Parlamentskorrespondenz Nr. 1166 vom 29.10.2015

Flüchtlingskrise: Verhältnismäßiges Vorgehen oder Rechtsbruch

Dringliche Anfrage der FPÖ im Bundesrat

Wien (PK) – Der anhaltende Flüchtlingsstrom nach Europa und Österreich im Besonderen beschäftigte heute auch den Bundesrat. Unter dem Titel "Österreich schafft sich ab", werfen die Freiheitlichen in Form einer Dringlichen Anfrage - eingebracht von FPÖ-Bundesrat Hans-Jörg Jenewein an den Bundeskanzler - der Bundesregierung einmal mehr laufenden Rechtsbruch vor. Jenewein sprach von "Völkerwanderung" und einer Ausnahmesituation, die nicht wirklich überraschend sei, wenn man die Lage genau beobachtet hätte. Den Dammbruch hätten aber die Aussagen des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck und von Bundeskanzlerin Angela Merkel gebracht, weil ihre Worte als Einladung interpretiert worden seien. Nun sei es bereits 5 Minuten nach 12.00 Uhr, so Jenewein.

FPÖ: Regierung hat rechtsfreien Raum geschaffen

Mit dem freiwilligen Verzicht der obersten Organe, Gesetze zu vollziehen und ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe nachzukommen, habe man eine rechtsfreien Raum geschaffen, kritisierte Jenewein. Gesetze und Rechtstaatlichkeit seien zur Makulatur bzw. zur Karikatur verkommen. Österreich sei mit der Tatsache konfrontiert, dass die Exekutivorgane weder die personellen noch die technischen Möglichkeiten besitzen, den Zustrom fremder StaatsbürgerInnen auf eigenes Territorium zu kontrollieren, zu kanalisieren oder gar zu registrieren. Die Bundesregierung habe völlig überfordert die Grenzen geöffnet und die Menschenmassen ohne jegliche Regulierung nach Österreich gelassen, um diese möglichst rasch durchzuschleusen. Das sei eine Selbstaufgabe, lautet der Vorwurf, denn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zähle zu den staatlichen Kernaufgaben.

Jenewein warnte vor einer Destabilisierung der inneren Sicherheit und stellte die Befürchtung in den Raum, dass man Menschen importiere, die nicht immer das Beste wollen. Man wisse nicht, wer nach Europa kommt, warnte er gemeinsam mit Monika Mühlwerth (F/W), stellte aber gleichzeitig klar, dass er nicht die echten Flüchtlinge aus Syrien meine. Für ihn sei es zum Beispiel eine Schande, dass Kinder von Schutzsuchenden nun frieren müssen. Sein Klubkollege Gerd Krusche (F/St) bekräftigte diese Aussagen, indem er darauf hinwies, dass nicht alle, die kommen, aus Syrien stammen. Jenewein übte in diesem Zusammenhang Kritik an der sogenannten Willkommenskultur und setzte an dessen Stelle die Notwendigkeit einer "Verabschiedungskultur" für jene, die mit falschen Pässen und anderen falschen Voraussetzungen einreisen. Man brauche nachhaltige Lösungen, um jene abzuhalten, die keine wirklichen Flüchtlinge sind, forderte er. Die Völkerwanderung, wie er sagte, sei voraussehbar gewesen, der ehemalige deutsche Innenminister Otto Schily habe bereits 2004 Auffanglager an Europas Außengrenzen gefordert, Europa aber habe diese 11 Jahre nicht genützt.

Steßl: Regierung handelt verantwortungsbewusst

Die Beantwortung der Dringlichen Anfrage nahm Staatssekretärin Sonja Steßl in Vertretung des Bundeskanzlers vor. Sie wies den Vorwurf des rechtswidrigen Vorgehens durch die Bundesregierung mit aller Deutlichkeit zurück. Österreich arbeite in engstem Zusammenwirken mit der Europäischen Union und handle verantwortungsbewusst in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Humanität und Einhaltung der Ordnung. Sowohl Schengen als auch das Sicherheitspolizeigesetz würden nicht verletzt, in einer derartigen Situation gelte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie nahm auch den Bundeskanzler in Schutz, der in engstem Kontakt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den EU-Institutionen stehe.

