Parlamentskorrespondenz Nr. 480 vom 04.06.2013

Verfassungsausschuss: Über Demokratiepaket wird weiter verhandelt

Tierschutz wird übergeordnetes Staatsziel, Erleichterung für blinde Menschen bei Vorzugsstimmenvergabe

Wien (PK) – Die parlamentarischen Verhandlungen über die Ausweitung der direkten Demokratie gehen in die nächste Runde. Der Verfassungsausschuss des Nationalrats vertagte heute neuerlich die Beratungen über das von den Koalitionsparteien vorgeschlagene Demokratiepaket und mehrere Entschließungsanträge der Opposition. Ob eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode erzielt werden kann, ist offen, alle Parteien signalisierten jedenfalls Bereitschaft, bis Ende Juni zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen.

Auf Schiene sind hingegen die verfassungsrechtliche Absicherung des Tierschutzes sowie des Schutz des Wassers sowie Erleichterungen für blinde bzw. stark sehbehinderte Wählerinnen und Wähler bei der Vergabe von Vorzugsstimmen. Außerdem wird das Einspruchsverfahren gegen unrichtige bzw. fehlende Eintragungen in der Wählerevidenz neu geregelt. Klarstellungen sind in Bezug auf den für Häftlinge geltenden Wahlsprengel vorgesehen, die Führung eines elektronischen Abstimmungsverzeichnisses wird gestattet.

Demokratiepaket: Zuerst Koalitionsgespräche, dann Verhandlungen mit der Opposition

Was das Demokratiepaket betrifft, wies Abgeordnete Daniela Musiol (G) darauf hin, dass der vom Rechts- und Legislativdienst der Parlamentsdirektion auf Wunsch der Opposition erarbeitete Gesetzestext zur Frage einer verpflichtenden Volksbefragung nach einem erfolgreichen  Volksbegehren mittlerweile vorliegt. Sie appellierte an die Koalitionsparteien, nun so rasch wie möglich über Details zu verhandeln, um bis zur nächsten Ausschusssitzung Ende Juni ein Ergebnis zu erzielen. Sie freue sich jedenfalls, das Bewegung in die Sache gekommen sei, sagte Musiol und äußerte die Hoffnung, doch noch in dieser Legislaturperiode einen ersten Schritt in Richtung Demokratiereform machen zu können.

Auch die Abgeordneten Harald Stefan (F) und Herbert Scheibner (B) hoffen auf rasche Verhandlungen. Er habe zwar Zweifel, dass sich eine Einigung bis zum Ende des Monats ausgehen wird, erkläte Scheibner, bei etwas gutem Willen müsste dies aber möglich sein. Schließlich seien die vorliegenden Vorschläge nicht so kompliziert.

Seitens der SPÖ äußerte sich Klubobmann Josef Cap darüber erfreut, "dass wir uns in einem umfassenden Annäherungsprozess befinden". Der Idealzustand wäre es, wenn vor dem Sommer ein Ergebnis erzielt werden könnte, hielt er fest, er will vor Verhandlungen mit der Opposition aber noch "bilaterale Gespräche" unter Einbeziehung von Experten führen. Auch ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl will zunächst mit der SPÖ verhandeln, hält eine Beschlussfassung vor dem Sommer jedoch für wünschenswert. Der der SPÖ übermittelte ÖVP-Vorschlag unterscheidet sich vom gemeinsamen Oppositionsvorschlag Gerstl zufolge unter anderem dadurch, dass eine höhere Anzahl von UnterstützerInnen eines Volksbegehrens für eine Volksbefragung vorgesehen ist und der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts anstelle des Legislativdienstes des Parlaments über die Zulässigkeit einer Volksbefragung entscheiden soll.

Einspruchsverfahren gegen Wählerevidenz wird neu geregelt

Der Gesetzesantrag der Koalition zur Ausweitung der direkten Demokratie (2177/A) und die Entschließungsanträge der Opposition (1688/A[E], 1689/A[E], 1856/A[E]), die die Grundlage für die Debatte bildeten, wurden vertagt. Allerdings nutzten SPÖ und ÖVP die Verhandlungen dazu, um einen eigenständigen Gesetzesantrag zur Änderung der Nationalrats-Wahlordnung, der Europawahlordnung und diverser anderer Wahlgesetze einzubringen. Kernpunkt des schließlich mehrheitlich angenommenen Entwurfs ist die Neuregelung des Einspruchsverfahrens gegen unrichtige bzw. fehlende Eintragungen in die Wählerevidenz und in die jeweiligen Wählerverzeichnisse, außerdem sind, neben einigen weiteren Adaptierungen des Wahlrechts, Erleichterungen für blinde bzw. stark sehbehinderte Wählerinnen und Wähler bei der Abgabe von Vorzugsstimmen vorgesehen.

