Parlamentskorrespondenz Nr. 778 vom 02.09.2014

Regierungsumbildung: Neues Team stellt sich dem Parlament vor

Faymann kritisiert Vorgehen Russlands im Ukraine-Konflikt

Wien (PK) – Gestern hat Bundespräsident Heinz Fischer die neuen Regierungsmitglieder angelobt. Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat nach dem Rücktritt von Michael Spindelegger das Amt des Vizekanzlers übernommen, neuer Finanzminister ist Hans Jörg Schelling. Alois Stöger leitet nach dem Wechsel von Doris Bures an die Spitze des Nationalrats nun das Infrastrukturministerium. Sabine Oberhauser folgte ihm als Gesundheitsministerin nach. Heute wurden die neuen Regierungsmitglieder und der neue Staatssekretär im Wirtschafts- und Wissenschaftsressort, Harald Mahrer, dem Nationalrat vorgestellt. Bundeskanzler Werner Faymann zeigte sich überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit Mitterlehner eine gute sein wird, dieser wies vor allem auf die schwierige Wirtschaftslage, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen geopolitischen Entwicklungen, hin. Er ist allerdings bestrebt, durch gute Regierungsarbeit das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wieder zu gewinnen.

Ob es dem neuen Regierungsteam tatsächlich gelingen wird, dringend notwendige Reformen umzusetzen, daran hat die Opposition jedoch erhebliche Zweifel. So glaubt die FPÖ nicht an einen Neustart und fordert rasche Neuwahlen. Auch Grüne, NEOS und Team Stronach zeigten sich skeptisch. Gefordert wurden unter anderem eine Föderalismusreform, eine Bildungsreform und eine Steuerentlastung.

Faymann: Neue Regierungsmitglieder sind fachkundig und engagiert

Bundeskanzler Faymann nutzte seine Erklärung auch für scharfe Kritik am Vorgehen Russlands im Ukraine-Konflikt und sprach angesichts des Umstands, dass augenscheinlich immer mehr russische Soldaten und russisches Kriegsgerät in der Ukraine sind, unter anderem von einer Missachtung des Selbstbestimmungsrechts und fadenscheinigen Ausreden Putins. Man müsse die Freiheit verteidigen und dürfe nicht das "gute Geschäft" in den Vordergrund stellen, sprach er sich klar für Sanktionen aus. Faymann wandte sich allerdings dezidiert gegen Waffenlieferungen der EU an die Ukraine, man müsse die Freiheit "mit friedlichen Mitteln verteidigen". Diese seien die einzige Chance, die militärische Logik zu durchbrechen.

Was die Regierungsumbildung betrifft, zeigte sich Faymann überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit Vizekanzler Mitterlehner und den neuen MinisterInnen eine gute sein wird. Die neuen Regierungsmitglieder seien fachkundig und engagiert, bekräftigte er. Bei Michael Spindelegger und bei Jochen Danninger bedankte sich Faymann für ihre gute Arbeit im Interesse der ÖsterreicherInnen. An die Opposition richtete er den Appell, die neuen Regierungsmitglieder zwar hart zu kontrollieren, aber gleichzeitig auch fair zu unterstützen.

Mitterlehner will Vertrauen in die Politik zurückgewinnen

Der neue Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nannte es als seine wichtigste Aufgabe, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zurückzugewinnen. Angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die Politik stehe, gelte es, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen und Politik als Form eines Wettbewerbs der Argumente zu sehen und nicht als einen Wettbewerb der sprachlichen Grobheiten, sagte er. Mitterlehner fürchtet, dass sich der Ukraine-Konflikt negativ auf die Wirtschaftsentwicklung in Österreich auswirken wird, die angesichts der geopolitischen Lage nicht besonders positive Stimmung mache sich bereits im Tourismus und in den Wirtschaftsdaten bemerkbar.

Was die geplante Steuerreform betrifft, unterstrich Mitterlehner, es gehe nicht um das Wollen, sondern um das Können. Er sprach sich dafür aus, zunächst Vorschläge zu erarbeiten und Modelle zu entwickeln und darüber dann politische Verhandlungen zu führen. Erst die allerletzte Frage ist für ihn Vermögenssteuer ja oder nein oder eine andere Lösung. Mitterlehner kündigte zudem ein Bürokratieentlastungspaket an und hob die Bedeutung von Bildung hervor.

Zum neuen Finanzminister merkte Mitterlehner an, Schelling habe nicht nur Kompetenz im Wirtschaftsleben bewiesen, sondern habe auch Erfahrung bei der Begleitung von Reformprozessen und der Weiterentwicklung von Organisationen. Er sei der richtige Mann zur richtigen Zeit. Der neue Staatssekretär Harald Mahrer verkörpert für ihn das Jungunternehmertum und die Neugier der Wissensgesellschaft.

