Parlamentskorrespondenz Nr. 991 vom 24.09.2015

Turbulente Debatte im Nationalrat über Flüchtlingsströme

NR-Präsidentin Bures mahnt Vorbildwirkung der Abgeordneten ein

Wien (PK) – Nach den Ausführungen von Bundeskanzler Werner Faymann zur aktuellen Flüchtlingsfrage in der heutigen Sondersitzung des Nationalrats, angestoßen durch die Dringliche Anfrage der FPÖ, gestaltete sich auch die weitere Debatte teilweise turbulent und emotionell. Mehrmals sah sich Nationalratspräsidentin Doris Bures zu Beginn gezwungen, angesichts der menschlichen Tragödien, die der Diskussion zugrunde liegen, eine angemessene Wortwahl von den RednerInnen einzufordern. Konkreter Anlass waren Aussagen von FPÖ-Abgeordnetem Herbert Kickl, die nicht der Würde und dem Anstand des Hauses entsprächen, wie die Präsidentin feststellte: so bezichtigte er etwa die Regierung im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage des "Verrats". Die Abgeordneten müssten auch bei dieser Plenardebatte ihrer Vorbildwirkung gerecht werden, unterstrich Bures.

In einer kurzen Geschäftsordnungsdebatte zur Handhabung von Ordnungsrufen warf FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache der Präsidentin vor, parteipolitisch motiviert zu agieren, zumal sie die während der Sitzung laufende Spendenaktion der Grünen nicht untersagt hatte. Diese Vorhaltung ließ Bures nicht gelten: Die von den Grünen im Plenarsaal platzierte Sammelbox für Spenden an das Wiener Integrationshaus für minderjährige Flüchtlinge sei keineswegs als "überbordender Aktionismus" zu werten, sagte sie. Die Grünen hatten angeregt, bei jeder "Unwahrheit" der FPÖ zur Flüchtlingsthematik 5 € in die Box zu werfen. Die Spendenbox wurde schließlich zur Regierungsbank gestellt. Am Ende der Sitzung gab Georg Willi (G) bekannt, dass insgesamt 2.715 € für das Integrationshaus gespendet wurden.

SPÖ: EU muss Flüchtlingsfrage menschlich beantworten

Die Herausforderungen durch die Flüchtlingsbewegungen seien nur auf europäischer Ebene zu bewältigen, und zwar "pragmatisch, menschlich, schnell", unterstrich eingangs SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Eine brauchbare Handlungsvorlage dafür böten die Ergebnisse des gestrigen EU-Sondergipfels, sowohl hinsichtlich einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge in den EU-Staaten und zur Beschleunigung der Asylverfahren mittels Verteilerzentren an den Außengrenzen, als auch für Hilfen in den Krisenregionen und in den Ländern auf den Flüchtlingsrouten. Asyl sei ein Menschenrecht, das einzig durch rechtsstaatliche Verfahren geprüft werden dürfe, mahnte SPÖ-Mandatarin Angela Lueger. "Das ist die Basis für unsere Demokratie". Das Flüchtlingsthema nach FPÖ-Manier für den Wahlkampf zu nutzen, nannte sie "schäbig", sei es doch eine humanitäre Verpflichtung, Schutzsuchenden zu helfen.

Walter Schopf (S) bedankte sich bei den vielen Freiwilligen und den Hilfsorganisationen, die in den letzten Wochen mit großem Einsatz den Flüchtlingen Hilfe geleistet haben. Die Bundesregierung habe sich auf europäischer Ebene für richtige Beschlüsse eingesetzt, sagte Schopf. Wichtig sei, dass alle an einem Strang ziehen und nicht zu versuchen, aus der Flüchtlingskrise politisches Kapital zu schlagen.

Otto Pendl (S) vermisste eine seriöse Diskussion der Flüchtlingskrise. Das Thema müsse sachlich und gemeinsam auf europäischer Ebene angegangen und in menschlicher Weise gelöst werden. Neue Zäune oder gar ein Schießbefehl zur Abwehr von Flüchtlingen seien sicherlich nicht der richtige Weg, betonte der Abgeordnete.

