Parlamentskorrespondenz Nr. 602 vom 26.06.2013

Kurswechsel der EU in Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik

Weitere Themen im EU-Hauptausschuss: Mehrjähriger Finanzrahmen der EU und Türkei

Wien (PK) – Das aktuelle Verhältnis der Europäischen Union zur Türkei beschäftigte den heutigen EU-Hauptausschuss auf weite Strecken. Aufgrund der jüngsten Ereignisse und des Vorgehens der türkischen Regierung gegenüber DemonstrantInnen hat es die EU abgelehnt, ein weiteres Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Wie Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger informierte, gebe es nun eine Art Bewährungszeitraum, bevor man die nächsten Schritte setzen werde. Dabei werde es wesentlich sein, wie die Türkei zukünftig mit dem Demonstrationsrecht und den Menschenrechten umgeht. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man aber nicht zur Tagesordnung übergehen.

Die FPÖ brachte in diesem Zusammenhang einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem der endgültige Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert wird. Diese Initiative erhielt jedoch nicht die erforderliche Mehrheit. Klubobmann Josef Cap (S) wiederum forderte ein Konzept für den Mittelmeerraum, in dem die Türkei eine wesentliche Rolle spielt. Er hielt das Land jedenfalls für nicht beitrittsfähig. Abgeordneter Stefan Petzner (B) trat für eine privilegierte Partnerschaft ein, merkte jedoch an, dass Europa aus wirtschaftlichen Gründen die Türkei brauche und nicht umgekehrt.

Die Ausschusssitzung fand im Vorfeld des Europäischen Rats am 27. und 28. Juni statt. Den Abgeordneten lag als Diskussionsgrundlage der Entwurf für die Schlussfolgerungen vor.

Allgemein begrüßt wurde die Ankündigung Spindeleggers, dass die Beitrittsverhandlungen mit Serbien spätestens Anfang 2014 beginnen werden.

Der Zweite Präsident des Nationalrats Fritz Neugebauer brachte das Thema Syrien zur Sprache und äußerte unmissverständlich seinen Unmut darüber, dass auf der Tagung des Rats das Thema eines überwachten Embargos fehlt. Angesichts dessen, dass die USA nun die Opposition mit Waffen unterstützen werde, Russland das Regime Assad und innerhalb der Union wiederum Großbritannien und Frankreich mit der Unterstützung der syrischen Opposition vorpreschen, bezeichnete er das Schweigen der Union als inakzeptabel. Neugebauer erinnerte an das Leid der Millionen Flüchtlinge und nahm in Bezug auf die politischen Akteure das Wort "unerträglich" in den Mund. Er bedauerte, dass die Bemühungen Österreichs zur Aufrechterhaltung des Waffenembargos gescheitert sind.

Ein weiteres zentrales Thema des Ausschusses betraf die geplanten Initiativen der Union im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit sowie Maßnahmen zur Förderung der kleinen und mittleren Betriebe (KMU) im Rahmen des Pakts für Wachstum und Beschäftigung. Die Abgeordneten äußerten sich grundsätzlich positiv darüber, dass es ein Umdenken innerhalb der Union gibt und soziale Aspekte mehr Gewicht bekommen. Den Grünen ist dies jedoch zu wenig, weshalb Abgeordneter Bruno Rossmann einen Antrag auf Stellungnahme einbrachte, in dem er unter anderem fordert, den gescheiterten Austeritätskurs zugunsten von nachhaltigen Investitionen im Sinn eines Green New Deals aufzugeben. Seiner Meinung nach sollten Zukunftsinvestitionen nicht auf das Budgetdefizit angerechnet werden. FPÖ und BZÖ wiederum wiesen auf die schlechten Wirtschaftsdaten der Eurozone hin und betonten einmal mehr ihre Kritik am Euro.

Allgemein bedauerten die Abgeordneten, dass es bislang zu keiner Einigung über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU gekommen ist. Bundeskanzler Werner Faymann stellte dazu fest, man könne sich den Forderungen des Europäischen Parlaments insofern annähern, als man sich eine Flexibilisierung der Beiträge in den Jahresraten vorstellen könne. Im Falle nicht verbrauchter Mittel sollten diese im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit eingesetzt werden können.

