Parlamentskorrespondenz Nr. 1250 vom 18.12.2014

Bürger wollen bei demokratischen Entscheidungen intensiver mitwirken

Diskussion bei Enquete-Kommission im Nationalrat über den Stellenwert direktdemokratischer Instrumente

Wien (PK) – In der ersten Sitzung der parlamentarischen Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie kamen bei der abschließenden Diskussion unter anderem jene acht Bürgerinnen und Bürger zu Wort, die mittels Losverfahren ermittelt worden waren, um als Mitglieder aktiv an der Enquete teilzunehmen. Als "merkwürdig, hier 'nur' als Bürgerin zu stehen", ohne dafür besondere Qualifikationen zu benötigen, beschrieb Barbara Ruhsmann, die im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig ist, ihre Gefühle am Podium. Allerdings: "Wenn die Enquete-Kommission dazu beitragen kann, das Interesse an Politik zu steigern, ist viel getan." Künftig müsse es Bürgerinnen und Bürgern erleichtert werden, ein Volksbegehren zu starten, betonte sie. Derzeit seien dafür noch zu viele Hürden zu bewältigen, nicht zuletzt finanzielle. Das zeige unter anderem die Tatsache, dass die letzten erfolgreichen Volksbegehren von Parteien gestartet wurden. "Es braucht jedoch dringend Input von außen", so Ruhsmann. Unterschiedliche Beweggründe hatten die Bürgerinnen und Bürger dazu veranlasst, sich als Mitglieder bei den öffentlichen Sitzungen der Enquete-Kommission zu bewerben. Michelle Missbauer (derzeit in Ausbildung) etwa gab an, sie engagiere sich für Tierrechte und für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen. Zwar sei hier schon viel getan worden, doch über eine Volksabstimmung zur Frage, ob Homosexuelle heiraten dürfen oder nicht, würde sie sich freuen.

Mehr Information, Ehrlichkeit und Aufklärung

Pensionist Heinz Emhofer erzählte, wie sich bei ihm 1955 die Sätze "Österreich ist frei" und "Wir sind eine Demokratie" einbrannten. Auch das machte ihn zum "stolzen Österreicher und Demokraten". Zur im Laufe der Debatte noch häufiger angesprochenen Politikverdrossenheit der Bevölkerung stellte Emhofer folgende Frage in den Raum: "Warum ist denn das Interesse der Bevölkerung so niedrig?" Seiner Meinung nach fehlte es in der Vergangenheit gerade bei Volksbefragungen an entsprechenden Informationen für die Bevölkerung. Bei der Volksabstimmung über das Kraftwerk Zwentendorf etwa habe es diese weitgehend nicht gegeben, an der Volksbefragung über die Abschaffung oder die Beibehaltung des Bundesheeres kritisierte er mangelnde Ehrlichkeit und Aufklärung. Darüber hinaus gab Emhofer zu bedenken, die meisten Bürger hätten gar nicht genug Zeit, sich so intensiv wie nötig mit politischen Fragen zu beschäftigen.

Nicht politikverdrossen, sondern unwissend

Der Student Felix Ofner empfand ebenfalls seine Rolle als Bürger (und eben nicht zum Beispiel als Vertreter) "etwas seltsam". Immerhin war die aktive Teilnahme von Bürgerinnen und Bürgern an der Enquete für alle Beteiligten eine Premiere. Dass gerade die Jungen häufig politikverdrossen seien, sah Ofner nicht so. Vielmehr läge das oft an Unwissenheit. "Wie viele Junge beziehungsweise wie viele Österreicher ganz allgemein können denn zwischen Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung unterscheiden?", fragte er. Um das zu ändern, müsse man die Politik stärken, den Leuten mehr Mitspracherecht geben, aber eben auch das notwendige Wissen vermitteln. "Man lässt ja auch nicht 16-Jährige mit dem Auto fahren, wenn sie noch keinen Führerschein haben", brachte er es plakativ auf den Punkt. Die Forderung nach einem eigenen Schulfach "politische Bildung" kam auch in der live in den Plenarsaal übertragenen Twitter-Diskussion immer wieder zur Sprache.

