Parlamentskorrespondenz Nr. 488 vom 07.05.2015

Innenausschuss stimmt Fremdenrechtsnovelle mit S-V-T-Mehrheit zu

Abänderungsantrag im Plenum könnte noch einige Nachbesserungen bringen

Wien (PK) – Das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 hat den Innenausschuss des Nationalrats passiert. Nach einem öffentlichen Hearing stimmten SPÖ, ÖVP und das Team Stronach für das von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner initiierte Gesetzespaket. Änderungen wurden vorerst nicht vorgenommen, allerdings könnte die Koalition im Plenum des Nationalrats noch einige Bestimmungen nachbessern.

Durch die neuen gesetzlichen Bestimmungen müssen AsylwerberInnen künftig nach der Beantragung von Asyl nicht mehr verpflichtend in eines der beiden Flüchtlingserstaufnahmezentren Traiskirchen bzw. Thalham gebracht werden. Die Erstabklärung kann auch vor Ort in den Bundesländern erfolgen. Zudem sind in bestimmten Fällen beschleunigte Asylverfahren vorgesehen. Auch die Bestimmungen über die Schubhaft und die Grundversorgung werden zum Teil neu geregelt. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach im Ausschuss von humanen und praxisgerechten Novellierungen, von Seiten der Grünen und einiger Experten kam allerdings zum Teil scharfe Kritik. Auch die NEOS zeigten sich mit etlichen Punkten unzufrieden, konnten sich mit vier vorgelegten Abänderungsanträgen aber nicht durchsetzen.

Heftige Kontroversen gab es um einen von den Koalitionsparteien ausgearbeiteten Abänderungsantrag zur Gesetzesnovelle. Nachdem Grün-Abgeordnete Alev Korun "schärfsten Protest" eingelegt hatte, weil der dreiseitige Antrag den Oppositionsparteien erst eine Stunde vor Ausschussbeginn übermittelt wurde, verzichteten SPÖ und ÖVP letztlich darauf ihn einzubringen. Wie Abgeordneter Werner Amon (V) erklärte, hätte er einige Verbesserungen gebracht. Grüne, FPÖ, Team Stronach und NEOS ließen das Argument von Ausschussvorsitzendem Otto Pendl, dass es eben "gelebter Parlamentarismus" sei, wenn man bis zur letzten Minute verhandle, jedoch nicht gelten. Korun will die ihrer Meinung nach "unerträgliche" Vorgangsweise auch in der nächsten Präsidiale des Nationalrats zur Sprache bringen.

Wie Wolfgang Taucher, Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, den Abgeordneten berichtete, werden derzeit rund 1.000 Asylanträge pro Woche eingebracht. Insgesamt war in den ersten Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr ein Antragsplus von 159% zu verzeichnen, und das ausgehend von einem ohnehin hohen Niveau 2014. Das derzeitige System der Aufnahme und Betreuung von AsylwerberInnen sei sichtbar an seine Grenzen gestoßen, erachtet Taucher eine gleichmäßigere Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer für notwendig. Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts, hob hervor, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Einwände gegen die neuen Gesetzesbestimmungen gibt.

Kritik äußerten hingegen der Fremdenrechtsexperte und Rechtsanwalt Georg Bürstmayr und der Leiter des evangelischen Flüchtlingsdienstes der Diakonie Christoph Riedl. Der Gesetzgeber bewege sich am Rand dessen, was verfassungs- und unionsrechtlich zulässig sei, und überschreite die Grenze in einzelnen Punkten möglicherweise auch, meinte Bürstmayr und beanstandete generell die Unlesbarkeit des Fremdenrechts. Selbst er als Experte traue sich nicht mehr zu, AsylwerberInnen verbindlich Auskunft darüber zu geben was gelte, mahnte er: "Ich kenne mich nicht mehr aus." Riedl bemängelte vor allem die unter bestimmten Voraussetzungen drohende Entlassung von AsylwerberInnen aus der Grundversorgung nach einem in erster Instanz abschlägigen Asylbescheid. Überdies vermisst er ein adäquates Betreuungsangebot für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und andere AsylwerberInnen mit besonderem Betreuungsbedarf wie traumatisierte Personen.

