Parlamentskorrespondenz Nr. 318 vom 10.04.2014

Kurz zur Krise in der Ukraine: Wir müssen das Blockdenken überwinden

Der Außenminister in der Aktuellen Stunde im Bundesrat

Wien (PK) – Die kritische Lage in der Ukraine und die Reaktion der EU, insbesondere auch die Rolle Österreichs, waren heute abermals zentrales parlamentarisches Thema, diesmal im Plenum des Bundesrats. Außenminister Sebastian Kurz forderte dabei mit Nachdruck das Ende des "Blockdenkens". Er verteidigte das Vorgehen der EU, unterstrich aber gleichzeitig, dass der Dialog mit Russland im Vordergrund stünde, um zu einer Lösung zu gelangen. Hinsichtlich der Ukraine meinte Kurz, das nähere Heranführen des Landes an die EU sei genauso wichtig wie eine enge regionale Partnerschaft mit Russland.

In der Debatte selbst wurde unisono die Überzeugung geäußert, dass es keine Lösung ohne Russland geben werde und der Dialog im Vordergrund stehen müsse. Ebenso war der Ruf nach Blockfreiheit und Neutralität der Ukraine als zukunftsweisender Weg zu hören. Große Sorge äußerten die Bundesrätinnen und Bundesräte über die jüngsten Vorkommnisse in Teilen der Ost-Ukraine. Mit Ausnahme der FPÖ verurteilten die LändervertreterInnen die Ereignisse auf der Krim als klaren Völkerrechtsbruch. Außenminister Kurz erhielt von allen Seiten für seine bisherigen Aktivitäten und Initiativen Lob und Anerkennung.

Österreich hat sich ausgleichend und aktiv eingebracht

Österreich versuche stets, eine ausgleichende Haltung einzunehmen, umschrieb Kurz die Bemühungen Österreichs in dieser sensiblen Frage, und habe vor allem auch den Vorsitz im Ministerrat des Europarats genützt, um sich aktiv einzubringen. So werde es eine breit aufgestellte Kommission geben, die die Verbrechen am Maidan aufklären soll, und es sei auch gelungen, Beobachter in die Ukraine zu entsenden, um die Situation der Minderheiten zu prüfen. Die Minderheiten in der Ukraine selbst seien nicht bedroht, zitierte Kurz das Ergebnis der Beobachtungsmission, fügte aber hinzu, dass sich die Situation der Krim-Tataren nun Besorgnis erregend darstelle. Darüber hinaus habe die Untersuchung der Venediger-Kommission ergeben, dass das Referendum klar rechtswidrig gewesen sei. Der Europarat werde die Ukraine in Zukunft hinsichtlich der Qualität von Gesetzen, aber auch bei der Erarbeitung der Verfassungsreform unterstützen.

Er habe aber auch die Haltung der EU mitgestaltet, möglichst lang auf Dialog zu setzen. Man solle Wirtschaftssanktionen nicht herbeisehnen, sagte er, dennoch sei der Stufenplan eine notwendige und klare Antwort auf das Vorgehen Russlands. Dass Russland nun der Kontaktgruppe für Verhandlungen zugestimmt habe, sei ein positives Signal, ein negatives Signal sende Russland mit monetärer Unterstützung von Unruhen im Osten der Ukraine aus, hielt er mit Bedauern fest.

Als dritte Schiene gebe es intensive bilaterale Kontakte mit der Ukraine, und derzeit befänden sich österreichische Vertreter im Land, um über die Erfahrungen Österreichs mit der Neutralität zu berichten. Die Entscheidung über den zukünftigen Status müsse die Ukraine aber selbst treffen, konstatierte Kurz.

Ziel aller Bemühungen müsse es sein, so der Außenminister, dem politischen und wirtschaftlichen Blockdenken ein Ende zu setzen. Als einen richtigen Ansatzpunkt dazu zählte er die Etablierung einer Freihandelszone, an der auch Russland teilnimmt. Für die Ukraine sollte es sowohl eine Annäherung an die EU aber auch an Russland im Rahmen einer engen regionalen Partnerschaft geben.