Volks- oder Bürgerbarometer statt Meinungsumfragen?

Mehr Möglichkeiten der aktiven Bürgerbeteiligung wünschte sich auch Marlen Ondreijka, kaufmännische Angestellte. PolitikerInnen sollten nicht nur vor Wahlen auf die BürgerInnen zugehen, sondern auch in der Zeit dazwischen. Jedoch sei es ein großer Fortschritt, sie jetzt miteinzubeziehen, betonte sie. Harald Petz, Medizintechniker und ebenfalls einer der acht aktiven BürgerInnen, bezeichnete sich als "Verfechter davon, Volksbegehren zu stärken". Auch eine Bürgerfraktion im Parlament – mit ständig wechselnden Personen – könne er sich als Instrument für eine aktivere Teilnahme an demokratischen Prozessen vorstellen. Als eine weitere Idee brachte Petz außerdem das politische Volks- oder Bürgerbarometer ein. Damit wäre es Bürgerinnen und Bürgern möglich, einfach elektronisch mitzubestimmen – auch mit Vetorecht. "Dadurch werden auch Wege verkürzt und es ist weniger kostenintensiv als aufwendige Meinungsumfragen", zeigte sich Petz überzeugt.

Von Nachbarländern lernen

Neben den BürgerInnen kamen weitere ExpertInnen zu Wort. "Was können wir von anderen Ländern lernen?", fragte Paul Luif für das Team Stronach. In der Schweiz etwa sei 1848 noch keine direkte Demokratie vorgesehen gewesen, diese habe sich langsam entwickelt. Heute könne man das Nachbarland dagegen als eine "halbdirekte Demokratie" bezeichnen. Natürlich müsse man sich überlegen, welche thematischen Einschränkungen bei Volksabstimmungen gelten sollen. Vor dem Souverän in Österreich brauche jedoch niemand Angst zu haben, beruhigte Luif.

Wir können es uns nicht leisten, die Bevölkerung nicht miteinzubeziehen

Einen Einblick in den Umgang Deutschlands mit direkter Demokratie gab Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin von Mehr Demokratie Deutschland für die Grünen ab. Sie hob lobend hervor, dass es in sämtlichen deutschen Bundesländern verpflichtende Volksabstimmungen gibt. Am Instrument der Volksbefragungen kritisierte sie, dass Bürgerinnen und Bürger zwar wählen dürfen, letztlich aber doch das Parlament entscheide. "Ist das nicht eine Schwächung?", fragte Nierth. Problematisch sei es auch, wenn eine Befragung etwa 52 zu 48 ausgehe. Das habe ohnehin einen Zwang zur Parlamentsdebatte zur Folge. "Warum dann nicht gleich eine Volksabstimmung?", so Nierths Einwand. "Wir können es uns gar nicht leisten, die Bevölkerung nicht miteinzubeziehen!" Dass sich anfängliche Ängste nicht immer bestätigen, zeige das Beispiel Bayern sehr gut. Es sei heute das deutsche Land mit der stärksten direkten Demokratie.

Auf Bundesebene müsse sich Deutschland allerdings ein Beispiel an Österreich nehmen, sagte Josef Cap (SPÖ) in Nierths Richtung. Denn bundesweite Volksabstimmungen – so wie hierzulande - gibt es dort nicht. Bei direkter Demokratie gehe es immer auch darum, Distanz abzubauen und die Kluft zu verkleinern, so Cap. Allerdings werde das der Ausbau der direkten Demokratie alleine nicht lösen. Viele wünschen sich in einigen Bereichen mehr Demokratie: etwa in den Medien oder in der Arbeitswelt. "Wir müssen die Gesellschaft mit mehr Demokratie überfluten", verwies Cap auf Bruno Kreisky. Undemokratisch finde er im Übrigen, wenn etwa materielle Voraussetzungen entscheiden, ob jemand an demokratischen Prozessen teilnehmen kann oder nicht.