Gesetzesnovelle bringt beschleunigte Asylverfahren

Ein wesentlicher Punkt der Gesetzesnovelle sind beschleunigte Asylverfahren mit einer Entscheidungsfrist von maximal fünf Monaten. Sie sollen unter anderem dann möglich sein, wenn ein Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt, schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass dieser eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt, die vorgebrachte Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht oder der Asylwerber versucht, die Behörden über seine wahre Identität bzw. sein Herkunftsland zu täuschen. In diesen Fällen kann das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) auch die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde über einen abschlägigen Asylbescheid beim Bundesverwaltungsgericht aberkennen. Nicht mehr möglich ist dies hingegen in jenen Fällen, in denen ein Asylwerber erst mehrere Monate nach seiner Einreise nach Österreich einen Asylantrag gestellt hat.

Innenministerin Mikl-Leitner will das beschleunigte Asylverfahren vor allem dazu nutzen, um in jenen Fällen zu einer raschen Entscheidung zu kommen, in denen AsylwerberInnen aus sicheren Herkunftsländern stammen bzw. offensichtlich kein Fluchtgrund besteht, wie sie im Ausschuss erklärte. Dass die Frist mit fünf Monaten festgelegt wurde, hat ihr zufolge den Grund, dass auch bei beschleunigten Asylverfahren eine Einzelfallprüfung durchzuführen sei und sich in einigen Fällen die Notwendigkeit ergeben kann, Dokumente genauer zu prüfen bzw. Recherchen anzustellen. Es handle sich bei den fünf Monaten aber um eine Maximalfrist, betonte Mikl-Leitner, grundsätzlich strebe man eine Abwicklung dieser Verfahren innerhalb weniger Tage an, wie auch die Erläuterungen zum Gesetzentwurf vermerken.

Grundversorgung und Schubhaft werden neu geregelt

Besonders umstritten ist die neue gesetzliche Bestimmung, wonach AsylwerberInnen in Hinkunft aus der Grundversorgung fallen, wenn auch das Bundesverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde über einen abschlägigen Asylbescheid in erster Instanz ablehnt. Nur wenn die Betroffenen an der freiwilligen Ausreise mitwirken, haben sie weiter Anspruch auf staatliche Versorgung. Diakonie-Experte Riedl hat die Befürchtung, dass dieser Passus nicht nur Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern wie dem Kosovo treffen wird, sondern etwa auch Flüchtlinge aus Somalia, Afghanistan und Syrien. Schließlich komme die Bestimmung auch dann zur Anwendung, wenn einem Asylwerber vorgeworfen wird, dass er die Behörden über seine Identität täuschen wollte, oder weil ein Asylwerber, beispielsweise wegen einer Traumatisierung, nicht in der Lage gewesen ist, die tatsächlichen Verfolgungsgründe geltend zu machen. Sowohl Riedl als auch Bürstmayr fürchten in Folge verbreitete Obdachlosigkeit unter AsylwerberInnen. Der Passus könnte durch den avisierten Abänderungsantrag allerdings noch entschärft werden.

Für unzureichend umgesetzt hält Riedl auch die Vorgabe der EU, Flüchtlinge mit besonderem Bedarf, etwa traumatisierte Flüchtlinge, adäquat zu betreuen. Dazu merkte BFA-Direktor Taucher an, dass der besondere Betreuungsbedarf im Zuge der Aufnahme der Flüchtlinge in die Grundversorgung sehr wohl erhoben werde und in weiterer Folge zu berücksichtigen sei. Ein Spezialverfahren für diese Flüchtlingsgruppen habe man aber nicht als sinnvoll erachtet.

Im Bereich der Grundversorgung wird auch von der EU-rechtlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, Personen, die über ausreichende eigene Mittel verfügen, von der Grundversorgung auszuschließen. Bislang wurde AsylwerberInnen in solchen Fällen ein Kostenersatz vorgeschrieben. Durch eine gesetzliche Klarstellung wird es künftig überdies nicht mehr möglich sein, länger als vier Monate nach Asylgewährung in der Grundversorgung zu bleiben.

