Parlamentskorrespondenz Nr. 1063 vom 12.12.2012

EU-Hauptausschuss für Einsetzung eines EU-Konvents

Weiterentwicklung der EU: Rechte des Nationalrats sind zu wahren

Wien (PK) – Österreich wird sich beim kommenden EU-Gipfel am 13. und 14. Dezember 2012 dafür aussprechen, dass in den Schlussfolgerungen die Einsetzung eines EU-Konvents zur Vertragsrevision Erwähnung findet. Das betonten Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger im Rahmen der heutigen Sitzung des EU-Hauptausschusses. Auch in einem von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Zweitem Präsidenten Fritz Neugebauer eingebrachten Antrag auf Stellungnahme, der mehrheitlich von ÖVP und SPÖ beschlossen wurde, treten die Abgeordneten dafür ein, weitreichende Reformen im Rahmen eines Konvents zu behandeln.

Beim Treffen der Staats- und RegierungschefInnen wird neben aktuellen Fragen auch die mittel- und langfristige Weiterentwicklung der EU im Mittelpunkt stehen. Es gelte zunächst, die unterschiedlichen Vorschläge der einzelnen Mitgliedsländer zu diskutieren, um entsprechende Grundlagen für die weitere Debatte erarbeiten zu können, erläuterte der Bundeskanzler in seinem Eingangsstatement. Dies betreffe etwa Vorschläge hinsichtlich der Möglichkeit für die Eurozone, über eigene Finanzmittel zu verfügen, ein verbessertes gemeinsames Management von Staatsschulden, die engere Koordination in einzelnen Politikbereichen, aber auch Maßnahmen zum besseren Ausgleich der strukturellen Unterschiede innerhalb der Währungsunion.

Auch der Zweite Nationalratspräsident Fritz Neugebauer bezeichnete die Einsetzung eines Konvents als überfällig und trat dafür ein, im Hauptausschuss eine umfassende Diskussion darüber zu führen, welche Reformpunkte ein solcher Konvent behandeln könnte beziehungsweise wie dazu die österreichische Position aussieht. Sowohl Spindelegger als auch Faymann bekräftigten, dass man allfällige Vertragsänderungen einer Volksabstimmung unterziehen werde. Das bedürfe einer guten Vorbereitung, sagte der Bundeskanzler, der Ausgang hänge vom Inhalt und von der Art der Diskussion ab.

Er reagierte damit auf Wortmeldungen von Abgeordneten der FPÖ und des BZÖ, die sich strikt gegen jede weitere Vertiefung der Union aussprachen. So wandte sich etwa Abgeordneter Johannes Hübner (F) dagegen, die Vertiefung der Union als alternativlos zu bezeichnen. Sicherlich sei es zweckmäßig, wenn sich Europa abstimmt, aber man müsse nicht zentralisieren, zumal viele Aufgaben viel besser von den Nationalstaaten bewältigt werden können, meinte er. Auch hätten internationale Erfahrungen gezeigt, dass eine zu starke Zentralisierung zu Verwerfungen führe. Ebenso lägen sämtliche Währungsunionsprojekte auf Eis, argumentierte er weiters. Ähnlich äußerte sich sein Klubkollege Abgeordneter Andreas Karlsböck, der davor warnte, unter der aktuellen Stimmungslage in der europäischen Bevölkerung würde einer solchen Volksabstimmung kein Erfolg gegönnt sein. Der Dritte Präsident des Nationalrats, Martin Graf, führte die hohe Jugendarbeitslosigkeit und hohe Verschuldung in Europa als Argument gegen eine weitere Vertiefung ins Treffen. Die gleichen ExpertInnen und PolitikerInnen, die die Krise verursacht haben, sollen uns nun aus der Krise führen, merkte er skeptisch an.

Auch Abgeordneter Stefan Petzner (B) wandte sich mit allem Nachdruck seiner Fraktion gegen eine weitere Vertiefung. Der Weg, Europa als einen Staatenbund unabhängiger Mitgliedsländer zu gestalten, sei Anfang der 90er Jahre verlassen worden, um einen "Superstaat" zu führen. Das wolle man in keinem Fall, so Petzner.