Im Konkreten sieht der Gesetzesentwurf vor, die Terminologie für Einsprüche gegen die Wählerevidenz, die Europa-Wählerevidenz und Wählerverzeichnisse zu ändern und einen neuen Verfahrensablauf festzulegen. Demnach sind künftig so genannte "Berichtigungsanträge" an die zuständige Wahlbehörde zu stellen. Wird einem derartigen Antrag nicht stattgegeben oder fühlt sich ein Betroffener durch den Bescheid der Wahlbehörde in seinen Rechten verletzt, ist eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und in weiterer Folge beim Verfassungsgerichtshof möglich. Um zu gewährleisten, dass rechtzeitig vor der Wahl eine rechtskräftige Entscheidung darüber vorliegt, ob eine bestimmte Person wahlberechtigt ist oder nicht, ist der Fristenlauf eng gesteckt und das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich verpflichtet, innerhalb weniger Tage in der Sache selbst zu entscheiden.

Blinden und stark sehbehinderten Personen soll die Vergabe von Vorzugsstimmen insofern erleichtert werden, als es bei Nationalratswahlen künftig auch zulässig ist, statt einen konkreten Namen auch die jeweilige Reihungsnummer des Bewerbers bzw. der Bewerberin in das Vorzugsstimmenfeld einzutragen. Zudem spricht sich der Ausschuss in Form einer Feststellung für eine Vorab-Veröffentlichung der KandidatInnenlisten auf der Website des Innenministeriums in gut lesbarer und weitestmöglich barrierefreier Form aus. In dieser Feststellung wird auch bekräftigt, dass eine Begleitperson in der Wahlzelle nur dann zulässig ist, wenn der bzw. die Wahlberechtigte vor der Wahlkommission ausdrücklich einen entsprechenden Wunsch äußert.

Mit dem Gesetzespaket wird darüber hinaus nochmals klargestellt, dass bei Häftlingen keinesfalls der Ort der Festnahme oder der Anhaltung als Ort für die Eintragung in die Wählerevidenz in Betracht kommt, sondern grundsätzlich der letzte Hauptwohnsitz gilt.

Weiters wird normiert, dass die nächstgereihte Person auf einer Parteiliste vorrückt, wenn eine gewählte Person ein mit einem Nationalratsmandat nicht vereinbares Amt nicht binnen acht Tagen nach ihrer Wahl zurücklegt. Das gilt etwa für Mitglieder des Bundesrats, der Höchstgerichte und der Volksanwaltschaft sowie für Europaabgeordnete.

Auf der Wahlkarte für BriefwählerInnen kann künftig in Barcode angebracht werden, um die Erfassung der Wahlkarten zu vereinfachen, zudem wird vermerkt, ob eine Wahlkarte für eine im Ausland lebende Person ausgestellt wird. Dadurch kann nachvollzogen werden, inwieweit verspätet einlangende Wahlkarten von AuslandsösterreicherInnen stammen. Erlaubt ist in Hinkunft schließlich auch die Verwendung eines elektronisch geführten Abstimmungsverzeichnisses.

FPÖ und BZÖ kritisieren verspätete Gesetzesvorlage

Sowohl die FPÖ als auch das BZÖ kritisierten, dass der endgültige Gesetzentwurf erst kurz vor der Ausschusssitzung an die Oppositionsparteien übermittelt wurde. Das Gesetzespaket erscheine grundsätzlich sinnvoll, sagte Abgeordneter Harald Stefan (F), allerdings sei die Zeit zu kurz gewesen, um alle Punkte zu prüfen. Infrage stellten Stefan und seine Fraktionskollegen Walter Rosenkranz, Werner Herbert, Bernhard Vock und Gernot Darmann insbesondere die Sinnhaftigkeit des elektronischen Abstimmungsverzeichnisses. Sie fürchten, dass Wählerdaten unbefugt elektronisch gespeichert und weiergegeben werden könnten. Abgeordneter Herbert Scheibner (B) wies auf unterschiedliche Versionen des Gesetzentwurfs und verschiedene Zitierfehler und Redaktionsversehen hin und empfahl eine gründliche Prüfung.

