Parlamentskorrespondenz Nr. 1207 vom 11.11.2015

Flüchtlinge: Nationale, europäische und weltweite Herausforderungen

Aktuelle Europastunde im Nationalrat

Wien (PK) -  Die Diskussion im gestrigen EU-Hauptausschuss, wie man die derzeitigen Flüchtlingsströme heute und in Zukunft bewältigen beziehungsweise verhindern könne, setzte sich heute im Plenum des Nationalrats fort (siehe Meldung der Parlamentskorrespondenz Nr. 1204/2015). "Aktuelle Herausforderungen der Flüchtlingsfrage erfordern europäische Lösungen", war das Thema der Aktuellen Europastunde, das von der SPÖ vorgeschlagen worden war. Zum zweiten Mal nützten österreichische EU-Abgeordnete die Gelegenheit, vor dem Nationalrat zu sprechen. Während Eugen Freund (S) und Michel Reimon (G) betonten, dass Europa mit keiner Flüchtlingskrise, sondern mit einer Verteilungskrise bzw. einer Krise der Nationalstaaten konfrontiert sei, und Othmar Karas (V) sowie Angelika Mlinar (N) an mehr Gemeinsamkeit und Solidarität appellierten und damit für ein Mehr an Europa eintraten, sah Harald Vilimsky (F) die EU als Ursache für das Problem.

Parteiübergreifend war man sich darüber einig, dass man auch für die Zukunft das Problem weiter angehen und an den Wurzeln anpacken müsse, indem man Hilfsmaßnahmen finanzieller und diplomatischer Natur in den betreffenden Krisenregionen setzt. Einige unterstrichen mit Nachdruck, dass eine nachhaltige Lösung nur dann erfolgreich sein werde, wenn Europa auch seine Wirtschafts- und Handelspolitik vor allem gegenüber Afrika ändert. Die Sicherung der EU-Außengrenzen ist für viele Abgeordnete ein Schlüsselfaktor zur Bewältigung der derzeitigen Lage.     

Faymann: Ursachenbekämpfung einzig richtige und nachhaltige Antwort

Auch Bundeskanzler Werner Faymann betonte, dass die Ursachenbekämpfung die einzig richtige und nachhaltige Antwort in der Flüchtlingsfrage sei. Der heute beginnende EU-Afrika-Gipfel im maltesischen Valetta diene dazu, Ansätze zu finden wie die Lebensverhältnisse der Menschen verbessert werden können. Das sei angesichts des Ausmaßes von Hunger, Krieg und Verfolgung eine äußerst komplexe Aufgabe, die nicht von heute auf morgen zu lösen sei. Nur eine internationale verstärkte Zusammenarbeit könne dazu beitragen, Fluchtursachen zu beseitigen. Man fange aber spät damit an, räumte der Bundeskanzler ein, so, wie man mit vielem zu langsam sei.

Faymann meinte damit unter anderem die Sicherung der EU-Außengrenzen, die Griechenland derzeit alleine nicht gewährleisten könne. Eine Alternative dazu gebe es nicht, warnte er, denn andernfalls würde es in Europa einen Wettbewerb um Zäune geben, die man auch gewaltbereit verteidige. "Ich möchte nicht, dass dieses Europa zu einem Europa der Stacheldrähte wird!", so Faymann, denn das führe zu Feindschaft und Hass gegenüber Nachbarn.

Im Hinblick auf die aktuellen Flüchtlingsströme sei man aber gefordert, die Menschen in der Region menschenwürdig zu behandeln, damit sich diese nicht auf den Weg machen müssen. Die EU habe daher die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit aufgestockt und auch Österreich werde sich an diesen internationalen Maßnahmen beteiligen. Es gehe auch darum, Menschen Perspektiven zu geben, etwa durch den Bau von Schulen und anderer Infrastruktur, und dafür sein die jetzt zur Verfügung gestellten Mittel viel zu wenig. Der Kanzler ging dann konkret auf die Verhandlungen mit der Türkei ein, für die zwei bis drei Milliarden aus dem EU-Budget zur Verfügung gestellt werden sollen, um die Lebensbedingungen der dort lebenden Flüchtlinge zu verbessern. Dabei habe man darauf zu achten, dass die Mittel tatsächlich bei den Menschen ankommen, bekräftigte Faymann.

