Parlamentskorrespondenz Nr. 1135 vom 25.11.2014

Noch große Lücken bei Hospiz- und Palliativversorgung

Enquete-Kommission Würde am Ende des Lebens berät Finanzierung eines ausreichenden Angebots und Grundfrage der Selbstbestimmung

Wien (PK) – "Niemand soll am Ende seines Lebens allein gelassen werden". Dieser Grundsatz durchzog auch die zweite öffentliche Sitzung der Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens". Die Diskussion am 7. November hatte einen breiten Konsens darüber ergeben, dass die Hospiz- und Palliativversorgung für alle verfügbar sein muss, erinnerte eingangs die Vorsitzende der Kommission Gertrude Aubauer (V). Heute gehe es darum, wie man dieses Erfordernis umsetzen kann.

In diesem Sinne war die heutige Enquete-Kommission in 3 Themenblöcke aufgeteilt, wobei sich der erste dem Status quo der Hospiz- und Palliativversorgung und einer Bedarfsanalyse widmete. Des Weiteren sollten die Erfordernisse in Ausbildung und Praxis konkretisiert werden. Schließlich wurde das Thema "Begleitung zu Hause" näher erörtert.

Alle waren sich einig, dass es weder vom finanziellen Hintergrund noch vom Wohnort abhängen darf, wie man das Ende seines Lebens verbringt und versorgt wird. Die zentrale Frage liegt bei der Finanzierung, vor allem im Hinblick auf Budgetkonsolidierung und die Kompetenzlage sowohl zwischen Bund und Ländern als auch zwischen Sozialministerium und Gesundheitsresort. Auch herrschte völlige Übereinstimmung in der prinzipiellen Frage, dass die Selbstbestimmung des Einzelnen unantastbar ist, auch am Ende des Lebens. Wie weit diese Selbstbestimmung am Ende des Lebens aber gehen kann, das bedarf noch eingehender Erörterung, wie aus den Wortmeldungen deutlich wurde. Jedenfalls habe die Enquete-Kommission die zentrale Aufgabe, diese beiden Punkte einer Klärung zuzuführen, so der allgemeine Tenor.

Hospiz- und Palliativversorgung finanziell schlecht abgesichert

In seiner Analyse über den Status quo der Hospiz- und Palliativversorgung ortete Karl Bitschnau, Vizepräsident des Dachverbands Hospiz Österreich, einen " Fleckerlteppich". Von sechs Bausteinen in diesem Bereich sei nur einer durch eine Regelfinanzierung abgesichert, schilderte Bitschnau die prekäre Situation. So werde der Finanzbedarf für die 156 ehrenamtlichen Teams zum großen Teil durch Spenden abgedeckt, man brauche aber mehr Mittel. Auf den 36 Palliativstationen mit 307 Betten fehlen 129 Betten. Bei den 44 mobilen Palliativteams gibt es einen zusätzlichen Bedarf von 18 solcher Teams, außerdem leben diese in großer finanzieller Unsicherheit. Die 87 Hospizbetten decken laut Bitschnau nur 1/3 des geschätzten Bedarfs ab. Zusätzlichen Bedarf gibt es zudem bei der Tageshospiz. Bitschnau machte auch eingehend darauf aufmerksam, dass man in der Hospiz- und Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche sowie für junge Erwachsene erst am Anfang stehe, auch hier fehle es an der Finanzierung. Dem schlossen sich auch die Abgeordneten Gerald Loacker (N) und Katharina Kucharowits (S) an. Als positive Entwicklung bewertete Bitschnau die Tatsache, dass Palliativ- und Hospiz-Care in den regulären Pflegeeinrichtungen angekommen ist.

Forderung nach einem konkreten Stufenplan

Aufgrund dieser Situation forderte Bitschnau nachdrücklich die Ausarbeitung eines Stufenplans bis zum Jahr 2015, um spätestens 2020 Palliativ- und Hospizangebote für alle Menschen, die dieses Angebot brauchen, erreichbar, leistbar und zugänglich zu machen. Dieser Plan sollte noch vor dem Sommer des nächsten Jahres dem Parlament vorgelegt und die Umsetzung durch jährliche Berichterstattung überprüft werden, so der Vorschlag des Experten. Das setze auch eine rasche und verbindliche Klärung der Finanzierung sowie der Frage voraus, welche Versorgung durch die Sozialversicherung geleistet werden soll.

