Parlamentskorrespondenz Nr. 840 vom 17.07.2015

NR-Debatte über Hilfe für Griechenland und die Zukunft Europas

SPÖ-ÖVP-Mehrheit stimmt ESM-Finanzhilfe für Griechenland zu

Wien (PK) – Wenige Tage nach Ende der ordentlichen Tagung 2014/15 hat Bundespräsident Heinz Fischer den Nationalrat zu einer außerordentlichen Tagung einberufen. Zu entscheiden war über den Antrag des Finanzministers, ihn zu ermächtigen, einem Vorschlag des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zuzustimmen, Griechenland Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren. In einer überaus lebhaften Debatte, in der die Abgeordneten das Ergebnis der jüngsten Verhandlungen in der Eurogruppe und auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs beurteilten, ging es über wirtschaftliche und finanzpolitische Analysen zu Griechenland hinaus auch um die Zukunft der Eurozone und um die immer wieder sehr grundsätzlich gestellte Frage, welche Lehren aus dem griechischen Drama für Europa zu ziehen seien. Das Verhandlungsmandat für Finanzminister Schelling erteilte der Nationalrat mit der Mehrheit von SPÖ und ÖVP. Eingangs der Sitzung wurde Abgeordneter Jürgen Schabhüttl (S) als Nachfolger von Norbert Darabos angelobt.  

Strache: Ein Paket für Banken und Spekulanten, keine Hilfe für die Griechen

Klubobmann Heinz-Christian Strache (F) kritisierte das geplante dritte Hilfspaket für Griechenland, von dem ebenso wenig wie von den beiden vorangegangenen zu erwarten sei, dass das Geld bei den Menschen in Griechenland ankomme. 54 Mrd. € der 86 Mrd. € seien für Tilgungen und Zinsen vorgesehen, rechnete Strache vor und sprach von einem "Paket für Banken und Spekulanten". Dieses Paket biete keine Chance zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Griechenland. Es sei an der Zeit, mit den Lügen in Europa aufzuhören, sagte der Redner und forderte "mehr Wahrheit". Großbritannien, Tschechien und Schweden beteiligen sich nicht an dem neuen Hilfspaket, weil sie nicht bereit seien, in die Taschen ihrer Steuerzahler zu greifen. In drei Jahren werde man über ein weiteres Hilfspaket verhandeln müssen und in der Folge über ein viertes und ein fünftes, prophezeite Strache und sagte: "Nicht mit der FPÖ!"

Hilfe für Griechenland erwarte er sich von einen geordneten Ausstieg aus der Eurozone, das geplante Hilfsprogramm verspreche dagegen keinen Erfolg. Das Europrojekt solle offenbar um jeden Preis gerettet werden, um Ausgaben von Banken und Spekulanten abzudecken. Wer fortgesetzt Geld in dieses System pumpe, nehme Griechenland die Chance, logische Konsequenzen aus dem Scheitern der bisherigen Hilfsprojekte zu ziehen und zur Drachme zurückzukehren. Ein Grexit würde den Bestand der Eurozone nicht gefährden, zeigte sich Strache überzeugt. Es wäre ein Ende mit Schrecken statt eines Schreckens ohne Ende.

Wenn man den griechischen Schuldnern eine Volksabstimmung über den künftigen Weg zugestehe, sollte man dies den Menschen in den Geberländern nicht verwehren, sagte der FPÖ-Klubobmann, der einmal mehr ein österreichisches Referendum über die Frage verlangte, ob die ÖsterreicherInnen ihr Geld nach Griechenland schicken wollen.  Die FPÖ wird sich weiter für die direkte Demokratie in Österreich einsetzen, denn Österreich brauche Alternativen zur hohen Staatsverschuldung, zu Rekordausgaben und es brauche Solidarität mit seinen SteuerzahlerInnen.

Schieder: Es gibt keinen kontrollierten Grexit

SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder warnte seine Vorredner vor Schwarzweiß-Malerei bei der Beurteilung komplexer volkswirtschaftlicher Fragen. Die SPÖ trete für das Hilfspaket ein, weil es ihr darum gehe, einen Grexit zu vermeiden, der zu einem Einbruch der griechischen Wirtschaft, zu einem Staatsbankrott und zu einer sozialen Katastrophe in Griechenland führen würde. "Es gibt keinen kontrollierten Grexit", sagte Schieder und warnte vor einer weiteren Zuspitzung der Katastrophe. Griechenland importiere 50% seiner Lebensmittel und 80% seines Energiebedarfs. Griechenland ist eng mit der Eurozone verbunden, ein Austritt aus dem Euro würde nicht die reichen Griechen, sondern Menschen mit niedrigen Einkommen treffen. Österreich sei als Eurozonenmitglied auch für die Menschen in Griechenland verantwortlich und müsse daher dem Hilfspaket zustimmen.