Seitens der Grünen merkte Abgeordnete Daniela Musiol an, das Gesetz enthalte einige wesentliche Verbesserungen, auch wenn nicht alle Vorschläge der Grünen zur barrierefreien Ausübung des Wahlrechts umgesetzt würden. Was den Barcode betrifft, urgierte Musiol Vorkehrungen, damit Wahlkartenstimmen nicht einzelnen Personen zuordenbar werden.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) begrüßte die neue Regelung der Vorzugsstimmenvergabe ausdrücklich und wies darauf hin, dass damit einem Wunsch des Behinderten-Dachverbandes Rechnung getragen werde. Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) verteidigte das elektronische Abstimmungsverzeichnis als der modernen Technologie entsprechend.

Auch Wahlrechtsexperte Robert Stein teilte als Vertreter des Innenministeriums die Bedenken gegen das elektronische Abstimmungsverzeichnis nicht und wies auf die Verpflichtung hin, die Daten ausschließlich auf einem externen Träger zu speichern um diesen unmittelbar nach dem Wahlvorgang zu vernichten. Ihm zufolge geht die Bestimmung auf einen langjährigen Wunsch des Städte- und des Gemeindebundes zurück, die sich davon Erleichterungen im Wahllokal erwarten.

Der Gesetzentwurf wurde mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen angenommen. Der Ausschussfeststellung erteilten neben den Koalitionsparteien auch die FPÖ und das BZÖ ihre Zustimmung.

Tierschutz, Wasserschutz, Nachhaltigkeit und Forschung kommen in die Verfassung

Mit SPÖ-ÖVP-FPÖ-Mehrheit billigte der Verfassungsausschuss einen erst vor kurzem gemeinsam von den Koalitionsparteien und der FPÖ vorgelegten Entwurf für eine eigenes Bundesverfassungsgesetz (2316/A), mit dem unter anderem der Tierschutz und der Schutz des Wassers als übergeordnete Staatsziele verankert werden sollen. Grüne und BZÖ sind von der Sinnhaftigkeit der neuen Bestimmungen zwar nicht überzeugt und sprachen von unzureichenden Lippenbekenntnissen, aber auch ohne sie ist die im Nationalrat für einen Beschluss notwendige Zweidrittelmehrheit für das Gesetz gesichert.

Konkret werden mit dem Gesetz zusätzlich zum Umweltschutz auch der Tierschutz, die gesicherte Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser und hochqualitativen Lebensmitteln sowie das Prinzip der Nachhaltigkeit bei der Ressourcennutzung als übergeordnete Staatsziele verankert. Gleichzeitig wird durch eigene Passagen die Bedeutung der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung unterstrichen. Kompetenzänderungen werden durch die gesetzlichen Bestimmungen nicht bewirkt.

Im Rahmen der Debatte wertete Abgeordneter Bernhard Vock (F) den Stil der Verhandlungen zwar als nicht gerade ideal und wies darauf hin, dass der zum Thema Tierschutz eingesetzte Unterausschuss bis zum heutigen Tag kein einziges Mal getagt habe, letztendlich sei das Ziel, den Tierschutz als Staatszielbestimmung zu verankern, aber erreicht worden. Seiner Ansicht nach könnte man sich allerdings noch überlegen, das Wort umfassend in das Gesetz einzubauen.

Auch Abgeordnete Sonja Steßl-Mühlbacher (S) bewertete das Gesetz positiv, dieser Einschätzung wollten sich aber weder die Grünen noch das BZÖ anschließen. Die Grün-Abgeordneten Daniela Musiol, Christiane Brunner und Albert Steinhauser übten nicht nur scharfe Kritik an der Art der Verhandlungen, für sie ist der Gesetzentwurf auch ganz weit weg von dem, was die Grünen ursprünglich wollten. Abgeordnete Brunner sprach sogar von einer "Verhöhnung des Parlaments und ehrenamtlich engagierter Tierschützer" und einer "letztklassigen Vorgangsweise". Durch das Verfassungsgesetz sieht sie den Tierschutz in keiner Weise verbessert, in der Realität wird sich ihr zufolge sich nichts ändern. Den Umstand, dass auch landwirtschaftliche Produktion und Forschung in das Verfassungsgesetz Eingang gefunden haben, interpretierte Brunner dahingehend, dass damit Tierversuche und Massentierhaltung weiter gerechtfertigt werden sollen. Es bleibe Auslegungssache wie bisher, was Vorrang habe. Brunner vermisst außerdem den Klimaschutz im Gesetz.

