Parlamentskorrespondenz Nr. 937 vom 21.10.2014

EU-Klimaziele - Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Umweltschutz

EU-Hauptausschuss diskutiert über Klima- und Wirtschaftspolitik

Wien (PK) – Die EU will mit ihren Klima- und Energiezielen für 2030 den CO2 Ausstoß um 40% reduzieren, wobei die Basis dafür die Werte von 1990 sind. Gleichzeitig soll der Anteil der erneuerbaren Energien auf 27% und die Energieeffizienz um 30% gesteigert werden. Diese Zielsetzungen sind den einen zu wenig ambitioniert, andere wiederum fürchten um den europäischen Wirtschaftsstandort, sollte der Industrie zu viel Belastung aufgebürdet werden. In diesem Spannungsfeld bewegte sich heute auch die Diskussion im EU- Hauptausschuss des Nationalrats. Bundeskanzler Werner Faymann unterstrich, dass er sich für die Verbindlichkeit der Klimaziele einsetzen werde, gleichzeitig machte er klar, dass aus seiner Sicht berücksichtigt werden müsse, wenn ein Land wie Österreich bereits jetzt weitgehend mit sauberer Energie arbeitet und hohe Standards vorweisen kann. Seine Haltung fand bei einem Großteil der Abgeordneten Unterstützung, lediglich die Grünen sprachen von ambitionslosen Zielmarken und sogar von einer Gefahr für den Klimaschutz, sollte man bei diesen Marken bleiben. Vor allem brauche die EU vor der UNO-Klimakonferenz in Paris 2015 wirksame und mutige Ziele, meinen die Grünen. Mit ihrem diesbezüglichen Antrag auf Stellungnahme konnten sie die anderen Fraktionen jedoch nicht mit ins Boot holen.

Faymann: Aufhebung der Russland-Sanktionen, wenn es wirklichen Waffenstillstand gibt

Weit weniger gingen die Abgeordneten auf die beim bevorstehenden EU-Gipfel zu diskutierende Frage ein, wie das vom designierten Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker angekündigte Investitionspaket in der Höhe von 300 Mrd. € zur Ankurbelung der schwächelnden europäischen Wirtschaft umgesetzt werden kann. Strittig ist dabei vor allem, wie flexibel die Bestimmungen zum ESM interpretiert werden können.

Die FPÖ nützte die Debatte, die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Russland-Sanktionen zu thematisieren und forderte in einem Antrag auf Stellungnahme den Bundeskanzler auf, sich für eine sofortige Aufhebung der Sanktionen einzusetzen. Faymann bekräftigte darauf, man dürfe die Sanktionen nicht überschätzen. Dennoch hätten sie einen Beitrag dazu geleistet, dass es jetzt einen Friedensplan gibt, russische Soldaten zurückgezogen wurden und eine Vereinbarung zu einem Waffenstillstand, auch wenn dieser löchrig ist, vorliegt. Er werde dann für die Aufhebung der Sanktionen eintreten, wenn es eine Waffenruhe gibt, die ihren Namen verdient und die Forderung der EU, die Souveränität eines Landes zu respektieren, erfüllt ist. Jedenfalls wende er sich gegen erweiterte Sanktionen und ziehe Gespräche vor. Er sei auch gegen einseitige Schuldzuweisungen, sagte der Kanzler.

In dieser Haltung wurde er von Abgeordnetem Josef Cap (S) unterstützt, der eindringlich vor einer Rhetorik des Kalten Kriegs und dem Aufrüsten mit Atomraketen in Ost und West warnte. Wolfgang Gerstl (V) teilte ebenfalls die Auffassung des Bundeskanzlers und betonte, dass die Neutralität in keiner Weise im Gegensatz zu wirtschaftlichen Sanktionen stehe. Neutralität heiße auch, dass man Rechtsstaatlichkeit in anderen Ländern einfordert.

Der Antrag der FPÖ wurde lediglich vom Team Stronach unterstützt und blieb somit in der Minderheit.

Kür der EU-Kommission – Schritt zu mehr Demokratie in der EU

Die Grünen brachten zudem die Bestellung der neuen EU-Kommission zur Sprache und riefen den Kanzler in einem weiteren Antrag auf Stellungnahme auf, dieser im Rat nicht zuzustimmen. Vor allem stießen sie sich an dem spanischen Kandidaten Miguel Arias Cannete, der für Energiepolitik zuständig sein soll und in seiner Ministerzeit unter anderem für die Atomkraft und Fracking eingetreten ist, wie Tanja Windbüchler-Souschill (G) argumentierte. Der Kanzler reagierte auf den Antrag "mit Verwunderung", zumal das Europäische Parlament aufgewertet wurde und es daher dem Rat nicht gut anstünde, die Entscheidung des Parlaments nicht zu respektieren. Die Abgeordneten Andreas Schieder und Josef Cap (beide S) unterstrichen ihrerseits, dass im Zuge des Hearings im Europäischen Parlament eine sehr sachliche Diskussion geführt worden sei. Der Prozess, wie die Kandidatinnen und Kandidaten für die künftige EU-Kommission gekürt werden, stelle einen wesentlichen Schritt zu mehr Demokratie in Europa dar, gaben sie zu bedenken.

