Parlamentskorrespondenz Nr. 29 vom 21.01.2014

Strafverfahren: EU-Kommission pocht auf faire Mindeststandards

EU-Ausschuss des Bundesrats begrüßt Bemühen um Rechtssicherheit im gesamten Unionsraum

Wien (PK) – Großteils mitgetragen wurden heute im EU-Ausschuss des Bundesrats Pläne der Europäischen Kommission, die justizielle Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten zu verstärken. Diskussionsgrundlage der Ausschusssitzung bildeten Richtlinienvorschläge für einheitliche Mindeststandards in Strafverfahren. Kernpunkt darin ist die Erhöhung der Rechtssicherheit für Beschuldigte. Es gelte damit letztendlich, den Zugang zu einem geordneten Prozess in jedem nationalstaatlichen Rechtssystem der EU abzusichern, unterstrich Bundesrat Stefan Schennach (S/W). FPÖ-Bundesrätin Monika Mühlwerth (F/W) fügte an, immerhin könnte jede Österreicherin und jeder Österreicher einmal von ausreichend Rechtssicherheit bei Strafverfahren in einem anderen EU-Mitgliedsland abhängig sein. Ihre Fraktion begrüße daher einheitliche Mindeststandards in Strafsachen, solange nationale Regelungen dadurch nicht abgeschwächt würden.

EU-Vorgaben weitgehend mit heimischer Rechtsordnung abgedeckt

Mit ihrer vorliegenden Justiz-Agenda will die Kommission das Recht auf faire Verfahren in der Europäischen Union sicherstellen. Gemeinsame Vorgaben für Strafverfahren sollten außerdem gewährleisten, dass Entscheidungen jedes Gerichts in der EU auch an allen anderen Orten der Union anerkannt werden. Dadurch würden Urteile im EU-Ausland leichter vollstreckbar. Das vorgeschlagene Legislativpaket umfasst unter anderem Bestimmungen zur Achtung der Unschuldsvermutung, zur Anwesenheit Beschuldigter in der Verhandlung und für besondere Vorkehrungen bei verdächtigten oder beschuldigten Kindern. Darüber hinaus konkretisiert die Kommission den Anspruch auf frühzeitige Prozesskostenhilfe für Personen, die nicht selbst für ihren Rechtsbeistand im Strafverfahren aufkommen können. In den meisten Bereichen decke sich Österreichs Rechtslage mit den Vorschlägen der Kommission, hielt dazu Sektionschef Christian Pilnacek aus dem Justizministerium als Experte im Ausschuss fest. Grundsätzlich würden einheitliche Standards zum Schutz der Rechte Einzelner in Strafverfahren befürwortet, schon um das gegenseitige Vertrauen zwischen verschiedenen Justizsysteme in der EU zu stärken. Nur in Teilbereichen seien noch Klarstellungen nötig.

Klärungsbedarf konstatierten die Ausschussmitglieder besonders im Richtlinienentwurf mit unionsweit gültigen Verfahrensgarantien für Kinder, die einer Straftat beschuldigt werden. So wies etwa Ausschussobmann Edgar Mayer (V/V) darauf hin, der Vorschlag, inhaftierte Kinder und Jugendliche immer nur mit audiovisueller Aufzeichnung befragen zu dürfen, gehe über die österreichische Strafprozessordnung hinaus und sei damit überschießend. Bundesrat Stefan Schennach (S/W) erinnerte in dem Zusammenhang an die lange Tradition Österreichs beim Jugendstrafrecht, das seit den 1920er Jahren besondere Bestimmungen für straffällige Minderjährige vorsehe. Das Land sei damit zum Trendsetter, beispielsweise bei der Jugendgerichtshilfe, geworden.

Dem Kommissionsvorschlag zufolge müssen Minderjährige bis zum 18. Lebensjahr während des gesamten Strafverfahrens Rechtsbeistand erhalten, ohne darauf verzichten zu können. Dies ist derzeit nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten gesetzlich vorgesehen. Weiters hält der Legislativentwurf fest, dass Kinder ein Recht auf eine nicht-öffentliche Befragung haben und ihre Erziehungsberechtigten auch über das Verfahren zu belehren seien. Im Fall einer Inhaftierung müssten Minderjährige getrennt von Erwachsenen untergebracht werden. Pilnacek bemerkte in der Diskussion, das österreichische Jugendgerichtsgesetz weise insgesamt recht hohe Kongruenz mit den geplanten Bestimmungen der EU auf. Jedoch bestünden Zweifel über die Sinnhaftigkeit einiger Details der Richtlinie. Beispielsweise gehe es zu weit, jede/n minderjährige/n Beschuldigte/n auf ihre oder seine Fähigkeit, dem Verfahren zu folgen, medizinisch zu untersuchen. Eine derartige Reifeuntersuchung sei nur in Ländern ratsam, in denen anders als in Österreich schon unter 14-Jährige für strafbar erklärt werden. Hier sei eine altersbezogene Differenzierung in der Richtlinie nötig.

