Parlamentskorrespondenz Nr. 759 vom 30.06.2015

Heinisch-Hosek will Inklusion an Schulen vorantreiben

Neubeschreibung von Sonderschulen soll Inklusives Schulsystem für Menschen mit und ohne Behinderung unterstützen

Wien (PK) - Das Zusammenspiel Pädagogischer Hochschulen (PH) und Universitäten bei der neuen PädagogInnenausbildung beschäftigte den heutigen Unterrichtsausschuss auch nach seiner Debatte mit dem Qualitätssicherheitsrat (siehe Parlamentskorrespondenz Nr.754). Mehrheitlich verabschiedeten die Abgeordneten eine Regierungsvorlage zum besseren Datenaustausch der mit Lehramtsstudien befassten Institutionen.

Im Mittelpunkt dieser Sammelnovelle stehen allerdings Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung im Schulwesen. Die Stigma-behaftete Bezeichnung "schwerstbehindert" soll demnach aus dem Schulrecht gelöscht und durch die Wendung "mit erhöhtem Förderbedarf" ersetzt werden. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek unterstrich, besonders im Zusammenhang mit der Benennung von Sonderschulen werde damit ein weiterer Schritt zur Inklusion von SchülerInnen mit speziellen Bedürfnissen gesetzt, ab Herbst könnten zudem in Modellregionen Inklusive Schulen für SchülerInnen mit und ohne Behinderung ihre Tore öffnen. Die Grünen geben sich mit der Umbenennung von Sonderschulen aber nicht zufrieden und beantragten deren gänzliche Abschaffung; ihr Ansinnen wurde jedoch dem Unterausschuss des Unterrichtsausschusses zugewiesen. Ähnlich verfuhr die Ausschussmehrheit auch mit einigen der übrigen Oppositionsanträgen, oder vertagte sie.

Gutgeheißen wurde von fast allen im Ausschuss hingegen, dass ab 2017 die standardisierte Reifeprüfung auch an Schulen für Berufstätige stattfinden kann. Bis auf den Vertreter des Team Stronach gaben sämtliche MandatarInnen der diesbezüglichen Regierungsvorlage ihre Zustimmung.

Neue Beschreibung von Sonderschulen: Umbenennung oder Paradigmenwechsel?

Eine zeitgemäße Bezeichnung von Schularten sei wichtiger Teil der laufenden Sensibilisierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung. Derart argumentierte Abgeordnete Marianne Gusenbauer-Jäger (S) für die Änderung der Schulbezeichnung "Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder" in "Sonderschule für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf". Eine jahrzehntelange Stigmatisierung ende damit, denn während erstere Beschreibung vor allem von den Eltern der SchülerInnen in Sonderschulen als äußerst diskriminierend gewertet werde, entspreche man mit dem neuen Namen der pädagogischen Weiterentwicklung. Daniela Holzinger (S) hob zudem hervor, "schwerstbehindert" biete als Pauschalurteil keine Differenzierung zwischen körperlichen und kognitiven Einschränkungen. Namens ihrer Fraktion sprach sich die SPÖ-Abgeordnete allerdings deutlich dafür aus, der integrativen Schule als bildungspolitisches Ziel oberste Priorität einzuräumen. Sonderschulen sollte es dann nicht mehr geben. Eva-Maria Himmelbauer (V) pflichtete bei, die neue Bezeichnung sei zukunftsgerichtet und beende die Stigmatisierung, die SonderschülerInnen durch die Beschreibung ihrer Schulform anhafte. Ebenso hoch an der Zeit sei die im Gesetzesentwurf verankerte Aktualisierung der Namen von Fremdenverkehrsschulen in die Bezeichnung "Tourismusschulen".

Holzinger zeigte sich weiters erfreut, dass mit der Novelle durch eine Änderung im Schülerbeihilfengesetz die Anspruchsberechtigung für Schülerbeihilfe bei Eingetragenen Partnerschaften ausgeweitet wird. Zudem zielt die Regierungsvorlage auf die Implementierung eines Datenverbunds von Universitäten und Pädagogischen Hochschulen ab, um die ordnungsgemäße Informationsweitergabe zu Matrikelnummern, Inskriptionen und Studienbeiträgen zu unterstützen, wie Himmelbauer lobte. Die Projektkosten von 86.400 € werden laut Entwurf unter den beteiligten Bildungseinrichtungen aufgeteilt.