Wer mitentscheiden soll, muss wissen, worum es geht

Die Bürgerinnen und Bürger müssen möglichst transparent informiert werden, ist Dieter Brosz von den Grünen überzeugt. Gerade auf Gemeindeebene sei dies notwendig. Wer betroffen ist beziehungsweise mitentscheidet, soll sich konkret etwas vorstellen können. Auch müsse man sich anschauen, wie direktdemokratische Instrumente auf Europa-Ebene aussehen könnten. Hier seien die Expertinnen und Experten gefragt.

Der Grazer Universitätsprofessor Klaus Poier – von der ÖVP nominiert - gab zu bedenken, dass Volksbefragungen häufig vor Wahlkämpfen eingesetzt werden, um zu mobilisieren. Direkte Demokratie könne natürlich Entscheidungen auch gegen den Willen der Mehrheit erzwingen. Und sie sei letztlich ein Mittel, um neue Ideen einzubringen. Bevor etwas beschlossen wird, müsse man sich aber genau überlegen: "Welche Funktionen wollen wir damit stärken, was wollen wir erreichen?"

Beschlussfassung soll im Parlament bleiben

Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf sah in seinem Beitrag direktdemokratische Elemente als Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie. Das Demokratiepaket 2013 sei intensiv zu diskutieren, es seien Verbesserungsvorschläge einzubringen, die Beschlussfassung sollte aber im Parlament bleiben, etwa um Minderheiten vor der Mehrheit zu schützen. "Direkte Demokratie ist eine große Herausforderung für die demokratische Reife", betonte Kopf abschließend.

Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir die Verantwortung abschieben

An die aktiven Bürgerinnen und Bürger gerichtet, sagte Andrea Kuntzl (SPÖ): "Wir sind ja alle Bürger. Auch wir Abgeordneten, die gewählt wurden, sind Bürger." Abzuwägen gelte es bei der Diskussion über direkte Demokratie jedoch stets, wo, auf welcher Ebene, bei welchen Themen usw. welches Instrument am besten einzusetzen ist. "Dabei darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass wir die Verantwortung abschieben", warf Kuntzl ein. Und letztlich kann direkte Demokratie auch keine Frage des Geldes sein: "Wir dürfen nicht Lobbyisten Instrumente in die Hand geben."

Kontakt mit den BürgerInnen suchen

"Oft vergessen wir, dass wir Bürgervertreter sind", leitete Asdin El Habbassi (ÖVP) seine Wortmeldung ein. "Eine Stärkung des Parlaments ist immer auch eine Stärkung der Volksvertretung." Umso wichtiger sei es, als Abgeordnete den Kontakt mit den BürgerInnen zu suchen. Einrichtungen wie etwa das Jugendparlament bezeichnete er als wichtig für die Demokratie.

Die Möglichkeit, sich auch direkt via Tweet und Twitterwall im Nationalratssitzungssaal an der Diskussion zur Stärkung der Demokratie zu beteiligen, wurde von der heimischen Twitter-Community intensiv genutzt. So wurden bis kurz nach Ende der heutigen Enquete-Kommission 361 Tweets mit dem Hashtag #EKDemokratie verschickt. Die Twitterwall rückte bei den TeilnehmerInnen der Enquete-Kommission immer wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit, so hat etwa Nikolaus Scherak in seiner Stellungnahme eine Meldung aus dem Kurznachrichtendienst zitiert. Die Forderung eines Twitter-Users, politische Bildung als Pflichtfach einzuführen, wurde von den Twitterati breit unterstützt. (Schluss) kar/keg

HINWEIS: Die Anhörungen der Enquete-Kommission sind öffentlich und werden via Live-Stream auf www.parlament.gv.at übertragen. Über den Twitter-Hashtag #EKDemokratie können BürgerInnen ihre Ideen direkt in die Diskussion einbringen. Auch Stellungnahmen per E-Mail zu den einzelnen Diskussionsblöcken sind möglich, senden Sie diese bitte mit dem jeweiligen Betreff an: demokratie@parlament.gv.at. Mehr Informationen finden Sie auf www.parlament.gv.at .

Fotos von der ersten Sitzung der Enquete-Kommission finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at .