Darauf reagierte der Bundeskanzler, für ihn sei die engere Zusammenarbeit in Europa vor dem Hintergrund der friedenspolitischen, aber auch der wirtschaftspolitischen Entwicklung alternativlos. Es gehe immer um die Frage, wo man hin wolle. Wolle man Freiheit, dann sei die Demokratie alternativlos, wolle man ein friedliches Zusammenleben, werde man die engere Zusammenarbeit suchen. Es stimme einfach nicht zu behaupten, dass alles ohne Eurozone viel besser wäre, hielten sowohl Faymann als auch Spindelegger fest. Gäbe es die Eurozone nicht, dann würde beispielsweise Österreich in Bezug auf die Handelsbilanz und die Beschäftigungsquote nicht so gut dastehen. Selbstverständlich könne man zur Erreichung dieser Ziele unterschiedliche Konzepte vorlegen, die Diskussion darüber setze aber ein gemeinsames Ziel voraus.

Ohne demokratische Legitimation kann es keine Vertiefung der EU geben

Beim kommenden EU-Gipfel steht auch der Fahrplan zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion zur Diskussion. Grundlage dafür bietet der Bericht der vier Präsidenten Hermann Van Rompuy, José Manuel Barroso, Jean-Claude Juncker und Mario Draghi. Demnach soll die Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen vollendet werden, letztendlich strebt man einen integrierten Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltsrahmen an.

Zur Sicherung der fiskalischen Nachhaltigkeit und der Auflösung bestehender Verknüpfungen zwischen Banken und Staaten schlagen die EU-Spitzenpolitiker vor, die wirtschaftspolitische Steuerung – Stichwort: Six-Pack, Fiskalpakt, Two-Pack – noch im Jahr 2013 umzusetzen, die Bankenaufsicht rasch zu beschließen und eine Einigung über die Regelung der Bankeninsolvenz sowie über Einlagensicherungssysteme zu erzielen. In einem weiteren Schritt sollen die Mitgliedsstaaten mit den EU-Organen individuelle Vereinbarungen vertraglicher Art hinsichtlich der Maßnahmen und Reformen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum abschließen. Nach 2014 sieht der Fahrplan die schrittweise Bündelung der Wirtschaftshoheit auf europäischer Ebene sowie die Stärkung der Solidarität unter den Mitgliedsstaaten vor. Angedacht ist die Errichtung eines zyklischen Stabilisierungsfonds, durch den im Rahmen eines Versicherungssystems asymmetrische Schocks in der Eurozone abgefedert werden können. Diese Stufe würde laut EU-Papier ferner auf einem zunehmenden Maß an gemeinsamer Beschlussfassung in Bezug auf die nationalen Haushalte und einer verstärkten Koordinierung der Wirtschaftspolitik (integrierter Haushaltsrahmen und Eurozonen-Budget), insbesondere in den Bereichen Besteuerung und Beschäftigung, auf der Grundlage der nationalen Beschäftigungspläne aufbauen. Grundlage für die Erörterung all dieser Themen stellen die Vorschläge der vier Präsidenten, sowie das als "Blaupause" genannte Papier der Kommission dar.

Trotz ihres Bekenntnisses zu einer weiteren Vertiefung der Union äußerten sich dazu jedoch auch die Abgeordneten von SPÖ und ÖVP kritisch und brachten ihre Bedenken in dem bereits genannten S-V-Antrag auf Stellungnahme zum Ausdruck. Vor allem werde in den vorliegenden Papieren der parlamentarischen Legitimierung zu wenig Beachtung geschenkt, stellte der Zweite Präsident des Nationalrats Fritz Neugebauer fest. Abgeordneter Josef Cap (S) stieß sich an der Formulierung, dass die "ausschlaggebende Rolle" der nationalen Parlamente nicht in allen Bereichen angebracht sei. Ohne Einbindung der nationalen Parlamente könne es aber keine EU-Reform geben, bekräftigte Cap, die Europäische Union brauche eine demokratische Legitimation. Im genannten Antrag halten die SPÖ- und ÖVP-Ausschussmitglieder daher fest, dass die bereits beschlossenen Maßnahmenpakete (Six-Pack, Fiskalpakt, Two-Pack) zunächst implementiert und evaluiert werden sollten, bevor man die nächsten Schritte setzt. Dabei seien die Rechte des Nationalrats umfassend zu wahren, wird darin unmissverständlich festgehalten.