Gänzlich neu gefasst werden die Bestimmungen über die Verhängung von Schubhaft. So wird etwa genauer als bisher determiniert, unter welchen Voraussetzungen AsylwerberInnen, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist, in Schubhaft genommen werden dürfen. Grundsätzlich haben wie bisher "gelindere Mittel" Vorrang vor Schubhaft. Je länger ein Fremder bereits in Österreich und je stärker er hier sozial verwurzelt ist, desto stärker müssen auch die Hinweise und Indizien für eine Fluchtgefahr sein, heißt es dazu in den Erläuterungen.

Neu verankert wird auch die Möglichkeit, bei bestimmten Verwaltungsübertretungen nach dem Fremdenpolizeigesetz anstelle einer Anzeige eine Organstrafverfügung im Ausmaß von bis zu 200 € bzw. 500 € auszustellen. Konkret betrifft das etwa Fälle eines rechtswidrigen Aufenthalts in Österreich oder einer rechtswidrigen Einreise, die Missachtung von Auflagen des BFA oder der Verletzung von Meldepflichten nach dem Asylgesetz. Bei geringfügigen Beanstandungen kommt auch eine Abmahnung in Frage.

Weitere Punkte des Gesetzentwurfs sind eine erweiterte Rechtsberatung für AsylwerberInnen bei Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht, eine Ausweitung der Rückkehrberatung, eine verkürzte Entscheidungsfrist für Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus und die Möglichkeit, von Amts wegen nicht nur Asyl, sondern auch subsidiären Schutz zu gewähren. Im Sinne der Judikatur des EuGH wird überdies klargestellt, dass Drittstaatsangehörige, die im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels eines anderen Schengen-Mitgliedstaates sind, kein zusätzliches Visum für die Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung in Österreich benötigen.

Die jährlichen Mehrkosten durch das Gesetzespaket (582 d.B.) werden von der Regierung mit rund 3,3 Mio. € angegeben. Grund dafür ist vor allem erhöhter Personalbedarf beim BFA, zudem werden zusätzliche Aufwendungen beim Bundesverwaltungsgericht erwartet.

Bürstmayr: Gesetzespaket bewegt sich am Rande des Zulässigen

Im Zuge des Expertenhearings im Ausschuss vertrat Rechtsanwalt Georg Bürstmayr die Auffassung, dass es im Gesetzespaket zahlreiche Punkte gäbe, bei denen sich der Gesetzgeber am Rande dessen bewege, was verfassungsrechtlich bzw. unionsrechtlich zulässig sei. Möglicher Weise werde die Grenze in einzelnen Punkten auch überschritten, meinte er. Aufgrund des "Wusts" an Bestimmungen und der ständigen Novellierung sei das Fremdenrecht überdies extrem unübersichtlich geworden, kritisierte der Experte und drängte auf eine völlige Neufassung der Bestimmungen.

Massive Kritik übte Bürstmayr auch an der Neugestaltung der ersten Phase des Asylverfahrens. In Traiskirchen und Thalham gebe es eine umfangreiche Struktur für AsylwerberInnen, angefangen von DolmetscherInnen über RechtsberaterInnen und medizinisches Personal, sowie umfassendes rechtliches Know-How für die Befragung der Betroffenen, skizzierte er. Wenn man diese Infrastruktur an zehn oder zwanzig Stellen in Österreich anbieten wolle, habe das einen massiven Mehraufwand zur Folge oder man nehme einen Qualitätsverlust in Kauf. Bürstmayr rechnet mit einem "Rattenschwanz an Folgen", etwa Aufträge zur Neuabwicklung von Erstverfahren, sollte sich später beispielsweise herausstellen, dass nicht ordentlich gedolmetscht wurde.