Entgegen der positiven Resonanz aus den Koalitionsparteien fand Grünen-Behindertensprecherin Helene Jarmer wenig Lob für den Regierungsvorschlag, wie die Begrifflichkeiten im Schulrecht hinsichtlich Sonderschulen zu ändern sind. Die Formulierung "mit erhöhtem Förderbedarf" sei keineswegs zeitgemäß, habe doch jeder Mensch Bedarf an Förderung, verdeutlichte sie. Inklusion sei das Wort, das benötigt werde, um gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention im Rahmen einer Strukturänderung die inklusive Schule umzusetzen. Unbenommen der großteils guten Förderung an Sonderschulen seien SchülerInnen dort häufig unterfordert und würden wie auch ihr Lehrkörper innerhalb des Schulsystems nicht gleichwertig behandelt. Jarmers Parteikollege Harald Walser verurteilte die Umbenennung überhaupt als "Pseudoaktivität". Ausschussvorsitzender Walter Rosenkranz stieß sich grundsätzlich daran, über die Benennung von Schulformen zu debattieren, ohne sachliche Änderungen herbeizuführen. Begrüßt wird von ihm jedoch die Regelung im Novellenentwurf, wonach für Kinder, die eine allgemeine Schule integrativ besuchen, ein Jahres- und Abschlusszeugnis am Ende der 8. Schulstufe vorgesehen wird.

Auf den Nationalen Aktionsplan 2012-2020 für Menschen mit Behinderung wies Franz-Joseph Huainigg (V) hin und hinterfragte den Umsetzungsstand der geplanten Modellregionen für inklusive Schulformen. Generell brach er eine Lanze dafür, die Gebärdensprache als vollwertige Sprache zu verstehen; das sei die Grundvoraussetzung für einen angemessenen Unterricht von Gehörlosen. Als "Verfechterin der inklusiven Schule" positionierte sich Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek klar für eine sukzessive Reduktion der Sonderschulen bis 2020. Eine gute Vorbereitung sei zur richtigen Ressourcensteuerung hier aber notwendig, immerhin sei dem sonderpädagogischen Förderbedarf von SchülerInnen individuell zu begegnen. Bereits diesen September werde daher die Inklusive Schule in drei Modellregionen eingeführt. Im Ausbau begriffen seien folglich die regionalen Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik, sodass diese als Beratungsstellen zur Inklusion von SchülerInnen mit Behinderung an allen Schulen dienen und die Verwaltung von HeilpädagogInnen, Stürz- und FörderlehrerInnen, AssistentInnen und Betreuungspersonen übernehmen. Derartige Aspekte des inklusiven Schulsystems verlangen auch die Grünen im Antrag auf Abschaffung der Sonderschulen (1215/A(E)); SPÖ, ÖVP und NEOS möchten das Anliegen deswegen im Unterausschuss genauer erörtern.

Opposition drängt auf mehr Schwung bei Bildungsreform, speziell für…

Zu wenig Bewegung im Bildungswesen kritisieren die Oppositionsparteien schon lange – und nutzten daher die heutige Ausschussdebatte einmal mehr, ihre Ideen zur Bildungsreform darzulegen. So urgierten die Freiheitlichen, schon vor Eintritt in die Volksschule verpflichtende Sprachtests in Deutsch bei den Kindern durchzuführen (1233/A(E)), die Grünen warben für Herbstferien als pädagogisch sinnvolle Regenerationsphase (1221/A(E)). Die NEOS traten erneut für mehr Schulautonomie ein, besonders hinsichtlich Personalentscheidungen bzw. Budgetverwaltung (1085/A(E)) und forderten eine gesetzlich verankerten Schullaufbahnberatung für Schülerinnen und Schüler (1087/A(E)). Überdies verlangt die pinke Fraktion eine Förderung der Kooperationsbereitschaft von LehrerInnen, damit neue Unterrichtsformen wie Team Teaching an Neuen Mittelschulen gelingen (1168/A(E)). Gegen gegenderte Schreibweisen in Schulbüchern wetterte das Team Stronach: hier werde SchülerInnen eine Ausdrucksform gelehrt, die keinen Niederschlag in Literatur und Medien finde (1201/A(E)).