Österreich hätte von einem Grexit massive Probleme zu erwarten, führte der SPÖ-Klubobmann weiter aus. Wachstum und Wohlstand in Österreich wären gefährdet. Griechenland brauche Voraussetzungen, um sich selbst zu helfen, Wachstum zu schaffen und sich aus der Krise herauszuarbeiten. An dieser Stelle stellte Schieder fest, dass sich seine Partei in der Frage, wie hart Griechenland sparen müsse und wie viel Geld dem Land für Investitionen und Beschäftigung bleiben, einen weniger harten Kürzungskurs gewünscht hätte. Schieder äußerte auch Kritik an der deutschen Verhandlungsführung in Brüssel, während er Bundeskanzler Faymann lobte, der gemeinsam mit Frankreich und Italien eine vermittelnde Rolle eingenommen habe. Mit Starrsinn wäre man nicht zum Ziel gekommen, zeigte sich Schieder überzeugt.

Griechenland und Alexis Tsipras seien nun gefordert, den Kampf gegen die Korruption und den Nepotismus zu führen, eine vernünftige Verwaltungsreform und eine effiziente Steuerbehörde zu schaffen sowie dafür zu sorgen, dass die Hilfsgelder dort ankommen, wo die Menschen sie brauchen, schloss Schieder.

Grüne für Schuldenschnitt, gegen "Grexit auf Zeit"

Auch Abgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek (G) stellte eingehend fest, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone wäre für Geberländer und Griechenland die teuerste Lösung. "Es wäre auch der Beginn des Zerfalls der Eurozone", fügte die Rednerin hinzu. Die EU sei mehr als ein Gebiet mit einer gemeinsamen Währung, die EU sollte – nicht nur in Griechenland, sondern auch in der Flüchtlingsfrage – eine politische Union sein. Bei der Beurteilung des Brüsseler Verhandlungsergebnisses zitierte Glawischnig-Piesczek den Internationalen Währungsfonds, der die bereits aufgehäuften Schulden für Griechenland als nicht mehr tragbar sehe. Ein Großteil der Hilfsgelder komme nicht in der Wirtschaft und nicht bei den Menschen in Griechenland an. Ein Schuldenschnitt wäre ökonomisch sinnvoll, sagte Glawischnig-Piesczek und beantragte, eine Schuldenerleichterung für Griechenland in Angriff zu nehmen, um Griechenland Budgetspielraum für Investitionen zu verschaffen. Das vorliegende Hilfspaket beurteilte Glawischnig-Piesczek als einen Grexit auf Zeit, weil die Fortsetzung und Verschärfung des extremen Sparkurses zu weniger Wachstum und weniger Steuereinnahmen führen würden und Griechenland keine Chance geben, seine sozialen Probleme zu lösen und in einen neuen Wirtschaftsaufschwung zu investieren. "Griechenland braucht Luft zum Atmen", sagte die Klubobfrau der Grünen und riet dazu, das Privatisierungsprogramm zu überdenken. Die Zukunft Griechenlands setze voraus, eine öffentliche Verwaltung mit Effizienz zu schaffen, die Rechtssicherheit zu verbessern, die Korruption zu bekämpfen und es dem Land zu ermöglichen, seine erneuerbaren Energie-Ressourcen zu nutzen sowie Landwirtschaft und Industrie aufzubauen.

Lopatka: Deutschland ist die Lokomotive Europas  

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka (V) zeigte sich verwundert darüber, dass die Grünen in der Frage der Griechenlandhilfe mit der FPÖ in einem Boot sitzen. Lopatka vermisste die Solidarität der Grünen mit den Menschen in Griechenland, denen ein unglaubliches Drama drohe, wenn das österreichische Parlament dem vereinbarten Hilfsprogramm nicht zustimme.