Von Abgeordnetem Andreas Karlsböck (F) wurde zudem das Thema Ebola in die Diskussion eingebracht. Er kritisierte das diesbezügliche Management innerhalb der EU als unkoordiniert und Ausdruck der Hilflosigkeit. Kurz- und mittelfristig hilft seiner Meinung nach nur, in den betreffenden Gebieten eine medizinische Infrastruktur aufzubauen. Karlsböck befürchtet, dass auch Österreich nicht wirklich vorbereitet ist, und vermisste vor allem spezielle Isolierstationen. Der Bundeskanzler informierte, dass die EU darüber diskutiere, wie man die medizinische Hilfe und Versorgung in den afrikanischen Ländern verbessern könne, und berichtete, dass die EU-GesundheitsministerInnen eine gemeinsame Linie zur besseren Koordination erarbeiten.

Klima- und Energiepolitik: Suche nach der richtigen Balance

Vorherrschendes Thema im Ausschuss war die Klimapolitik der EU und Österreichs. Dezidiert sprach sich Bundeskanzler Werner Faymann für eine ambitionierte Klimapolitik der EU mit verbindlichen Zielsetzungen aus. Ob bei diesem Gipfel schon Beschlüsse gefällt werden, könne er nicht sagen, jedenfalls wolle man zukunftsfähige und unabhängige Energielösungen erreichen. Nur mit einer klaren Haltung werde die Europäische Union in Diskussion mit anderen Ländern treten können, sagte er. Angesichts der Tatsache, dass einige Länder, darunter auch Österreich, bereits jetzt hohe Umweltstandards einhalten und mit sauberer Energie arbeiten, müsse dies auch in der Berechnung Berücksichtigung finden, damit es nicht zu einer Auslagerung der Produktion ins Ausland kommt. Das BIP pro Kopf alleine heranzuziehen, genüge keineswegs. Dieses durchaus reale Phänomen des Carbon Leakage dürfe nicht außer Acht gelassen werden, bemerkte der Kanzler. Für ihn wird es bei der Umsetzung der Klimaziele aber auch notwendig sein, die Wegekostenrichtlinie zu überarbeiten. Hier habe die EU durchaus Nachholbedarf, ergänzte er mit Nachdruck. Faymann räumte zudem ein, dass auch Maßnahmen in Österreich selbst erforderlich sein werden. Das betreffe die Energieeffizienz und die erneuerbare Energie, etwa den Ausbau der Wasserkraft.

Dem konnten sich die Grünen in keiner Weise anschließen. Während der Bundeskanzler im Hinblick auf die Klimaziele von einen gemeinsamen Prozentsatz für die EU ausgeht, verlangen sie verbindliche Einzelziele für die Mitgliedstaaten. Sie treten ferner dafür ein, bis 2030 ein Energiesparziel von 40%, ausgehend vom Jahr 2010, festzulegen. Geht es nach den Grünen, sollten die erneuerbaren Energien bis 2030 einen Anteil von 45% des Energieendverbrauchs aufweisen, für die CO2-Reduktion sehen die Grünen eine Marke von 55% vor. Christiane Brunner (G) begründete den Vorstoß mit einem dringenden Handlungsbedarf. Dies erkenne man an den Naturkatastrophen, die in vermehrter Anzahl auftreten. Deshalb sehe sie die Frage des Carbon Leakage nicht als erste Priorität an, vielmehr habe die Sicherung unserer Lebensgrundlagen absoluten Vorrang. In diesem Zusammenhang hält Brunner eine Lastenverteilung zugunsten ärmerer Länder für unumgänglich. Dem Bundeskanzler warf sie vor, Österreich sei weit entfernt davon, in Sachen Klimaschutz eine Vorreiterrolle zu spielen. Auch das Auftreten in Brüssel zu diesen Fragen sei nicht klar genug in Richtung bindender Ziele und eines größeren Anteils an erneuerbaren Energien. Solle man den Prozentsatz der erneuerbaren Energien nicht auf mindestens 30% erhöhen, bedeute das 20 Atomkraftwerke mehr, warnte Brunner. Grundsätzlich beklagte Brunner wie ihr Klubkollege Werner Kogler, die Bundesregierung informiere die Abgeordneten nicht ausreichend über deren Position in Brüssel. Auch dem Parlament würden nicht die erforderlichen Dokumente zur Verfügung gestellt, manche seien sogar von der Bundesregierung als vertraulich eingestuft.