Die Staatssekretärin appellierte mit Nachdruck, keine Ängste zu schüren, sondern den Zusammenhalt und das gemeinsame Vorgehen in den Vordergrund zu stellen. Eine Lösung könne es nur europaweit geben, und in diesem Sinne seien die Beschlüsse des letzten Europäischen Rates richtig und wichtig. Man brauche eine gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen, die Einrichtung von Hotspots, um die Flüchtlinge zu registrieren, und eine EU-weite Quote. Notwendig sei zudem, die Fluchtursachen zu bekämpfen und mitzuhelfen, dass Flüchtlingen in benachbarten Ländern ein menschenwürdiges Leben führen können. Steßl sprach sich dezidiert gegen einen durchgängigen Grenzzaun um Österreich aus und wies auf die mehrmaligen Aussagen Merkels hin, dass die Grenze zwischen Österreich und Deutschland nicht dicht gemacht werde. Derzeit würden die technischen Voraussetzungen für eine geordnete Einreise gemeinsam mit Deutschland geprüft, informierte sie.

Steßl, die in ihrem Kompetenzbereich für die öffentliche Verwaltung zuständig ist, hob die Leistungen von Polizei, Bundesheer, Schulen und Verwaltung hervor. Die betreffenden BeamtInnen gingen mit Sachverstand und Gespür vor und meisterten ihre Aufgaben hervorragend, sagte sie. Sie wies auf die Zusage zusätzlicher Planstellen zur Bewältigung der Aufgaben hin und fügte an, sollte weiter Bedarf bestehen, seien weitere Aufnahmen möglich.

FPÖ gegen "Beruhigungskultur"

Mit dieser Stellungnahme zeigte sich Gerd Krusche seitens seiner Fraktion in keiner Weise zufrieden. Steßl habe Gemeinplätze und Belangloses von sich gegeben und verbreite eine Beruhigungskultur, wie er sagte und konstatierte zugleich Versagen und Chaos der Bundesregierung auf allen Ebenen. Sie agiere unter dem Glassturz der totalen Realitätsverweigerung, betreibe eine Politik des Verschweigens und bereite damit den Boden für Gerüchte sowie Sorgen und Ängste in der Bevölkerung. Die Regierung agiere damit zulasten jener, die wirklich des Schutzes bedürfen.

Auch innerhalb der Bevölkerung sei längst nichts mehr von einer Willkommenskultur zu hören, er, Krusche, wolle jedenfalls nicht, dass sich die Menschen in Österreich wie etwa in Südafrika zunehmend selbst schützen, weil die Polizei dazu nicht in der Lage sei. Auch Michael Raml (F/O) vermisste jene rechtliche Grundlagen, auf die sich das derzeitige Handeln von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und der Polizei an den österreichischen Grenzen stützt, wie er sagte. Die Verordnung für die vorübergehende Einführung von Grenzkontrollen sah er dabei als "absolut längst überfällig". Zudem sprach sich Raml für die Durchsetzung der Pass- und Visumspflicht in Österreich sowie für rechtliche Klarheit, wie die gegenwärtige Situation zu bewältigen ist, aus.

Ins gleiche Horn stieß sein Fraktionskollege Werner Herbert (F/N), der sich wie Hans-Jörg Jenewein (F/W) und Monika Mühlwerth (F/W) gegen den Vorwurf verwehrte, Polemik zu betreiben. Die FPÖ bringe eben Probleme zur Sprache, die unter den Nägeln brennen, hielt Herbert den anderen Fraktionen entgegen. Er befürchtete vor allem, dass Deutschland bald seine Grenzen dicht machen könnte. Angesichts der Lage in Spielfeld könne man nicht davon sprechen, dass die Situation kontrolliert ablaufe, bemerkte Mühlwerth und stellte vor allem die Gefahr von Parallelgesellschaften in den Raum. Sowohl Herbert als auch Jenewein sahen extreme Probleme bei der Polizei, sowohl personeller als auch finanzieller Natur. Ihr Lösungsansatz sind Grenzzäune und strengere Kontrollen.

