Parlamentskorrespondenz Nr. 253 vom 27.03.2014

Hundstorfer: Bund ist Vorbild bei Einstellung von Behinderten

Opposition übt Kritik am Sozialversicherungssystem

Wien (PK) - Im Zuge seiner weiteren Beratungen zum Themenblock Soziales lehnte der Nationalrat in seiner heutigen Sitzung auch einen Entschließungsantrag der Grünen zum Thema Behinderteneinstellungspflicht ab. Abgeordnete Helene Jarmer wollte erreichen, dass sich der öffentliche Dienst von der gesetzlichen Pflicht, behinderte Menschen einzustellen, anders als private Unternehmen künftig nicht mehr durch die Zahlung einer Ausgleichstaxe "freikaufen" kann. Eine Ablehnung des Vorschlags kam von SPÖ, ÖVP und NEOS, er blieb damit in der Minderheit.

Abgeordnete Jarmer wies auf die Vorbildfunktion des Bundes hin. Es dürfe gerade hier keinen Freikauf von sozialen Verpflichtungen geben, besonders angesichts der Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung überdurchschnittlich ansteige. Unterstützung erhielt sie von den Abgeordneten Marcus Franz (T) und Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F), welche ebenfalls die Verpflichtung des Bundes betonten, wobei Belakowitsch-Jenewein auch staatsnahe Betriebe in die Pflicht nehmen will.

Abgeordnete Königsberger-Ludwig (S) unterstrich, dass das Anliegen, mit der Erhöhung der Behindertenbeschäftigung mehr Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, unumstritten sei. Das Sozialministerium unterstütze jedes Jahr etwa 7.000 Menschen mit Behinderung, damit sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können, sagte die Abgeordnete und appellierte an die privaten Unternehmen, von denen derzeit nur 25 % ihre Einstellungspflicht erfüllen, zu verstehen, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auch für sie positive Aspekte habe. Probleme mit der steigenden Arbeitslosenrate von Menschen mit Behinderung konstatierte auch ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg. Der Vorschlag der Grünen nach einer höheren Ausgleichstaxe würde aber keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Wichtiger sei die Verbesserung der Ausbildung und der Durchlässigkeit des zweiten zum ersten Arbeitsmarkt. Auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak bezeichnete den Vorstoß der Grünen als nicht zielführend. Auch der Bund brauche die Freikaufmöglichkeit, da er in einzelnen Bereichen, etwa bei der Exekutive, nicht genug Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung anbieten könne.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer stimmte zu, dass der Bund eine Vorbildfunktion habe. Betrachte man ihn als Gesamtheit, so erfülle er auch die Einstellungsquote. Es gebe allerdings zwei Ressorts, in denen er dabei an objektive Grenzen stoße, im Unterrichtsressort und im Exekutivdienst. Hundstorfer kündigte an, dass er "ein ernstes Wort" mit den Wirtschaftskammern reden werde, welche die Quote in sehr unterschiedlichem Grad erfüllten.

Mehrheit will Frauenpensionsalter nicht vorzeitig anheben

Ebenfalls vom Nationalrat abgelehnt wurden Anträge der FPÖ und der NEOS zum Themenkomplex Pensionen. Die FPÖ forderte unter anderem eine Mindestpension von 1.200 € brutto und eine regelmäßige Pensionsanpassung nach dem so genannten Pensionistenpreisindex. Die NEOS plädierten dafür, das Frauenpensionsalter schon ab 2018 schrittweise an jenes der Männer anzugleichen und das Pensionsalter generell automatisch anzupassen, wenn sich demographische und wirtschaftliche Kennziffern wie Lebenserwartung, Verbraucherpreisindex oder Produktivität ändern. Sie stießen mit diesem Vorstoß auf breite Ablehnung.

FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein sah die Wertanpassung des Pflegegeldes als unumgänglich notwendig an. Die Kostendämpfung im Pflegegeldsystem 2011 habe gerade viele der Schwächsten in der Gesellschaft getroffen. Jeder Sparkurs müsse auch die Wertigkeiten im Auge behalten, meinte sie. Sie wurde unterstützt von Rupert Doppler (F), der hervorhob, dass ein großer Teil der Pflege im häuslichen Bereich erfolge, dies müsse auch die entsprechende finanzielle Unterstützung finden. Carmen Gartelgruber (F) hielt die Ideen der NEOS für eine rasche Erhöhung des Pensionsantrittsalters nicht für zielführend, da er nicht der Realität der Arbeitswelt entspreche. Zuerst müssten gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, indem Freiheitliche Forderungen nach Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten auf den Pensionsanspruch umgesetzt werden.