Mit der drohenden Entlassung von AsylwerberInnen aus der Grundversorgung im Falle eines negativen erstinstanzlichen Bescheids in bestimmten Fällen schicke man überdies Hunderte wenn nicht Tausende Menschen sehenden Auges in die Obdachlosigkeit, warnte Bürstmayr. Viele Betroffene könnten schließlich nicht in ihre Heimatländer zurückkehren, etwa wegen fehlender Mittel oder fehlender Papiere. Es könne überdies immer ein Irrtum passieren in der Einschätzung der Frage, ob ein Asylantrag offensichtlich unbegründet sei. Der Fremdenrechtsexperte glaubt auch nicht, dass es durch die Gesetzesnovelle zu rascheren Asylverfahren kommen wird. 

Riedl urgiert bessere Betreuung minderjähriger Flüchtlinge

Neben den neuen Bestimmungen über die Grundversorgung und der mangelhaften Betreuung von Flüchtlingen mit erhöhtem Betreuungsbedarf brachte Christoph Riedl, Leiter des evangelischen Flüchtlingsdienstes der Diakonie, im Hearing einen weiteren zentralen Kritikpunkt vor: Die prekäre Situation für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Kinder bräuchten ab dem ersten Tag ihrer Ankunft in Österreich einen Obsorgeberechtigten, forderte er. Es dürfe hier keinen Unterschied zu österreichischen Kindern geben.

Was seine Einwände gegen die Neuregelung der Grundversorgung betrifft, gab Riedl zu bedenken, dass es nicht nur im Sinne der AsylwerberInnen, sondern auch der Behörden wäre, würden in erster Instanz abgelehnte AsylwerberInnen ohne offensichtlichen Fluchtgrund bis zu ihrer freiwilligen bzw. erzwungenen Ausreise in der staatlichen Betreuung bleiben. Wenn man die Betroffenen nicht unterbringe, könne es leicht sein, dass man sie nicht mehr finde, wenn man sie außer Landes bringen wolle, unterstrich er. Nicht von der Hand zu weisen ist seiner Einschätzung nach auch die Vermutung, dass man mit der Neuregelung der Grundversorgung Kosten auf die Länder abwälzen wolle.

     

Taucher: Derzeitiges Betreuungssystem stößt an Grenzen

Verteidigt wurde das vorliegende Gesetzespaket von Wolfgang Taucher, Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Er gab zu bedenken, dass angesichts der enormen Zunahme von AsylwerberInnen das derzeitige System der Aufnahme und Betreuung an seine Grenzen gekommen sei. Man brauche eine gleichmäßigere Flüchtlingsverteilung innerhalb Österreichs, betonte er.

Derzeit werden laut Taucher circa tausend Asylanträge pro Woche gestellt. Insgesamt waren es in den ersten Monaten diesen Jahres um 159% mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dabei habe es schon 2014 ein Plus von 60% gegenüber 2013 gegeben. Ähnlich sei die Situation in Europa mit einem Antragsplus von 75% im ersten Quartal 2015, wobei 35% der Antragsteller aus dem Westbalkan, also aus sicheren Herkunftsstaaten, kamen.

In Österreich sei es gelungen, die Zahl von AsylwerberInnen aus dem Westbalkan mit einem Set an Maßnahmen drastisch zu senken, machte Taucher geltend. Er hält die gesetzliche Verankerung beschleunigter Asylverfahren dennoch für notwendig. Am grundsätzlichen System der Einzelfallprüfung und der Beschwerdemöglichkeit beim Bundesverwaltungsgericht ändere sich durch das vorliegende Gesetzespaket aber nichts, versicherte er. Auch das geltende System der Erstbefragung und der EURODAC-Behandlung der AsylwerberInnen durch die Exekutive bleibe gleich. Neu sei allerdings, dass nur noch jene AsywerberInnen in die Erstaufnahmezentren gebracht werden, bei denen sich herausgestellt habe, dass ein anderes EU-Land für sie zuständig ist. Sonderregelungen gibt es laut Taucher auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Um die steigende Flüchtlingszahl zu bewältigen, wurde das Personal beim BFA bereits massiv aufgestockt, wie Taucher schilderte. Weitere 150 bis 170 MitarbeiterInnen sollen in den nächsten Monaten dazukommen. Taucher verwies in diesem Zusammenhang auf das vorliegende Bundesfinanzrahmengesetz und die geplante weitere Übernahme von Personal aus dem Verteidigungsministerium. Um die Qualität der DolmetscherInnen zu verbessern, werden gemeinsame Projekte mit dem UNHCR durchgeführt. Die Anerkennungsquote für AsylwerberInnen in erster Instanz bezifferte Taucher mit aktuell rund 30%.