ÖVP gegen "Orbanisierung"

Im Gegensatz zur FPÖ verteidigten die Redner von ÖVP und SPÖ den Weg der Bundesregierung. Die Grünen plädierten mit Nachdruck für einen humanitären Umgang mit der aktuellen Situation. Kritik kam vor allem auch am Titel der Anfrage. Die einzige Partei, die das hilfsbereite Österreich abschaffe, sei die FPÖ, sagte etwa Marco Schreuder (G/W).

"Wir wollen keine Orbanisierung", stellte Edgar Mayer (V/V) aus der Sicht seiner Fraktion klar und plädierte für einen vernünftigen Zugang zur Problematik. Österreich sei ein Rechtsstaat und halte sich an das Völkerrecht, die EU-Gesetze und an das nationale Recht. Im Gegensatz dazu habe Orban das Völkerrecht nicht beachtet, sagte er. Mayer räumte jedoch ein, dass eine Registrierung von 6.000 bis 7.000 Menschen pro Tag schwierig ist und in Österreich dafür auch nicht ausreichend ausgebildetes Personal zur Verfügung steht. Die Ausbildung neuer MitarbeiterInnen dauere ein halbes Jahr.

Der letzte EU-Gipfel habe aber essentielle Ergebnisse gebracht, zeigte er sich zuversichtlich. Man müsse nun schauen, wie man die Registrierung und Rückführungen bewältigen könne. Mayer befürwortete den Vorschlag von Innenministerin Mikl-Leitner, teilweise Zäune aufzubauen und unterstrich, dass man nun auf bestem Weg sei, massive Vorkehrungen für eine koordinierte Abwicklung zu treffen. Sein Klubkollege Martin Preineder (V/N) erwartet sich von den Hotspots einen Schutz an den EU-Außengrenzen. Diese seien notwendig, um Menschen entsprechend zu registrieren. Von der Idee eines befristeten Bleiberechts in Österreich hält Preineder nichts. Sein Anliegen ist es, gemeinsam nach einer Lösung in der Flüchtlingsfrage zu suchen.

SPÖ: Es ist eine Frage der Haltung, wie man mit Menschen umgeht

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist einzuhalten, stellte auch Reinhard Todt (S/W) außer Zweifel. Das sei auch eine Frage der Haltung, wie man mit Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, umgeht. Weder Österreich habe sich die Situation ausgesucht noch die Flüchtlinge selbst, sagte er und erinnerte an die Haltung Österreichs in der Ungarn- und Tschechien-Krise. Das Krisenmanagement der Bundesregierung funktioniert seiner Meinung nach gut, er setzt vor allem große Hoffnungen in die Errichtung von Hotspots an den EU-Außengrenzen. In Richtung FPÖ meinte er, selbstverständlich müsse man die Ängste ernstnehmen und darüber reden. Das heiße aber: sachlich erklären. Im Gegensatz dazu betreibe die FPÖ Verunsicherung. Parteipolitisch von der Situation profitieren zu wollen, war auch der Vorwurf Martin Preineders (V/N) an die FPÖ. "Polarisierung und Emotionalisierung wird uns hier nicht helfen", warnte er.

Einen anderen Aspekt brachte Mario Lindner (S/St) in die Diskussion ein. Es sei wichtiger denn je, ab dem Kindergarten in allen Schulformen in Österreich die Themen Politische Bildung und Zivilcourage zu implementieren. Tausende ÖsterreicherInnen würden zur Zeit Tag täglich Zivilcourage vorleben. Das sei das Gebot der Stunde, betonte Lindner. Die FPÖ erinnerte er an die rund 6.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingskinder in Österreich und sprach sich mit Verweis auf die Gefährdung von Arbeitsplätzen dagegen aus, die Grenzen in der Steiermark dicht zu machen.

