Parlamentskorrespondenz Nr. 238 vom 10.03.2016

Länderkammer durchleuchtet europäische Flüchtlingspolitik

Kurz: Weiterwinken wird niemals zu europäischer Lösung beitragen

Wien (PK) – Der geplante Flüchtlings-Deal mit der Türkei, die Schließung der Balkanroute und die damit einhergehende Lage an der griechisch-mazedonischen Grenze stand heute auch im Bundesrat zur Diskussion. Anlass dafür gab der Vorhabensbericht über die EU-Außenpolitik für 2016 sowie der Außen- und Europapolitische Bericht von 2014. Das "Weiterwinken" werde niemals zu einer europäischen Lösung beitragen, wie Außenminister Sebastian Kurz den österreichischen Kurs nun auch vor der Länderkammer vertrat. Mit der Schließung der Balkanroute werde der Zustrom weniger, bald würden nur mehr jene Menschen nach Europa kommen wollen, die wirklich auf der Suche nach Schutz seien. Ziel müsse nun eine ordentliche Versorgung in Griechenland sein, es brauche dazu aber auch die Bereitschaft der Flüchtlinge. "Es ist unsere Pflicht zu helfen, es ist aber auch unsere Pflicht, für eine europäische Lösung zu kämpfen", sagte Kurz.

Das Papier über die EU-Außenpolitik unterstreicht die Notwendigkeit der europäischen Zusammenarbeit bei der Bewältigung des Migrationsdrucks sowie die Einbindung der Türkei zur Lösung der Flüchtlingsproblematik. Die EU will 2016 aber auch auf Kooperationen mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge setzen, um einerseits die Flüchtlingsströme einzudämmen, andererseits aber Rückübernahmeabkommen durchzubringen. Ein weiteres Schlagwort ist zudem der Schutz der EU-Außengrenzen. Demnach soll etwa die bisherige EU-Grenzschutzagentur Frontex zu einer "European Border and Coast Agency" weiterentwickelt werden.

Von Seiten der FPÖ bezweifelte Christoph Längle (F/V), dass die vorgesehenen Gelder der EU für die Flüchtlingskrise richtig eingesetzt werden. Nicht die Türkei sollte unterstützt werden, sondern vielmehr Griechenland, so seine Position, zumal die Türkei ein "Katz- und Mausspiel" mit der Europäischen Union betreibe. Das Arbeitsprogramm ist für die Freiheitlichen unglaubwürdig und unrealistisch, wie er sagte, Integrations- und Sicherheitsaspekte sollten ohnehin die wichtigsten Parameter für die EU-Außenpolitik sein.

David Stögmüller (G/O) vermisste vor allem die Position Österreichs in vielen außenpolitischen Fragen, so etwa zu einem möglichen Brexit. Massive Kritik bekam Kurz auch für seine "Abschottungspolitik", die die Schlepperei wieder verstärken werde, wie Stögmüller prognostizierte. "Die Tragik an der griechisch-mazedonischen Grenze trägt die Handschrift der österreichischen Bundesregierung", so sein Vorwurf.

Von der ÖVP sprach sich Eduard Köck (V/N) für die Linie Österreichs in der aktuellen Flüchtlingssituation aus, "gar nicht gut" sei ihm aber bei den Verhandlungen mit der Türkei. Die EU müsse auch einen "Plan B" im Hinterkopf haben, etwa, indem man die Präsenz der Küstenwache verstärkt, um selbst in der Lage zu sein, die europäischen Außengrenzen zu schützen. Die Einführung der "Richtwertobergrenze" war für Köck das "Allerwichtigste", zumal die Griechen Geld von der EU erhalten, aber nichts in der Flüchtlingsfrage unternommen hätten.

Geht es nach Michael Lindner (S/O), steht die Europäische Union zur Zeit auf einem Scheideweg. Wichtig sei es, den Fokus auf Fluchtursachen zu lenken, Dublin III habe das Schlepperwesen angekurbelt und illegale Migration vorangetrieben. Die Türkei sei zwar ein wichtiger "Player", mit dem Europa eine Einigung brauche, genau ansehen müsse man sich jedoch die Bedingungen, unter denen Flüchtlinge in der Türkei leben müssen. Demnach dürfe sich die EU von der Türkei nicht abhängig machen, ansetzen sollte man bei der Hilfe in den Herkunftsländern. Angesprochen wurden von Lindner auch die beiden Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Er selbst befürchtet eine Nivellierung heimischer Standards bei der Umwelt oder bei den Arbeitnehmerrechten.

