Parlamentskorrespondenz Nr. 944 vom 22.10.2014

Gesundheitsreform: Strukturverbesserung ohne Leistungseinschränkung

Gesundheitsministerin Oberhauser wird mit 82 dringlichen Fragen im Nationalrat konfrontiert

Wien (PK) – Erst kurz im Amt, musste sich bereits heute die neue Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser im Plenum des Nationalrats einer Dringlichen Anfrage stellen. Die NEOS hegen große Zweifel, dass die von der Regierung geplante Gesundheitsreform auch in der erforderlichen Art und Weise umgesetzt wird, um den demografischen, gesundheitspolitischen und budgetären Herausforderungen tatsächlich gerecht werden zu können. Vielmehr herrscht nach Auffassung der AnfragestellerInnen nach wie vor das Prinzip der Symptombekämpfung vor. Auf gesundheitspolitische Anliegen reagiere die Bundesregierung vorwiegend punktuell, kurzfristig und angesichts der schwierigen Kompetenzlage außerhalb eines abgestimmten Gesamtkonzepts, lautet der Vorwurf. Für NEOS-Abgeordneten Gerald Loacker äußert sich die Ministerin auch viel zu relativierend und zögerlich, wenn es um konkrete Reformpunkte geht. "Wir möchten, dass die Reform einen Erfolg hat", bekräftigte er und rief dazu auf "zusammen auf das Gaspedal zu steigen", und zwar mit Blick auf das große Ganze. Bundesministerin Oberhauser hielt dem entgegen, dass sich die Gesundheitsreform auf gutem Weg befinde.

Die Forderung der NEOS nach mittelfristiger Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger fand ebenso wenig ausreichende Unterstützung wie ihr Antrag auf Ermöglichung der Anstellung von ÄrztInnen durch ÄrztInnen im niedergelassenen Bereich, ohne dabei die Rechtsfolge des Aufstiegs zum Ambulatorium auszulösen.

NEOS für Zurückdrängung des Föderalismus im Gesundheitsbereich

Zur Untermauerung seiner Kritik am schleppenden Reformprozess führt Gerald Loacker (N) etwa das Vorhaben an, im niedergelassenen Bereich neue Versorgungsformen zu etablieren. Dieser Plan sei bislang nicht über das Stadium eines Konzepts hinaus gelangt. Auch die Festlegung, wo eine Gesundheitsleistung am medizinisch besten und für das System kostengünstigsten erbracht werden kann ("Best Point of Service"), sei nur theoretisch und mit geringem praktischen Wert geführt worden. Loacker vermisst zudem bundeseinheitliche und transparente Qualitätsstandards und eine für die Bevölkerung nachvollziehbare, veröffentlichte Qualitätsmessung. Er bemängelt ferner, dass das seit langem angekündigte telefon- und webbasierte Erstberatungsservice (TEWEB) zur besseren Orientierung der Patientinnen und Patienten noch immer nicht implementiert ist und sich der Start der elektronischen Gesundheitsakte ELGA verzögert.

Skepsis scheint den NEOS auch hinsichtlich der Kostenentwicklung geboten, die ständig nach oben zeige und laut Rechnungshof unter anderem auf die komplexe bzw. fragmentierte verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung und intransparente Finanzstruktur, die zersplitterte Organisationsstruktur in den Krankenanstalten, das unzureichende Personal- und Dienstrecht und die Strukturprobleme im Sozialversicherungsbereich zurückzuführen ist. Klubobmann Matthias Strolz (N) prangerte daher in seiner Wortmeldung den überbordenden Föderalismus im Gesundheitssystem an, ohne diesen grundsätzlich in Frage zu stellen. "Der Föderalismus in Österreich heißt organisierte Verantwortungslosigkeit", formulierte er spitz, es sei durchaus ein anderer Föderalismus möglich, wie man ihn in der Schweiz praktiziere. Er rief daher die Ministerin auf, Mut für eine entschiedenen Erneuerung der Kompetenzlage aufzubringen und damit Schwachstellen und Strukturprobleme im Gesundheitssystem abzustellen. Als nächste große diesbezügliche Chance, die es zu nützen gilt, sieht er den kommenden Finanzausgleich. Loacker forderte in diesem Zusammenhang eine bessere Abstimmung des niedergelassenen Bereichs mit den Spitälern und damit eine notwendige Kompetenzbereinigung.

