Parlamentskorrespondenz Nr. 942 vom 20.11.2012

Obsorgeregelung nach wie vor umstritten

Entwurf nach Hearing im Justizausschuss vertagt

Wien (PK) – Mit einem Expertenhearing eröffnete der Justizausschuss heute seine Beratungen über das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz, das vor allem Erleichterungen für die Begründung der gemeinsamen Obsorge und für das Besuchsrecht bringt, für Konfliktfälle eine sechs Monate lange Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung vorsieht und die rechtliche Basis für die Familiengerichtshilfe und die Besuchsmittler legt. Als Auskunftspersonen standen den Abgeordneten im Rahmen des Hearings Helene Klaar (Rechtsanwältin), Guido Löhlein (Väterplattform), Eva Mückstein (Psychologin), Reinhard Neumayer (Psychologe), Alexander Scheer (Rechtsanwalt) und Doris Täubel-Weinreich (Familienrichterin)  Rede und Antwort. Die Beratungen über die Reform wurden im Anschluss daran einstimmig vertagt.

Klaar: Entwurf diskriminiert nach wie vor unverheiratete Mütter

Helene Klaar vermerkte in ihrer Stellungnahme als positiv, der Entwurf gebe Kindern eine bessere Chance als bisher, im Falle einer Trennung ihrer Eltern von beiden Elternteilen betreut zu werden. Sie begrüßte insbesondere die Berücksichtigung des Kindeswohls und die dabei vom Gesetz gewählte Ausformulierung. Für nicht richtig hielt es Klaar allerdings, dass eine Vereinbarung der Elternteile über die Obsorge nun beim Standesamt geschlossen werden könne, und vertrat die Meinung, dafür sollte allein das Gericht zuständig sein. Klaar bemängelte ferner, es gebe nach wie vor Diskriminierungen unehelicher Kinder durch die Schlechterstellung nicht verheirateter Mütter, dies etwa bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs. Die sechsmonatige Testphase der vorläufigen elterlichen Verantwortung beurteilte sie hingegen als richtungsweisend, um Entscheidungen im Interesse des Kindes zu treffen, warnte jedoch, hinsichtlich des Unterhaltes dürfe daraus kein Schlupfloch für den zahlungsunwilligen Elternteil werden.

Löhlein: Hauptbetreuender Elternteil wird bevorzugt

Guido Löhlein beklagte eine Vielzahl von unbestimmten Regelungen und "weichen" Maßnahmen im Gesetz und befürchtete eine Erhöhung der an sich schon großen Komplexität der Materie. Er kritisierte auch, das Kindeswohl werde nicht immer als oberster Grundsatz des Gesetzes abgesichert. Löhlein vermisste zudem eine Gleichstellung sowie eine Verankerung des Rechts beider Elternteile auf die Obsorge. Er ortete  insbesondere ein Übergewicht bei der Mutter, da, wie er zu bedenken gab, die Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung zu Lasten des nicht hauptbetreuenden Elternteils gehe. Irritiert zeigte er sich auch über die Regelung des Wohnortes sowie über die Streichung der Doppelresidenz aus dem ursprünglichen Entwurf. Klar war für Löhlein auch, dass eine Übersiedlung ins Ausland nun auch gegen die Zustimmung eines Elternteils durch Gerichtsbeschluss möglich wird.

Mückstein für Schlichtungsstelle anstatt Gerichtsentscheidung

Eva Mückstein begrüßte es, dass das Kindeswohl nun ausdrücklich formuliert und insgesamt besser berücksichtigt werde als früher. Der Entwurf gehe aber in die falsche Richtung, da er auch Entscheidungen des Gerichts gegen den Willen der Eltern ermöglicht, kritisierte sie. Ein Vermittlungsgespräch im außergerichtlichen Bereich, etwa eine verpflichtende Vorschaltung eines Schlichtungs-Procedere nach norwegischem Vorbild wäre eine bessere Lösung, meinte Mückstein. Die Familiengerichtshilfe wertete sie als einen massiven Eingriff in die Autonomie der Familien, auch befürchtete Mückstein, dass diese Einrichtung mit komplexen Aufgaben überfrachtet werde und Manipulationsversuche der Streitparteien zu einer weiteren Polarisierung führen könnten. Mückstein warnte zudem vor einer Verletzung der Verschwiegenheit zum Nachteil des Kindes. Insgesamt meinte sie unter Hinweis auf ihre Erfahrung als Psychologin, nicht die Sorgerechtsform, sondern das Einvernehmen und die Kooperation der Eltern seien ausschlaggebend für die Beibehaltung einer guten Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen.