…optimierte Sprachförderung…

Einigkeit bestand im Ausschuss zwar über die zentrale Bedeutung von Sprachkompetenz in der Bildungslaufbahn, über die beste Art der Sprachförderung gingen die Meinungen aber auseinander. Ausgelöst wurde der Disput durch den FPÖ-Vorstoß für obligatorische Sprachstandsfestellungen schon vor Schuleintritt. FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz rät in seinem Antrag zur einer verpflichtenden Sprachstandsfeststellung bei allen Kindern ein Jahr vor der Volksschule; im Falle von Sprachdefiziten hätten sie demnach solange in einer Vorschule die Unterrichtssprache zu erlernen, bis sie das nötige Niveau erreicht haben. ÖVP-Mandatarinnen Eva-Maria Himmelbauer und Brigitte Jank zeigten zwar Verständnis für das Anliegen, zumal Sprachförderung eine wichtige Komponente der Bildungsreform sei. SPÖ und ÖVP unterstützten Himmelbauers Vertagungsempfehlung aber, um genauer über den Zeitpunkt einer sinnvollen Sprachstandserhebung bei Kindern zu diskutieren. Einen Widerspruch zur schulischen Inklusion sieht indes Harald Walser (G) in einer verpflichtenden Spracherhebung, angeraten sei vielmehr eine kontinuierliche Sprachförderung vom Kindergarten an, meinte er im Einklang mit Matthias Strolz (N).

Sprache als Bildungsgut thematisierte auch Robert Lugar vom Team Stronach, nämlich in Bezug auf zweigeschlechtliche Schreibweisen in Schulbüchern. Seiner Ansicht nach widersprechen gegenderte Ausdrucksformen dem landläufigen Usus. Ob Schulbücher dem Gleichbehandlungsgebot entsprechend zugelassen werden, dürfe nicht vom Binnen-I abhängen, findet er, das sei im Schulunterrichtsgesetz klarzustellen. Mit der jetzigen Regelung seien Schulbücher nicht mehr lesbar, wodurch die Lesefreude der Kinder abnehme, was wiederum ihre Zukunftschancen mindere. Freiwilliges Gendern sei in Ordnung, derzeit werde es aber mit Zwang durchgesetzt. Gegen diese Haltung kamen deutliche Proteste von SPÖ, Grünen und NEOS. Sigrid Maurer (G) beispielsweise betonte, da Sprache die Wirklichkeit definiere, müsse eine geschlechtergerechte Sprachnutzung im Bildungssystem jedenfalls als Mittel zur Bewusstseinsbildung verankert bleiben. Die Regierungsfraktionen schickten die Forderung schließlich in die Warteschleife.

… mehr schulische Selbstverwaltung….

Durch die NEOS fand auch das Österreichisches SchülerInnenparlament (ÖSIP) im Unterrichtsausschuss Gehör: In zwei eigenen Anträgen fasste Klubobmann Matthias Strolz Initiativen des ÖSIP zusammen, konkret jene für mehr Schulautonomie und für Bildungsberatung an Schulen. Neben der Auswahl von Lehrkräften gehöre auch die Verwaltung ungenützter Budgetmittel nach Ablauf eines Schuljahres in die Selbstverwaltung der Schulen, so Strolz. Und zur Unterstützung von SchülerInnen in ihrer Bildungskarriere solle die Beratung über Ausbildungsschwerpunkte diverser Schultypen gesetzlich verankert werden.