Was die Sanierung der Krankenkassen betrifft, so orten die NEOS bei der Leistungserbringung eine Verschiebung hin zum Privatsektor. Das sehe man daran, dass die Zahl der Ärzte und Ärztinnen mit Kassenvertrag nur geringfügig gestiegen ist, jene der Wahlärztinnen und –ärzte sich aber verdreifacht habe, führte Loacker an. Die NEOS stört angesichts der demografischen Entwicklung auch die Tatsache, dass die Bereiche Gesundheit und Pflege auf Bundesebene in unterschiedlichen Ressorts angesiedelt sind. Diese beiden Fragen seien ganzheitlich zu betrachten und sollten daher zusammengeführt werden, lautet der Appell Loackers.

Oberhauser: Die Gesundheitsreform befindet sich auf gutem Weg

82 Fragen zu den genannten Themenbereichen legten somit die NEOS Gesundheitsministerin unter dem Titel "Echte Strukturreformen und völlige Transparenz für ein enkelfittes Gesundheitssystem" vor. Oberhauser stellte dazu eingangs fest, dass sich die Gesundheitsreform auf einem guten Weg befinde. Mit Bund, Ländern und Sozialversicherungen sei es gelungen, eine partnerschaftliche Zielsteuerung abzuschließen, welche die Absicherung und den kontinuierlichen Ausbau des Gesundheitssystems gewährleiste. Dank der mehrjährigen detaillierten Zielsteuerungsverträge auf Bundes- und Landesebene gebe es nun erstmals über alle Sektoren hinweg gemeinsame Ziele, an die sich alle Beteiligten halten müssen und die auch für die Öffentlichkeit einsehbar seien. Die Ministerin beantwortete damit die Frage, ob sie es für sinnvoll halte, die Kompetenzzersplitterung im Gesundheitswesen durch privatrechtliche Verträge zwischen Bund, Ländern und Hauptverband ohne Bereinigung der Kompetenzlage teilweise zu überwinden, mit einem klaren Ja.

Was die Qualitätssicherung in den Spitälern betrifft, so verwies die Ministerin auf die Website www.spitalskompass.at, wo alle Spitäler, alle Leistungen und alle Fallzahlen publiziert werden. Des Weiteren hob sie das Projekt A-IQI (Austrian Inpatient Quality Indicators) hervor, womit man ein System der Ergebnisqualitätsmessung im Spitalsbereich etabliert habe. Der erste Bericht sei bereits veröffentlicht, am zweiten arbeite man derzeit, informierte sie. Für eine umfassende Qualitätsmessung brauche es aber viele Bausteine, sagte Oberhauser, daher stelle dies ein langfristiges Projekt dar.   

Wenn die Datensicherheit und die Usability gesichert seien, werde die Umsetzung von ELGA weiter voranschreiten, bekräftigte Oberhauser. Dafür sei aber nicht nur der Bund allein verantwortlich, sondern im selben Ausmaß auch die Länder, Sozialversicherungen und sämtliche Anbieter im Gesundheitsdienst, wie etwa Spitäler, ÄrztInnen und Apotheken.

Die Ministerin zeigt sich auch zufrieden mit der Lage der Krankenkassen, die sich in einer stabilen Lage befänden. Seitens des Bundes wurden 1,2 Mrd. zugeschossen, die Krankenkassen selbst haben eine Eigenleistung in der Höhe von rund 3 Mrd. € erbracht.

Die Ausrichtung des Gesundheitsreform am "Best Point of Service", also am optimalen Versorgungsort, hält die Ministerin für den richtigen Weg. Wir wollen ein multiprofessionelles gemeinsames Team, das entsprechend den regionalen Bedürfnissen unterschiedlich ausgestaltet wird, stellte sie fest. Man habe sich auch vorgenommen, den tagesklinischen Bereich zu verbessern, informierte Oberhauser.

Kritik an der Dringlichen Anfrage – Warnung vor Umkrempelung des Gesundheitssystems

In der anschließenden Diskussion zeigten die RednerInnen der anderen Fraktionen wenig Verständnis für die Dringliche Anfrage der NEOS. Sie richte sich an eine Ministerin, die erst sieben Wochen im Amt ist, so der Tenor.