Sorge um Ost-Ukraine

Die Sorge um die Ost-Ukraine wurde auch von den Bundesräten Harald Himmer (V/W) und Edgar Mayer (V/V) geäußert. Beide Politiker dankten dem Minister für seine bisherigen Aktivitäten und meinten, dass Österreich den Vorsitz im Europarat hervorragend genützt habe. Auch die Bemühungen der OSZE gingen in die richtige Richtung, und somit habe die österreichische Außenpolitik die Rolle als neutrales Land sehr gut erfüllt, sagte Himmer. Sowohl Himmer als auch Mayer thematisierten die Abhängigkeit der Energieversorgung von Russland, zumal der mitteleuropäische Wirtschaftsraum von den Sanktionen beeinträchtigt wäre. Mayer warnte davor, Russland aus dem Europarat hinauszudrängen, denn dann könnte man Menschenrechtsverletzungen in Russland nicht mehr vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. Eine Lösung sei nur mit Russland aber nicht gegen Russland möglich, unterstrich Mayer.

In die gleiche Kerbe schlug Vizepräsidentin Susanne Kurz (S/S). Für die Ukraine müsse es ein "sowohl als auch" geben. Eine Zukunftsvision ist für sie ein Freihandelsraum von Lissabon bis Wladiwostok. Die Staatengemeinschaft sei gefordert, mit Russland auf Augenhöhe zu verhandeln und die Geschichte mit zu bedenken, assistierte Josef Taucher (S/W). Taucher warf in diesem Zusammenhang einen kritischen Blick auf die Aussagen der NATO und meinte, man brauche keine NATO-Drohungen, sondern rasche demokratische Wahlen in der Ukraine. Für die Stabilität des Landes sei es unabdingbar, die Gräben innerhalb der ukrainischen Gesellschaft zu überwinden, ergänzte Susanne Kurz und drängte auf die Wahrung der Minderheitenrechte und die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in dem Land. Dazu habe sich die Ukraine auch durch die Unterzeichnung des politischen Teils des Assoziierungsabkommens mit der EU verpflichtet, erinnerte sie und befürwortete weiters die finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung seitens der EU. Taucher machte in seiner Wortmeldung auch darauf aufmerksam, dass zwar die EU wirtschaftlich Russland genauso brauche wie Russland die EU, sich aber das Land derzeit stärker nach anderen Regionen orientiere.

Keine friedliche Lösung ohne Russland

"Was ist aus der Idee des gemeinsamen Hauses Europa geworden", stellte Bundesrat Marco Schreuder (G/W) die Frage in den Raum. Die kommende Entwicklung in der Ukraine sei deshalb auch so wichtig und sensibel, weil diese Auswirkungen auf andere Staaten, wie etwa Moldau und Georgien habe. Auch Schreuder ist davon überzeugt, dass es ohne Russland keine friedliche Lösung geben wird können und erinnerte daran, dass die Spaltung zwischen pro-europäischen und pro-russischen Kräften seit der orangenen Revolution manifest sei. Man hätte daher längst auf diplomatischem Boden prophylaktisch agieren müssen, stellte er kritisch fest. Schreuder bewertete die Initiativen des Außenministers positiv und meinte, EU, OSZE und Europarat seien die richtigen Institutionen für die Bemühungen um eine nachhaltige Lösung. Der grüne Bundesrat machte sich für einen Status der Bündnisfreiheit oder Neutralität der Ukraine stark und unterstrich insbesondere die Notwendigkeit, die Menschen- und Minderheitenrechte zu wahren. Die Situation mache auch deutlich, dass die Energiewende nicht nur eine ökologische Frage darstelle, sondern vor allem eine außenpolitische Entscheidung sei, appellierte Schreuder.

