Parlamentskorrespondenz Nr. 1011 vom 04.11.2014

Gesetzesbeschwerde: Verfassungsausschuss billigt Ausführungsgesetz

Fraktionen verhandeln bis zum Plenum über Änderungen

Wien (PK) – Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren können sich ab kommendem Jahr direkt an den Verfassungsgerichtshof wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass ein erstinstanzliches Gerichtsurteil auf Basis eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. einer gesetzeswidrigen Verordnung erfolgte. Die entsprechenden verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür hat das Parlament bereits im Juni vergangenen Jahres beschlossen, heute gab der Verfassungsausschuss des Nationalrats mit den Stimmen der Koalitionsparteien und des Team Stronach grünes Licht für das noch fehlende Ausführungsgesetz. Auch FPÖ, Grüne und NEOS können sich prinzipiell eine Zustimmung im Plenum vorstellen, sie wollen das aber von der konkreten Ausgestaltung des Abänderungsantrags abhängig machen, den Ausschussobmann Peter Wittmann in Aussicht stellte.

Mit dem Ausführungsgesetz (263 d.B.) wird der so genannte "Parteienantrag auf Normenkontrolle" im Verfassungsgerichtshofgesetz, in der Zivilprozessordnung, im Außerstreitgesetz und in der Strafprozessordnung verankert. Voraussetzung für die Anrufung des Verfassungsgerichtshof (VfGH) durch eine Verfahrenspartei ist die rechtzeitige Erhebung eines Rechtsmittels gegen das erstinstanzliche Urteil. Die Gesetzesbeschwerde ist direkt beim VfGH einzubringen, dieser muss beim Gericht zu eruieren, ob gegen das Urteil ordnungsgemäß berufen wurde. Neben natürlichen Personen sind unter anderem auch Verbände nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, Haftungsbeteiligte gemäß Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz und Medieninhaber antragslegitimiert. In Jugendstrafsachen kann auch der gesetzliche Vertreter eine Normenkontrolle beantragen.

Die für die Berufung zuständige Gerichtsinstanz darf bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs nur solche Handlungen vornehmen oder Anordnungen und Entscheidungen treffen, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden. Eine Entscheidungsfrist für den VfGH ist nicht vorgesehen, allerdings bekräftigen die Abgeordneten heute in einer einstimmig angenommenen Ausschussfeststellung die Erwartung, dass der Verfassungsgerichtshof über Parteienanträge auf Normenkontrolle rasch entscheidet, um unnötige Verfahrensverzögerungen zu vermeiden.

Um den Zweck bestimmter Verfahren nicht zu vereiteln, sind einzelne Ausnahmen von der Gesetzesbeschwerde vorgesehen. So ist im Zusammenhang mit Exekutions-, Besitzstörungs- und Beweissicherungsverfahren, Verfahren über die Kündigung von Mietverträgen, Rückstellungen widerrechtlich verbrachter Kinder, Verfahren nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und Auslieferungsverfahren keine Anrufung des Verfassungsgerichtshofs möglich. In Zivilprozessverfahren sind eingeleitete Normenprüfungen auch dem Prozessgegner zur Kenntnis zu bringen, das Rechtsmittelgericht ist an den Spruch des Verfassungsgerichtshofs gebunden.

Neu ist darüber hinaus, dass auch Gerichte erster Instanz beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung eines Gesetzes bzw. einer Verordnung beantragen können, derzeit ist ihnen das im Gegensatz zu Berufungsinstanzen verwehrt. Insgesamt rechnet die Regierung durch die neuen gesetzlichen Bestimmungen mit Mehrkosten von jährlich rund 500.000 €.

FPÖ, Grüne und NEOS wollen sich Zustimmung zum Gesetz noch überlegen

Im Rahmen der Debatte hielt FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan fest, seine Fraktion werde die Zustimmung zum vorliegenden Gesetz davon abhängig machen, was im Abänderungsantrag stehen wird. Konkret hinterfragt wurde von ihm, warum auch Beschlüsse nach dem Wohnungseigentumsgesetz in das Ausnahmeregime fallen. Schließlich seien Beschlüsse der Wohnungseigentumsgemeinschaft nicht dringlich, argumentierte er.

Abgeordneter Albert Steinhauser betonte, dass die Gesetzesbeschwerde aus Sicht der Grünen in ihrer Grundstruktur konsensual sei. Er drängte allerdings darauf, die Offenlegungspflichten für VerfassungsrichterInnen zu erweitern und wies in diesem Zusammenhang auf einen mit der Regierungsvorlage mitverhandelten und schließlich mit SPÖ-ÖVP-Team Stronach-Mehrheit abgelehnten Entschließungsantrag seiner Fraktion (53/A (E)) hin. Nach Vorstellung der Grünen sollen die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofs zur Offenlegung sämtlicher Nebenbeschäftigungen verpflichtet werden und in diesem Zusammenhang auch Beteiligungen an Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzleien, Beteiligungen an sonstigen Unternehmen, Aufsichtsratstätigkeiten, Gutachtertätigkeiten und Publikationen sowie maßgebliche ehrenamtliche Mitgliedschaften melden müssen. Es gehe nicht um ein grundsätzliches Misstrauen gegen den Verfassungsgerichtshof, versicherte Steinhauser, die für die Rechtsprechung notwendige Unbefangenheit der VfGH-RichterInnen müsse aber für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. Auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak hob die Notwendigkeit von Transparenz hervor.

Seitens der Koalitionsparteien wies Abgeordnete Michaela Steinacker (V) auf die Bedeutung von schnellen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs hin. Für die Wirtschaft sei es extrem wichtig, dass die einer Gesetzesbeschwerde zugrundeliegenden Gerichtsverfahren in absehbarer Zeit abgeschlossen werden, sagte sie.

SPÖ-Abgeordneter Johannes Jarolim sprach sich dafür aus, die formalen Anforderungen für die Gesetzesbeschwerde nicht zu hoch anzusetzen. Seiner Meinung nach sollte es ausreichen, wenn im Parteienantrag auf Normenkontrolle klar dargelegt wird, welches Problem gesehen wird. Ausschussobmann Peter Wittmann kündigte an, über offene Punkte noch bis zu den Plenarberatungen zu verhandeln, um einen möglichst breiten Konsens zu erzielen.

VfGH-Präsident Gerhart Holzinger begründete die Notwendigkeit eines präzisen Antrags auf Normenkontrolle damit, dass der Verfassungsgerichthof nur Gesetzesbestimmungen prüfen können soll, die tatsächlich angefochten werden und die für das Gerichtsurteil präjudiziell sind. Zur Frage der Offenlegung von Nebenbeschäftigungen merkte er an, es gebe eine Kultur beim Verfassungsgerichtshof, wonach VerfassungsrichterInnen generell nicht an Entscheidungen mitwirken, wenn auch nur der entfernteste Anschein einer Befangenheit besteht. Am Prinzip der Öffentlichkeit von Verfahren und an der Praxis der Entscheidungsfindung in "kleiner Besetzung" will der Verfassungsgerichtshof ihm zufolge nichts ändern, versicherte er gegenüber den Grünen.

Kanzleramtsminister Josef Ostermayr hielt fest, dass der im Gesetz verankerte Ausnahmekatalog ein Kompromiss sei, der in langwierigen Verhandlungen erzielt wurde. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) gs