ÖVP: Regierung arbeitet permanent an Problemlösung

60 Millionen Flüchtlinge gebe es derzeit weltweit, stellte Reinhold Lopatka (V) klar. Die Zahl der Schutzsuchenden in Österreich sei also keineswegs dramatisch hoch. Allerdings, räumte er ein, müsse die Europäische Union auf rechtsstaatliche Weise dafür sorgen, dass nur diejenigen Asylstatus erhalten, die tatsächlich aus Kriegsgebieten kommen bzw. politisch verfolgt sind. Vehement wies der ÖVP-Klubobmann die Klage der FPÖ gegen die Bundesregierung zurück: während die Freiheitlichen permanent Angst schürten, arbeite die Regierung ununterbrochen an Lösungen. Als Beispiel nannte er das gestern beschlossene Durchgriffsrecht des Bundes zur Flüchtlingsunterbringung und versicherte im gleichen Atemzug, dank des Engagements der Länder und Gemeinden brauche es wohl nie zur Anwendung kommen. Auf die Vorhaltung der Freiheitlichen, die Regierung lasse Fremde ohne Kontrollen ins Land, bezog sich Werner Amon (V) konkret. Die Bundesregierung agiere völlig rechtmäßig, denn der Schengen-Grenzkodex erlaube aus humanitären Gründen die Einreise Drittstaatsangehöriger ohne Ausweispapiere. Langfristig müsse sich die Europäische Union allerdings über ihre Aufnahmefähigkeit klar werden, gab der ÖVP-Mandatar zu bedenken, nicht zuletzt, um die angemessene Versorgung der Flüchtlinge sicherzustellen.

Dorothea Schittenhelm (V) bekannte sich im Sinne der Menschenrechte klar zur Hilfe für alle, die Schutz vor Krieg und Terror brauchen. Gleichzeitig stellte sie fest, dass in der Bewältigung der Krise der richtige Mittelweg gefunden werden müsse. Asyl auf Zeit und die Einrichtung von Verteilungszentren für Flüchtlinge seien richtige Lösungsansätze. Die EU-Außengrenzen müssten gesichert werden, nur so könne es eine Union ohne innere Grenzen geben, sagte die Abgeordnete. Nikolaus Prinz (V) dankte der Innenministerin und ihren MitarbeiterInnen sowie den Verantwortlichen in den Gemeinden, die in den letzten Wochen viel für die Unterbringung von Flüchtlingen geleistet hätten. Die geforderte Solidarität müsse weltweit geübt werden, meinte er. Auch die USA und die reichen Golfstaaten müssten ihren Beitrag leisten. Der Flüchtlingsstrom dieses Jahres sei in seiner derzeitigen Dimension von der EU durchaus zu bewältigen, wenn die richtigen Maßnahmen gesetzt werden. Einen Blick in die Geschichte der Zweiten Republik warf Johann Rädler (V) und schloss daraus, dass man mit Begriffen wie "Ausnahmezustand" sehr sorgsam umgehen solle. Im Jahr 1945 hätten sich 1,8 Mio. Flüchtlinge in Österreich aufgehalten, und es habe immer wieder Flüchtlingswellen gegeben. Der Aktionsplan der ÖVP biete mit seinen acht Punkten die Antworten, auf die die Bevölkerung warte.

FPÖ: Regierung hat Vertrauen verspielt

Eine "staatspolitische Notwendigkeit" sei der FPÖ-Misstrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung, erklärte Abgeordneter Herbert Kickl die Initiative seiner Fraktion. Die Regierung missachte völlig die Interessen der Bevölkerung: sie billige Fremden automatisch Heimatrecht zu und stelle die Mittel zur Flüchtlingsversorgung bereit, während zahlreiche ÖsterreicherInnen aufgrund von Leistungskürzungen und fehlender Valorisierung armutsgefährdet seien. Kritik übte Kickl auch an der medialen Darstellung der Flüchtlingssituation "Hier wird vertuscht, dass sich die Balken biegen", sagte der Freiheitliche Generalsekretär, nicht zuletzt wegen des Regierungseinflusses in der Berichterstattung. Die öffentliche Meinung entspreche nicht der veröffentlichten Meinung, bekräftigte Elmar Podgorschek (F) Kickls Vorwurf, um in weiterer Folge die geopolitische Dimension des Syrien-Konflikts zu adressieren. Das dadurch bedingte Flüchtlingsproblem in Europa sei nur mit der Beendigung des Konflikts zwischen Russland und den USA in Bezug auf Syrien zu lösen, so Podgorschek.

Günther Kumpitsch (F) bezweifelte, dass das Durchgriffsrecht wie angekündigt nur als "ultima ratio" zum Einsatz kommen werde. Vielmehr sei es ein Freibrief, um die Rechte der Länder und Gemeinden zu beschneiden. Trotz vieler Bedenken greife man dafür massiv in die Verfassung ein. Bei einer Volksabstimmung wäre dieses Verfassungsgesetz nicht durchgegangen, war Kumpitsch überzeugt, der sich außerdem gegen eine Beschönigung der Migrationskrise wandte.