Palliativmedizinische Zusatzausbildung von Ärztinnen und Ärzten

Aus der Praxis sprach auch der Palliativmediziner vom AKH Wien Herbert Watzke. Eine Studie habe eindeutig ergeben, dass palliativmedizinische Betreuung die Lebensqualität der Betroffenen signifikant verbessere, diese weniger depressiv seien und auch wesentlich seltener auf Intensivstationen stürben. Watzke sprach sich daher für die Schaffung einer speziellen palliativmedizinischen Zusatzausbildung von Ärztinnen und Ärzten aus.

Hinsichtlich der Verankerung der Palliativmedizin in den Lehrplänen für Studierende der Medizin sei man in Österreich gut aufgestellt, hielt Watzke fest. Palliativmedizin werde als Querschnittsmaterie verpflichtend gelehrt. Auch bei der in Reform befindlichen ärztlichen Fachausbildung sei die Palliativmedizin als verpflichtender Teil in vielen Fachbereichen verankert. Die Reform beginne aber erst mit 2015, womit man bis 2021 warten müsse, bis die ersten Ärztinnen und Ärzte mit der neuen Grundlage ausgestattet sind. Das sei aber eine lange Zeit, gab Watzke zu bedenken und unterstrich mehrmals die Notwendigkeit einer palliativmedizinischen Zusatzausbildung.

Die Gesellschaft muss Rahmenbedingungen schaffen

Die Forderungen der beiden Experten wurden vom ehemaligen Präsidenten des Nationalrats und nunmehrigen Präsidenten des Österreichischen Seniorenrats, Andreas Khol, sowie vom ehemaligen Finanzminister und Vizepräsidenten des Österreichischen Seniorenrats, Rudolf Edlinger, und von der ehemaligen Nationalratsabgeordneten und Fachärztin für innere Medizin, Elisabeth Pittermann-Höcker voll inhaltlich unterstützt. Palliativmedizin sei das humanste, sagte Pittermann, der Staat sei dafür verantwortlich, dass Menschen in jeder Hinsicht nach ihren jeweiligen Bedürfnissen bestens betreut werden. Die Kosten dafür dürften nicht höher sein, als bei einer normalen Krankenbehandlung. Die Frage, wie jemand aus dem Leben scheiden möchte, sei ein gesellschaftspolitisches und ethisches Problem, merkte Edlinger an, die Gesellschaft müsse jene Rahmenbedingungen schaffen, die der Würde am Ende des Lebens entsprechen. Das bedeute umfassende Verfügbarkeit und ein flächendeckendes Netz. Der ehemalige Finanzminister thematisierte in diesem Zusammenhang auch die Budgetknappheit und meinte dazu: "Wir müssen wissen, was wir wollen".

Khol wiederum appellierte an die Kommissionsmitglieder, in der Sozialversicherung einen Rechtsanspruch auf hospiz- und palliativmedizinische Betreuung zu verankern. Khol setzte sich auch vehement für einen leichteren Zugang zur Vorsorgevollmacht ein und verlangte, dass die Kosten für die Patientenverfügung von den Krankenkassen zu tragen sind. Erforderlich dabei ist seiner Ansicht nach auch eine ärztliche Beratung, ferner hält es Khol für sinnvoll, eine vorhandene Patientenverfügung im Rahmen der elektronischen Gesundheitsakte auf der E-Card zu vermerken. Er war darin eines Sinnes mit Rudolf Edlinger. Zudem machte Khol darauf aufmerksam, dass die Reform der Sachleistungen bei der Pflege überfällig sei. Es sei auch genau zu überlegen, was in einer Patientenverfügung drinnen stehen darf und soll, gab Patientenanwältin Sigrid Pilz zu bedenken.

Finanzierung – eine zentrale Frage

Auch die Abgeordneten nahmen die Vorschläge von Bitschnau und Watzke positiv auf. Man war sich einig, dass die Finanzierung die zentrale Frage darstellt, um den Bedarf an Palliativ- und Hospizangeboten sicherzustellen. Michaela Steinacker von der ÖVP sprach in diesem Zusammenhang von bereichsübergreifenden Lösungen und der Notwendigkeit, die vorhandenen Strukturen zu verbessern und effizient zu gestalten. Ulrike Königsberger-Ludwig (S) meinte, es sei zu überlegen, wo die Hospizbetreuung am besten angesiedelt werden soll. Jedenfalls sei der Palliativgedanke durchgehend zu verankern.

Selbstbestimmung bis ans Ende des Lebens

Sowohl Khol als auch Edlinger gingen in ihren Wortmeldungen eingehend auf die Selbstbestimmung des Einzelnen ein, wobei Khol davon ausging, dass auf keinen Fall im letzten Lebensabschnitt auf Menschen Druck ausgeübt werden darf - etwa von ErbInnen, von ÄrztInnen oder Pflegepersonal. Die freie Selbstbestimmung des Menschen müsse bis zum Ende dauern, konstatierte er. Edlinger räumte seinerseits ein, dass er keine Antwort darauf wisse, wie weit selbstbestimmtes Sterben gehen könne. Von einigen Experten wurde in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass Menschen oft die Sorge belastet, anderen am Ende des Lebens zur Last zu fallen.

