Zielsetzungen ihres Ressort die Gewährleistung objektiver, fairer und unabhängiger Verfahren von angemessener Dauer sei. Im europäischen Durchschnitt weise die österreichische Justiz sehr kurze Verfahrensdauern auf, so dauerten Zivilverfahren rund vier Monate, während der europäische Durchschnitt bei 9,4 Monaten liege. In Österreich werden jährlich 0,24 % des BIP für die Justiz aufgewendet. Auch das sei ein vergleichsweise günstiger Wert, meinte die Ministerin. Zu den Gebühren hielt Karl fest, dass sie beispielsweise die Kopierkosten bei den Gerichten deutlich gesenkt habe.

Der Eigendeckungsgrad der Justiz aus Gebühren liege bei 70 %, der Rest stamme aus Steuermitteln. Der sorgsame Umgang mit öffentlichen Mittel sei dabei selbstverständlich, was auch eine richtige Prioritätensetzung verlange. Diese habe man durch die Umsetzung des Familienrechtspakets, durch eine verstärkte Korruptionsbekämpfung und das Lobbyistengesetz vorgenommen. In der Korruptionsbekämpfung habe man fast alle Empfehlungen des Europarates umgesetzt. Hiermit entspreche man den Erwartungen der Bevölkerung, aber auch den Interessen des Wirtschaftsstandortes Österreich. Um immer komplexere Wirtschaftsverfahren bewältigen zu können, brauche man die entsprechende Aus- und Weiterbildung der StaatsanwältInnen. In diesem Bereich habe ihr Ressort ein breites Angebot geschaffen, das sehr gut angenommen werde.

In der Frage des Strafvollzugs sprach sich Bundesministerin Karl für einen modernen Betreuungsvollzug aus. Dieser müsse auch Aspekte von Prävention und Sicherheit berücksichtigen. Im angesprochenen konkreten Fall in Salzburg betreffend die Gewährung einer Fußfessel versprach die Ministerin, dass sie weitere Informationen dazu einholen werde. Was das immer wieder behauptete Missverhältnis des Strafmaßes bei Delikten gegen Leib und Leben und Eigentumsdelikten betreffe, stellte die Bundesministerin die Einrichtung einer Arbeitsgruppe in Aussicht. Die Strafrelationen müssten umfassend überprüft werden, bevor sich dazu eine Aussage machen lasse, ob hier Maßnahmen gesetzt werden müssen, sagte sie.    

Abgeordnete Ruth BECHER (S) verwies auf rund 60 Mio. € an Einnahmen aus Vergebührungen von Mietverträgen. Diese Gebühren seien eine hohe Eingangshürde für MieterInnen, kritisierte die Abgeordnete. Eine Senkung der Mietkosten sei dringend notwendig, vor allem im privaten Althausbestand. Aus sozialen Gesichtspunkten heraus habe ihre Fraktion dazu bereits mehrere Vorschläge präsentiert. Einige richtige Schritte im Mietrecht seien in dieser Legislaturperiode zwar bereits geschehen, es bleibe aber noch viel zu tun. So müssten unter anderem in Mietverträgen Ab- und Zuschläge klar ausgewiesen werden, es dürfe keine Abwälzung von Nebenkosten des Vermieters auf MieterInnen erfolgen, und bei Richtwertmieten müsse eindeutig festgeschrieben werden, dass Erhaltungskosten vom Vermieter zu tragen sind.     

Gebühren als Hürde für Zugang zum Recht?