Als letzter Redner seiner Fraktion wies Walter Rosenkranz (F) die Kritik an den Positionen der Freiheitlichen zurück. Die Freiheitlichen seien für Asyl für alle jene, die tatsächlich Hilfe brauchen, stellte er fest. Man dürfe aber auch die Probleme, die aus der derzeitigen Migrationsbewegung entstehen, nicht verschweigen. Der Ausbruch von interreligiösen Konflikten und Bandenkriegen stelle eine tatsächliche Gefahr für Österreich dar, warnte Rosenkranz.

Die fraktionslosen Abgeordneten Rupert Doppler und Gerhard Schmid stimmten in ihrer Einschätzung der Flüchtlingskrise mit der Linie der FPÖ überein. Doppler meinte, dass Massenzuwanderung das soziale und kulturelle Gefüge Österreichs aus dem Lot bringe. Das Durchgriffsrecht sei eine Entmündigung von Ländern und Gemeinden. Der ungarische Ministerpräsident Orban werde kritisiert, obwohl er nur die EU-Außengrenze schütze, meinte Doppler. Schmid sah ein Versagen der Bundesregierung und der EU in der Bewältigung der Flüchtlingsströme. Er kritisierte, dass der Grenzeinsatz das Bundesheer an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringe. 

Die fraktionslose Abgeordnete Jessi Lintl zitierte Berichte von "marodierenden Flüchtlingshorden" in Süditalien. Österreich sei nicht weit von solchen Zuständen entfernt, befürchtete sie. Ein souveräner Staat müsse imstande sein, seine Grenzen zu schützen, sonst verliere er seine Legitimität.

Grüne: Flüchtlingshilfe braucht innerstaatliche und internationale Maßnahmen

"Helfen auf allen Ebenen – lokal, national und international", das ist für Eva Glawischnig-Piesczek (G) das Gebot der Stunde. Legale Einreisemöglichkeiten für Schutzsuchende wären hier ein wichtiges Element. Den Freiheitlichen hielt sie vor, deren Forderung, Flüchtlinge vorrangig in den Herkunftsländern zu unterstützen, werde durch den jahrelangen FPÖ-Protest gegen Erhöhungen der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) konterkariert. Unhaltbar sei überdies, dass die Freiheitlichen die Flüchtlingskrise "als Wahlkampfthema missbrauchen", so die Grünen-Klubobfrau, die aber auch die Regierung nicht aus der Pflicht nahm. Obwohl der Syrien-Krieg schon seit fünf Jahren tobe, sei in der ganzen Zeit "nichts passiert", 2013/14 habe man sogar die EZA-Mittel gekürzt, prangerte sie an. Für einheitliche Asylstandards in der Europäischen Union machte sich Alev Korun (G) stark und führte als Gegenbeispiel die "unmenschliche" Behandlung von Flüchtlingen durch die ungarische Polizei in den letzten Wochen an. Durch "Weckducken" vor den Zuständen im Nachbarland werde man die Flüchtlingskrise nicht lösen, so die Grüne Asylsprecherin. Europa stehe jetzt an einem Wendepunkt, ob es eine solidarische Antwort findet.

Peter Pilz (G) brachte einen gemeinsamen Entschließungsantrag von SPÖ, ÖVP und Grünen ein, der sich für die Unterstützung der Syrienflüchtlinge in den Regionen um Syrien einsetzt. Der österreichische Beitrag zum World Food Programme solle sich am Beitrag Deutschlands und anderer europäischer Länder orientieren, heißt es im Antrag. Der Beitrag Österreichs würde sich damit auf 6 Mio. € belaufen. Fluchtbewegungen könne man sicher nicht verhindern, indem man Menschen mit unmenschlichen Maßnahmen abzuschrecken versuche, sondern nur, indem man die Fluchtgründe beseitige, erklärte der Grüne Abgeordnete. Daher müsste man die Programme unterstützen, die Menschen das Überleben in den Flüchtlingscamps ermöglichen.

"Wehleidigkeit" der Freiheitlichen Partei konstatierte Harald Walser (G) und meinte, sie arbeite mit den Methoden, die auf Hetze und Lügen hinauslaufen. Walser zitierte einen Aufruf von Auschwitz-Überlebenden, in dem die europäische Politik dazu aufgerufen wird, sich klar gegen verhetzende Politik zu stellen.