Einen anderen Aspekt brachte Monika Mühlwerth (F/W) in die Diskussion ein, da sie der EU und damit auch der österreichischen Außenpolitik vorwarf, mit zweierlei Maß zu messen. Es habe viele gewaltbereite Demonstranten auf dem Maidan gegeben, und der demokratisch gewählte Präsident Janukowytsch sei weggeputscht worden. Sie habe auch Verständnis dafür, dass Putin keinen NATO-Stützpunkt auf der Krim wolle. Auch habe die USA keine Berechtigung, mit der Moralkeule um sich zu werfen, denn, wo es um deren Interessen gehe, habe das Völkerrecht auch nicht oberste Priorität. Sie sei daher überzeugt, ein friedliches Miteinander sei nur mit Russland und in einem Verhältnis auf gleicher Augenhöhe möglich.

Das Referendum auf der Krim sei klar rechtswidrig gewesen, konterte daraufhin Außenminister Kurz. Es habe gläserne Wahlurnen und kein Kuvert für die Stimmzettel gegeben. Russische Soldaten seien mit Maschinengewehren vor den Wahllokalen gestanden und eine Frage, ob die Krim bei der Ukraine bleiben sollte, sei nicht zur Auswahl gestanden. Auf dem Maidan seien rund hundert Menschen zu Tode gekommen und die Wunden würden noch lange nicht geschlossen werden können, konstatierte Kurz. Das Referendum sei unter dem Druck von Soldaten ohne Hoheitsabzeichen durchgeführt worden und könne daher in keiner Weise als legitim bezeichnet werden, meinte auch Bundesrat Schreuder von den Grünen.

Das Thema Selbstbestimmungsrecht warfen sowohl Monika Mühlwerth (F/W) als auch Gerald Zelina (T/N) in die Diskussion ein. Die Ukraine zu erhalten, müsse Priorität haben, sagte Zelina, aber nicht um jeden Preis. Deshalb müsste man auch in diesem Zusammenhang über das Selbstbestimmungsrecht der Völker nachdenken.    

Sorge über die energiepolitische Reaktion der EU äußerte Cornelia Michalke (F/V). Sie fürchtete vor allem ein Wiedererstarken der Atomlobby und den Ausbau der Atomenergie. Michalke kritisierte auch scharf den Aufruf der NATO, Europa solle aufrüsten, und sie warnte vor wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland unter Hinweis auf die engen Verflechtungen der österreichischen Wirtschaft und der österreichischen Banken sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine. Die Politik dürfe die Wirtschaft nicht in Geiselhaft nehmen, die Sanktionen würden Österreich hart treffen, warnte auch Bundesrat Zelina (T/N). Er unterstrich insbesondere die Sicherheit der Energieversorgung.           

West-Balkan bleibt prioritäres Ziel der Außenpolitik; kritische Stimmen zur Türkei 

Der Außenminister diskutierte mit den Bundesrätinnen und Bundesräten auch das sein Ressort betreffende Arbeitsprogramm der EU 2014. Dabei standen die Frage der Erweiterung, der Bewältigung der Wirtschaftskrise und das TTIP-Abkommen mit den USA im Mittelpunkt der Diskussion. Der Bericht wurde gegen die Stimmen der FPÖ mit Mehrheit zur Kenntnis genommen.

Monika Mühlwerth (F/W) lehnte zwar nicht vollkommen die Erweiterung der Union um die Staaten des West-Balkan ab, sie drängte jedoch darauf, das Tempo zurückzunehmen und mehr Vorsicht walten zu lassen, da in diesen Ländern Kriminalität, Korruption noch immer große Probleme darstellen und die wirtschaftliche Leistung schwach sei. Anders sahen dies die Bundesräte Edgar Mayer (V/V) und Günther Köberl (V/St). Die europäische Perspektive sei für diese Staaten der wichtigste Motor für die Stabilisierung, meinten beide und zeigten sich vor allem erfreut über die Beitrittsverhandlungen mit Serbien. Dass es große Probleme mit Kriminalität, Korruption und Rechtsstaatlichkeit gebe, gaben aber auch sie zu bedenken. Auch Marco Schreuder von den Grünen hielt die Perspektiven für die Staaten des Westbalkans als entscheidend für deren Weiterentwicklung zur Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

"Wir sind ein starker Partner, das heißt aber nicht, dass die Beitrittskriterien aufgeweicht werden und Standards unterschritten werden dürfen", stellte Außenminister Sebastian Kurz in diesem Zusammenhang unmissverständlich fest. Er zeigte sich erfreut über den pro-europäischen Reformkurs der neuen serbischen Regierung und machte aus seiner Sorge über die Situation in Bosnien-Herzegowina kein Hehl. Das Land sei kaum regierbar und habe bislang seine ethnischen Spannungen nicht überwinden können. Man setze daher auf die Zivilbevölkerung, so die Hoffnung des Außenministers.

