Parlamentskorrespondenz Nr. 484 vom 07.05.2015

Hearing zeigt unterschiedliche Einschätzungen zur Budgetpolitik

Sechs-Parteien-Antrag sichert Mittel für Parlamentssanierung

Wien (PK) – Die Debatte zur mittelfristigen Budgetplanung bis 2019 startete der Budgetausschuss heute traditionsgemäß mit einer Analyse durch namhafte Experten. Den Abgeordneten standen in einem öffentlichen Hearing der ehemalige Weltbank-Ökonom Kurt Bayer, Vizedekan Gottfried Haber von der Universität Krems, die Leiterin des Hayek-Instituts, Barbara Kolm, der Budget- und Konjunkturfachmann von WIFO und Arbeiterkammer, Markus Marterbauer, Professor Paolo Rondo-Brovetto von der Universität Klagenfurt und der Leiter des Parlamentarischen Budgetdienstes, Helmut Berger, für Fachauskünfte zum Entwurf für ein Bundesfinanzrahmengesetz 2016 bis 2019 (583 d.B.) zur Verfügung.

Die Auszahlungsobergrenzen für die Bundesbudgets bis 2019 zielen auf ein nachhaltiges strukturelles Nulldefizit ab 2016 und zugleich auf wachstumsorientierte Zukunftsinvestitionen ab. Nach einstimmiger Annahme eines Sechs-Parteien-Abänderungsantrages, der die Kosten für die Sanierung des Parlamentsgebäudes berücksichtigt, lauten die neuen Auszahlungsobergrenzen – in Mio. € - wie folgt - 2016: 76.541,249; 2017: 77.508,966; 2018: 78.991,045; 2019: 80.388,203. Seine mittelfristige Budgetpolitik hatte Finanzminister Hans Jörg Schelling dem Nationalra t bereits im Rahmen einer Ersten Lesung präsentiert und dabei mit der Ansage aufhorchen lassen, er werde dem Nationalrat im Herbst 2016 "kein Wohlfühlbudget" vorlegen. Die Empfehlung an das Plenum, die vorgeschlagenen Auszahlungsobergrenzen anzunehmen, erfolgte mit SPÖ-ÖVP-Mehrheit nach mehrstündigen Beratungen. Mit derselben Mehrheit nahm der Ausschuss auch das erneuerte Österreichische Stabilitätsprogramm 2014 bis 2019 (III-168 d.B.) zur Kenntnis.

Kurt Bayer: Budgetkonsolidierung ist kein Selbstzweck

Kurt Bayer empfahl den Abgeordneten vorweg, Expertenhearings im Gesetzgebungsprozess früher abzuhalten und nicht erst dann, wenn inhaltliche Entscheidungen bereits getroffen wurden. Der vorliegende Finanzrahmen sei darauf ausgerichtet, das 0,5%-Ziel beim strukturellen Defizit zu erreichen. Dieser Budgetpfad wirke restriktiv auf die Wirtschaft und erhöhe den Primärsaldo, urteilte er, verfehle aber das Ziel, das Wachstum zu stärken. Dies hätte man etwa durch eine stärkere Umschichtung hin zu den niedrigen Einkommen erreichen können, stimmte er mit Abgeordnetem Bruno Rossmann (G) überein. Allein durch die Einbeziehung des 13. und 14. Monatsgehalts könnte man 2 bis 2,5 Mrd. € lukrieren. Positiv sah Bayer die Absicht, den Grundsatz der Aufgabenorientierung in den Finanzausgleich der Gebietskörperschaften einzuführen. Dadurch könnten strukturelle Reformen erreicht werden, die derzeit noch kaum erkennbar sind. Der Betrugsbekämpfung maß der Experte große Bedeutung bei und sah Österreich diesbezüglich auf dem richtigen Weg.

Österreich und Europa stehen vor den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft, hoher Verschuldung und ungenügendem Wachstum trotz Offensivmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig zu erkennen, dass Budgetkonsolidierung kein Selbstzweck sei. Statt dem europäischen Mainstream zu folgen, hätte Österreich im Rahmen der mittelfristigen Budgetplanung stärker auf Schwerpunkte in Bezug auf Entlastung des Faktors Arbeit, Einschränkung des Ressourcenverbrauchs und Umweltsteuern setzten sollen, schlug er vor. Aus diesem Grund könne er auch keinen "großen Wurf" erkennen. Generell sollte sich Österreich auf EU-Ebene für eine Reorientierung der Budgetpolitik und für eine Forcierung der öffentlichen Investitionen, die in den letzten zehn Jahren von 3 % auf 1,5 % zurückgegangen sind, einsetzen. Dringenden Handlungsbedarf sah Bayer angesichts der teilweise extrem hohen Arbeitslosenraten von jungen Menschen in manchen europäischen Ländern. Da sich daraus massive soziale und politische Probleme ergeben, müsse die EU so bald wie möglich entsprechend reagieren.

