Parlamentskorrespondenz Nr. 526 vom 20.05.2015

Nationalrat: FPÖ und Team Stronach gegen Rederecht für EU-Abgeordnete

Endgültiger Beschluss morgen Abend

Wien (PK) – Derzeit dürfen sich bei Nationalratsdebatten nur Nationalratsabgeordnete, Regierungsmitglieder und Staatssekretäre, sowie in bestimmten Fällen der Rechnungshofpräsident und die VolksanwältInnen zu Wort melden. Das wird sich ab Herbst ändern. Der Nationalrat hat heute in Zweiter Lesung mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit grünes Licht für eine Änderung der Geschäftsordnung des Hohen Hauses gegeben. Mit der Gesetzesnovelle wird nicht nur den österreichischen EU-Abgeordneten bei Aktuellen Europastunden und weiteren ausgewählten EU-Debatten ein Rederecht eingeräumt, auch hochrangige internationale Persönlichkeiten können künftig eingeladen werden, eine Erklärung zu einem bestimmten Thema vor dem Plenum abzugeben. Der endgültige Beschluss fällt morgen Abend in Dritter Lesung, in Kraft treten sollen die neuen Bestimmungen am 1. August 2015.

Voraussetzung für Wortmeldungen von Europaabgeordneten in ausgewählten EU-Debatten ist eine zeitgerechte Nominierung durch den eigenen Klub, und zwar spätestens 48 Stunden vor der Diskussion. Zudem wird das Rederecht auf je einen Europaabgeordneten bzw. eine Europaabgeordnete pro Fraktion beschränkt, als Redezeit sind fünf Minuten vorgesehen. Auch an bestimmten Diskussionen in Fachausschüssen können sich die EU-Abgeordneten künftig beteiligen, bisher erlaubte ihnen die Geschäftsordnung nur eine Teilnahme an den beiden EU-Ausschüssen des Nationalrats.

Ob und inwieweit hochrangige europäische und internationale PolitikerInnen zur Abgabe einer Erklärung im Nationalrat eingeladen werden, obliegt der Entscheidung der NationalratspräsidentIn nach Beratungen in der Präsidiale. Abseits des Themenkomplexes Rederecht wird in der Geschäftsordnung normiert, dass nicht nur eine Krankheit, sondern auch andere medizinische Ursachen ein triftiger Verhinderungsgrund für die Nichtteilnahme an Nationalratssitzungen sind. Das betrifft etwa Rehab-Behandlungen nach einem Unfall bzw. für weibliche Abgeordnete die Zeit unmittelbar vor oder nach der Geburt eines Kindes. Dieser Punkt war auch der einzige, dem alle Fraktionen ihre Zustimmung erteilten.

Mit dem neuen Rederecht für EU-Abgeordnete bei Plenardebatten haben hingegen weder die FPÖ noch das Team Stronach Freude. Europaabgeordnete im österreichischen Parlament öffentlich reden zu lassen, sei systemwidrig, es gebe überhaupt kein Argument dafür, kritisierte etwa FPÖ-Abgeordneter Gernot Darmann die neuen Bestimmungen. Damit unterwerfe sich das österreichische Parlament in unnötiger Weise der EU. Er bezweifelt überdies, dass es verfassungskonform ist, dass nur EU-Abgeordnete, die einem österreichischen Parlamentsklub angehören, ein Rederecht erhalten. Viel sinnvoller wäre es nach Ansicht von Darmann, würden die EU-Abgeordneten ihre Expertise bei den Ausschussberatungen einbringen.

Ähnlich äußerte sich Darmanns Fraktionskollege Walter Rosenkranz. "Dort, wo man hineingewählt wird, dort spricht man", meinte er und sprach in Zusammenhang mit dem neuen Rederecht von einer reinen Show.

Die anderen Punkte des Gesetzesantrags wertete Darmann hingegen als sachlich nachvollziehbar. Es wäre interessant, würde etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Nationalrat eine Erklärung zu den Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes in Österreich abgeben, meinte er. Auch eine Erklärung vom russischen Präsidenten Wladimir Putin kann er sich vorstellen.

Noch breiter fiel die Ablehnung beim Team Stronach aus, das keinen Vertreter im Europäischen Parlament hat. Klubobfrau Waltraud Dietrich machte geltend, dass die Europaabgeordneten schon jetzt das Recht hätten, sich in den EU-Ausschüssen des Nationalrats zu Wort zu melden, dieses aber nicht nutzten. Sie habe nicht den Eindruck, dass die EU-ParlamentarierInnen Interesse daran hätten, sich an der Sacharbeit im Nationalrat zu beteiligen, sagte sie. Dietrich verwies zudem auf fehlende Infrastruktur wie adäquate Sitzplätze im Plenum.

SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS für Rederecht

Er sehe das Rederecht für Europaabgeordnete im Nationalrat nicht als Unterwerfung gegenüber der EU, sondern als Bereicherung für das österreichische Parlament und für Europadebatten, meinte hingegen SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Er verstehe nicht, wie man gegen diesen Schritt sein könne. Auch seine FraktionskollegInnen Otto Pendl, Christine Muttonen und Elisabeth Grossmann stellten sich ausdrücklich hinter die Änderung des Geschäftsordnungsgesetzes. Es spreche alles dafür und nichts dagegen, hielt Muttonen fest, die sich vom Rederecht unter anderem mehr Transparenz in Bezug auf europäische Entscheidungen erwartet. Grossmann zufolge setzt man damit auch ein Zeichen, dass es sich bei Europapolitik "nicht um ein Paralleluniversum handelt".

Seitens der ÖVP wies Klubobmann Reinhold Lopatka den Vorwurf der FPÖ zurück, es gehe bei der Einräumung des Rederechts für EU-Abgeordnete lediglich um Show. Seiner Partei gehe es um eine bessere Zusammenarbeit mit den EuropaparlamentarierInnen, bekräftigte er. Für ihn ist Österreich in diesem Bereich auch ein Vorreiter, bislang gibt es das Rederecht für EU-Abgeordnete seiner Information nach erst in vier EU-Mitgliedsländern. "Fürchtet euch nicht!", appellierte August Wöginger an die FPÖ, er erwartet sich von der stärkeren Einbindung der EuropaparlamentarierInnen in die parlamentarische Arbeit nicht zuletzt eine besseres EU-Wissen in der Bevölkerung. Allgemein hoben sowohl Lopatka als auch Abgeordneter Peter Haubner hervor, dass die ÖVP die Zukunft Österreichs in einem starken Europa sehe.

Kein Verständnis für die Kritik der FPÖ und des Team Stronach äußerte auch Grünen-Klubobfrau Eva Glawischnig-Piesczek. Sie sehe das neue Rederecht als Aufwertung des österreichischen Nationalrats, betonte sie und zeigte sich überzeugt, "dass wir einiges Interessantes hören werden". Glawischnig erwartet sich etwa Informationen über den Hintergrund bestimmter Beschlüsse auf EU-Ebene.

Ihr Fraktionskollege Dieter Brosz wies darauf hin, dass es sich beim vorliegenden Gesetzentwurf um einen Kompromiss handle und sprach von "einer vernünftigen Lösung, die auch lebbar ist". In Richtung FPÖ hielt Brosz ironisch fest, die Meinung, dass in den Ausschüssen des Nationalrats gearbeitet werde, im Plenum aber nicht, sei ein interessanter Ansatz.

Die NEOS-Abgeordneten Christoph Vavrik und Nikolaus Scherak hoben hervor, dass ihre Partei bei der Einräumung des Rederechts für Europaabgeordnete sogar noch ein Stück weitergegangen wäre. Es sei wichtig, dass sich die ÖsterreicherInnen als BürgerInnen Europas verstehen und Entscheidungen auf EU-Ebene von der heimischen Bevölkerung als legitim angesehen werden, unterstrich Vavrik. Mit der Änderung des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrats legt man seiner Meinung nach ein Fundament dafür, dass Europapolitik künftig stärker als das empfunden wird, was es sei, nämlich Innenpolitik. De facto gebe es auch kein Rederecht für Europaabgeordnete im Plenum, sondern ein Recht der österreichischen Parlamentsklubs, Europaabgeordnete für eine Debatte zu nominieren, erklärte Vavrik.

Abgeordneter Scherak wertete einen verstärkten Austausch zwischen österreichischen Abgeordneten und Europaabgeordneten als sinnvoll. Dass es reichen würde, den EU-ParlamentarierInnen in den Ausschüssen ein verstärktes Rederecht einzuräumen, wollten weder er noch Brosz gelten lassen. Plenarsitzungen seien im Gegensatz zu Ausschusssitzungen öffentlich, damit erreiche man die Bevölkerung besser, argumentierten sie.

Grüne wollen Kontrollrechte des Nationalrats gegenüber Geheimdiensten ausbauen

Grünen-Abgeordneter Peter Pilz nutzte die Debatte dazu, um mehr Kontrollrechte des Nationalrats gegenüber den zivilen und militärischen österreichischen Nachrichtendiensten zu fordern. Es gebe viele andere europäische Staaten wie die Schweiz, die hier als Vorbilder dienen könnten, erklärte er. Für Pilz ist es etwa unerträglich, dass die Abgeordneten im streng vertraulichen Unterausschuss des Verteidigungsausschusses keine Auskunft darüber erhalten, ob es zwischen dem Heeresnachrichtenamt und der NSA einen Vertrag gebe. Pilz drängte in diesem Sinn auf eine umfassende Geschäftsordnungsreform.

Mit dem heute vom Nationalrat gefassten Beschluss sind ein Antrag der Grünen und ein Antrag der NEOS miterledigt. Auch der österreichische Bundesrat hat EU-Abgeordneten vor kurzem ein Rederecht bei seinen Plenardebatten eingeräumt (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 493/2015 ). (Fortsetzung Nationalrat) gs