Ähnlich äußerte sich Abgeordnete Daniela Musiol von den Grünen. Bei diesen Fragen gehe es um Wertehaltungen und individuelle Erfahrungen, sagte sie. Das mache es schwierig, einen Weg zu finden, der für alle gelten soll. Für sie steht daher fest, dass Rahmenbedingungen und klare Kompetenzen zu schaffen sind, damit alle ihren letzten Weg selbstbestimmend gehen können. Selbstbestimmung ist ein Grundwert für jeden Menschen, betonte auch Ulrike Königsberger-Ludwig von der SPÖ. Das habe auch am Ende des Lebens zu gelten sowie für die Frage, wie man aus dem Leben scheidet.

Die Frage der Selbstbestimmung in Bezug auf das Lebensende wurde auch von Marianne Karner, Generalsekretärin der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation BIZEPS, aufgeworfen. Kritisch merkte sie an, dass gerade bei Menschen mit Behinderung eine Tendenz bestehe, das Sterben schneller "zuzulassen", als bei Personen, denen man einen höheren gesellschaftlichen Wert zumesse. Aktive Sterbehilfe und assistierte Selbstmord seien daher grundsätzlich abzulehnen. Die Erfahrung der Niederlande zeige nämlich, dass meist nicht die Betroffenen, sondern ÄrztInnen und Angehörige darüber entscheiden. Pflegeheime dürften jedoch keine "Sterbehäuser" für Menschen mit Behinderung werden. Die Ausbildung müsse daher die Perspektiven der Behinderten einnehmen und Verständnis dafür schaffen, dass Behinderung nicht automatisch mit "Leiden" gleichzusetzen ist. Das könne nicht theoretisch erfolgen, sondern brauche den direkten Umgang und Austausch mit Menschen mit Behinderung bzw. mit chronischen Erkrankungen.

Ausbildung und Praxis der Palliative Care muss soziale Kompetenzen stärken

Dringender Finanzbedarf herrscht auch in Bezug auf die Aus- und Weiterbildung im Bereich der Palliative Care. In den Wortmeldungen wurde daher die Notwendigkeit bekräftigt, die Finanzierung flächendeckend sicherzustellen. Konsens bestand darin, dass ein breiter interdisziplinärer Ansatz notwendig ist, sowohl in der MedizinerInnen- als auch in der Pflegeausbildung. Aus- und Weiterbildung müssen die Stärkung der sozialen Kompetenz von MedizinerInnen und Pflegenden im Umgang mit Menschen mit Behinderung, mit chronisch Kranken und mit Sterbenden im Auge haben.

Die Fähigkeit und Bereitschaft von ÄrztInnen, auch über Fragen des Lebensendes zu reden, setze hohe Kompetenz in vielen Themen voraus, die kein Teil der normalen medizinischen Ausbildung sind, sagte Karlheinz Wiesinger. Der ärztliche Leiter des Hospiz Rennweg ist der Ansicht, Palliative Care müsse als multidisziplinärer Pflegeansatz in allen Spitälern angeboten werden. Sein Resümee war, dass gute Strukturen bereits vorhanden sind, das Angebot aber noch nicht flächendeckend ist und teilweise nur durch Spenden aufrechterhalten werden kann. Notwendig sei ein Rechtsanspruch auf Leistungen der Palliativpflege aus der allgemeinen Sozialversicherung, sagte Wiesinger.

Peter Braun, Direktor des Bildungszentrums St. Virgil in Salzburg, sah eine besondere Notwendigkeit von Weiterbildungsmaßnahmen für die Begleitung von Sterbenden in den psychosozialen und spirituellen Berufen. Die Fortbildung der vielen Freiwilligen im Bereich der Palliativpflege sowie des Personals in den Alten- und Pflegeheimen müsse besser unterstützt werden, forderte er. Vor allem für Heime sollten Anreize geschaffen werden, ihr Personal zu diesen Nachschulungen zu schicken. Die Kosten liegen für sie in der Höhe von 35.000 bis 70.000 €.

Dieser Aussage stimmte der Präsident des Bundesverbandes der Alten- und Pflegeheime Österreichs Markus Mattersberger zu. Die Schulungen des Personals seien nicht nur Teil des Organisationsentwicklungsprozesses, sondern auch wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung des Personals, sagte er. Nur fachliche und soziale Kompetenz der Betreuenden könne die Qualität der Betreuung sichern, die ein würdevolles und schmerzfreies Sterben ermöglichen.