Gottfried Haber: Der budgetäre Spielraum wird ausgereizt

Gottfried Haber stimmte mit seinem Vorredner darin überein, dass die Einhaltung des Stabilitätspfads,  wie von der EU vorgeschrieben, kein ökonomisches Ziel sei, wohl aber dem Grundsatz entspreche, dass man nicht mehr ausgeben könne als man einnehme. Das strukturelle Nulldefizit nehme Rücksicht auf die Wirtschaft und sehe auch künftig Defizite vor. "Der budgetäre Spielraum wird ausgereizt, was die Bundesregierung vorgelegt hat, liegt am Limit des Machbaren", sagte Haber und wies an dieser Stelle darauf hin, dass Österreich nach wie vor weit vom 60 %-Kriterium bei der Verschuldungsquote entfernt sei. Deutschland etwa habe mit einem sehr restriktiven Budgetpfad Vorteile auch gegenüber Österreich gewonnen. Angesichts des prognostizierten Aufschwungs liege es nahe, zumindest das strukturelle Budgetziel einzuhalten, sagte Haber.

Da Österreich bei der Steuerbelastung im internationalen Spitzenfeld liege, sei bei der Gegenfinanzierung der Steuerreform auf der Einnahmenseite "nichts drinnen", sagte der Ökonom, der auch die Absicht positiv sah, 50% der freiwerdenden Stellen in der Verwaltung nicht mehr zu besetzen. Äußerst kritisch schätzte er zudem Substanzsteuern wie Vermögens- und Erbschaftssteuern ein. Angesichts der hohen Steuer- und Abgabenquote könne man damit strukturell nichts bewegen, gab er dem ÖVP-Abgeordneten Jakob Auer gegenüber zu bedenken. Haber warnte überdies davor, bei der Budgetkonsolidierung mit dem "Rasenmäher" vorzugehen, wobei er die Notwendigkeit betonte, in Bildung, Forschung und Entwicklung zu investieren. Um den ambitionierten mittelfristigen Finanzrahmen mit Leben zu erfüllen, hielt er es für notwendig, konkrete Maßnahmen bei der Umsetzung der Steuerreform, der Sicherung der Pensionen und beim Finanzausgleich sowie bei der Harmonisierung der Haushaltsregeln auszuarbeiten.

Künftig erwartet Gottfried Haber größeren Druck auf das Budget durch steigende Zinsen und Ölpreise. Nötig seien Aufgabenkritik und die Zusammenführung der Ausgaben- und Einnahmenverantwortung. Als Problemzonen identifizierte Haber vor allem die Pensionen und den Gesundheitssektor. Er halte es für verantwortungslos, wenn in der Öffentlichkeit das Problem des Bundeszuschusses zu den Pensionen verharmlost wird. Ein Modell, bei dem die Leistungsansprüche systematisch von den Einzahlungen abweichen, könne nicht als stabil und nachhaltig finanzierbar bezeichnet werden. Anzustreben wäre ein Bundesbeitrag zu den Pensionen "von Null", ließ er Team Stronach-Klubchefin Katrin Nachbaur wissen, stieß mit dieser Aussage aber auf Widerspruch bei seinen Fachkollegen Marterbauer und Bayer. Außerdem plädierte Haber noch für mehr Transparenz im Förderungswesen, für eine Bildungs- und Forschungsoffensive sowie eine weitere Förderung der Eigenkapitalinstrumente (z.B. Crowd-Funding). 

Barbara Kolm: Österreich ist keine Insel der Seligen

Barbara Kolm sah den geplanten Finanzrahmen problematisch. Er sehe zwar Ausgabensenkungen und Sparmaßnahmen vor, diese reichten aber nicht aus, da sich Österreich stärker mit den sich rasch verändernden internationalen Rahmenbedingungen auseinandersetzen müsse. Kolm fehlt es an Reformen, die den Haushalt nachhaltig sanieren. Für den Arbeits- und Wirtschaftsstandort wäre es besser, die Auszahlungsobergrenzen nicht politisch, sondern nach ökonomischen Grundsätzen festzulegen. Als Hauptproblem sah Barbara Kolm das schwache Wachstum an und kritisierte das Fehlen einer nachvollziehbaren finanziellen Gesamtdarstellung. Angesichts der großen ökonomischen Risiken befürchtete die Expertin, dass der Sparkurs aus politischen Gründen nicht eingehalten werden kann. Fraglich sei für sie auch die Gegenfinanzierung der Steuerreform. Um den Herausforderungen infolge der Alterung der Gesellschaft und steigender Arbeitslosigkeit zu begegnen, brauche es eine Verwaltungsreform, eine Bildungsreform, eine Pensionsreform und eine Reform des Arbeitsmarktes, sagte Barbara Kolm.