Die Politik der Syriza-Regierung in Griechenland sei unprofessionell gewesen, zitierte Lopatka den Wiener Bürgermeister Häupl. Varoufakis hätte weniger oft nach Brüssel fahren und sich stattdessen in der Schweiz darum kümmern sollen, Geld zurück zu bekommen, das aus Griechenland dorthin gebracht wurde. Der Regierung Tsipras warf Lopatka zudem mangelnde Reformbereitschaft vor und bekundete Verständnis für die Haltung, die Deutschland und die Niederlande bei den Verhandlungen über ein neues Hilfspaket an den Tag gelegt haben.

Die Frage, ob man dieser griechischen Regierung noch vertrauen könne, sei mit der Frage zu verknüpfen, ob die Menschen uns noch vertrauen können, sagte Lopatka in Anlehnung an Angela Merkel. Vertrauen, die beste Währung, seien verloren gegangen, seit die Verzögerung notwendiger Reformen in Griechenland einen zusätzlichen Finanzbedarf bei den griechischen Banken von 25 Mrd. € hervorgerufen haben, rechnete der ÖVP-Klubobmann vor. Bundeskanzler Werner Faymann forderte der ÖVP-Klubobmann dazu auf, sich in seiner Europapolitik nicht an den hochverschuldeten Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit wie Frankreich, Italien und Zypern zu orientieren, sondern an Deutschland, den Niederlanden und Schweden, die geringe Arbeitslosigkeit und eine geringe Staatsverschuldung aufweisen. "Deutschland ist die Lokomotive der EU", sagte der ÖVP-Klubobmann und wies darauf hin, dass Österreich Waren im Wert von 40 Mrd. € nach Deutschland exportiere. Deutschland ist das Österreichs wichtigster Wirtschaftspartner sei, sagte Lopatka.

Lopatkas Kernforderungen an Griechenland lauten auf Straffung des Mehrwertsteuersystems, die Anhebung des Pensionsalters, Liberalisierungen am Arbeitsmarkt, Verwaltungsreformen und Privatisierung im Umfang von 50 Mrd. €. Diese Forderungen seien ohne Wenn und Aber zu erfüllen, nur so könne Griechenland Schritt für Schritt aus seiner Krise herauskommen, schloss Lopatka.

Dietrich: Regeln der Eurozone sind einzuhalten

Die Klubobfrau des Teams Stronach, Waltraud Dietrich, schloss sich der Kritik an der Regierung Alexis Tsipras an und beklagte ihrerseits den Verlust von Vertrauen in die Syriza-Regierung, die längst keine Mehrheit in Griechenland mehr habe. Wer soll mit dem geplanten Hilfspaket gerettet werden, fragte Dietrich und begründete ihr Nein zur Politik von EU, IWF und EZB mit dem Hinweis darauf, dass es nicht allein darum gehen könne, Griechenland zu retten. Es gehe um die Währungsunion und um die Einhaltung der Regeln der Eurozone. Dietrich lehnte es namens ihrer Fraktion ab, eine Transferunion zu schaffen, in der Südeuropa auf Kosten des Nordens lebe. Ein Grexit wäre zwar teuer, räumte Dietrich ein, ein europäischer Finanzausgleich wäre ihrer Ansicht nach jedoch unfinanzierbar. An dieser Stelle bezifferte Dietrich die Staatsschuldenquote Griechenlands mit 200% und sprach von einem Fass ohne Boden. Solidarität gelte nicht nur für Griechenland, sondern müsse auch für die österreichischen SteuerzahlerInnen gelten.

Strolz für einen neuen Europäischen Verfassungskonvent

Klubobmann Matthias Strolz (N) bekannte sich dazu, Griechenland auf die Beine zu bekommen, das Leiden der Menschen dort zu beenden und ein völliges Chaos in diesem Land zu vermeiden. Bei der Beurteilung des dritten Hilfspakets wolle er es sich nicht leicht machen, sagte Strolz. Das Nein seiner Fraktion, die aus glühenden EuropäerInnen bestehe, komme nicht aus mangelnder Solidarität, sondern aus der Erkenntnis, dass das dritte Hilfspaket nur die Fortsetzung der Insolvenzverschleppung sei und weder der griechischen Bevölkerung noch der Europäischen Union zugemutet werden könne. Darin sei er mit Alexis Tsipras einig, sagte Strolz. Tsipras glaube nicht an die Maßnahmen, er habe ihnen nur zugestimmt, weil er erpresst worden war und zustimmen musste, um das totale Chaos in Griechenland zu vermeiden. Der Vorschlag der NEOS laute auf eine Direktkapitalisierung der griechischen Banken und auf humanitäre Maßnahmen für die Menschen in Griechenland. In der Frage der Verantwortung für diese Situation erinnerte Strolz an korrupte sozialdemokratische und konservative Regierungen, an die Verantwortung der Bevölkerung, die diese Regierungen gewählt haben, aber auch an die Verantwortung der Schwesterparteien wie SPÖ und ÖVP, die jahrelang zugesehen hätten, wie Griechenland in die Überschuldung geschlittert ist.  