Abgeordneter Johannes Hübner (F) sprach sich ebenfalls für mehr demokratische Legitimation aus, verband damit aber die fundamentale Kritik, dass jede Aufgabe von Souveränität zu einer Entdemokratisierung in den Nationalstaaten führe. Dieser Auffassung widersprachen Bundeskanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger heftig. Mehr Europa heiße nicht gleichzeitig, dass es in den Mitgliedstaaten weniger demokratisch zugehe, sagte der Bundeskanzler. Demokratie könne nicht nur kleinstaatlich aufgefasst werden.

Vizekanzler Michael Spindelegger sprach sich aufgrund einer Äußerung von Abgeordneter Katharina Cortolezis-Schlager (V) einmal mehr für die Direktwahl des Kommissionspräsidenten aus.

Bankenaufsicht soll im nächsten Jahr stehen

In dem von der Koalition angenommenen Antrag wird die Bundesregierung ferner aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Maßnahmen zur Konsolidierung und Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion mit dem Augenmerk auf einen positiven Effekt auf Beschäftigung und Wachstum getroffen werden. Die Maßnahmen zur Schaffung eines einheitlichen Aufsichts-, Sanierungs- und Umstrukturierungsregimes im Bankenbereich ist nach Auffassung der Abgeordneten mit Dringlichkeit zu behandeln.

Die gemeinsame Bankenaufsicht sei ein kurzfristiges Ziel, erklärte dazu Bundeskanzler Werner Faymann, man strebe an, die ersten Banken bereits im nächsten Jahr kontrollieren zu können. Die rechtlichen Grundlagen dafür würden beim heutigen ECOFIN beraten. Die Idee sei, große Banken zentral von einer neuen europäischen Aufsicht zu durchleuchten. Faymann ging mit Spindelegger jedoch konform, dass die kleineren Banken weiterhin von der nationalen Aufsicht, jedoch nach den gemeinsamen Regeln durchleuchtet werden. Über die Abgrenzung zwischen großen und kleineren Banken müsse noch diskutiert werden, fügte er hinzu.

Die Tatsache, dass man nun ernsthaft die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) umsetzen möchte, wurde von Abgeordnetem Bruno Rossmann (G) grundsätzlich begrüßt. Die Schritte seien aber im Vergleich zu den Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung und zur fiskalischen Stabilität zu wenig ambitioniert, kritisierte er. Die bisherige, in seinen Augen kurzfristige und kurzsichtige Krisenstrategie, die sich als falsch erwiesen habe, soll damit fortgesetzt werden. Es fehlen ihm vor allem Antworten auf die Verkleinerung, Vereinfachung und transparentere Gestaltung der Finanzmärkte, sowie die Teilung der Banken in Geschäfts- und Investmentbanken. Hinsichtlich des Vorschlags zur Vollendung des integrierten Finanzrahmens übte Rossmann scharfe Kritik an den ins Auge gefassten vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU, da diese außerhalb der Verträge abgeschlossen würden. Damit würde auch das parlamentarische Verfahren umgangen. Ihm fehlen ferner deutliche Signale für eine Wachstums- und Beschäftigungspolitik. Was nun den automatischen Mechanismus zur zyklischen Stabilisierung der Eurozone (Fiskalkapazität) betrifft, so sei dies positiv zu bewerten, Rossmann sprach sich aber dagegen aus, diese Maßnahmen mit der Umsetzung der bisher fehlgeleiteten Politik zu verknüpfen.

Die Grünen fassten ihre Bedenken in einem Antrag auf Stellungnahme zusammen, der jedoch von den anderen Fraktionen mehrheitlich abgelehnt wurde. Seitens der Koalition wurden demgegenüber die bisherigen Maßnahmen als richtig und pragmatisch beurteilt. Was jetzt passiere, sei das Optimum, wenn man es realistisch betrachtet, meinte etwa Abgeordneter Josef Cap (S). Auch Abgeordneter Martin Bartenstein (V) unterstützte das bisherige Krisenmanagement der EU und hielt eine baldige Einigung über ein Bankeninsolvenzrecht auf EU-Ebene für dringend erforderlich, um unter anderem die Gläubiger nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Auch die Frage der Bankenaufsicht geht nach Ansicht Bartensteins in die richtige Richtung.