NEOS: Rechtspopulismus hat keine Lösungskompetenz

Eine deutliche Warnung vor "Rechtspopulismus" sprach Matthias Strolz (N) aus: Parteien wie der FPÖ fehle es an der nötigen Verantwortung für Regierungsämter, das zeige sich gerade am Umgang mit der Flüchtlingsthematik. "Stacheldrahtzäune rund um die EU" zu bauen, sei keineswegs die Lösung der Tragödie, die bereits Zigtausenden am Mittelmeer das Leben gekostet hat, wie der NEOS-Klubobmann erinnerte. "Vorsicht vor solchen Vorschlägen", die zur Abschottung des Kontinents führen würden, rief er in den Saal und appellierte an die Bevölkerung, der politischen Mitte ihr Vertrauen zu schenken. Die Dringliche Anfrage der Freiheitlichen nahm sich NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak im Detail vor, um die FPÖ-Ansätze zu widerlegen. Irritiert zeigte er sich beispielsweise über die Fragestellung zur Aktualität der Europäischen Menschenrechtskonvention: Grundwerte wie das Recht auf Leben oder auf freie Meinungsäußerung seien wohl niemals in Frage zu stellen. Eine andere Sicht hat der NEOS-Abgeordnete auch hinsichtlich Arbeitsmarktzugang für Asylwerbende, den er entgegen den Freiheitlichen eindeutig begrüßen würde.

Beate Meinl-Reisinger (N) stellte fest, dass die Menschenrechte universell seien, man könne sich nicht aussuchen, für wen sie gelten sollen. Das Engagement, das aus der Zivilgesellschaft zur Bewältigung der Krise gekommen sei, mache sie stolz. Gleichzeitig zeige sich, dass die aktuellen politischen Strukturen Österreichs nicht in der Lage seien, Lösungen zu finden. Auch der Rechtspopulismus biete keine Lösungen an, sondern versuche nur, die Ängste der Menschen auszunützen.

In ihrer Abschiedsrede blickte Meinl-Reisinger auf zwei Jahre im Parlament zurück. Sie bedauerte dabei, dass sich immer wieder zeige, dass das Parlament kein Arbeitsparlament sei, das eigenständig Initiativen setzen könne, sondern nur dazu da sei, die Politik der Regierung zu bestätigen. Gleichzeitig wolle sie sich bei allen Abgeordneten der anderen Fraktionen bedanken, die bereit waren, der neuen Fraktion bei ihrem Einzug ins Parlament Hilfestellungen zu geben, sagte die scheidende Abgeordnete, die bei der Wien-Wahl als Spitzenkandidatin ihrer Partei antritt.

Team Stronach: Solidarität vorranging mit ÖsterreicherInnen

Die Schlagworte Solidarität und Hilfsbereitschaft hinterfragte Robert Lugar (T) angesichts der cirka 60 Millionen Flüchtlinge am Erdball, von denen nur 0,1% nach Europa komme. "Kann man mit ihnen solidarisch sein, aber nicht mit dem Rest?" Für den Klubobmann des Team Stronach ist klar, die Regierung habe sich zu allererst solidarisch gegenüber der österreichischen Bevölkerung zu zeigen, weshalb seine Fraktion den FPÖ-Antrag unterstützen werde. Immerhin sei Syrien nicht Teil "unseres Kulturkreises", schon hinsichtlich der Religion. Anstatt syrische Flüchtlinge unbegrenzt ins Land zu lassen, sollten sie seiner Ansicht nach in Schutzzonen ihrer Region Zuflucht finden. Die heutige Sitzung zeigte für Martina Schenk (T) einmal mehr die "Ziel- und Planlosigkeit der Bundesregierung", nicht nur in Bezug auf die Flüchtlingsthematik. Von der hohen Arbeitslosigkeit bis zu Einschnitten in der Sicherheit durch Schließungen von Polizeidirektionen habe Österreich zahlreiche Probleme, denen die Regierung nicht Herr werde, befand die Team Stronach-Politikerin.

Leopold Steinbichler (T) schloss sich dem Dank an alle an, die zur Bewältigung der Krise geholfen haben. Der Antrag zur Hilfe vor Ort gehe in die richtige Richtung, meinte er. Das Team Stronach setzt sich für UNO-Schutzzonen in den aktuellen Krisenregionen ein. Nicht vergessen werden dürfe, dass ein verfehltes Wirtschaftssystem viele Menschen in die Flucht treibe. So ruiniere die europäische Nachfrage nach Palmöl viele bäuerliche Betriebe in den Entwicklungsländern.

Die Polizei habe an den Grenzen aufgrund von Personalnot große Probleme, ihrem Auftrag nachzukommen, kritiserte Christoph Hagen (T). Das sei ein sicherheitspolitisches Problem. Der Bundeskanzler habe das zwar richtig erkannt, er müsse aber auch handeln, forderte Hagen. Eine "hilflose Bundesregierung" sah Waltraud Dietrich (T). Sie sei nicht imstande, Probleme zu lösen. In Österreich gebe es 37.000 Obdachlose, diese dürfe man nicht vergessen, forderte sie. (Schluss Dringliche Anfrage, Fortsetzung Nationalrat) rei/sox