Der ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger bezeichnete die NEOS als "gesundheitspolitische Geisterfahrer". Das österreichische Gesundheitswesen sei eines der weltbesten, betonte Rasinger, auch im Vergleich zu Finnland, das nicht einmal einen Notfallhubschrauber besitzt, oder zu den Niederlanden, wo man nur ein einziges Unfallzentrum auf hohem Niveau findet. Die zentrale Frage des Gesundheitssystem sei es, den Menschen rasch und kompetent Hilfe anzubieten, wenn sie krank sind. Für notwendig hält es der Allgemeinmediziner Rasinger insbesondere, die Ärztinnen und Ärzte von unnötigem Ballast zu befreien, der die Zeit für das notwendige Patientengespräch raubt. Er kritisierte auch die Studie der OECD als erbärmlich, weil diese unseriös zustande gekommen sei.

Einen Frontalangriff auf die NEOS startete Erwin Spindelberger (S), der eindringlich davor warnte, das bewährte solidarisch finanzierte Gesundheitssystem komplett auf den Kopf zu stellen, wie dies die NEOS haben wollten. Vielmehr gelte es, so Spindelberger, das System für künftige Herausforderungen in Abstimmung mit allen Akteuren fit zu machen und effizienter zu gestalten. Die SPÖ wehre sich vehement gegen eine Zerschlagung des Systems und gegen Leistungskürzungen, machte Spindelberger klar, es gehe in erster Linie um einen Paradigmenwechsel weg von der Krankheitsorientierung und hin zur Gesundheitsorientierung.  

Ebenso wandte sich Eva Mückstein (G) dagegen, bei den Patientinnen und Patienten zu sparen. Die Gesundheitsreform dürfe nicht zur Mogelpackung für Einsparungen werden, sagte sie, und sprach sich dafür aus, bei der solidarischen Versorgung zu bleiben. Leider gerieten sämtliche Konzepte ins Stocken, wenn es um die Finanzierung gehe, bedauerte Mückstein und ortete vielerorts Tendenzen, das Gesundheitswesen nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu organisieren. Mückstein sprach sich auch für eine Demokratisierung des Versicherungssystems durch "Sozialwahlen" aus. Für Markus Franz (T) ist es wichtig, diejenigen anzusprechen und mit Wertschätzung zu behandeln, die die Reform tragen. Seitens des Team Stronach trat er dafür ein, die Systeme zusammen zu führen, da dies die einzige Möglichkeit darstelle, einen gerechten und fairen Zugang für alle sicherzustellen. Für die Qualitätssicherung fehlen ihm Messindikatoren, ELGA lehnt er ab und hinsichtlich der föderalen Struktur sieht Franz ebenfalls die Schweiz als Vorbild. Die Chance für eine wirkliche Strukturreform sei bisher vertan worden, kritisierte Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) und ortete Fehlentwicklungen etwa bei ELGA, beim Brustkrebs-Screening. Auch der Ärztemangel stimmt sie bedenklich, die Reform der Ärzteausbildung werde die Situation nur wenig verbessern, befürchtet sie. Sie hätte sich anstelle der Anfrage, die in ihren Augen zu viele Themen betrifft und keine Zielrichtung erkennen lässt, eine Diskussion zu Ebola gewünscht.

Koalition unterstreicht hohe Qualität des heimischen Gesundheitssystems

Österreich habe eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, biete es doch allen Menschen unabhängig von ihrem Einkommen eine optimale Gesundheitsversorgung unterstrich auch SPÖ-Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig, die sich mit Nachdruck zur solidarischen Finanzierung bekannte. Nun gelte es, der Reform – und auch der neuen Ministerin – Zeit zu geben, meinte sie ebenso wie Norbert Sieber von der Volkspartei. Die bereits erfolgte flexible Neuregelung der Ärztearbeitszeit wertete SPÖ-Mandatar Johann Hechtl dabei als ersten positiven Schritt. Sein Fraktionskollege Michael Ehmann wies die von NEOS-Abgeordneter Beate Meinl-Reisinger geforderte Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger vehement zurück und warnte, dies würde auf eine Leistungskürzung zu Lasten der Versicherten hinauslaufen. Den NEOS warf er dabei vor, bloß wirtschaftliche Interessen zu verfolgen und "Sozialversicherungs-Bashing" zu betreiben.