Eringard Kaufmann, Generalsekretärin der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation wie auch Marianne Karner vom Verein "BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben" gingen auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung in der Pflege ein. Sie bezogen sich dabei auf ein Verständnis von Behinderung, das diese nicht als Mangel der betroffenen Person auffasst, sondern in erster Linie als Mangel an Teilnahmemöglichkeit durch Barrieren. Ihre Forderungen gehen dahin, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung, wie sie in der UN-Konvention definiert wurden, auch zum Leitbild in der Palliativpflege und Palliativmedizin werden und auch in der Aus- und Weiterbildung aufgenommen werden.

Kaufmann stellte fest, die Frage des würdigen Lebens sei für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke nicht zuletzt eine finanzielle Frage. Was die Teilhabe am allgemeinen Leben betrifft, so müsse hier die Kompetenz der Medizin- und Pflegeberufe erhöht werden und die Ausbildung auf eine Veränderung der Gesprächskultur im Umgang mit Menschen mit Behinderung abzielen. Dazu müsse die Ausbildung auch Einheiten umfassen, in denen Selbsterfahrung möglich ist, denn nur so könne soziale Kompetenz nachhaltig erlernt werden, betonte Kaufmann.

Die Aussagen über die Wichtigkeit der Aus- und Weiterbildung im Bereich der Palliativmedizin und –pflege und ihrer entsprechenden finanziellen Ausstattung wurde von den Abgeordneten Eva Mückstein (G), Franz-Joseph Huainigg (V), Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F), Gerald Loacker (N) und Katharina Kucharowits (S) geteilt.

Nicht nur PatientInnen, sondern auch Angehörige brauchen Unterstützung

Viele Patientinnen und Patienten wollen ihre letzte Zeit zu Hause verbringen. Dazu bedarf es einer professionellen Unterstützung nicht nur der Betroffenen, sondern auch der Angehörigen. Diese Unterstützung ist nicht nur in medizinscher Form notwendig, sondern auch in pflegerischer, sozialrechtlicher und auch spiritueller Hinsicht. Hier klafft aber noch eine große Lücke, wie aus den Schilderungen von Alexandra Lueger vom Dachverband Hospiz Österreich und Marianne Pichler, einer Angehörigen, zu erfahren war. Vor allem fehlt es in den Spitälern an ausreichender Information, welche Hilfsangebote, Angehörigen zur Verfügung stehen, sodass diese oft lange Zeit alleingelassen werden. In den professionellen Stellen muss daher auf das Angebot – etwa auf Palliativteams - hingewiesen werden, lautet eine wesentliche Forderung in diesem Zusammenhang, auch deshalb, weil die Palliative Care schon bei Beginn der Therapie, also viel früher als jetzt, ansetzen sollte, wie Karlheinz Wiesinger vom Hospiz Rennweg betonte.

ÖVP Abgeordneter Erwin Rasinger, der selbst Arzt ist, machte auf den "Bewilligungszirkus" für Medikamente etc. aufmerksam, der Angehörige bei der Betreuung zu Hause vielfach überfordert. Er schlug daher vor, dass HausärztInnen gemeinsam mit ManagerInnen der Sozialversicherung bei den PatientInnen den Bedarf klären sollen, damit nicht ständig Bewilligungen eingeholt werden müssen. Es sei auch vielfach schwierig, Schmerzmittel zu verschreiben, so sein weiterer Vorwurf. Wenn Menschen im letzten Lebensabschnitt zu Hause bleiben wollen, brauche man auch eine spezielle Betreuung durch den Hausarzt bzw. die Hausärztin, und das müsste von der Krankenkasse anders bewertet werden, machte Rasinger geltend.

Nächste Sitzung am 16. Dezember

Die nächste Sitzung der Enquete-Kommission findet am Dienstag, dem 16. Dezember 2014 statt. Thema wir dann die Finanzierung, insbesondere die Möglichkeiten, das Angebot auszubauen, und die Einbeziehung von Ländern und Körperschaften sein.

Am Ende der heutigen Sitzung lud Vorsitzende Gertrude Aubauer (V) alle Bürgerinnen und Bürger ein, noch bis zum 31. Jänner Anliegen und Stellungnahmen an die Enquete-Kommission (wuerdevoll.leben@parlament.gv.at) zu senden. Bisher sind 636 schriftliche Stellungnahmen eingelangt, die auf der Parlamentswebsite www.parlament.gv.at veröffentlicht sind. (Schluss) jan/sox

HINWEIS: Fotos von der Enquete-Kommission finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at.