Dem Vertagungsargument von Erwin Preiner (S) und Eva-Maria Himmelbauer (V), Bildungsberatung sei bereits im Schulorganisationsgesetz und im Schulunterrichtsgesetz festgeschrieben, hielt Antragssteller Strolz entgegen, offenbar reiche die gesetzliche Verortung der Berufsorientierung nicht aus, sonst wäre sie schon bei den SchülerInnen angekommen. Sein Antrag wurde dennoch von SPÖ und ÖVP vertagt. Den NEOS-Antrag auf Förderung des Kooperationsverständnisses in der Lehrerschaft wiesen die Regierungsfraktionen dem Unterausschuss zu, weil sich darin durchaus Vorschläge zur Qualitätssteigerung in der PädagogInnenausbildung fänden, wie Elmar Mayer (S) sagte.

…und eine baldige Ferienreform

Anlässlich der letzten Sitzung des Unterrichtsausschusses vor der Sommerpause machten die Grünen mobil für eine Reform der heimischen Ferienordnung. Unterrichts- und Erholungsphasen im Schuljahr seien nach pädagogischen Gesichtspunkten zu verteilen, zum einen durch die Schaffung von Herbstferien, zum anderen mit einheitlichen schulautonomen Tagen. Des Weiteren vermisst Grünen-Bildungssprecher Harald Walser ausreichend Betreuungsangebote für PflichtschülerInnen an unterrichtsfreien Tagen, die Werktage sind. Am Beispiel Vorarlberg zeige sich, dass eine flächendeckende Durchsetzung der Erholungsphase im Herbst den Unterrichtsdruck im Dezember sowohl für SchülerInnen als auch für LehrerInnen deutlich mindere, stellte er fest und vermerkte auch, eine derartige Ferienreform werde im Bundesland Tirol ernsthaft erwogen.

Als durchaus berechtigt wertete Marianne Gusenbauer-Jäger (S) den Vorstoß, empfahl aber, das Thema im Unterausschuss des Unterrichtsausschusses weiter zu behandeln, um eine einheitliche Lösung zu erarbeiten – und fand für ihren Vorschlag Zustimmung bei SPÖ und ÖVP. Brigitte Jank (V) wünschte sich dazu vom Bildungsministerium ein Kompendium mit Studien zu pädagogisch sinnvollen Erholungsphasen, was ihr Ministerin Heinisch-Hosek zusicherte.

Insgesamt begrüßte Heinisch-Hosek die Bereitschaft der Abgeordneten, einige der heute thematisierten Anliegen im Unterausschuss des Unterrichtsausschusses vertieft zu diskutieren. Tatsächlich gelte es, etwa die bestehenden Ferienregelungen zu hinterfragen, weil diese teils veraltet seien und nicht länger dem Jahresrhythmus der Bevölkerung entsprächen. Zum FPÖ-Antrag auf vorschulische Sprachstandsfeststellungen erinnerte sie, seit 2009 seien sämtliche Kindergärten Österreichs mit Hilfsmitteln wie Beobachtungsbögen und Handbüchern zur pädagogischen Sprachförderung ausgestattet. Außerdem stünden in den nächsten drei Jahren jeweils 30 Mio. € für Sprachförderung und Entwicklungsfeststellung bereit.

Zentralmatura ab 2017 auch an Schulen für Berufstätige

Schulen für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgängen (BKV) erhalten die rechtliche Grundlage für die standardisierte Reifeprüfung. Mit breiter Mehrheit – Team Stronach-Mandatar Lugar fehlte bei der Abstimmung - machten die Abgeordneten entsprechende Änderungen im BKV-Schulunterrichtsgesetz plenumsreif. Ziel der Novelle ist nicht zuletzt, auch Personen im Berufsleben mittels gesetzlichen Anpassungen an die neue Maturaform die Möglichkeit zum Erlangen der Hochschulreife zu geben. Erhofft wird, dadurch die Zahl der AHS-/BHS-Abschlüsse in Österreich zu erhöhen.

Um die Zeitpunkte zur Abhaltung der neuen Maturaform mit jenen der Berufsreifprüfungen bestmöglich abstimmen zu können, tritt die Novelle erst 2017 in Kraft. (Schluss Unterrichtsausschuss) rei


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