Türkei: Es fehlt ein Konzept für den Mittelmeerraum

Kritik an der Strategie in den Verhandlungen mit der Türkei übte SPÖ-Klubobmann Josef Cap. Die bisherige Vorgangsweise seitens der EU sei nicht ideal gewesen, merkte er an, und hier könne er die Verärgerung der Türkei durchaus nachvollziehen. Man habe sich viel zu wenig mit der Frage auseinandergesetzt, ob die EU für ein derart großes Land aufnahmefähig und die Türkei beitrittsfähig ist. Seiner Meinung nach sei beides mit nein zu beantworten. Die Türkei sei auch kein europäisches Land, weshalb Cap zufolge ein Konzept für den Mittelmeerraum erstellt und spezifische Kooperationsformen entwickelt werden müssen. Die Türkei sollte innerhalb dieses Konzepts eine wesentliche Rolle spielen, so Cap.

Auch Abgeordneter Martin Bartenstein (V) hielt es für richtig, dass sich die EU zu einer politischen Bremse in den Verhandlungen mit der Türkei durchgerungen hat. Er anerkannte zwar die Fortschritte, die während der Regierungszeit von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gelungen seien, der Umgang mit friedlichen Protesten von jungen, engagierten Türkinnen und Türken lasse aber auf einen Schuss Autorität und Selbstgerechtigkeit bei Erdogan schließen, fügte Bartenstein hinzu. Defizite in Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit seien bei einem EU-Kandidaten nicht akzeptabel, stellte er unmissverständlich fest.

Die FPÖ warf Außenminister Spindelegger vor, in dieser Frage keine klare Linie zu fahren, zumal er durchaus bereit gewesen wäre, ein weiteres Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Dem entgegnete Spindelegger, er habe immer deutlich gesagt, sollte ein Kapitel eröffnet werden, dann könnte dies nur jenes über Justiz und Menschenrechte sein. Dennoch meinten die Abgeordneten Johannes Hübner und Heinz-Christian Strache (beide F), es sei schon lange und nicht erst jetzt bekannt, dass in der Türkei zahlreiche RegimekritikerInnen und JournalistInnen inhaftiert sind.

Hübner brachte in diesem Zusammenhang einen Antrag auf Stellungnahme ein, indem der sofortige und endgültige Abbruch der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei gefordert wird. Dieser Antrag erhielt jedoch nur die Zustimmung von FPÖ und BZÖ und blieb somit in der Minderheit.

Der Antrag der FPÖ würde Österreich in eine isolierte Position bringen, argumentierte Abgeordneter Werner Amon (V), der ebenfalls die Reaktion der türkischen Regierung auf die friedvolle Demonstration für inakzeptabel erachtete. Der Kritik der Opposition an der Außen- und EU-Politik des Vizekanzlers begegnete er mit dem Hinweis, es sei auf österreichische Beharrlichkeit zurückzuführen, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei "ergebnissoffen" geführt werden. Die derzeit in Österreich weilende kroatische Außenministerin habe zudem bestätigt, die Entflechtung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und mit Kroatien sei ein Verdienst Österreichs.

Einen anderen Aspekt brachte Abgeordneter Stefan Petzner (B) in die Diskussion ein. Er befürwortete zwar eine privilegierte Partnerschaft der Türkei, seiner Meinung nach brauche aber Europa das boomende Land Türkei und nicht umgekehrt. Ministerpräsident Erdogan strebe viel eher eine führende Rolle in der Region des Nahen Ostens an, weshalb er, Petzner, die Arroganz mancher EU-Granden für kontraproduktiv halte. Heute sei auch bekannt geworden, dass die Pipeline Nabucco, das als eines der fünf wichtigsten Projekte gilt und vom Wohlwollen der Türkei abhängt, gestorben ist. Offensichtlich habe sich das russische Konkurrenzprojekt durchgesetzt, wodurch Petzner einen enormen wirtschaftlichen Schaden befürchtet. Grundsätzlich aber hielt Petzner die "Erweiterungseuphorie" in Europa für den falschen Zugang.