Verfassungsdienst hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts, hob in seiner Stellungnahme hervor, dass der Verfassungsdienst keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen den vorliegenden Entwurf habe. Etliche der neuen Bestimmungen seien sogar unionsrechtlich geboten, unterstrich er. Dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) häufig Bestimmungen im Bereich des Fremdenrechts prüft, wertete Hesse als nicht weiter verwunderlich, das sei auch bei anderen Massenverfahren, die besonders viele Leute betreffen, so, etwa bei den Steuergesetzen. Mit der Neuregelung der Schubhaft und der Duldung trage man mit dem Gesetzespaket auch Erkenntnissen des VfGH Rechnung.

Eine völlige Neufassung des Fremdenrechts werteten sowohl Hesse als auch Taucher angesichts der Komplexität der Materie und zusätzlicher unionsrechtlicher Vorgaben für schwierig.

Grüne fordern bessere Zusammenarbeit auf EU-Ebene

Seitens der Grünen qualifizierte Abgeordnete Alev Korun den Geist, der hinter dem vorliegenden Gesetzespaket steht, als falschen. Mit der Regierungsvorlage würde weiter an Schrauben gedreht, ohne grundsätzliche Probleme zu lösen, kritisierte sie. Es bringe nichts, die Flüchtlingsfrage nationalstaatlich zu sehen.

Notwendig ist nach Meinung von Korun vielmehr eine bessere Zusammenarbeit auf EU-Ebene und ein "echtes Lebensrettungsprogramm" der EU für Flüchtlinge. Nur so wäre es möglich zu vermeiden, dass Tausende Menschen an den Außengrenzen der EU sterben und das "Ping-Pong-Spiel" mit Dublin weitergehe, erklärte sie. Ein von Korun eingebrachter Vertagungsantrag fand allerdings keine Mehrheit.

NEOS: Gesetzespaket hat positive und negative Punkte

Nicht ganz so kritisch wie Korun beurteilte Nikolaus Scherak von den NEOS das Fremdenrechtspaket. Unter anderem wertete er es als positiv, dass die Rechtsberatung für AsylwerberInnen anders als ursprünglich vorgesehen nicht in das Innenministerium kommt, dass die Anwesenheitsverpflichtung in der Anfangsphase von Asylverfahren entfällt, dass für alle Minderjährigen in der Frage der Schubhaft das "gelindere Mittel" gilt und dass es künftig im Fremdenrecht ein Antragsrecht auf Duldung gibt. Überdies würden etliche EU-Vorgaben umgesetzt.

Dass die NEOS dennoch gegen das Gesetzespaket stimmen, begründete Scherak damit, dass die negativen Punkte überwiegen. Um seine Kritik zu unterstreichen, brachte er vier Abänderungsanträge ein, die bei der Abstimmung jedoch nur von den Grünen mitunterstützt wurden. Scherak machte sich unter anderem dafür stark, das Kindeswohl im Fremdenrecht stärker zu berücksichtigen und AsylwerberInnen, deren Beschwerde gegen einen negativen Asylbescheid beim Bundesverwaltungsgericht keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, weiter in der Grundversorgung zu belassen. Zudem trat er dafür ein, die Frist für eine Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung von einer auf zwei Wochen zu verlängern.

Ein Dorn im Auge ist den NEOS auch, dass ausländische StudienabsolventInnen ausreisen müssen, wenn sie zwar zeitgerecht – innerhalb von sechs Monaten – in Österreich einen Job gefunden haben, das Verfahren zur Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte aber nicht rechtzeitig abgeschlossen wird. Im ursprünglichen Ministerialentwurf sei hier noch eine Erleichterung für die Betroffenen vorgesehen gewesen, monierte Scherak.