Abgeordneter Steinhauser ging auf das Thema Wasser ein und machte geltend, dass das Bundesverfassungsgesetz kein Wort darüber verliere, wer über die Wasserressourcen in Österreich verfügen solle. Damit sei die Privatisierung der Wasserversorgung auch in Zukunft nicht ausgeschlossen, kritisierte er und zeigte sich verwundert darüber, dass die SPÖ in diesem Punkt gegenüber der ÖVP offensichtlich klein beigegeben habe.

Abgeordneter Wolfgang Spadiut (B) vertrat in Übereinstimmung mit Abgeordneter Brunner die Auffassung, dass die Tierschutzbestimmung durch andere Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes de facto außer Kraft gesetzt wird und somit nicht tiergerechte Massenhaltung weiter erlaubt bleibe. Es handle sich beim Gesetz um nichts anderes als um ein Lippenbekenntnis, kritisierte er. Dieser Einschätzung widersprach Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F), der wie SPÖ und ÖVP das Bundesverfassungsgesetz verteidigte.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) bedauerte, dass mit der Verankerung des Tierschutzes als Staatszielbestimmung nicht gleichzeitig die Würde des Menschen explizit in die Verfassung aufgenommen werde. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde sei damit weiter nur indirekt in der Menschenrechtskonvention verankert, bemängelte er. Huainigg stieß mit seiner Kritik bei den Abgeordneten Wolfgang Gerstl (V), Harald Stefan (F) und Johannes Jarolim (S) auf offene Ohren, darüber werde sicherlich noch zu diskutieren sein, sagten sie.

Darüber hinaus gab Gerstl gab zu bedenken, dass auch der Antrag der Grünen auf die Verankerung des Tierschutzes als Staatszielbestimmung abziele. Jedes zusätzliche Wort könnte sich seiner Meinung nach als Schuss nach hinten erweisen und Einschränkungen des Tierschutzes zur Folge haben. Es sei im Übrigen wichtig, dass Tierschutz nicht über dem Schutz der Menschen stehe, sagte Gerstl, Tierschutz dürfe nicht dazu führen, dass tierische Lebensmittel in Österreich nicht mehr produziert, sondern nur noch importiert werden dürfen.

Was den Schutz der Wasserversorgung betrifft, wies Abgeordneter Stefan darauf hin, dass der Antrag der FPÖ weitergehe als die nun vorliegende Einigung von SPÖ, ÖVP und FPÖ, weshalb seine Fraktion darauf gedrängt habe, ihren eigenen Antrag nicht mitzuerledigen.

Ausschussvorsitzender Peter Wittmann (S) bestätigte, dass in Bezug auf den Schutz des Wassers ein Kompromiss vorliege, den er aber als hervorragend bezeichnete. SPÖ-Klubobmann Josef Cap ergänzte, die öffentliche Wasserversorgung sei als Teil der Daseinsvorsorge insofern vor kommerzieller Nutzung geschützt als die Daseinsvorsorge einen öffentlichen Auftrag darstelle. Auch für die Ablehnung der weiteren zur Diskussion stehenden Staatszielbestimmungen, insbesondere was den Tierschutz betrifft, zeigten Cap und Wittmann wenig Verständnis. Wittmann machte geltend, dass alle Staatszielbestimmungen gleichrangig seien und der Verfassungsgerichtshof im Einzelfall zu entscheiden habe, welchem Wert im speziellen Fall der Vorrang einzuräumen sei.

Bei der Abstimmung wurde der gemeinsame Antrag der Koalitionsparteien und der FPÖ betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ angenommen. Ein FPÖ-Antrag zur Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung (340/A[E]) gilt als miterledigt. Dezidiert abgelehnt wurden demgegenüber weitergehende Entschließungsanträge der Grünen und des BZÖ zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Tierschutzes (290/A[E], 861/A[E]) sowie ein Gesetzesantrag der FPÖ zum Schutz der öffentlichen Wasserversorgung (2208/A) und ein Entschließungsantrag der Grünen (2198/A[E]), der sich gegen die Auslagerung der kommunalen Wasserversorgung an gewinnorientierte private Unternehmen wendet. Mit im Ausschuss zur Diskussion stand auch eine Bürgerinitiative (4/BI) zum Thema Tierschutz. (Schluss Verfassungsausschuss) gs/jan