Der von Außenminister Spindelegger angekündigte Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Serbien spätestens Anfang 2014 wurde explizit von den Abgeordneten Josef Cap (S), Martin Bartenstein (V) und Heinz-Christian Strache (F) positiv zur Kenntnis genommen. Wie der Außenminister sah man darin auch eine Anerkennung der Bemühungen von Serbien und dem Kosovo, die bilateralen Probleme zu lösen. Klubobmann Strache rief jedoch dazu auf, ehrlich zu sein, und hielt aus seiner Sicht fest, in der Vergangenheit seien weder Österreich noch die EU gegenüber Serbien neutral gewesen. Strache sprach sogar von einer eher unfreundlichen Haltung und meinte, der Kosovo könne nicht als ausschließliches Druckmittel gesehen werden. Er trat dafür ein, der serbischen Bevölkerung im Norden des Kosovo einen Autonomiestatus einzuräumen, der jenem von Südtirol ähnlich ist. Jedenfalls werde der Weg Serbiens in die EU noch lange sein.

Sind 6 Mrd. € im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit genug?

Zweites zentrales Thema im heutigen Ausschuss war die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Bundeskanzler Werner Faymann zeigte sich erfreut darüber, dass man auch in der EU die Brisanz der hohen Jugendarbeitslosigkeit erkannt hat und nunmehr 6 Mrd. € für jene Mitgliedsstaaten zur Verfügung stellen wird, die mehr als 25% Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen haben. Diese seien nun aufgerufen, Pläne vorzulegen wie sie die Beschäftigungsgarantie umsetzen wollen. Selbstverständlich sei die Ankurbelung der Wirtschaft und das Wachstum Voraussetzung für hohe Beschäftigung, fügte er hinzu.

An diesem Punkt setzte Vizekanzler Michael Spindelegger an und informierte, dass sich die Bemühungen Österreichs für die kleinen und mittleren Betriebe (KMU) gelohnt haben. KMU sollen in Hinkunft einen besseren Zugang zu Finanzierungsmittel über die Europäische Investitionsbank, die Strukturfonds und das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation erhalten. Dies sei insofern von Bedeutung, als die KMU in Krisenzeiten das Rückgrat für wirtschaftliche Stabilität und Beschäftigung sein, sagte der Vizekanzler. Dem schlossen sich auch die Abgeordneten Martin Bartenstein und Günter Stummvoll (beide V) an. Sie begrüßten den Kurswechsel der Wirtschaftspolitik in der EU und bemerkten, Österreich habe vorgemacht, wie man erfolgreich spare, zugleich aber zukunftsorientiert investiere. Stummvoll thematisierte insbesondere die Schwierigkeiten junger UnternehmerInnen, eine Finanzierung zu erhalten, und hielt daher die neue Zielrichtung für den richtigen Weg. Bartenstein bezeichnete die Jugendbeschäftigung als die "große Achillesferse Europas" und hoffte, dass man den in Österreich herrschenden Konsens der Sozialpartner nach Europa transportieren könne, denn damit wäre viel gewonnen.

Den Schwung für Wachstum und Beschäftigung und damit das Umdenken innerhalb der Union führte Abgeordnete Christine Muttonen (S) auf das Drängen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie zurück. Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) sah darin sogar einen evolutionären Prozess, bei dem immer mehr sozialdemokratische Positionen in die Papiere des Rats Eingang finden. So seien bei der Bewertung im Rahmen des Europäischen Semesters neben den Verschuldungsraten Sozialindikatoren aufgenommen worden, die EU verlange nun auch, den  Faktor Arbeit zu entlasten. Laut Krainer fehlen nur noch höhere Steuern auf das Kapital.

Muttonen (S) zweifelte jedoch, ob die zur Verfügung gestellten 6 Mrd. € angesichts der 14 Millionen arbeitslosen Menschen unter 30 Jahren tatsächlich ausreichen. Arbeitslosigkeit, vor allem von Jungen, stelle nicht nur ein persönliches Desaster sondern auch ein gesellschaftspolitisches Problem dar, sagte sie. Jugendarbeitslosigkeit ist nicht nur sozial inakzeptabel und wirtschaftlich kontraproduktiv sondern sei auch eine Katastrophe für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, ergänzte Klubobmann Josef Cap (S). "Kaputt sparen ist kein Programm", formulierte er. Er stimmte mit Kai Jan Krainer und Bundeskanzler Faymann überein, dass Finanzmärkte Regeln und Strukturen brauchen und man die Steueroasen in den Griff bekommen müsse.