FPÖ hinterfragt Dauer von Asylverfahren

Namens der FPÖ hinterfragten Walter Rosenkranz und Dagmar Belakowitsch-Jenewein die bis zu fünfmonatige Dauer von beschleunigten Asylverfahren. Mit Verweis auf die von Taucher genannte Asylanerkennungsquote in erster Instanz von 30% gab Rosenkranz außerdem zu bedenken, dass der überwiegende Teil der Asylanträge offenbar keine Berechtigung habe. Ebenso stellte er in Zweifel, ob eine Rechtsberatung durch private Organisationen erforderlich ist. Man könnte diese Aufgabe seiner Ansicht nach durchaus staatlichen Stellen überlassen.

Dem widersprachen die Experten Riedl und Bürstmayr allerdings vehement. Sie wiesen darauf hin, dass eine unabhängige Rechtsberatung eine rechtsstaatliche Notwendigkeit sei und auch von der EU gefordert werde. Dass AsylwerberInnen von den RechtsberaterInnen verleitet würden, vor den Behörden falsche Angaben zu machen, um ihre Asylchance zu erhöhen, wie dies Rosenkranz in den Raum gestellt hatte, wies Bürstmayr dezidiert zurück.

Team Stronach, SPÖ und ÖVP befürworten Novelle

Als einzige Oppositionspartei stimmte das Team Stronach dem Gesetzespaket zu. Auch wenn er ein paar Dinge anders regeln würde, sei grundsätzlich viel Positives im Paket enthalten, sagte Abgeordneter Christoph Hagen. Probleme sieht Hagen unter anderem in der langen Dauer von Asylverfahren, und zwar auch bei Flüchtlingen, die kaum Chance auf Asyl haben. Überdies würden Flüchtlinge immer wieder untertauchen und seien für die Behörden nicht greifbar, konstatierte er.

Als notwendig und sinnvoll bezeichnete ÖVP-Abgeordneter Michael Hammer die Gesetzesnovelle. Es gehe nicht darum, das Asylrecht zu verschärfen, sondern um eine praxisgerechte und humane Lösung, bekräftigte er. Schließlich gebe es derzeit Schwierigkeiten beim Vollzug der Grundversorgung. Wichtig ist für ihn auch, dass mit Schnellverfahren relativ rasch Klarheit geschaffen werden kann. SPÖ-Mandatar Rudolf Plessl hob hervor, dass die Novelle mehr Rechtssicherheit bringe und überdies EU-Vorgaben umgesetzt würden. Johannes Rauch (V) machte geltend, dass Österreich einen hohen Betreuungsstandard für AsylwerberInnen habe.

Mikl-Leitner erwartet insgesamt sieben zentrale Verteilerquartiere

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wies darauf hin, dass am Gesetzespaket monatelang hart gearbeitet worden sei. Ihr zufolge geht es vor allem darum, klar zu differenzieren zwischen Auswanderung aus sicheren Herkunftsstaaten und berechtigten Fluchtgründen. Das sei durch die neuen Schnellverfahren, die von der EU erlaubt würden, möglich. Es sei auch im Sinne der AntragstellerInnen, wenn die österreichischen Behörden rasch über einen Asylantrag entscheiden, betonte die Ministerin.

Mikl-Leitner erachtet es außerdem für erforderlich, gesetzlich eine fairere Verteilung der Verantwortung zwischen den Bundesländern festzulegen. Sie geht von künftig sieben Verteilerquartieren in Österreich aus. Das Burgenland und Wien sowie Vorarlberg und Tirol wollen demnach zusammenarbeiten.

Was die Grundversorgung betrifft, versicherte Mikl-Leitner, es wolle niemand Obdachlosigkeit produzieren. Man müsse aber differenzieren, ob jemand freiwillig an seiner Heimreise mitwirke oder nicht. In Richtung NEOS-Abgeordnetem Scherak hielt Mikl-Leitner fest, die Bestimmungen über die Rot-Weiß-Rot-Karte seien deshalb aus dem Gesetz herausgenommen worden, weil dazu ein eigenes umfassendes Gesetzespaket geschnürt werden soll.