Günther Köberl (V/St) griff nochmals das Thema Ukraine auf und zeigte sich mit dem geschlossenen Vorgehen der EU zufrieden. Wie die EU diese Frage weiterhin handhabe, stelle eine Gretchenfrage für die Zukunft der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik dar, zeigte er sich überzeugt.

Was die Türkei betrifft, so waren sich alle einig, dass sich das Land derzeit von der EU weg bewege. Monika Mühlwerth (F/W) plädierte daher für ein Assoziierungsabkommen, Edgar Mayer (V/V) und Marco Schreuder (G/W) stellten einen Rückgang der demokratischen Standards insbesondere im Hinblick auf die Meinungsfreiheit in der Türkei fest. Auch der Außenminister bezeichnete die Veränderungen der letzten Wochen alles andere als positiv, und teilte die Analyse der BundesrätInnen.

Zuversichtlich zeigten sich die Bundesräte Edgar Mayer (V/V) und Hans-Peter Bock (S/T), dass die EU mit ihren Maßnahmen die Finanz- und Wirtschaftskrise überwinden werde. Auch bei der Bankenunion habe man gute Fortschritte erzielt, sagte Mayer und zog eine positive Bilanz der Auswirkungen des Stabilitätsmechanismus. Bock sprach sich zudem für die Einführung der Finanztransaktionssteuer aus und forderte, bessere Instrumente zu finden, damit Gewinne nicht privatisiert, Verluste aber sozialisiert werden.

Befürchtungen, das TTIP-Abkommen könnte durch die Hintertür die hohen europäischen Standards aushöhlen, wurden zunächst von Monika Mühlwerth (F/W) geäußert. In einem Entschließungsantrag, der jedoch nicht die erforderliche Mehrheit fand, ersucht die FPÖ die Bundesregierung, im Zusammenhang mit bestehenden und allfälligen künftigen Freihandelsabkommen sicherzustellen, dass mögliche Umgehungen österreichsicher oder europäischer Qualitäts-, Umwelt- oder Sozialstandards nicht auf dem Umweg über die Kombination mehrerer Freihandelsabkommen wie z.B. NAFTA und CETA eintreten können. Seitens der Grünen wurde der Antrag voll inhaltlich unterstützt, wobei Marco Schreuder insbesondere die mangelnde Transparenz der Verhandlungen kritisierte. Die ÖVP konnte sich zwar mit den Forderungen des Antrags anfreunden, wie Günther Köberl (V/St) festhielt, die Begründung sei aber für seine Fraktion nicht akzeptabel. Daher werde man den Antrag ablehnen. Es gehe um eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit und keineswegs um eine Nivellierung nach unten, versicherte dazu Außenminister Sebastian Kurz. Gleichzeitig räumte er aber ein, dass die Verhandlungen transparenter geführt werden sollten.

Bundesrätin Monika Mühlwerth kritisierte in ihrer Rede auch die überbordende Bürokratie der EU und forderte, Kompetenzen wieder auf die nationale Ebene zurückzuholen.

Kurz wurde in der Debatte auch auf seine kommende Reise in den Iran angessprochen. Marco Schreuder (G/W) thematisierte in diesem Zusammenhang die verheerende Menschenrechtssituation in dem Land und meinte, das Regime habe es sich nicht verdient, dass man ihm hofiere. Dem hielt Minister Kurz entgegen, es sei notwendig, Kontakte zu knüpfen, denn nur dann könne es eine positive Entwicklung geben, auch im Sinne der Verbesserung der Menschenrechtssituation. (Fortsetzung Bundesrat) jan


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