Wenn man ernsthaft gegen Jugendarbeitslosigkeit vorgehen wolle, dann sei die Jugendgarantie zu wenig, man brauche auch eine Finanzierungsgarantie und einen Kurswechsel der bisherigen Fiskalpolitik, appellierte Abgeordneter Bruno Rossmann (G). Um aus der Krise herauswachsen zu können, bedarf es seiner Ansicht nach einer Lockerung der Austeritätspolitik und einen Wechsel hin zu einer nachhaltigen Investitionspolitik im Sinne eines Green New Deal. In seinem Antrag auf Stellungnahme, der jedoch von den anderen Parteien abgelehnt wurde, fordert Rossmann gemeinsam mit seinem Klubkollegen Werner Kogler, Zukunftsinvestitionen nicht auf das Budgetdefizit anzurechnen. Das Geld liege auf der Straße, sagte er und sprach von rund einer Billion Euro, die wegen Steuerhinterziehung, Steuerbetrug und Steueroasen fehlen. Die Bankenunion hält er für einen richtigen Schritt, den geplanten Wettbewerbspakt lehnte er aber dezidiert ab, da dieser die Rezession vertiefen würde. Rossmann anerkannte zwar die Aufnahme von sozial- und beschäftigungspolitischen Indikatoren im Rahmen des Europäischen Semesters, er vermisste aber entscheidende Schritte zu einer Sozialunion und erinnerte in diesem Zusammenhang an die Vorstöße in Richtung einer europäischen Arbeitslosenversicherung.

FPÖ und BZÖ übten vor dem Hintergrund der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Probleme in Europa heftige Kritik am Euro. Diese Probleme bestünden nur in der Eurozone, sagten etwa die Abgeordneten Johannes Hübner und Heinz-Christian Strache (beide F) und zeigten kein Verständnis für das Festhalten an der Währungsunion. Die von der EU erstellten Programme führen an den wahren Problem vorbei, meinte auch Abgeordneter Stefan Petzner (B) und führte die krisenhafte Entwicklung in erster Linie auf den Euro und der Idee eines europäischen Superstaates fest.

Sorge um Einigung über mehrjährigen Finanzrahmen

Besorgt wurde von den Abgeordneten auch das bisherige Scheitern, einen Kompromiss zwischen Europäischem Parlament und Rat zum Finanzrahmen zu finden, verfolgt. Bundeskanzler Werner Faymann wollte die Hoffnung auf ein baldiges Ergebnis nicht aufgeben und wies darauf hin, dass es dabei auch um Vorplanungen und Sicherheiten für die Mitgliedsstaaten gehe. Nicht verwendete Beträge in begrenztem Ausmaß in Beschäftigungsmaßnahmen zu investieren, halte er grundsätzlich für den richtigen Weg, meinte Faymann. Die Abgeordneten Martin Bartenstein und Günter Stummvoll (beide V) pflichteten Außenminister Spindelegger bei, dass im Sinne klarer Perspektiven eine Einigung noch vor dem Sommer wünschenswert wäre.

Verständnis für die Haltung des Europäischen Parlaments zeigten die beiden Grünen Abgeordneten Bruno Rossmann und Werner Kogler. Das Europäische Parlament hätte nur mehr bescheidene Forderungen in Richtung Flexibilität sowie Deckung der Finanzlücke von 2012. Kogler kritisierte die Staats- und RegierungschefInnen, eine "Vodoo-Budgetpolitik" zu betreiben und forderte sie auf, klar darzulegen, ob Geld vorhanden ist oder nicht. Budgetspielereien brächten nichts, sagte er, vielmehr brauche man Klarheit und ein eindeutiges Bekenntnis. Zu sagen, man wolle investieren, ohne Mittel in die Hand zu nehmen, sei nicht glaubwürdig. (Schluss EU-Hauptausschuss) jan