Nationale Rechtsordnung bleibt generell unangetastet

Bestimmungen zur Stärkung der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit von beschuldigten Personen in Strafverfahren fasst ein weiterer Richtlinienvorschlag zusammen. Darin wird untersagt, Personen vor ihrer rechtskräftigen Verurteilung als schuldig darzustellen und Verdächtige zu einer Aussage zu zwingen. Den Schuldbeweis habe die Staatsanwaltschaft zu erbringen, heißt es weiter, im Zweifel müsse für den Angeklagten entschieden werden - genügend Gegenbeweise durch die Verteidigung würden dafür ausreichen. Das Bedenken der SPÖ-Mandatarin Ana Blatnik (S/K), diese Regelung könnte zu einer Beweislastumkehr zu Lasten von Opfern sexueller Belästigung führen, entkräftete Pilnacek mit dem Hinweis auf diesbezüglich höhere Standards im österreichische Strafprozessrecht, von denen auch mit der Richtlinie nicht abgewichen werde. Grünen-Bundesrat Marco Schreuder (G/W) merkte an, das in Österreich vorhandene Recht von Angehörigen Beschuldigter, sich einer belastenden Aussage zu enthalten, bestehe auf Grund der unterschiedlichen Rechtssysteme von Nationalstaaten nicht in allen EU-Ländern. Er bezog sich dabei auf eingetragene Partnerschaften, die nicht überall als Familie gewertet werden.

Die Berechtigung eines oder einer Beschuldigten, während einer Verhandlung anwesend zu sein, hebt der Kommissionsentwurf schließlich als zentrales Element eines fairen Verfahrens hervor. Tatsächlich untersage die österreichische Strafprozessordnung (StPO) gerade bei Verhandlungen mit beschuldigten Minderjährigen eine Verurteilung von abwesenden Kindern oder Jugendlichen, sagte Pilancek. Ob in einem derartigen Verfahren aber ein vorübergehender Prozessausschluss zum Wohl des Kindes mit der Richtlinie zulässig ist, müsse noch während der gerade laufenden Verhandlungen der Ratsarbeitsgruppe geklärt werden.

Hilfe bei Prozesskosten soll auch im EU-Ausland verfügbar sein

Am Richtlinienentwurf zur Prozesskostenhilfe lobte Bundesrat Schennach (S/W) den Vermerk, oftmals reiche schon die Komplexität eines Falles für Anspruch auf Abgeltung der Anwaltskosten aus, auch wenn die absolute Bedürftigkeit der oder des Verdächtigen noch nicht erwiesen ist. Diese Regelung stütze sich auf internationale Abkommen wie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Die Hilfe bei Prozesskosten gilt laut Kommissionsvorschlag auch für jene Beschuldigten, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, da diese zurzeit nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten eine finanzielle Unterstützung für ihr Verfahren erhalten. Der Vorschlag zielt somit nicht zuletzt auf ausreichenden Rechtsschutz für UnionsbürgerInnen in Strafverfahren außerhalb ihres eigenen Mitgliedsstaats ab. Besonders während einer Untersuchungshaft bedürften Mittellose zumindest vorläufig einer finanziellen Absicherung, so die Kommission. Daher müsse es gerade für Personen, denen die Freiheit entzogen wurde, sofort eine provisorische Prozesskostenunterstützung geben, also noch ehe eine Entscheidung über ihren Anspruch auf Verfahrenshilfe gefallen ist.

Im Rahmen der EU-Initiative für größere Rechtssicherheit in Strafsachen wurden in den vergangenen Jahren bereits mehrere Richtlinien erlassen: 2010 zum Anspruch auf Dolmetsch bzw. Übersetzung in Strafverfahren, 2012 zum Recht auf Belehrung in Strafsachen, 2013 zur Sicherung des Zugangs zu Rechtsbeistand. (Fortsetzung EU-Ausschuss Bundesrat) rei


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