Abgeordneter Harald STEFAN (F) konzedierte, dass das österreichische Rechtssystem teilweise sehr gut sei. Genau das spreche aber gegen eine Vereinheitlichung auf europäischer Ebene, da diese nur zu einer Nivellierung nach unten führen könne. Er hoffe auf ein einheitliches Auftreten gegen EU-Pläne in diesem Bereich. Zum Thema Gebühren meinte er, der hohe Deckungsgrad der Justiz sei unbefriedigend, da daraus eine hohe Hürde für den Zugang zum Recht entstehe. Jeder Gebühr müsse prinzipiell eine Leistung gegenüberstehen, sie dürfe keine zusätzliche Steuer sein. Das sollte beispielsweise bei der Grundbuchgebühr berücksichtigt werden. In der Frage der Anwendung Fußfessel sah er Handlungsbedarf. Die Einführung des Systems sei zudem auch aus Sicht des Rechnungshofs nicht transparent durchgeführt worden, kritisierte der Abgeordnete.     

Abgeordnete Eva-Maria HIMMELBAUER (V) sprach das Wirkungsziel der Gewährleistung der Rechtssicherheit an. Hier liege Österreich an  sich im internationalen Vergleich sehr gut. Es brauche aber trotzdem eine ständige Evaluierung und Anpassung. Vieles sei in letzter Zeit geschehen, vor allem im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Mehr Aufgaben für die Justiz erforderten auch mehr Planstellen, es sei zu begrüßen, dass dies im Budget berücksichtigt werde. Positiv war für Himmelbauer auch die Erweiterung der Aus- und Weiterbildungen, um StaatsanwältInnen mit mehr Wirtschaftskompetenz auszustatten, und die Möglichkeit zur ressortübergreifenden Zusammenarbeit bei komplexen Fällen von Wirtschaftskriminalität.

Abgeordneter Peter WESTENTHALER (B) trat für ein generelles Verbot der elektronischen Fußfessel bei Sexualstraftätern ein und appellierte zudem an die Justizministerin, Kinder im Strafrecht als besonders schützenwerte Gruppe zu definieren. So sollte bei Kindern keine Unterscheidung zwischen sexuellem Missbrauch und schwerem sexuellem Missbrauch  vorgenommen werden, schlug Westenthaler vor und brachte einen Entschließungsantrag ein, der darauf hinausläuft, jeden sexuellen Missbrauch von Unmündigen als schweren sexuellen Missbrauch zu ahnden. Darüber hinaus mahnte der Redner zu äußerster Vorsicht und Restriktion bei vorzeitiger bedingter Entlassung von Sexualstraftätern.

Abgeordneter Hannes FACEKAS (/S) warnte vor einer Anlassgesetzgebung beim elektronisch überwachten Hausarrest und trat für eine gründliche, sachliche Diskussion über allfällige Änderungen ein.

Abgeordneter Christian LAUSCH (F) warf Ministerin Karl vor, den Strafvollzug als Stiefkind zu behandeln, und kritisierte die Streichung von 5 diesbezüglichen Planstellen im Budget. Allein in der Strafanstalt Stein würden 40 Justizwachebeamte fehlen, gab Lausch zu bedenken und forderte in einem Entschließungsantrag eine Erhöhung der Zahl der Planstellen im Strafvollzug.

Abgeordneter Johann MAIER (S) befasste sich in seiner Wortmeldung mit den Gerichtssachverständigen, machte auf die damit verbundenen hohen Kosten aufmerksam und thematisierte die Qualität der Gutachten insbesondere im familienrechtlichen Bereich.

Abgeordnete Sonja STEßL-MÜHLBACHLER (S) sah Handlungsbedarf beim Unterhaltsvorschuss und drängte auf eine entsprechende gesetzliche Regelung, die sicherstellt, dass die Kinder den ihnen gebührenden Unterhalt auch tatsächlich bekommen.

Abgeordneter Peter WITTMANN (S) hielt es für grundsätzlich falsch, Gesellschaftspolitik über das Strafrecht zu betreiben, und vertrat die Ansicht, es werde insgesamt zu viel kriminalisiert. Der Redner ortete überdies auch ein Missverhältnis zwischen den Strafen für Vermögensdelikte und jenen für Delikte gegen Leib und Leben. (Fortsetzung Nationalrat)