Grundsätzlich stehe die EU aber vor der großen Aufgabe, etwas zu schaffen, was es als gemeinsame Aufgabe noch gar nicht gibt, betonte er, denn das Asylrecht sei eigentlich eine nationale Angelegenheit. Zum jetzigen Zeitpunkt müssten aber alle Anstrengungen unternommen werden, die beschlossenen Maßnahmen rasch umzusetzen, und das nicht nur in Europa. In diesem Zusammenhang kritisierte er die Bundesländer, die mit Ausnahme von Wien die Quote bei der Schaffung von Asylquartieren nicht erfüllen. Insgesamt fehlen mehr als 3.000 Plätze. Daher sein Appell: "Wir verlangen von der EU, dass sie das Tempo erhöht. Ich verlange aber auch, dass das Tempo in Österreich erhöht wird."

Mängel der EU-Politik in der Flüchtlingsfrage – EU-Abgeordnete zwischen Hoffnung und Kritik

Wie seine KollegInnen im Europäischen Parlament Othmar Karas (V), Michel Reimon (G) und Angelika Mlinar (N) übte auch Eugen Freund (S) Kritik am Rat der EU, der ein solidarisches Vorgehen in der Flüchtlingsfrage verzögere und nicht zustande bringe. Die nationale Engstirnigkeit verhindere die Lösungen, merkte Mlinar an, die für eine gemeinsame Außenpolitik und eine europäische Armee, aber vor allem für mehr Solidarität in Europa warb.

Alle vier stimmten mit dem Bundeskanzler überein, dass viel mehr Hilfe in den Krisenregionen angeboten werden müsse. Die Probleme beginnen nicht an der Außengrenze, sondern dort, wo die Menschen leben, sagte etwa Othmar Karas (V). Er ortete ein "beschämendes parteitaktisches Spiel" und warnte davor, Menschen gegeneinander auszuspielen. Es gehe um Recht, Gerechtigkeit, Sicherheit und Barmherzigkeit, hielt Karas fest und unterstrich, Europa könne und müsse das schaffen. Gefordert sei, die Verantwortung gemeinsam und geschlossen wahrzunehmen. Anstelle von Scheinlösungen sollte man seine Energie in gemeinsame Lösungen investieren und Maßnahmen setzen, um den Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben bieten zu können, stimmte Mlinar in den Tenor ein. Europa wird und darf an diesem Problem nicht scheitern, appellierte auch Eugen Freund (S) eindringlich und meinte, die jetzige Problematik werde man zwar sicherlich nicht mit der linken Hand lösen können, mit rechten Parolen aber schon gar nicht. Er zeigte sich überzeugt davon, dass Integration kein unüberwindbares Hindernis darstellt und ist sich mit dem Bundeskanzler darin einig, dass sich Europa mit einem robusten, diplomatischen Auftreten auf internationaler Ebene ins Spiel bringen müsse, um das Problem an der Wurzel zu packen. Vor allen müsse sich auch die USA ihrer Verantwortung für Syrien mehr bewusst sein.

Michel Reimon übte Kritik an der SPÖ und sah eine Divergenz zwischen verbalen Beteuerungen und politischem Handeln. Er warf den Sozialdemokraten vor, bei der Verschärfung des Asylrechts mitgestimmt zu haben. Was die Zahl der Flüchtlinge betrifft, die nach Europa kommen – derzeit ca. eine Million pro Jahr - , so hält er diese Anzahl für bewältigbar angesichts der zwei Millionen Flüchtlinge in der Türkei.

Eine andere Sicht der Dinge brachte Harald Vilimsky seitens der Freiheitlichen aufs Tapet. Er hält zwar die Bemühungen, die Menschen in der Region zu behalten für richtig, vertritt aber die Auffassung, dass die EU nicht die Lösung bringen könne, sondern selbst die Ursache des Problems sei. Außerdem sei auch die Eurokrise noch nicht vorbei, das werde derzeit nur verdrängt. Dem Bundeskanzler warf er vor, sich an Schlepperei zu beteiligen und zeigte auch kein Verständnis für die ÖBB, die für den Transport der Flüchtlinge den SteuerzahlerInnen 15 Millionen Euro in Rechnung stellt. Wer 10.000€ an Schlepper zahlen kann, der kann auch 20€ für die Bahn bezahlen, meinte er. (Fortsetzung Aktuelle Europastunde/Fortsetzung Nationalrat) jan