Ebenso in der Minderheit blieb ein Antrag des BZÖ auf Stellungnahme. Abgeordneter Stefan Petzner bekräftigte in diesem Zusammenhang die Ablehnung seiner Fraktion jeglicher weiterer Souveränitätsverluste Österreichs, insbesondere in Bezug auf die nationale Budgethoheit, auf die Schaffung eines eigenen Eurozonen-Budgets sowie auf die Gründung einer politischen Union. Er begründete dies unter Hinweis auf die seiner Meinung nach bisherige fatale Währungspolitik und kritisierte vor allem scharf das Papier der Kommission, die sogenannte "Blaupause". Dazu merkte Vizekanzler Michael Spindelegger an, ein Eurozonen-Budget hätte derzeit keine Mehrheit. Die Notwendigkeit, der EU mehr Durchgriffsrechte zu geben, bedeute in keiner Weise eine totale Zentralisierung. Eine bessere Koordinierung im Interesse einer Wiedergewinnung der Stabilität hielt der Außenminister für unumgänglich.

Die Tatsache, dass die EU nun über konkrete Maßnahmen im Hinblick auf die Beschäftigungspolitik spricht und dafür Österreich als Vorbild nimmt, bewertete Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) als große Qualitätssteigerung. Die Gefahr, die von einer extrem hohen Arbeitslosigkeit, vor allem von einer hohen Jugendarbeitslosigkeit ausgehe, sei mindestens ebenso groß, wie jene durch eine hohe Defizit- und Schuldenquote. Arbeitslosigkeit stelle eine immanente Gefahr für die Demokratie dar und sage auch viel über das Funktionieren einer Gesellschaft aus, betonte Krainer. Er begrüßte ebenso die Schritte zur Bankenunion und plädierte dafür, die Refinanzierung der Staaten so zu bewerkstelligen, dass diese unabhängiger agieren und mehr Spielraum haben. Viele Länder hätten viel zu hohe Zinsen zu zahlen, die nicht durch den reinen Marktmechanismus zu erklären seien. In Anlehnung an den Paradigmenwechsel beim IWF hielt es Krainer für angebracht, auch auf EU-Ebene die Programme an die Realität anzupassen, nachdem man gesehen habe, dass der strenge Sparkurs sich negativ auf die Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum auswirkt.

Österreich macht sich weiter für Annäherung der Westbalkanländer an EU stark

Erörtert wurden im EU-Hauptausschuss auch außenpolitische Themen. Österreich habe sich beim Rat der Außenminister für die Länder des Westbalkans stark gemacht, informierte Vizekanzler Spindelegger. In Bezug auf Albanien habe man sich auf drei Voraussetzungen für den Kandidatenstatus geeinigt: die Justiz- und Verwaltungsreform sowie eine neue Geschäftsordnung für das Parlament.

In der Frage des Verhältnisses Serbien und Kosovo gebe es erstmals eine wirkliche Bewegung, zeigte sich Spindelegger erfreut und wies unter anderem auf die geplante gemeinsame Bewirtschaftung von Grenzstationen hin. Er ging dabei auch auf Fragen der Abgeordneten Fritz Neugebauer (V) und Andreas Karlsböck (F) ein. Ziel sei es, in einem nächsten Schritt Beitrittsverhandlungen mit Serbien zu beginnen.

Die schwierigste Frage stelle sich bei Makedonien, führte Spindelegger weiter aus und berichtete, dass Österreich dafür eintrete, endlich mit Verhandlungen zu beginnen. Auch Griechenland müsse seine europäischen Verpflichtungen erfüllen, betonte er, es könne nicht sein, dass die Namensfrage die Weiterentwicklung verhindere. Deshalb soll bis Juni 2013 ein Bericht der Kommission vorliegen. Es gehe darum, entsprechenden Druck aufzubauen.

Die Donauraumstrategie sei eng mit der Erweiterungsstrategie verknüpft, erklärte er gegenüber Abgeordneter Katharina Cortolezis-Schlager (V).

Der Außenminister teilte die großen Sorgen, die die Abgeordneten Fritz Neugebauer (V) und Andreas Karlsböck (F) hinsichtlich der Lage in Syrien äußerten. Das Oppositionsbündnis sei eine legitime Vertretung der syrischen Bevölkerung, werde aber derzeit nicht als die Vertretung anerkannt, stellte er fest. Österreich habe sich auch erfolgreich dafür eingesetzt, dass in den Schlussfolgerungen des kommenden Gipfels ausdrücklich auf den internationalen Strafgerichtshof Bezug genommen wird. Angesichts des möglichen Einsatzes chemischer Waffen sei es notwendig, beiden Konfliktparteien klar zu signalisieren, dass sie für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen würden. (Schluss)