Im Gegensatz dazu konstatierten Hannes Weninger (S) und Christine Muttonen (S), Österreich habe ambitionierte Klimaziele festgelegt und befinde sich bei deren Umsetzung auf gutem Weg. Es gehe darum, dass man weltweit zu einer Reduktion von CO2-Emmissionen kommt, sagte Weninger, gleichzeitig müsse man auch wirtschaftliche Vernunft walten lassen. Von einem niedrigeren Niveau könne man leichter Erfolge erzielen, ergänzte er. Muttonen kritisierte ihrerseits scharf die Zustimmung der EU-Kommission zu den Milliarden-Subventionen für ein englisches Atomkraftwerk und begrüßte die Absicht der österreichischen Regierung, dies beim EuGH anzufechten.

Man brauche eine Balance zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit, warf Reinhold Lopatka (V) ein und wies in diesem Zusammenhang auf die hohe Arbeitslosigkeit in Europa hin. Anzustreben sei ein fairer Lastenausgleich. Ins gleiche Horn stieß Brigitte Jank (V), die in dieser Frage auf die Einigkeit der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter hinwies. Ihr zufolge sind alle Anstrengungen zu unternehmen, um das hohe Know-How Österreichs im Hinblick auf Innovationen in andere Länder zu transferieren.  Auch Hermann Schultes (V) hielt den Vorschlag des Rats zu den Klimazielen für ausgewogen und unterstrich die Notwendigkeit, erneuerbare Energieträger auszubauen und die Energieeffizienz zu verbessern, gleichzeitig aber den Mitgliedstaaten die Freiheit zu lassen, welchen Energiemix sie verwenden. Alle drei ÖVP-Abgeordneten bekräftigten, es müsse Ziel der EU sein, die Kernenergie zurückzudrängen.

Für eine Balance zwischen Umweltschutz und Wettbewerbsfähigkeit sprachen sich auch die Abgeordneten Rouven Ertlschweiger (T) und Reiner Hable (N) aus. Man müsse die hohe Arbeitslosigkeit berücksichtigen und dürfe den Wirtschaftsstandort Österreichs nicht gefährden, warnte Ertlschweiger, der zudem meinte, Österreich sei bei den erneuerbaren Energien gar nicht so schlecht unterwegs. Österreich habe seinen Industriestandort sichern können, daran hingen viele kleine und mittlere Betriebe, weshalb man dieses wichtige Rückgrat der österreichischen Wirtschaft nicht gefährden dürfe, merkte Hable an.

Johannes Hübner (F) zweifelte grundsätzlich höhere Energie- und Klimaziele an und führte aus seiner Sicht ins Treffen, dass die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Verschärfung fehlten. Außerdem seien viele Bereiche der erneuerbaren Energie, wie zum Beispiel Agrotreibstoffe, äußerst zweifelhaft.

Wie treibt man 300 Mrd. € für die europäische Wirtschaft auf?

Laut Faymann geht es in der wirtschaftspolitischen Diskussion beim kommenden Gipfel um die Frage, wie ernsthaft das 300 Milliarden-Paket Jean-Claude Junckers zur Ankurbelung der Wirtschaft umgesetzt werden kann. Vor allem sei zu klären, welche Schwerpunkte man im Budget setzt und ob man bei einer strengen Auslegung des Stabilitätspakts ausschließlich spart, oder man die Zeit dafür gekommen sieht, zu investieren und im Rahmen des Stabilitätspakts Spielräume auslotet. Österreich trete dafür ein, die Spielräume zu nutzen, unterstrich Bundeskanzler Faymann, und stärker darauf zu achten, inwieweit der Einsatz der Mittel auch dort ankommt, wo es notwendig ist.

Seitens der Abgeordneten Johannes Hübner (F) und Rainer Hable (N) wurde vor allem die aktuelle Politik der EZB heftig kritisiert. Man sei drauf und dran, aus der EZB eine "bad bank" zu machen, fürchtete Hübner und zeichnete ein düsteres Szenario für die Eurozone. Ähnlich sieht dies Hable, der den Plan der EZB, auch noch Anleihen aus Frankreich anzukaufen, als Beweis dafür wertete, dass die Krise nun im Herzen Europas angekommen ist. Hable warf Frankreich vor, sich den Regeln der EU nicht unterordnen, keine Reformen umsetzen und die Krise einfach aussitzen zu wollen. Wolfgang Gerstl (V) warnte in Reaktion auf Hübner davor, aus dem Euro auszusteigen. Auch als Österreich noch den Schilling hatte, sei dieser an die D-Mark gekoppelt gewesen, sagte er und sprach sich vehement für eine einheitliche Geldmarktpolitik aus, vor allem mit Ländern, die zu den wichtigsten Exportmärkten Österreichs gehören. (Schluss) jan