Von der hohen Qualität des heimischen Gesundheitssystems war ÖVP-Abgeordneter Karlheinz Töchterle ebenfalls überzeugt. Mit 19,9 medizinischen Abschlüssen pro 100.000 Einwohner sei Österreich in Europa Spitze, auch gebe es bei uns die höchste Zahl an Ärzten pro Einwohner. Ein Ärztemangel ist nach den Worten Töchterles nicht zu befürchten. Handlungsbedarf sieht er allerdings bei der Liberalisierung der ärztlichen Hausapotheken, wobei seine Fraktionskollegin Angela Fichtinger in diesem Zusammenhang auf Probleme der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum hinwies. Erste Verbesserungen erhofft sich hier allerdings ÖVP-Mandatar Manfred Hofinger durch die in der Plenarsitzung morgen zur Debatte stehende Änderung des Ärztegesetzes.

Opposition drängt weiter auf Reformen

Mehr Tempo urgierte hingegen Rainer Hable von den NEOS. Die Regierungsparteien würden offensichtlich um ihre Pfründe fürchten, die sie bei einer Reform verlieren, vermutete er. Dabei sei doch klar, dass es so nicht weitergehen kann. Wenn wir beim derzeitigen Kurs bleiben, dann fahren wir direkt gegen die Wand, warnte Hable. In Zukunft müsse es jedenfalls eindeutig zugeordnete Verantwortungen geben, bemerkte er und fand dabei ebenso wie seine Fraktionskollegin Beate Meinl-Reisinger kritische Worte für den Föderalismus. Mehr Vertrauen in das Gesundheitssystem erwartet sich schließlich Michael Pock (N) von Bürgerbeteiligungen bei der Entwicklung von regionalen und lokalen Gesundheitszentren.

Seitens der Freiheitlichen sah Andreas Karlsböck das österreichische Gesundheitssystem vor allem durch lange Wartezeiten und Anfahrtswege, Leistungskürzungen und Ärztemangel am Land gekennzeichnet. FPÖ-Abgeordneter Rupert Doppler wiederum umriss die Gesundheitsreform der Bundesregierung mit den Worten "immer mehr Bürokratie, immer weniger Zeit für die Patienten". Einsparungen sollte es nach Meinung Karlsböcks jedenfalls nicht beim Angebot, sondern bei den Strukturen geben, auch wäre die Zahl der Kassenplanstellen anzuheben.

Für die Grünen wies Sozialsprecherin Judith Schwentner auf fehlende Schnittstellen zwischen Pflege und Gesundheit hin und meinte, dies wirke sich gerade bei der Versorgung älterer Menschen nachteilig aus. Defizite würden aber auch bei einer qualitativ hochstehenden Pflegeausbildung bestehen. Verbesserungsbedarf zeigte Grünen-Behindertensprecherin Helene Jarmer bei der Notfallversorgung für Menschen mit Behinderung sowie bei der Barrierefreiheit der Gesundheitseinrichtungen auf.

Das Gesundheitssystem sei gut, aber viel zu teuer, lautete das Urteil von Team Stronach-Klubobfrau Kathrin Nachbaur, die vor allem eine Einschränkung des Spitalsbereichs zugunsten der niedergelassenen Ärzte forderte. Auch sollten Einnahmen und Ausgaben in einer Hand gebündelt werden, zumal es nicht angehe, dass die Länder immer in die Taschen des Bundes greifen. Im Übrigen äußerte Nachbaur die Überzeugung, nur freies Unternehmertum für Ärzte und deutlich reduzierter Bürokratieaufwand würden eine optimale Gesundheitsversorgung sicherstellen. Ihre Fraktionskollegin Waltraud Dietrich bekräftigte zudem die Forderung des Team Stronach nach einer transparenten und einfach finanzierten Pflegeversicherung und warnte darüber hinaus auch vor drohendem Facharztmangel im ländlichen Raum. (Fortsetzung Nationalrat) jan/hof