In der Fragerunde erfuhr Elmar Podgorschek (F) von der Ökonomin, dass Verwaltungsreformen viel zu lange hinausgeschoben wurden und nun ein großer Wurf nötig sei, um überbordende Ausgaben in den Griff zu bekommen. Im Pensionssystem sei die dritte Säule zu wenig ausgebaut und im Finanzausgleich sollten Steuerentscheidungen nach dem Vorbild der Schweiz näher zu den BürgerInnen verlagert werden.

Hohe Steuern tragen nicht zur Attraktivität des Wirtschaftsstandorts bei, stellte Barbara Kolm fest, die eine Stärkung des Unternehmertums und eine Senkung der Steuerbelastung als Voraussetzungen für ein stärkeres Wachstum der Wirtschaft nannte.

Letztlich werde nur eine Neudefinierung der Staatsausgaben zu Entlastungen führen, bestätigte sie Katrin Nachbaur (T) gegenüber und meinte, neben einer ausgabenseitigen Sanierung des Budgets gelte es auch, Incentives für Unternehmen zu setzen. Auch sollten "radikal alle Förderungen gestrichen werden", betonte Kolm auf Fragen von Ruperta Lichtenegger (G) und Josef Schellhorn (N). Mit Nachdruck rief sie zu einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarkts auf und warnte vor Maßnahmen wie einer sechsten Urlaubswoche.

Markus Marterbauer: Ein guter Sozialstaat braucht hohe Einnahmen

Markus Marterbauer hielt es für sinnvoll, die Budgetausgaben mit 1,6 % deutlich schwächer steigen zu lassen als das BIP, um das hohe Niveau der Staatsschulden zu reduzieren. Dieses Ziel werde durch das historisch niedrige Zinsniveau unterstützt, sagte der Experte, der die wirtschaftlichen Annahmen, die der mittelfristigen Budgetplanung zugrunde liegen als realistisch bezeichnete. Ein Problem sah der Ökonom in der weiter steigenden Arbeitslosigkeit. Für 2016 erwartet Marterbauer infolge Steuerreform und Offensivmaßnahmen ein höheres Defizit, hält weitere Sparmaßnahmen aber nicht für notwendig. Die Entlastung der ArbeitnehmerInnen durch die Steuerreform, die zu einer Stärkung der Binnennachfrage und einer Ankurbelung des Wachstums führen wird, sowie die Strukturreform und die Steuerbetrugsbekämpfung sah Marterbauer positiv.  

Die behutsame Vorgangsweise der Bundesregierung bei der Budgetkonsolidierung in Kombination mit Offensivmaßnahmen sei sehr erfolgreich gewesen, lobte Marterbauer und meinte, die Regierung sollte daraus Lehren ziehen und die restriktive europäische Politik kritisieren. Österreich habe kein Ausgabenproblem, wohl aber Verbesserungsmöglichkeiten in der Staatsstruktur, sagte Marterbauer, der die hohe öffentliche Verschuldung auf die Kosten zurückführte, die bei der Bewältigung der Bankenkrise übernommen werden mussten.

Was die schwierige Beschäftigungslage angeht, so liege Österreich in Bezug auf das Wachstum exakt gleich auf mit Deutschland, informierte er den SPÖ-Abgeordneten Kai Jan Krainer. Der große Unterschied bestehe in den Arbeitslosenzahlen, die auf einen dramatischen Anstieg beim Arbeitskräfteangebot zurückzuführen sind. Wenn dies der Hauptgrund ist, dann sei es notwendig, sich innovative Formen der Arbeitszeitverkürzung zu überlegen. Mit Bedauern stellte Marterbauer gegenüber Werner Groiß (V) fest, dass die Regierung es wieder verabsäumt habe, vermögensbezogene Steuern einzuführen. Dadurch hätte man Gelder in innovative und soziale Bereiche umlenken und positive Beschäftigungseffekte erzielen können. Ausdrücklich bekannte er sich ebenso wie Grünen-Budgetsprecher Bruno Rossmann zu einer Erbschaftssteuer, die seiner Meinung nach zur langfristigen Finanzierung der Pflegeversorgung eingesetzt werden könnte.