"Wir diskutieren in Wahrheit die größte menschliche Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg", versuchte Martin Weber (S/St) aufzurütteln. Das Thema müsse menschlich betrachtet und gelöst werden. Es gehe auch darum, sich in zehn Jahren im Spiegel ansehen zu können, wenn das Flüchtlingsthema rückblickend thematisiert wird. Durch Aufstockungen der Ressourcen würde die Flüchtlingssituation in der Steiermark mittlerweile koordiniert und kontrolliert über die Bühne gehen.

Grüne: Gemeinsam Probleme anpacken und humanitär handeln

Ebenso plädierte Marco Schreuder (G/W) mit Nachdruck für Humanität und appellierte ebenfalls, aus der Geschichte zu lernen. Das Grundprinzip jeder staatlichen Ordnung sei die Verhältnismäßigkeit, stimmte er mit den Regierungsparteien überein. Flüchtlinge ins Elend zurückzuschießen und gegen sie mit Tränengas vorzugehen, sei in keiner Weise verhältnismäßig, stellte er fest. Kritik übte er an den Aussagen der Innenministerin zur Festung Europa. Das sei ein Begriff aus der Nazizeit. Außerdem seien Zäune nicht europäisch und hielten keinen Flüchtling auf. Österreich sei in keiner Weise auf die Situation vorbereitet gewesen, obwohl der Krieg in Syrien seit 5 Jahren tobt und es etwa im Süd-Sudan und im Jemen weitere Krisengebiete mit fürchterlichem Leid gibt. Daher müsse man auf weitere Flüchtlingsbewegungen gefasst sein und gemeinsam die Probleme anpacken, so sein Apell.

"Liebe FPÖ, ich gehöre auch zu den Hardliner-Gutmenschen", sagte David Stögmüller (G/O) in Richtung der Freiheitlichen und berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe an der oberösterreichischen Grenze. Die Organisationen seien am Limit, es brauche mehr personelle und finanzielle Ressourcen, appellierte er an die Bundesregierung.

ORF soll alle Plenarberatungen von Nationalrat und Bundesrat live und vollständig übertragen

Hans-Jörg Jenewein (F/W) und Gerd Krusche (F/St) übten im Rahmen der Debatte auch massive Kritik am ORF, weil dieser diese wichtige Debatte nicht überträgt. Krusche warf den Medien grundsätzlich vor, in der aktuellen Flüchtlingsfrage ein falsches, nämlich zu positives Bild zu zeichnen. Die FPÖ legte aus diesem Grund einen Entschließungsantrag vor, in dem sie gesetzliche Änderungen einfordern, die sicherstellen, dass der ORF die Beratungen aller Gesetzgebungskörperschaften voll überträgt. Auch Marco Schreuder bedauerte, dass der ORF die Debatte nicht überträgt, er sprach sich aber dezidiert dagegen aus, dass die Bundesregierung öffentlich rechtlichen Redakteuren vorschreiben soll was zu berichten ist. Der Antrag wurde schließlich mehrheitlich abgelehnt.

Mehrheitlich angenommen wurde hingegen der Antrag der ÖVP und SPÖ zu diesem Thema. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, bei der nächsten Novellierung des ORF-Gesetzes sicherzustellen, dass die Plenarberatungen der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes im Rahmen des Bildungsauftrags des ORF live und vollständig jedenfalls in ORF III übertragen werden.

In der Minderheit blieb ein zweiter FPÖ-Entschließungsantrag. Darin fordern die F-Bundesräte, den Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der Grenze aufzustocken und den Einsatz durch eine Sonderfinanzierung sicherzustellen. (Schluss Dringliche Anfrage/Fortsetzung Bundesrat) jan/keg


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