Griechenland brauche einen Schuldenschnitt, weil es 320 Mrd. € nicht tragen könne. Das ESM-Regime sei rechtlich nicht zulässig, weil es Schuldentragfähigkeit bei Hilfsmaßnahmen voraussetze. Strolz sah die Glaubwürdigkeit Europas auf dem Spiel stehen, wenn Hilfspakete beschlossen werden, die dem EU-Recht widersprechen und das Geld nicht bei den Menschen ankomme. Über den Anlassfall Griechenland hinaus seien daher europäische Regeln und Prozesse zu ändern, statt immer nur "weiterzuwurschteln". "Wir brauchen einen Verfassungsprozess in Europa, sonst geht es weiter bergab mit diesem Kontinent", sagte Strolz und sprach sich für die Einberufung eines neuen europäischen Verfassungskonvents ein.

Faymann: Griechenland steht ein harter Weg bevor   

Auch Bundeskanzler Werner Faymann hielt die Instrumente der Eurozone für nicht ausreichend. Die Eurozone habe sich als stark erwiesen und habe den meisten ihrer Mitgliedsländer Vorteile gebracht. Seit der Finanzkrise geben aber Spekulationen Anlass zur Sorge, wegen der Wettbewerbsunterschiede zwischen den Mitgliedsländern habe es die Eurozone auseinandergerissen. Österreich gehöre zu den Ländern, die von der Eurozone profitierten, betonte Faymann und wies auf die historisch niedrigen Zinsen hin, die Österreich aktuell für seine Staatsanleihen zahlen müsse. Ziel des neuen Hilfspaket für Griechenland sei es, Griechenland die Chance zu geben, wieder auf eigene Beine zu kommen und eines Tages nicht mehr auf Hilfe angewiesen zu sein. Ein Paket, dass dieses Ziel von heute auf morgen erreiche, gebe es nicht. Wichtig sei es, einen Grexit abzuwenden und einen ersten Schritt zu setzen, indem Griechenland 86 Mrd. € für drei Jahre bekomme. "Griechenland steht vor einem harten Weg", sagte Faymann und appellierte an die Abgeordneten, die Griechenland diese Chance geben wollen, dem Hilfspaket zuzustimmen. In Zukunft werde es notwendig sein, die Schuldentragfähigkeit Griechenlands zu beurteilen und im Sinne des IWF Maßnahmen zu setzen, sei es durch einen klassischen Schuldenschnitt oder auf andere Weise. Die Kennzahl des IWF für die Schuldentragfähigkeit eines Landes laute auf eine Zinsenquote von maximal 15% am BIP - das müssen wir erreichen, sagte Faymann.

"Es ist nicht leicht gewesen, gemeinsam mit 18 Partnern in der Eurozone eine Chance für Griechenland herauszuarbeiten", lautete das Resümee des Bundeskanzlers nach den Verhandlungen in Brüssel. Die Behauptung, es würde den Menschen in Griechenland nicht helfen, wenn man dafür sorge, dass die griechischen Banken ihre Arbeit wieder aufnehmen können, bezeichnet Faymann als falsch und wies auf das Bild des weinenden Mannes in Athen hin, der seine Pension nicht beheben konnte, weil er vor einer verschlossenen Bank stand. Man müsse die griechischen Banken wieder in die Lage versetzen, ihre Arbeit für die griechische Wirtschaft zu leisten. Denn in erster Linie brauche Griechenland Investitionen, um sich aus der Krise "herauszuinvestieren". Abschließend machte der österreichische Regierungschef darauf aufmerksam, wie sehr die exportorientierte Wirtschaft Österreichs darauf angewiesen ist, dass die Menschen im Binnenmarkt Einkommen haben und über Kaufkraft verfügen. Es liegt im Interesse der ÖsterreicherInnen, dass es den Menschen in Europa gut gehe, schloss Faymann. (Fortsetzung Nationalrat) fru