Scharfe Ablehnung für die Konzepte der NEOS zu einer rascheren Anhebung des Frauenpensionsalters und zur Einführung eines Pensionsautomatismus auf Grundlage von Kennziffern formulierten auch die SPÖ-Abgeordneten Wolfgang Katzian, Gisela Wurm und Johann Hechtl. Katzian meinte, es zeige sich daran, dass den NEOS das grundsätzliche Verständnis dafür fehle, dass Sozialleistungen einen Rechtsanspruch begründen und keine Form von Almosen darstellen. Wurm stellte fest, dass die SPÖ den Konsens, der über eine allmähliche, auf die sozialen Gegebenheiten abgestimmte Anhebung des Pensionsantrittsalters von Frauen bestehe, sicher nicht in Frage stellen werde. Erst müsste die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt erreicht werden, dann sei ein gleiches Pensionsantrittsalter gerechtfertigt.

Nichts abgewinnen konnten den Forderungen der NEOS auch die Grünen. Abgeordnete Judith Schwentner berief sich ebenfalls auf den breiten Konsens in der Frage des Frauenpensionsalters. Auch automatische Anpassungen aufgrund von Expertenprognosen sah sie kritisch, diese könnten auch sehr von der realen Entwicklung abweichen, womit das gesamte Pensionssystem gefährdet sei.

Von den Abgeordneten der ÖVP erklärte Abgeordneter Johann Höfinger, er erkenne keinerlei Vereinfachung im Vorschlag der NEOS, einen Pensionsautomatismus einzuführen, der auf einem komplizierten System von Parametern aufbaue. Auch eine Festlegung, wer diese als "unabhängiges Expertengremium" bestimmen könnte, enthalte viele rechtliche Fallstricke. Es sei wesentlich besser, solche Fragen als politische Entscheidungen zu behandeln, meinte er. Diese Meinung vertrat auch seine Fraktionskollegin Gertrude Aubauer, die auch das österreichische Pensionssystem prinzipiell verteidigte. Ihr Parteikollege Fritz Grillitsch warnte davor, die Herausforderungen, die der demographische Wandel für die Generationengerechtigkeit darstelle, für parteipolitische Polemik zu benützen.

Die Sicht des Team Stronach zu Fragen des Pensionssystems insgesamt legte Abgeordneter Marcus Franz dar. Es wäre möglich, innerhalb von zehn Jahren das gesamte Pensionssystem auf eine völlige neue Grundlage zu stellen, es zu vereinheitlichen und es von einem Umlagesystem, das die jüngere Generation über Gebühr belaste, in eine steuerfinanziertes Modell überzuführen. Es sehe aber nirgendwo den politischen Willen zu einem solchen großen Wurf.

Nikolaus Scherak (N) erklärte, die Anträge der NEOS zum Pensionssystem beruhten auf einem Weißbuch der Europäischen Kommission zur nachhaltigen Absicherung des Pensionssystems, das unter anderem eine unverzügliche Anhebung des Frauenpensionsalters fordere. Die NEOS würden sich, entgegen den Behauptungen seiner VorrednerInnen, nicht für eine sofortige Anhebung des Pensionsantrittsalters einsetzen, sondern für eine Anhebung in kleineren Schritten, das aber schon ab einem früheren Zeitpunkt. Das bedeute Schritte von 4 Monaten pro Jahr bereits ab 2018, nicht erst in zehn größeren Schritten ab 2024. Diese Forderung formulierte er als Entschließungsantrag. Loacker wollte auch eine bessere Vertretung der jüngeren Generation in der Kommission zur langfristigen Sicherung des Pensionssystems. Beide Entschließungsanträge verfielen aber der Ablehnung.

Bundesminister Rudolf Hundstorfer meinte, er wäre gerne in der Lage, sofort eine Anhebung der Mindestpension auf 1.200 € ankündigen zu können, wie es die FPÖ fordere. Dem stehe aber die Realität entgegen, da dies zusätzlich 5,9 Mrd. € pro Jahr erfordern würde. Der Solidarbeitrag der 10.000 BezieherInnen so genannter Luxuspensionen sei kein nennenswerter Beitrag, denn er bringe pro Jahr nur 10 Mio. € ein. Was das Pflegegeld betreffe, so habe man zwar die Kosten gedämpft, aber insgesamt gebe man jetzt mehr Geld für die Pflege aus als früher. Es gebe kein Land der Welt, dass ein ähnlich differenziertes Modell für Pflegeleistungen wie Österreich biete, unterstrich der Sozialminister. Es zeige damit vor, wie man älteren Menschen und Menschen mit Behinderung ein Leben in Würde ermöglichen könne, so Hundstorfer.