FPÖ fordert Neuwahlen und bringt Misstrauensantrag ein

FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache wollte den neuen Regierungsmitgliedern allerdings keine Chance geben, sich zu bewähren und forderte rasche Neuwahlen. Die Regierung befinde sich seit längerem in der Krise und habe nach unzähligen gescheiterten Neustarts keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung, argumentierte er. Für ihn stellt sich die Frage, was unter Vizekanzler Mitterlehner anders als bisher werden soll. Die ÖsterreicherInnen wollten eine Entlastung im Geldbörserl spüren und seien zu Recht über die Regierungsarbeit empört und frustriert, sagte er. Auch zu den neuen Regierungsmitgliedern fiel Strache wenig Positives ein. Dem neuen Finanzminister warf er etwa vor, gegen eine Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger zu sein.

Zum Ukraine-Konflikt hielt Strache fest, Österreich habe von Beginn an verabsäumt, eine neutrale Position einzunehmen, und sich stattdessen zum Nachteil der österreichischen Wirtschaft für Sanktionen gegenüber Russland ausgesprochen. Dadurch seien bis zu 30.000 Arbeitsplätze gefährdet, warnte er.

Bekräftigt wurde die ablehnende Haltung der FPÖ gegenüber dem neuen Regierungsteam von Abgeordnetem Herbert Kickl, der namens seiner Fraktion einen Misstrauensanstrag gegen das gesamte Regierungsteam einbrachte. Er sei an und für sich ein Optimist, sagte Kickl, die Regierung habe die Bevölkerung aber schon so oft "hinters Licht geführt" und bei Zahlen gemogelt, dass er sich keinen Neustart erwarte. Mit "Durchhalteparolen" werde die Regierung das Land nicht auf den richtigen Weg bringen, ist er überzeugt. Kickl wies unter anderem auf die steigende Arbeitslosigkeit, die hohe steuerliche Belastung und das stagnierende Pflegegeld hin und mahnte mehr Fairness und Gerechtigkeit ein.

Grüne wollen neuem Regierungsteam eine Chance geben

Skeptisch äußerte sich auch Grünen-Klubobfrau Eva Glawischnig-Piesczek. Sie könne keinen Plan der Regierung erkennen, auch bei der Regierungsumbildung nicht, sagte sie. Die Politik sei dabei, einer Generation erstmals in der Geschichte der Republik schlechtere Lebensumstände zu bieten als der vorangegangenen Generation. Die Bevölkerung sei extrem frustriert, die Zustimmung zur Regierungspolitik auf einem Tiefststand.

Die Grünen seien allerdings eine geduldige Opposition, erklärte Glawischnig-Piesczek. Man gebe der Regierung eine allerletzte Chance, notwendige Reformen umzusetzen. Konkret mahnte sie etwa eine Bildungsreform, eine Verwaltungsreform und eine Steuerreform ein. Ihr Fraktionskollege Werner Kogler forderte zudem eine Fortsetzung der Gesundheitsreform und mehr Transparenz bei der Wirtschaftsförderung. Es sei nicht die Opposition, die Reformen blockiere, sondern die eigenen Leute von SPÖ und ÖVP, hielt er fest.

Scharfe Kritik übte Kogler am Verhalten der Wirtschaftskammer gegenüber dem russischen Staatspräsidenten Putin, der seiner Einschätzung nach in peinlicher Art und Weise hofiert wurde.

Team Stronach: Schuldenberg muss rasch abgebaut werden

Team-Stronach-Klubobfrau Kathrin Nachbaur wünschte dem neuen ÖVP-Obmann und den neuen MinisterInnen "das Allerbeste" im Interesse Österreichs. Sie hoffe, dass das neue Team Kraft und Verständnis für die Notwendigkeit aufbringe, den noch immer wachsenden Schuldenberg in Österreich endlich abzubauen und die Unternehmen steuerlich zu entlasten, unterstrich sie. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, durch neue Vermögensteuern ein Hochsteuerland zu einem Höchststeuerland zu machen, sei eine echte Steuerentlastung ohne Gegenfinanzierung durch neue Steuern dringend erforderlich. Wenn man das Kapital aus Österreich vertreibe, werde die Arbeitslosigkeit weiter steigen, prophezeite sie. Österreich brauche klare und faire Steuersätze, um Unternehmen zu motivieren, sich hier anzusiedeln.