Abgeordnetem Hubert Fuchs (F) teilte Marterbauer auf dessen Frage hin mit, dass die geplante Steuerreform die Arbeitseinkommen im Umfang zweier durchschnittlicher Lohnrunden entlaste. Beim Thema Kalte Progression wies Marterbauer auf die diesbezügliche Analyse des Parlamentarischen Budgetdienstes hin. Kritik an der hohen Steuerquote relativierte Marterbauer, indem er hohe öffentliche Einnahmen als Merkmale eines gut ausgebauten Sozialstaates bezeichnete, zu dem er sich ausdrücklich bekannte. Marterbauer sah auch das heimische Pensionssystem, das seiner Meinung nach zu den besten der Welt gehört, nicht gefährdet. Österreich habe zum Glück die neoliberalen Reformen, die in einigen europäischen Ländern durchgeführt wurden, nicht nachvollzogen. Während in Deutschland das Problem der Altersarmut immer virulenter werde, können durch das Ausgleichszulagensystem in Österreich Härten abgefedert werden. Weiters gab er in Richtung des Abgeordneten Andreas Zakotelsky (V) zu bedenken, dass das effektive Pensionsantrittsalter bei Männern und Frauen praktisch gleich hoch sei.

Auf Fragen von Ruperta Lichtenecker (G) und Josef Schelling (N) hin verwies Marterbauer - ebenso wie Kurt Bayer – auf die zusätzlichen 200 Mio. € im Bereich Wissenschaft und Forschung. Positiv beurteilte er auch die Erhöhung der Forschungsprämie. Grundsätzlich weise Österreich die stärkste staatliche Forschungsförderung in ganz Europa auf, gab er zu bedenken. Nicht ganz nachvollziehen könne er jedoch den Umstand, warum es in diesem Sektor derart hohe Rücklagen (500 Mio. €) gibt. Schließlich appellierte er noch an die Politik, viel mehr Stipendien auszuschütten, damit junge Menschen aus bildungsferneren Schichten die Möglichkeit erhalten, höhere Schulen und Universitäten zu besuchen.

Paolo Rondo-Brovetto: Lob für Haushaltsreform und Budgetdienst

Paolo Rondo-Brovetto registrierte als langjähriger Experte des Budgetausschusses eine deutliche Verbesserung der Situation in Österreich, was er auf das Inkrafttreten der zweiten Etappe der Haushaltsrechtsreform zurückführte. Es sei eine gute Idee gewesen, einen parlamentarischen Budgetdienst einzurichten, diesen kompetent zu besetzen und mit der nötigen Neutralität auszustatten. Somit liegen der Diskussion zur Budgetpolitik "phantastische" Analysen zur Verfügung, lobte Rondo-Brovetto. Kritik übte der Wirtschaftsprofessor aus Klagenfurt aber an der Vernachlässigung der Wirkungsorientierung in der Budgetpolitik. Zu den Strukturreformen, auf die ihn Katrin Nachbaur (T) ansprach, stellte er fest, eine Große Koalition sei "nicht unbedingt reformfreudig". Rondo-Brovetto empfahl Österreich jedenfalls, nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten die kalte Progression abzuschaffen.

Hans Jörg Schelling will echtes, nicht nur strukturelles Nulldefizit erreichen

In der Debatte zeigte sich Finanzminister Hans Jörg Schelling mit SPÖ-Abgeordnetem Kai Jan Krainer darüber einig, dass das Konzept des strukturellen Defizits grundsätzlich richtig, die Berechnungsmethode aber verbesserungsbedürftig sei. Hinsichtlich der Reform des Finanzausgleichs informierte er die Ausschussmitglieder über die Einsetzung von fünf Arbeitsgruppen, und zwar zu den Themen Aufgabenkritik und Aufgabenorientierung, Steuerautonomie, Transparenz der Finanzströme, Krankenanstalten sowie interkommunale Zusammenarbeit. Der Verhandlungsprozess soll am 15. Juni 2015 beginnen und bis Mitte 2016 laufen.

Das Bundesfinanzrahmengesetz basiere auf realistischen Zahlen, betonte Schelling überdies gegenüber FPÖ-Mandatar Elmar Podgorschek. Dies sei notwendig, weil man sich nicht darauf verlassen könne, dass Ölpreis und Zinsen niedrig und der Dollarkurs so günstig bleiben wie derzeit, erklärte er. Das Ziel des Finanzministers, ein echtes Nulldefizit zu erreichen, problematisierte hingegen Grünen-Budgetsprecher Bruno Rossmann im Hinblick auf das schwache Wachstum in Österreich mit Nachdruck.(Fortsetzung Budgetausschuss) fru/sue/hof

HINWEIS: Der Budgetdienst des Parlaments bietet ökonomische Analysen zur Budgetpolitik und zu Vorlagen des Bundesministeriums für Finanzen im Menüpunkt "Parlament aktiv/Budget-Analysen" auf www.parlament.gv.at.

Alle aktuellen Daten zum Budgetvollzug (Monatsberichte) finden Sie auf der Homepage des Finanzministeriums www.bmf.gv.at.