22 Sozialversicherungsträger – bürgernäher oder ungerecht?

Schließlich blieb ein Entschließungsantrag der NEOS in der Minderheit, der auf eine mittelfristige Zusammenlegung der bestehenden 22 Sozialversicherungsträger zu jeweils nur einem Träger der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung und der Unfallversicherung abzielt. Das Anliegen der NEOS wurde auch von den anderen drei Oppositionsparteien unterstützt, für eine Mehrheit reichte es aber nicht. In den Augen der Opposition führen die unterschiedlichen Versicherungen zu Ungleichbehandlungen der Patientinnen und Patienten. Anders sah dies die Koalition. Neben SPÖ und ÖVP verteidigte auch Sozialminister Hundstorfer das bestehende System als effizient. Länderstrukturen seien aufgrund der Gesundheitsreform mit Landeszielsteuerungen notwendig, stand für ihn fest.

Für die NEOS trat Gerald Loacker ans Rednerpult, um die Sicht seiner Fraktion nochmals darzulegen. Im bestehenden System könne er keinerlei Logik erkennen, da es seiner Ansicht nach nicht einzusehen ist, warum aufgrund unterschiedlicher Berufe die Menschen im Gesundheitssystem unterschiedlich behandelt werden. Loacker prangerte vor allem die Mehrfachversicherungen an. In diesem Sinne legte er auch einen Entschließungsantrag vor, in dem die NEOS dafür eintreten, dass in Hinkunft aufgrund von verschiedenen Erwerbstätigkeitsverhältnissen nicht mehr an mehrere Sozialversicherungsträger Beiträge zu leisten sind. Der Antrag fand ebenfalls keine ausreichende Unterstützung.

Der Kritik am bestehenden System schlossen sich auch die RednerInnen der FPÖ, der Grünen und des Team Stronach an. Was bei den Pensionsversicherungen möglich war, müsste doch auch bei den Krankenversicherungen möglich sein, meinte etwa Rupert Doppler (F) und wies auf Empfehlungen des Rechnungshofs hin, der immer wieder eine Vereinfachung der Strukturen einmahnt. "Wir brauchen eine Krankenversicherung, eine Pensionsversicherung und eine Unfallversicherung mit gleichen Beiträgen für alle Versicherten", stellte Judith Schwentner (G) ihrerseits fest. Sie halte es für mehr als ungerecht, wenn Patientinnen und Patienten bei gleichen Beschwerden unterschiedliche Leistungen bekommen. Schwentner konnte auch dem Argument regionaler Bedürfnisse nichts abgewinnen. Das einzige Bedürfnis der Menschen sei es, entsprechend behandelt zu werden, egal wo man lebt, konstatierte sie. Für Leopold Steinbichler (T) wiederum stellen die Sozialversicherungsträger einen Staat im Staat dar. Man brauche ein System, das finanzierbar und langfristig abgesichert ist, sagte er und appellierte, im Gesundheitssystem mehr auf Prävention zu setzen. Das sei der weitaus billigere Ansatz als die Reparatur.

Völlig anders sahen dies die Abgeordneten der beiden Koalitionsparteien. Erwin Spindelberger (S) warf den NEOS neoliberale Tendenzen vor. Sollte deren Vorschlag Realität werden, so  müssten die Menschen bei langwierigen Behandlungen tief in die Tasche greifen, warnte er. "Eine Zusammenlegung und Privatisierung wird es mit uns nicht geben", unterstrich er daher mit Nachdruck. Sowohl Spindelberger als auch Michael Hammer (V) verteidigten die Selbstverwaltung. Dadurch würden die Interessen der Versicherten besser vertreten, als dies durch BetriebswirtInnen geschehe. Beide machten auf die niedrigen Verwaltungskosten, die 3 % des Gesamtbudgets betreffen, aufmerksam. Hammer wandte sich dezidiert gegen die von der Opposition angestrebte Zentralisierung und erinnerte daran, dass man bereits Zusammenlegungen, wo es sinnvoll erschien, durchgeführt habe. Als notwendigere Maßnahmen erachtete Hammer die Vereinfachung bei den Melde- und Versicherungsvorschriften sowie hinsichtlich einer höheren Transparenz des Leistungssystems. Man werde auch am Prinzip des One- Shop-Stop weiterarbeiten.

Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer stellte sich hinter das bestehende System. Man habe vor nicht langer Zeit eine Gesundheitsreform mit Landeszielsteuerung beschlossen, die von den Landesverwaltungen und den Repräsentanten der Versicherten auf Landesebene wahrgenommen werde. Auf die Länderstruktur könne man daher nicht verzichten, meinte der Sozialminister und betrachtete das Prinzip der Selbstverwaltung als die günstigste Form der Verwaltungsstruktur. Er sei aber darum bemüht, das Leistungsangebot bei den Gebietskrankenkassen gleich zu gestalten.

(Fortsetzung Nationalrat) gs/sox/jan