Opposition kann sich mit ihren Anliegen nicht durchsetzen

Gemeinsam mit der Fremdenrechtsnovelle zur Diskussion stand eine Reihe von Oppositionsanträgen, die jedoch keine Mehrheit im Ausschuss fanden. So blitzte die FPÖ mit der Forderung ab, die gesetzlichen Asylbestimmungen deutlich zu verschärfen (799/A(E)). Geht es nach der FPÖ, sollen Asylverfahren auf maximal drei Monate beschränkt sowie private Organisationen und Vereine von der Mitwirkung an Asylverfahren ausgeschlossen werden. Außerdem sprechen sich Klubobmann Heinz-Christian Strache und seine FraktionskollegInnen dafür aus, jedes Jahr zu überprüfen, ob die Asylgründe von anerkannten Flüchtlingen weiter aufrecht sind, und AsylwerberInnen nur noch dann eine Grundversorgung zu gewähren, wenn sie in einer Bundeseinrichtung untergebracht sind. Neben der FPÖ unterstützte nur das Team Stronach den Antrag.

Koalition sieht keine Notwendigkeit einer grundsätzlichen Neuformulierung des Fremdenrechts

Sowohl Alev Korun von den Grünen (1048/A(E)) als auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak (1020/A(E)) brachten Anträge ihrer Fraktionen ein, die auf eine grundsätzliche Reform des Fremdenrechts in Österreich abzielen. Sie stimmten darin überein, dass die geltenden Bestimmungen insgesamt viel zu kompliziert und in weiten Bereichen nahezu unlesbar geworden sind. Für Grün-Abgeordnete Alev Korun ist es außerdem unverständlich, warum vielfach Sonderverfahren gelten. Beide Anträge wurden nach kurzer Debatte vertagt. SPÖ und ÖVP hatten bereits zuvor darauf hingewiesen, dass eine komplette Neufassung der Gesetzesmaterie schwierig wäre und zudem wegen fehlender Judikatur zu Rechtsunsicherheit führen könnte.

NEOS für bessere Versorgung minderjähriger Flüchtlinge und Arbeitsmarktzugang von AsylwerberInnen

Zahlreichen Detailforderungen der NEOS zum Asyl wurden mit Vertagungsanträgen von SPÖ und ÖVP in die Warteschleife geschickt. Abgeordneter Nikolaus Scherak spricht sich unter anderem dafür aus, AsylwerberInnen nach sechsmonatigem Aufenthalt in Österreich einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren (276/A(E)) sowie eine detaillierte Statistik über die Dauer von Asylverfahren zu erstellen (789/A(E)). Außerdem drängt er darauf, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ab Einbringung des Asylantrags der Jugendwohlfahrt zu unterstellen (935/A(E)), die Tagsätze für die Grundversorgung minderjähriger Flüchtlinge zu erhöhen (928/A(E)) und mehr Geld für Deutschkurse für minderjährige Flüchtlinge bereitzustellen (1019/A(E)).

Scherak argumentiert, dass man AsylwerberInnen mit einem freien Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit eröffnen würde, ein legales Einkommen zu erwirtschaften. Damit würde man nicht nur Schwarzarbeit entgegenwirken, sondern auch Kosten für die staatliche Grundversorgung einsparen und die Gefahr psychischer Erkrankungen aufgrund von Perspektivenlosigkeit bannen. SPÖ-Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig verwies darauf, dass das Sozialministerium nach Auskunft des Ministers daran arbeitet, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erweitern.

Für inakzeptabel hält Scherak die derzeitige Situation für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Jedes Kind habe gemäß den verfassungsrechtlich verankerten Kinderrechten Anspruch auf Schutz und Fürsorge sowie auf bestmögliche Entwicklung und Wahrung seiner Interessen, macht er geltend. Nurten Yilmaz (S) wies auf positive Signale der Landeshauptleutekonferenz hin und zeigte sich optimistisch, dass eine gute Lösung für die Betreuung Minderjähriger gefunden werde. Selbstverständlich werde bei allen Überlegungen das Kindeswohl in den Vordergrund gestellt, sagte sie.