Was TTIP und CETA betrifft, meinte Kurz, dass ein exportorientiertes Land wie Österreich von der Möglichkeit des Freihandels abhängig sei. Dass dabei österreichische Standards nicht nach unten nivelliert werden sollen, stehe außer Frage. Er selbst hätte sich jedoch manchmal auch mehr Transparenz gewünscht, wie der Außenminister meinte.

Krisenherde und die Auswirkung auf Österreich

Mit Vergangenem, das aber dennoch in einem hohen Maß in die aktuelle außenpolitische Situation hineinwirkt, beschäftige sich die Länderkammer zudem auf Basis des Außen- und Europapolitischen Berichts von 2014. Dieser nimmt die "roten Fäden" der österreichischen Außenpolitik – EU-Perspektive für den Westbalkan, Nachbarschaftspolitik, Engagement in EU und UNO – in den Blickpunkt, macht über die zunehmende Verflechtung von Außen- und Innenpolitik bewusst und spricht in diesem Zusammenhang bereits den Syrien-Konflikt und die daraus resultierenden Flüchtlingsströme an.

Keine Zustimmung fand der Bericht von der FPÖ. Christoph Längle (F/V) meinte, dass seine Fraktion zwar klar zu einer europäischen Einigung stehe, diese aber als Zusammenschluss von freien Staaten verstanden werden müsse. Ungerechtigkeiten wie der Britenrabatt seien vor allem in den vergangenen Jahren zum Vorschein gekommen. Bei einem möglichen Brexit – die Gründe, wie die fehlgeleitete EU-Politik, seien vielseitig - hofft er, dass es zu keiner neuen Krise in Westeuropa und im "Kern der EU" kommt.

Ernst Gödl (V/St) verteidigte den österreichischen Kurs in der europäischen Flüchtlingssituation. Österreich müsse aufzeigen, dass Migration nicht nur mit Faktoren zu tun hat, die als klare Fluchtgründe gelten, sondern auch mit ökonomischen Motiven. Großes Lob hatte Gödl für die außenpolitische Performance von Kurz in den vergangenen zwei Jahren seiner Amtszeit parat. Kurz habe diplomatisches Geschick, außerdem habe er es verstanden, Wien auch weiterhin als Ort des internationalen politischen Dialogs weiterzuführen.

Angesichts des geplanten Flüchtlingsdeals sprach Hubert Koller (S/St) die Menschenrechtslage in der Türkei an. Die Forderungen Ankaras sieht er als "extrem kritisch", es wäre aus seiner Sicht eher ganz im Gegenteil Anlass dazu, der Türkei klarzumachen, dass Europa genau beobachtet, wie "europareif" das Land unter Erdogan tatsächlich ist. Grundsätzlich sollte Österreich künftig stärker im außeneuropäischen Raum tätig sein, so die Position Kollers.

Im Namen der Grünen kritisierte David Stögmüller (G/O) den verstärkten Fokus der österreichischen Außenpolitik auf die Wirtschaft, dieser sollte nämlich stärker auf Menschenrechte gelegt werden. Auch die Verdoppelung des Budgets der Austrian Development Agency (ADA) für den Westbalkan sehen die Grünen als "verfehlte Entwicklungspolitik". Österreich sollte seine Entwicklungszusammenarbeit eher mit am wenigsten entwickelten Ländern wie Afghanistan, Burundi oder dem Sudan verstärken.

Darauf entgegnete Kurz, dass die Entwicklungszusammenarbeit ein wesentlicher Bereich der Arbeit seines Ressorts sei, aber deswegen nicht mit dem Wirtschaftsservice konkurriere. Zu verlangen, die österreichische Wirtschaft im Ausland nicht zu unterstützen, wäre der falsche Ansatz. Paradox wäre es zudem, nicht in Nachbarregionen wie Südosteuropa zu investieren. (Fortsetzung Bundesrat) keg


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