Nachbaurs Fraktionskollege Georg Vetter äußerte sich allerdings pessimistisch, auch wenn er es als erfreulich wertete, dass sich das Bünde-Denken in der ÖVP bei der Besetzung des Finanzministeriums dieses Mal nicht durchgesetzt habe. Er hält die Situation insgesamt jedoch für verfahren und kritisierte unter anderem den überproportional großen Einfluss der Gewerkschaft auf die SPÖ. Um eine Steuerreform finanzieren zu können, schlug Vetter eine stufenweise Steuerentlastung über mehrere Jahre hinweg vor.

NEOS: Regierung bewegt sich nur scheinbar

Wenig Anlass für Vorschusslorbeeren sah auch NEOS-Klubobmann Matthias Strolz. Seine Fraktion wollte den Misstrauensantrag der FPÖ zwar nicht unterstützen, Strolz bezweifelt allerdings, dass durch die Regierungsumbildung Bewegung in die Regierungsarbeit kommt. Die SPÖ gebärde sich wie ein "politisches Ringelspiel", das sich augenscheinlich zwar bewege, in Wahrheit aber immer am gleichen Platz stillstehe. Sie werde keine Pensionsreform zulassen, habe keinen Mut zu einer Föderalismus- und Verwaltungsreform, sei nicht bereit für eine echte Bildungsreform "jenseits ideologischer Grabenkämpfe" und agiere bei der Steuerreform nach dem Motto "eat the rich", kritisierte er. Bei der ÖVP ortet er zwar mehr Bewegung, diese werde seiner Einschätzung nach aber die Volkspartei tief spalten. Strolz bezweifelt in diesem Sinn, dass die Reformpläne des ÖVP-Wirtschaftsflügels und der neuen Regierungsmannschaft über das Papier hinaus umgesetzt werden.

Auch NEOS-Abgeordnete Beate Meinl-Reisinger glaubt nicht, dass die personellen Rochaden in der Regierung angesichts des ständigen "Kotaus" von ÖVP und SPÖ vor den Landeshauptleuten, den Bünden, den Kammern, den Gewerkschaften und anderen Interessenslagen tatsächlich zu strukturellen Reformen führen werden. Vom versprochenen frischen Wind kann sie bestenfalls "den Hauch einer Hoffnung" erkennen. Ihrer Meinung nach wäre ein echter "Verantwortungs-Föderalismus" anstelle des geltenden "Spendier-Föderalismus" und ein Neustart in der Bildungspolitik dringend erforderlich.

SPÖ und ÖVP stellen sich hinter neues Regierungsteam

Hinter das neue Regierungsteam stellten sich SPÖ und ÖVP. Die Bevölkerung wolle keine Neuwahlen, sondern gute Entscheidungen der Regierung für Österreich, sagte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Er traut der Regierung zu, mit den neuen Gesichtern neu durchzustarten und die derzeit Enttäuschten wieder von ihrer Lösungskompetenz zu überzeugen.

Was die geplante Steuerreform anlangt, drängte Schieder auf mehr Gerechtigkeit im Steuersystem und einen verschärften Kampf gegen Steuerbetrug. Die Diskussion müsse ohne Scheuklappen und ohne Denkverbote geführt werden, forderte er. Sein Fraktionskollege Josef Cap hob die Bedeutung von Solidarität und Gerechtigkeit für den Zusammenhalt einer Gesellschaft hervor. In Bezug auf das neue Regierungsteam sprach Cap von "in Summe herzeigbaren Persönlichkeiten".

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka kündigte die Unterstützung der neuen Regierung durch seine Fraktion an. Wenn der Wind der Veränderung wehe, bauten die einen Mauern und die anderen Windmühlen, führte er aus und zeigte sich überzeugt, dass der neue Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zu jenen gehört, die Windmühlen bauen. Mitterlehner kenne die Politik und die Wirtschaft und auch die Möglichkeiten und die Grenzen der Politik und habe bereits in den ersten Tagen Durchsetzungsfähigkeit gezeigt. Schelling und Mahrer bringen seiner Meinung nach Managerqualitäten und Wirtschaftskompetenz mit. Das ÖVP-Regierungsteam komme mehrheitlich aus der Privatwirtschaft und nicht aus dem "geschützten Bereich", hob Lopatka hervor.

Um das Regierungsprogramm im vorgesehenen Zeitplan abzuarbeiten, brauche man aber auch die Bereitschaft der SPÖ, mahnte Lopatka. In Richtung FPÖ meinte er, es sei der falsche Weg, jemandem das Misstrauen auszusprechen ohne ihm zuvor die Chance zu geben, sich zu beweisen. Ähnlich argumentierte auch sein Fraktionskollege Jakob Auer.

Dezidiert sprach sich Auer dagegen aus, im Zuge einer Steuerreform die Grundsteuer zu erhöhen. Er warnte vor negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft. (Fortsetzung Nationalrat) gs