Neumayer: Kinder brauchen rasche Entscheidungen

Reinhard Neumayer begrüßte die Verankerung des Kindeswohls als leitendes Kriterium für die Entscheidungen und betonte, der Entwurf nehme Stellung gegen Kontaktvereitelung und Kontaktversäumnisse und nehme darüber hinaus auf den Umstand Bedacht, dass Kinder rasche Entscheidungen brauchen. Die Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung sei kein Allheilmittel, aber eine deutliche Verbesserung gegenüber der bisherigen Regelung, unterstrich Neumayer, stellte aber die Idee eines Unterhaltsvorschusses in diesen sechs Monaten zur Diskussion. Positiv sah Neumayer vor allem auch die Familiengerichtshilfe, wobei er auf die Erfahrungen der Wiener Jugendgerichtshilfe verwies. Die Besuchsmittler wiederum interpretierte er als wichtigen Fortschritt, um den Weg zu einer sinnvollen Kontaktgestaltung zu ebnen.

Scheer: Schwere Bedenken gegen Wohnortregelung

Alexander Scheer kritisierte vor allem das Recht des hauptbetreuenden Elternteils auf Bestimmung eines Aufenthaltsortes und warnte, dadurch würden Fälle von Kindesentführung de facto in Zukunft auf der Tagesordnung stehen. Seiner Meinung nach sollte eine Übersiedlung ins Ausland von einer Bewilligung durch das Gericht abhängig gemacht werden und im Rahmen der Kindeswohlentscheidung zu prüfen sein. Die Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung bezeichnete Scheer als an sich gut, sprach sich aber gegen eine zwingende Anordnung aus. Skeptisch äußerte er sich zur Regelung der Unterhaltsbemessung, die, wie er befürchtete, nicht zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen werde. Auch vermisste er eine Frist für die Entscheidung des Gerichts in Besuchsfragen. Als positiv wertete Scheer hingegen die Möglichkeit der Beantragung der gemeinsamen Obsorge auch durch ledige Väter.

Täubel-Weinreich wünscht Vereinfachung bei Unterhaltsregelung

Doris Täubel-Weinreich erwartete durch die neuen Regelungen ein hohes Maß an Mehrarbeit für die Gerichte und wies in diesem Zusammenhang vor allem auf die sechsmonatige Abkühlphase hin, in der die Richter nun auch den Unterhalt bemessen müssen, was, wie sie zu bedenken gab, eigentlich Sache der Rechtspfleger wäre. Sie machte überdies auf die Komplexität der Unterhaltsfestsetzung aufmerksam und trat diesbezüglich für Vereinfachungen ein. Die Familiengerichtshilfe begrüßte Täubel-Weinreich als Wunsch der Richter und sprach von einem sinnvollen Projekt. Die zugesagten zusätzlichen Richterplanstellen hielt sie angesichts des zu erwartenden Arbeitsaufwands der Gerichte für notwendig. Sie drückte in diesem Zusammenhang ihre Hoffnung aus, dass in Zukunft nicht der Sparstift angesetzt werde, da sonst das Gesetz zum Scheitern verurteilt wäre.

Noch offene Fragen für die Abgeordneten

In der anschließenden Debatte begrüßten die Abgeordneten Johannes Jarolim (S) und Ridi Steibl (V) den vorliegenden Entwurf, von dem sie sich konfliktfreiere Lösungen erwarteten, sahen aber noch Verbesserungsbedarf in der Unterhaltsfrage. Abgeordnete Karin Hakl (V) trat dafür ein, die Unterhaltsregelung grundsätzlich unabhängig von der Obsorgefrage zu treffen, und schlug eine vorläufige Unterhaltsbemessung als Beitrag zu einer Deeskalierung vor.

Abgeordneter Norbert Hofer (F) warnte, die Abkühlungsphase könnte sich aufgrund der zeitlichen Befristung kontraproduktiv auswirken. Sein Fraktionskollege Abgeordneter Peter Fichtenbauer wiederum kritisierte, die Familienautonomie komme bei dem Entwurf als Leitmotiv zu kurz, und sprach insgesamt von einem Konstrukt des Misstrauens der Obrigkeit gegen die Eltern.

Die Abgeordneten Albert Steinhauser und Daniela Musiol (beide G) plädierten grundsätzlich für die Einrichtung einer mit Psychologen besetzten Schlichtungsstelle und vertraten die Ansicht, das Gericht sei nicht der richtige Ort, um familiäre Streitigkeiten zu lösen.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) stellte kritisch fest, das Gesetz treffe nach wie vor eine für das Kindeswohl nicht relevante Differenzierung zwischen Ehe und Lebensgemeinschaft.

Die Bundesministerinnen Gabriele Heinisch-Hosek und Beatrix Karl hoben übereinstimmend die Bedeutung der sechsmonatigen Phase der elterlichen Verantwortung sowie die Berücksichtigung und Ausformulierung des Kindeswohls als positiv hervor, sahen aber noch Nachschärfungsbedarf in der Unterhaltsfrage. (Fortsetzung)