Nur die Unterstützung der Grünen fanden die NEOS mit der Forderung, die Rechtsberatung für AsylwerberInnen neu auszuschreiben und gleichzeitig den Kostenersatz für die Rechtsberatung zu erhöhen (1018/A(E)). Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt.

Grüne fordern solidarische Flüchtlingspolitik in der EU  

Was die aktuelle Diskussion über den Umgang der EU mit dem anwachsenden Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer betrifft, haben die Grünen bereits im März 2014 mehr Solidarität der EU-Länder eingemahnt. Die derzeitige "Abschottungspolitik" sei keine Lösung, es widerspreche den Grundwerten und Grundrechten Europas, die Grenzen dicht zu machen statt zu helfen, so Grün-Abgeordnete Alev Korun in einem Entschließungsantrag (333/A(E)). Korun stellte fest, der Antrag sei aktueller denn je, und forderte eine gemeinsame Krisenprävention, legale Einreisemöglichkeiten für AsylwerberInnen sowie EU-weit einheitliche hohe Standards für Asylverfahren. Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) stellte fest, dass die Innenministerin klar ihre Unterstützung einer nachhaltigen, solidarischen Flüchtlingspolitik in Europa zum Ausdruck gebracht habe, und beantragte die Vertagung. Diese erfolgte mehrheitlich mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP.

Mikl-Leitner hatte zuvor betont, dass "Retten" oberste Priorität in der Arbeit der EU-Grenzschutzagentur Frontex sei. Auch sie trete mit ihrem "Save Lives Project" dafür ein, Flüchtlingen einen legalen Weg nach Europa zu ermöglichen.

Team Stronach will Grenzkontrollen und Kampf gegen Schlepper verstärken

Vorrangig auf einen verstärkten Kampf gegen die Schlepperkriminalität setzt das Team Stronach. So plädierte Christoph Hagen für eine Änderung des Grenzkontrollgesetzes, um temporäre Grenzkontrollen zu erleichtern und damit der steigenden Zahl illegaler Grenzübertritte zu begegnen (987/A(E)). In anderen Fällen, etwa der Fußball-Europameisterschaft, seien temporäre Grenzkontrollen durchaus möglich gewesen, argumentierte er. Rudolf Plessl (S) stellte fest, dass bereits eine hohe Kontrolldichte besteht. Die weitere Entwicklung sei abzuwarten, meinte er und stellte einen Vertagungsantrag, der die Zustimmung der SPÖ und ÖVP fand.

Überdies urgiert Christoph Hagen eine höhere finanzielle und personelle Ausstattung der Sonderkommissionen "Schlepperei Nord" mit Sitz in Traiskirchen und "Schlepperei Süd" mit Sitz in Eisenstadt (698/A(E)). Unterstützung fand das Team Stronach nur bei den Freiheitlichen, der Antrag wurde damit abgelehnt. Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) stellte fest, die Bekämpfung der Schlepperei sei bereits verstärkt worden und der Antrag damit überholt. Alev Korun war es wichtig, nochmals festzuhalten, dass Schlepperei kein isoliertes Phänomen sei und nicht durch polizeiliche Maßnahmen in den Griff zu bekommen sei, solange ihre Ursache besteht, nämlich, dass Menschen zur Flucht gezwungen und dabei auf Schlepper angewiesen sind.

Intensivere polizeiliche Zusammenarbeit mit der Slowakei und Italien

Vom Ausschuss einstimmig gebilligt wurden schließlich Abkommen mit der Slowakei (529 d.B.) und mit Italien (586 d.B.) über die polizeiliche Zusammenarbeit. Sie ersetzen bzw. ergänzen bestehende Vereinbarungen. Das Innenministerium erwartet sich dadurch mehr Effizienz in der Kriminalitätsbekämpfung. Unter anderem geht es um die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Korruption und Amtsdelikten, die Beseitigung von Restriktionen bei der "grenzüberschreitenden Nacheile" im Zuge der Verfolgung flüchtiger Verdächtiger, erweiterte Befugnisse bei der grenzüberschreitenden Observation, den Schutz von Zeugen und gemeinsame Streifendienste (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 285/2015 und 417/2015). (Schluss) gs/sox